# taz.de -- Mindestlohn auf Spargelhöfen: Alle 350 Jahre Kontrolle | |
> Spargelhöfe zahlen zum Teil deutlich weniger als den gesetzlichen | |
> Mindestlohn.Überprüfungen durch den Zoll müssen sie aber nicht sonderlich | |
> fürchten. | |
Bild: Schlecht bezahlt, dafür immerhin körperlich sehr anstrengend: Spargeler… | |
GÖTTINGEN taz | Nettolöhne von sechs Euro pro Stunde, bar auf die Hand: | |
Undercover-Recherchen von „BuzzFeed News Deutschland“ belegen massive | |
Ausbeutung auf dem [1][Betrieb von „Spargelkönig“ Thiermann] in Kirchdorf | |
im niedersächsischen Kreis Diepholz. Überprüfungen durch die | |
Finanzkontrolle Schwarzarbeit des Zoll (FKS) müssen dieses und andere | |
Unternehmen der Branche aber offenbar nicht befürchten. Die Antwort der | |
Bundesregierung auf eine Anfrage des Linken-Abgeordneten Victor Perli | |
ergab, dass ein landwirtschaftlicher Betrieb statistisch mit lediglich | |
einer Kontrolle in 350 Jahren rechnen muss. | |
[2][Der „BuzzFeed“-Reporter] Łukasz Grajewski, der unter der | |
Scheinidentität eines polnischen Saisonarbeiters verdeckt bei Thiermann | |
ermittelte, arbeitete nach eigenen Angaben in fünf Tagen 49 Stunden und 40 | |
Minuten auf dem Hof. Auf seinem Lohnzettel standen 296,75 Euro, 70 Euro | |
davon zahlte er für Essen und Unterkunft. Ohne diesen Abzug kam er auf | |
einen Stundenlohn von 5,97 Euro netto, der ihm bar ausgezahlt wurde – mehr | |
als 3,50 Euro unter dem Brutto-Mindestlohn von 9,50 Euro. Seit 2017 gilt | |
der gesetzliche Mindestlohn auch für Erntehelfer auf Spargelfeldern. | |
Polnische Arbeitskollegen berichteten dem Journalisten in einzelnen | |
Gesprächen übereinstimmend, sie hätten 6,80 Euro netto in der Stunde | |
erhalten. Ein Hilfsarbeiter sagte, er bekomme 6,60 Euro netto die Stunde. | |
Aus Akkordlisten, auf denen die Tageslöhne kommuniziert werden, seien für | |
drei Rumänen Summen notiert gewesen, die einen Stundenlohn von 7,23 Euro | |
netto ergaben. | |
Ob Sozialabgaben, Krankenversicherung und Lohnsteuer gezahlt wurden, blieb | |
unklar: „Weil niemand, mit dem wir sprechen, einen Vertrag oder eine | |
Lohnabrechnung ausgehändigt bekommt“, schreibt Grajewski. Dabei haben | |
Beschäftigte einen gesetzlichen Anspruch auf eine Lohnabrechnung. | |
## 45 Euro für einen Tag Arbeit | |
Auch Piotr Mazurek von der DGB-Beratungsstelle „Faire Mobilität“ berichtet | |
über Klagen von Saisonkräften über Unregelmäßigkeiten bei der | |
Lohnauszahlung oder bei den Arbeitszeiten. „Den Leuten wird versprochen, | |
sie könnten bis zu 120 Euro am Tag verdienen oder zumindest 70 bis 80 Euro, | |
und sie bekommen dann 40 oder 45 Euro für einen Tag Arbeit“, sagt Mazurek. | |
Arbeitszeiten von zehn bis zwölf Stunden seien nicht selten. „Es sind | |
sicherlich nicht alle Betriebe, von denen solche Beschwerden kommen. Es | |
gibt auch Bauern, die sich an die Regeln halten.“ Jedoch kämen Beschwerden | |
regelmäßig seit vielen Jahren – [3][„das sind mehr als nur Einzelfälle�… | |
Auf Grundlage der „Buzz-Feed“-Recherche hatte Perli von der Bundesregierung | |
wissen wollen, wie viele Arbeitgeberkontrollen bei Spargelhöfen die | |
niedersächsischen Zollämter im vergangenen und laufenden Jahr in | |
Niedersachsen vorgenommen haben. Eine konkrete Antwort erhielt Perli nicht. | |
Denn: „In der Arbeitsstatistik der Finanzkontrolle Schwarzarbeit der | |
Zollverwaltung wird die Branche Landwirtschaft nicht hinsichtlich der | |
angebauten Ackerfrüchte unterteilt“, erklärte das Finanzministerium. Zahlen | |
gebe es deshalb nur für die Kontrollen in der gesamten Agrarbranche. | |
Nach den Ergebnissen der jüngsten Landwirtschaftszählung gab es 2020 in | |
Niedersachsen 35.500 landwirtschaftliche Betriebe – und insgesamt 105 | |
Kontrollen. Im laufenden Jahr waren es bislang 56. „Die Bundesregierung | |
kann nicht beantworten, wie viele Kontrollen es bei Spargelbauern gibt“, | |
beklagt der Abgeordnete. Der Zoll führe darüber keine Statistik, das müsse | |
sich ändern. | |
## Forderung nach mehr Kontrollen | |
In der Landwirtschaft gebe es viel zu wenige Kontrollen: „Rechnerisch muss | |
jeder Betrieb alle 350 Jahre mit einer Kontrolle rechnen. Das ist absurd. | |
So kratzen die Behörden mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nur | |
an der Oberfläche des Problems.“ | |
Der gesetzliche Mindestlohn lasse sich nur mit regelmäßigen Kontrollen | |
durchsetzen, so Perli. Dafür brauche es mehr Kontrolleure. „Schwarze Schafe | |
müssen endlich fürchten, dass sie erwischt werden. Es muss endlich mehr | |
Personal beim Zoll, mehr Kontrollen und mehr Transparenz geben.“ | |
Gewerkschaftsberater Mazurek hält eine staatliche Arbeitsinspektion nach | |
dem Vorbild Österreichs für sinnvoll, an die sich die Beschäftigten direkt | |
wenden könnten und die auch die Autorität haben müsse, Lohnnachzahlungen | |
durchzusetzen. Die Kontrollen des Zolls in Deutschland bezögen sich nur auf | |
nicht entrichtete Steuern und Sozialabgaben. „Lohnansprüche hingegen können | |
die Saisonkräfte nur individualrechtlich durchsetzen“, erklärte Mazurek. | |
Das machten aber die Wenigsten in einem fremden Land mit fremder Sprache | |
und fremdem Rechtssystem. | |
25 Jun 2021 | |
## LINKS | |
[1] /Arbeitsquarantaene-auf-Spargelhof/!5765810 | |
[2] https://www.buzzfeed.de/recherchen/spargel-vorwuerfe-mindestlohn-corona-rec… | |
[3] /Auslaendische-Erntehelfer/!5773689 | |
## AUTOREN | |
Reimar Paul | |
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