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# taz.de -- Vorwürfe gegen Spargelbauer: Miese Ernte für Erntehelfer
> Erntehelfer werfen einem Bauern in Schleswig-Holstein vorenthaltenen Lohn
> und unmenschliche Behandlung vor. Die Grünen fordern bessere Kontrollen.
Bild: Immer wieder Opfer schlechter Arbeitsbedingungen: Erntehelfer, hier in He…
Osnabrück taz | Christian Schäfer steht unter Druck. Auf seinem Spargelhof
in Wiemersdorf im schleswig-holsteinischen Kreis Segeberg beschäftigt er
Saisonkräfte. Über 70 waren es dieses Jahr, bis Ende Juni.
Das Problem: Einige von ihnen erheben schwere Vorwürfe. Schäfers
Ex-Beschäftigte stammen aus Rumänien und haben [1][ihre Geschichte dem NDR
erzählt], mit Sätzen wie: „Wir haben uns gefühlt wie Sklaven.“ Man habe …
Hof mehrere Wochen lang nicht verlassen dürfen, anderenfalls habe der
Rauswurf gedroht. In einer der Unterkünfte habe es Schimmelbefall gegeben.
Lebensmittel, auch Fleischwaren, die Schäfer den Erntehelfern in einem
improvisierten Shop verkauft habe, seien abgelaufen gewesen, die
Haltbarkeit teils geschwärzt.
Schäfer weist die Vorwürfe in einer Erklärung auf seiner Homepage zurück.
Seit über 40 Jahren arbeite der Hof mit „zufriedenen ausländischen
Saisonarbeitskräften“. In Unterbringung und Verpflegung gehe man „weit üb…
die gesetzlichen Pflichten und Standards hinaus“.
Nur zwei der Beschäftigten hätten Vorwürfe erhoben, sagt der Spargelbauer.
Ursprünglich sei es dabei um die Berechnung des Lohns gegangen. Das
gewerkschaftsnahe Projekt „Faire Mobilität“ habe nach einer Überprüfung
aller Lohnunterlagen „zugeben“ müssen, „dass bis auf den letzten Cent
korrekt abgerechnet wurde“. Die übrigen „haltlosen Anschuldigungen“ seien
ihm gegenüber von seinen Mitarbeitern „zu keinem Zeitpunkt“ erwähnt worde…
Und das Fotomaterial der Erntehelfer vom Schimmelbefall? „Das stammt aus
einer Zeit vor der Renovierung des Gebäudes im März 2020, ist also nicht
aktuell“, sagt Schäfer der taz. „Zu jenem Zeitpunkt wurde das Gebäude nic…
als Unterkunft genutzt. Die Erntehelfer-Unterkünfte sind schimmelfrei.“
Schäfers Saisonarbeiter bekamen Mindestlohn, 9,50 Euro pro Stunde. „Sie
konnten sich aber leistungsbezogene Boni dazuverdienen“, sagt der Landwirt,
„und das haben manche auch getan, bis 1.800 Euro für zweieinhalb Monate
Beschäftigung.“ Die Ausgehbeschränkung sei „eine Lüge“.
Ja, es gebe einen Erntehelfer-Shop auf dem Hof. Aber die Mitarbeiter
hätten auch „woanders eingekauft und durften das selbstverständlich auch“.
Und die Fotos von den Lebensmitteletiketten? „Wir haben keine
Mindeshaltbarkeitsdaten geschwärzt“, sagt Schäfer. Solche Fotos seien
„nicht aus unserem Shop“.
Der Bauernverband Schleswig-Holstein unterstützt Schäfer. Auf Facebook
zeigt er Videos, in denen Schäfer seine Sicht darlegt, Zweibettzimmer der
Erntehelfer im Wohncontainertrakt zeigt. Die Schimmelstellen an der Tür der
Corona-Quarantäne zeigt er auch – schimmelfrei. Auch Erntehelfer kommen in
den Videos zu Wort; sie loben den Betrieb. Lennart Butz,
Kreisbauernverband Segeberg, lobt ihn da auch. Er sei „gut geführt“.
„In der Erntehilfe, genau wie in Schlachthöfen und in der Pflege, sind
prekäre Arbeitsverhältnisse keine Einzelfälle“, sagt Steffen Regis,
Landesvorsitzender der Grünen Schleswig-Holstein. „Sie sind ein
systemisches Problem, und das ist leider nicht neu.“
Man brauche endlich bundesrechtliche Klarheit: „Etwa Mindeststandards für
die Unterkunft. Ein Beispiel: Aus der Soll-Regelung für Einzelzimmer muss
endlich eine verbindliche Regelung werden. Es geht einfach nicht, dass man
Leute in 8-Bett-Zimmern unterbringt, zum Teil in völlig menschenunwürdigen,
vergammelten Baracken, isoliert von der Außenwelt.“
Der Mindestlohn sei zu niedrig; 12 Euro fordern die Grünen. Und der
Kontrolldruck sei zu gering: „Die Personaldecke in den Kommunalbehörden ist
viel zu dünn, die schaffen das einfach nicht.“ Es gebe vernünftige
Betriebe, aber eben auch schwarze Schafe. „Das ist ja immer heikel, wenn
Leute in krassen Abhängigkeitsverhältnissen leben. Das ist ein
Schattendasein, und wir müssen endlich die richtigen Voraussetzungen
schaffen, um auch von draußen dort reinzugehen und genau hinzuschauen.“
Helga Zichner, Beraterin bei Faire Mobilität, hat hingeschaut. Ende April
habe es bei Schäfer eine Infoaktion gegeben, sagt sie der taz. Man habe
Arbeiter gefragt, ob sie schon Arbeitsverträge hätten. Sie hätten verneint.
„Auch auf die Frage, ob sie wüssten, wie sie krankenversichert sein
würden, sagten sie, sie wüssten das nicht.“ Das sei hoch problematisch.
## Primär geht es um den Lohn
Anfang Juni meldete sich dann ein Schäfer-Arbeiter bei Faire Mobilität. Auf
den Fotos, die Faire Mobilität gezeigt wurden, waren Schaumstoffmatratzen
ohne Bezug, einfachste Metallbetten und Schimmelbefall zu sehen. Auch die
Lebensmittel kommen zur Sprache, auch das Ausgehverbot. Primär aber geht es
um den Lohn. Faire Mobilität fährt zum Ortstermin. Drei Erntehelfer hätten
gemeinsam abreisen wollen, sagt Zichner.
Das Kernproblem: Es habe „sehr viele Tage mit weniger als acht Stunden
Arbeitszeit“ gegeben, entgegen dem Arbeitsvertrag, der eine
48-Stunden-Woche vorsah. Nur die tatsächlich geleisteten Stunden habe
Schäfer bezahlen wollen. „Die Erntehelfer haben aufgrund der Unterbringung
auf dem Betriebsgelände ihre Arbeitskraft permanent angeboten. Für die
nicht abgerufene Arbeitskraft muss der Arbeitgeber den Annahmeverzugslohn
zahlen, denn er trägt das Betriebsrisiko.“ Von dieser Pflicht habe sich der
Landwirt nicht überzeugen lassen.
In einem Fall sei es um eine Differenz von etwa 1.000 Euro brutto gegangen.
„Diesen Anspruch hätten die Ratsuchenden nur versuchen können vor dem
Arbeitsgericht durchzusetzen, das wäre für sie jedoch extrem aufwendig
gewesen“, sagt Zichner. Christian Schäfer steht unter Druck.
27 Aug 2021
## LINKS
[1] https://www.ndr.de/nachrichten/schleswig-holstein/Spargelhof-Schaefer-Schim…
## AUTOREN
Harff-Peter Schönherr
## TAGS
Erntehelfer
Arbeitsbedingungen
Schleswig-Holstein
Ausbeutung
Mindestlohn
Leiharbeit
Schwerpunkt Bundestagswahl 2025
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