| # taz.de -- Ausbeutung in der Champagnerproduktion: Blut, Schweiß und Schampus | |
| > Tausende Arbeitsmigrant*innen kommen als Saisonarbeiter für die | |
| > Champagner-Produktion nach Frankreich. Eine Recherche von moderner | |
| > Sklaverei und Rekordumsätzen. | |
| Bild: Die Champagner-Ernte ist kein Fest | |
| Auf der Avenue de Champagne schlendern sie entlang der schicken Villen und | |
| schießen Selfies, in der Hand ein Glas Schampus, in dem goldene Blasen | |
| aufsteigen und an der Oberfläche zerplatzen. Hunderte Touristen kommen Tag | |
| für Tag nach Epernay, der Hauptstadt der [1][Champagnerproduzenten]; an | |
| diesem Montag Mitte September bringt ein Reisebus eine Gruppe Belgier zum | |
| Frühschoppen, eine junge Chinesin filmt ihre Freundin vor dem Logo einer | |
| bekannten Marke, und in der Touristen-Info will sich eine Frau über | |
| Verkostungen informieren. „Sprechen Sie Deutsch?“ | |
| In den wie Schlösser anmutenden Niederlassungen der Champagnerproduzenten | |
| entlang der Avenue knallen derweil die Korken im Akkord. Ein Glas gibt es | |
| hier ab zehn Euro. 326 Millionen Flaschen Champagner wurden im Jahr 2022 | |
| verkauft, erstmals wurden mehr als 6 Milliarden Euro umgesetzt. | |
| Doch die weltbekannte Region im Osten Frankreichs hat auch eine andere, | |
| weit weniger prickelnde Seite. Die diesjährige Champagnerlese wird als eine | |
| der dunkelsten in die Geschichte eingehen. Im September starben fünf | |
| Helfer, so viele wie noch nie in einer Erntesaison. | |
| In einem Fall kam ein Arbeiter in seinem Zelt an einer Überdosis Drogen ums | |
| Leben, wie die zuständige Staatsanwaltschaft auf Anfrage mitteilte. Die | |
| Ermittlungen zu den anderen Fällen laufen noch, ein [2][Zusammenhang mit | |
| der Hitze] wird vermutet. Vier menschenunwürdige Gemeinschaftsunterkünfte | |
| wurden von den Behörden dichtgemacht, darunter auch illegale Zeltlager. | |
| Die Staatsanwaltschaft in Châlons-en-Champagne hat zwei Untersuchungen | |
| wegen des Verdachts auf Menschenhandel eingeleitet. Eine befasst sich mit | |
| dem Fall von 71 in einem heruntergekommenen Plattenbau beherbergten | |
| Saisonarbeitern aus der Ukraine, in der Gemeinde Mourmelon-le-Petit; eine | |
| weitere mit der Unterbringung einer Gruppe von einigen Dutzend Personen, | |
| überwiegend Asylbewerbern aus Afrika, in einer Bruchbude im kleinen Ort | |
| Nesle-le-Repons. Im Dorf Grauves schliefen Arbeiter in verbotenen, aber von | |
| Behörden geduldeten Zeltlagern am Waldrand. | |
| Wie konnte es so weit kommen in einer Region, deren bekanntestes Produkt | |
| für [3][ausschweifenden Luxus] steht? Und wer trägt die Verantwortung? Mit | |
| diesen Fragen hat sich ein Team aus internationalen Journalisten mehrere | |
| Monate lang beschäftigt. | |
| Nach Aufdeckung der Affären zeigt sich die Champagnerindustrie bestürzt. | |
| Winzer und die großen Häuser erklären sich gemeinsam. Über eine eigens | |
| eingeschaltete PR-Agentur für Krisenkommunikation lassen sie auf Nachfrage | |
| mitteilen, sie seien „zutiefst betroffen“ und drückten „den Familien (der | |
| verstorbenen Erntehelfer) ihr Beileid aus“. Einige Weinleser seien „unter | |
| untragbaren Bedingungen“ aufgenommen worden, heißt es. Man „verurteile | |
| diese unsäglichen Verhaltensweisen aufs Schärfste“. Man habe mit den | |
| Behörden vereinbart, „alle notwendigen Maßnahmen zu beschließen, damit sich | |
| derartige Entgleisungen nicht wiederholen“. Darunter zähle auch, „dass wir | |
| uns auf Seite der Geschädigten in einen Gerichtsprozess einbringen werden“. | |
| Mehr Unterkünfte soll es geben, die Arbeit solle besser organisiert und vor | |
| allem sicherer werden, für Dienstleister sollen künftig strenge Regeln | |
| gelten, heißt es vage. | |
| Ob die Versprechungen eingehalten werden, ist schwer abzuschätzen. Denn | |
| Ausbeutung gehört zumindest für Teile der Branche zum System. Den Erfolg | |
| haben die Unternehmen nicht zuletzt den Arbeitsmigranten zu verdanken, die | |
| mittlerweile den Großteil der rund 120.000 Saisonarbeitskräfte stellen. | |
| [4][Nach Angaben des Branchenverbands] überstieg das Arbeitspensum der | |
| Arbeitskräfte aus dem Ausland 2017 erstmals das der einheimischen. | |
| Gewerkschafter schätzen, dass der Anteil der Migranten bei der | |
| Champagnerernte mittlerweile bei rund zwei Dritteln liegt. | |
| Die [5][Ausbeutung] lässt sich leicht beobachten. Viele provisorische | |
| Arbeiterlager sind gut sichtbar an den Straßenrändern zu finden. Auf einem | |
| bekannten Parkplatz in einem Vorort von Epernay herrscht an einem Dienstag | |
| Mitte September bereits vor Sonnenaufgang Hochbetrieb. Aus den Reisebussen | |
| strömen diesmal keine Touristen, sondern zahllose Männer mittleren Alters | |
| mit morgengrauen Gesichtern. Kennzeichen vieler Busse ist BG, für | |
| Bulgarien, oder TR, für die Türkei. Eilig steigen die Traubenpflücker in | |
| kleinere Transporter. Minuten später ist der Spuk vorbei. | |
| Am Abend desselben Tages sitzen und liegen in einem kleinen Park am Bahnhof | |
| mehrere Männer auf Pappkartons. Alle haben Erfahrungen als Erntehelfer, | |
| zumeist schlechte. Das Wort Arbeiterstrich würde ihre | |
| Beschäftigungssituation wohl gut zusammenfassen. Zuerst will niemand offen | |
| über die Details sprechen. Dann redet doch einer. „An manchen Tagen geben | |
| sie uns 50, 60 Euro. Das kann doch nicht sein!“, schimpft jemand, der sich | |
| als Youssef vorstellt. „Damit kommt man echt schwer über die Runden.“ Heute | |
| Abend, sagt der Mann aus dem Tschad, schlafe er auf seinem Pappkarton. Mal | |
| wieder. | |
| José Blanco, ein großer kräftiger Mann mit runder Brille, ist so etwas wie | |
| der Lautsprecher der Weinleser. Der höchste gewählte Vertreter der | |
| Champagnerarbeiter fällt auf, nicht nur durch seine roten Hemden und seinen | |
| postgelben Transporter, sondern auch durch seine Demonstrationen. Anfang | |
| Oktober zog seine [6][Gewerkschaft CGT] vor den Sitz der | |
| Arbeitgebervertretung. Rund 100 Menschen demonstrierten dort mit einem | |
| aufblasbaren, zwei Meter großen Champagnerkorken und einem Transparent, das | |
| eine Champagnerflasche zeigt mit der Aufschrift: „Mischung: 20 Prozent | |
| Weintrauben, 80 Prozent Ausbeutung“. | |
| Blanco beobachtet die privaten Arbeitsvermittler schon lange kritisch. Ein | |
| Großteil der Erntehelfer der Champagne wird mittlerweile über Dienstleister | |
| beschäftigt, von denen es offenbar viele nicht so genau nehmen mit dem | |
| Gesetz. Schon vor Jahren machte der Gewerkschafter die großen | |
| Champagnerhäuser auf das Problem der Leiharbeit aufmerksam und informierte | |
| die lokalen Behörden. Voriges Jahr war Blanco sogar beim Arbeitsminister zu | |
| Besuch, um ihn ins Bild zu setzen. Der Landwirtschaftsministerin schrieb er | |
| einen Brief zum Thema „skrupellose Dienstleister“. Passiert sei wenig, sagt | |
| er. | |
| ## Unternehmen schießen wie Pilze aus dem Boden | |
| Hunderte solcher Firmen sind alleine für das Département Marne registriert, | |
| in dem auch die meisten Weinberge der Region liegen. „Die Unternehmen | |
| schießen wie Pilze aus dem Boden“, ärgert sich Blanco. „Jedes Jahr werden | |
| Firmen eigens für die Ernte gegründet und gleich danach wieder | |
| geschlossen.“ Viele von ihnen zahlten keine Sozialabgaben, nicht wenige | |
| prellten Löhne. Und kontrolliert würde zu wenig. Das zeigen auch die | |
| offiziellen Zahlen. Die zuständige Behörde für Schwarzarbeit in Reims gibt | |
| auf Nachfrage an, in dieser Saison mehr als zwanzig Kontrolleure für die | |
| Winzer und Dienstleister eingesetzt zu haben: Insgesamt wurden lediglich | |
| rund fünf Prozent der Arbeiter überprüft. | |
| Gewerkschafter Blanco verrät, welche Leiharbeitsfirmen man sich einmal | |
| näher anschauen sollte. Zum Beispiel STV mit Sitz in Epernay, die laut | |
| Blanco jedes Jahr 8.000 Arbeiter beschäftigt und offenbar gezielt aus dem | |
| Ausland anwirbt, darunter viele Bulgaren mit türkischem | |
| Migrationshintergrund. Diese Ich-AG sei „schon länger im Visier der | |
| Kontrollbehörden“, sagt er. Ein [7][Blick ins Handelsregister] gibt einen | |
| ersten Eindruck. | |
| Eingetragen wurde STV bereits 2004. Gründer und Chef ist Unal O., ein Mann | |
| mit türkischem Pass, der mit Leiharbeitern in den Weinbergen der Champagne | |
| offenbar gutes Geld verdient. 2016, neuere Zahlen gibt es nicht, setzte | |
| seine Unternehmung beachtliche 4,3 Millionen Euro um. Zwei Jahre später | |
| zahlte sich der Boss bereits 500.000 Euro Dividende aus, das Jahr darauf | |
| das Doppelte, anders ausgedrückt: den 50-fachen Mindestlohn. | |
| Wer die Masche STV verstehen will, sollte sich unter den Erntehelfern der | |
| Champagne umhören. Gemeinsam mit dem bulgarischen Investigativjournalisten | |
| Stanimir Vaglenov ist es dem Reporterteam gelungen, mit fünf ehemaligen | |
| Arbeitern zu sprechen, die teils in verschiedenen Jahren für STV gearbeitet | |
| haben. | |
| „Wenn der Chef die Polizei sieht, nimmt er die Beine in die Hand.“ Der | |
| Mann, der das erklärt und dabei schallend lacht, war in diesem Jahr | |
| Erntehelfer für Unal O. Bei einem spontanen Gespräch zwischen den | |
| Weinreben erklärt Stoyan, was er damit meint. Stoyan heißt eigentlich | |
| anders, aber möchte nicht namentlich genannt werden. Er und seine | |
| Landsleute hätten nicht einmal einen Vertrag bekommen, sagt er. 700 Euro | |
| sind am Ende auf seinem Konto eingegangen, wie ein Screenshot der | |
| Überweisung belegt. Für 11 Tage Arbeit, sagt Stoyan. Bei mindestens 9 | |
| Stunden pro Tag. Damit käme er auf 7 Euro pro Stunde, weniger als der | |
| Mindestlohn von 9 Euro netto. | |
| Doch das Geld ist offenbar nicht das einzige Problem. Auch werden die | |
| Arbeiter der STV den Recherchen zufolge systematisch an weit entfernten | |
| Orten untergebracht, in der Regel auf Zeltplätzen in Nachbarregionen. In | |
| diesem Jahr soll das unter anderem ein Campingplatz in einem Vorort von | |
| Paris gewesen sein. Um 5.15 Uhr habe man sie am Zeltplatz abgeholt, | |
| berichtet Stoyan. Teils arbeiteten sie dann bis 19 Uhr, bevor es mit dem | |
| Bus wieder zurückgegangen sei. „Das ist nicht fair“, schreibt der junge | |
| Bulgare einige Tage später per Whatsapp und fügt hinzu: „Ich will kein | |
| Sklave sein.“ | |
| ## Keine Wasserflaschen für Pflücker | |
| Die Vorwürfe gegen STV gehen aber noch weiter. Übereinstimmend berichten | |
| mehrere ehemalige Arbeiter und zwei Angestellte eines Auftraggebers über | |
| einen weiteren Verstoß: STV habe seinen Weinpflückern in diesem Jahr trotz | |
| erdrückender Hitze keine Wasserflaschen zur Verfügung gestellt, obwohl sie | |
| gesetzlich dazu verpflichtet sind. Vor-Ort-Recherchen bestätigen die | |
| Vorwürfe. Auch andere Arbeiter berichten über teils katastrophale | |
| Bedingungen, darunter ein Helfer aus dem Vorjahr, dessen Vertrag in Kopie | |
| vorliegt. Demnach gehörte STV damals bereits auf dem Papier zu den | |
| Anbietern, die an der untersten Grenze dessen bezahlen, was gerade noch | |
| erlaubt ist. | |
| Eine weitere Helferin aus dem vergangenen Jahr gibt an, ebenfalls keinen | |
| Vertrag erhalten zu haben. Sie sei von STV um viel Geld geprellt worden. | |
| Von den versprochenen 2.000 Euro habe sie am Ende weniger als 1.000 | |
| erhalten. Zum Beweis sendet die Frau einen Überweisungsbeleg. Glaubt man | |
| ihren Angaben, dann wurden sie und vermutlich auch weitere Kollegen | |
| deutlich unter dem Mindestlohn bezahlt. „Jeden Morgen standen wir um 4 Uhr | |
| auf, fuhren gegen 5 los und kamen um 7 Uhr in den Weinbergen an“, erzählt | |
| sie. | |
| Ruhezeiten hätte es demnach kaum gegeben: „Unsere Pausen machten wir, | |
| während wir uns von einem Weinberg zum anderen bewegten, meist zu Fuß.“ Die | |
| Arbeitstage hätten demnach bis 17.30 oder 18 Uhr gedauert: „Erst nach 21 | |
| Uhr kehrten wir nach Hause zurück.“ Wenn diese Angaben stimmen, wären die | |
| 11 Stunden Ruhezeit, die der Gesetzgeber pro Tag vorschreibt, bereits | |
| rechnerisch unmöglich. Auch 2022 habe es Probleme mit Trinkwasser gegeben, | |
| erklärt die Arbeiterin: „Für vierzig Personen gab es zwei Kanister mit je | |
| zwanzig Litern Wasser.“ | |
| Unal O. lässt eine Mail mit Fragen unbeantwortet. Per Telefon äußert er | |
| sich nur zu einem Teil der Vorwürfe und bestreitet jegliches Fehlverhalten. | |
| Der STV-Chef bestätigt zwar, dass sein Unternehmen, dessen Mitarbeiterzahl | |
| er auch auf mehrfache Nachfrage nicht nennen will, für „die größten | |
| Champagnerproduzenten“ arbeite. Ansonsten passe „Ihre Beschreibung | |
| überhaupt nicht zu meiner Firma“, kommentiert O. „Ich hatte noch nie | |
| Probleme mit dem Finanzamt oder so etwas.“ | |
| O. zufolge ist den Mitarbeitern „immer korrekt der Mindestlohn bezahlt und | |
| Sozialbeiträge stets beglichen“ worden, auch seien auch die Bedingungen in | |
| den Unterkünften der Arbeiter „mehr als ausreichend“. Er sei zwar von den | |
| Behörden und von den Herstellern kontrolliert worden, Beanstandungen habe | |
| es aber keine gegeben. Im Übrigen erhielten die Arbeiter ausreichend | |
| Trinkwasser. Unal O. bestätigt, dass er auch in Bulgarien rekrutiere. Auch | |
| mit den Bulgaren sei „alles in Ordnung“, jeder von ihnen habe einen | |
| französischen Vertrag erhalten. Die zuständigen französischen Behörden | |
| wollten sich auf Anfrage zum Fall STV nicht äußern. | |
| Wer sind eigentlich die Kunden des dubiosen Dienstleisters STV? Die | |
| Produzenten Taittinger, Bollinger, zwei bekannte Champagnermarken, außerdem | |
| die großen Firmen Mumm und Vranken – und schließlich der Weltmarktführer: | |
| Moët & Chandon, das zum Luxusunternehmen LVMH gehört. Diese Unternehmen | |
| kooperieren nachweislich seit vielen Jahren mit der Firma. Doch auch nach | |
| telefonischer Rückfrage sind die Antworten auf die schriftlichen Fragen | |
| spärlich. Befragt zu ihrer Zusammenarbeit mit Dienstleistern im Allgemeinen | |
| und kontroversen Anbietern wie STV im Speziellen, antworten zwei der fünf | |
| Hersteller gar nicht. | |
| ## Dienstleister STV wiegelt ab | |
| Nur einer der fünf kontaktierten Kunden von STV äußert sich direkt: „Wir | |
| arbeiten seit rund zwanzig Jahren problemlos mit diesem Dienstleister | |
| zusammen“, erklärt Taittinger. „Uns sind die jährlichen Kontrollen der | |
| zuständigen Arbeitsrechtsbehörden (…) bekannt, von denen uns (allerdings) | |
| bislang keine Verstöße gemeldet worden sind.“ | |
| Taittinger rechtfertigt seine Zusammenarbeit mit externen Dienstleistern: | |
| „Seit mehreren Jahren müssen sich alle Fachkräfte an die zunehmenden | |
| Rekrutierungsschwierigkeiten anpassen, insbesondere vor Ort.“ Diese | |
| Situation habe dazu geführt, dass während der Ernte auf Dienstleister | |
| zurückgegriffen werden müsste, um „die direkt von uns rekrutierten Teams zu | |
| unterstützen“. Das Unternehmen fügt hinzu, dass es seine Dienstleister | |
| „aufgrund ihrer Erfahrung im Weinsektor der Champagne, der Qualität ihrer | |
| Arbeit und der Transparenz unseres regelmäßigen Austauschs vor und während | |
| der Ernte“ ausgewählt habe und dessen Arbeit stetig überwacht. Bezüglich | |
| des Trinkwassers erklärte Taittinger, STV habe den Arbeitern Wasser in | |
| Kanistern zur Verfügung gestellt. Man habe dieses Angebot mit Flaschen | |
| ergänzt. | |
| Der Spirituosenkonzern Pernod Ricard, zu dem Mumm gehört, teilt lediglich | |
| mit, man habe in diesem Jahr 85 Helfer über STV bezogen, um 30 Hektar bei | |
| Partnerwinzern zu ernten. MHCS, die Champagnersparte des Großkonzerns LVMH, | |
| lehnt auch auf Nachfrage eine Stellungnahme zu ihrer jahrelangen | |
| Zusammenarbeit mit STV ab. | |
| Das Unternehmen erklärt bloß: „Wir bestätigen, dass wir das ganze Jahr üb… | |
| alles unternehmen, um die Gesundheit, Sicherheit und das Wohlbefinden aller | |
| Menschen zu gewährleisten, die für uns tätig sind.“ MHCS erklärte außerd… | |
| dass es „Prüfer aus verschiedenen Abteilungen mobilisiert“ habe. Wenn | |
| Verstöße festgestellt würden, leite man „sofort Korrekturmaßnahmen ein, b… | |
| hin zur sofortigen Kündigung des Vertrags mit einem Subunternehmer“. | |
| Dominique Ledeme beobachtet die Champagnerindustrie schon lange. Über | |
| Jahrzehnte stand Ledeme an der Spitze der Schwarzarbeitskontrollbehörde im | |
| Champagne-Departement Marne. Seit gut fünf Jahren ist er in Rente, über | |
| eine linke Liste ist er in den Stadtrat von Reims gewählt worden. Im | |
| Bahnhofscafé von Reims gibt der Experte im Juli seltene Einblicke in die | |
| Auswüchse der Leiharbeit in der Region. „Vor fünfzig Jahren blühte die | |
| Champagne auf. Damals war das Kräfteverhältnis umgekehrt.“ In dieser Zeit | |
| seien die Leute „zum Arbeiten und zum Feiern“ in die Champagne gekommen. | |
| Auch er habe das einmal ausprobiert: „Das war wirklich eine verrückte | |
| Zeit.“ | |
| Mit der Fusion von Moët & Chandon und Louis Vuitton zum Luxus-Konzern LVMH | |
| im Jahr 1987 habe sich das auf einen Schlag geändert: „LVMH hat aus dem | |
| lokalen Produkt Champagner ein Renditeobjekt gemacht“, sagt Ledeme. Ab | |
| Ende der 80er Jahre hätten seine Leute bei Kontrollen in der Branche | |
| zunehmend Verstöße festgestellt bei Arbeitszeiten und Unterbringung. „Schon | |
| zu dieser Zeit schliefen Arbeiter in Zelten.“ | |
| Der Stundenlohn habe nach und nach dem Akkordlohn Platz gemacht, erklärt | |
| Ledeme. Das sei zwar erlaubt, ginge aber oft zulasten der Arbeitnehmer. | |
| Viele hätten seitdem auf [8][Leiharbeitsfirmen] gesetzt, nicht nur aus | |
| Renditegründen, sondern auch wegen strenger Gesetze. „Über Jahre wurden die | |
| Unterbringungsstandards immer weiter verschärft“ und schreckten so selbst | |
| viele gutwillige Winzer ab, Arbeiter zu beherbergen, so Ledeme. | |
| Schon seit Jahren hat die Leiharbeit in der Champagne schlechte Presse. Im | |
| Jahr 2012 wurde zum ersten Mal ein Winzer der Champagne zu einer | |
| Gefängnisstrafe verurteilt. Er hatte über eine Briefkastenfirma hunderte | |
| Polen ohne gültige Verträge beschäftigt. [9][2019 gab es, nach vier Jahren | |
| Ermittlungen], ein zweites Urteil gegen einen anderen Dienstleister, der | |
| hunderte Polen unter unwürdigen Bedingungen untergebracht hatte. | |
| Im September 2021 wurde ein weiterer Dienstleister nach einem Einsatz von | |
| Europol verhaftet. Gemeinsam mit Komplizen habe er seit 2017 „in | |
| betrügerischer Absicht unterbezahlte Arbeitskräfte“ zur Verfügung gestellt, | |
| hauptsächlich für die Traubenlese in der Champagne, so der Vorwurf. Die | |
| Rede ist von 350 bis 500 Bulgaren jährlich. Das französisch-bulgarische | |
| Netzwerk habe den französischen Staat um „mehrere Millionen Euro“ betrogen. | |
| Acht Personen werden nun der Schwarzarbeit und der Geldwäsche beschuldigt. | |
| Die Ermittlungen laufen. | |
| In einem aufsehenerregenden Prozess erhielt im Vorjahr ein | |
| Unternehmerehepaar drei Jahre Haft und Berufsverbot wegen Menschenhandels. | |
| Über ihre Firma Rajviti hatten sie gezielt Asylbewerber angeworben und | |
| ausgebeutet. Gleich mehrere große Hersteller profitierten von diesem | |
| Subsubunternehmer, ermittelte die Gendarmerie. Auf der Anklagebank fanden | |
| sich diese Firmen aber nicht wieder. Lediglich ein verantwortlicher | |
| Mitarbeiter der LVMH-Tochter Veuve Clicquot wurde angezeigt, bereits in | |
| erster Instanz aber freigesprochen. Die Rolle der großen Firmen wurde im | |
| Prozess nicht weiter thematisiert. | |
| Erstaunlich, gilt doch in Frankreich seit 2017 ein Gesetz der | |
| Sorgfaltspflicht. Große Konzerne wie LVMH müssen demnach „angemessene | |
| Vorkehrungen zur Erkennung von Risiken und zur Verhinderung schwerwiegender | |
| Menschenrechtsverletzungen“ treffen. Schaut man sich die neuen Vorwürfe an, | |
| ist es bis dahin wohl noch ein weiter Weg. | |
| 30 Dec 2023 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Champagner-Knappheit-bei-Hennessy/!5892262 | |
| [2] /Studie-zu-Gefahr-durch-Hitze/!5946057 | |
| [3] /Reiche-sollen-mehr-zahlen/!5918748 | |
| [4] https://www.vitisphere.com/actualite-86244-plus-de-50-de-la-surface-vendang… | |
| [5] /Ausbeutung-von-Arbeitsmigrantinnen/!5939861 | |
| [6] /Die-erste-Chefin-der-franzoesischen-CGT/!5925810 | |
| [7] https://www.google.com/url?q=https%3A%2F%2Fwww.pappers.fr%2Fentreprise%2Fst… | |
| [8] /Studierende-aus-Usbekistan-in-Bremen/!5944582 | |
| [9] https://www.google.com/url?q=https%3A%2F%2Fwww.moniquederrien.com%2Fvendang… | |
| ## AUTOREN | |
| Stéphanie Wenger | |
| Ishaq Anis | |
| Robert Schmidt | |
| ## TAGS | |
| Leiharbeit | |
| Arbeitsmigration | |
| Schwerpunkt Frankreich | |
| Gewerkschaft | |
| Luxus | |
| Lesestück Recherche und Reportage | |
| GNS | |
| IG | |
| Arbeitsbedingungen | |
| Italien | |
| Film | |
| Tschad | |
| Ausbeutung | |
| Menschenhandel | |
| Alkohol | |
| Erntehelfer | |
| Winzer | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Bücken und pflücken bis zur Rente: Warum Spargelstecher immer älter werden | |
| Spargel wird in Deutschland meist von Arbeitern aus Osteuropa geerntet. | |
| Junges Personal kommt von dort aber kaum nach. Ein Ortsbesuch in | |
| Brandenburg. | |
| Unfall in Italien: Bauer nach Erntehelfertod verhaftet | |
| Die italienische Polizei hat nach dem Tod eines Erntehelfers einen Landwirt | |
| festgenommen. Er soll dem Opfer nicht geholfen haben. | |
| Film „Sleep With Your Eyes Open“: Dauerhafte Durchreise | |
| Der Film „Sleep With Your Eyes Open“ erzählt von jungen Chinesinnen, die in | |
| Brasilien arbeiten. Ihr Leben führen sie in einer luxuriösen Parallelwelt. | |
| Wahlen in Tschad: Präsident klärt Machtverhältnisse | |
| Der seit 2021 regierende General Déby lässt sich im Mai zum zivilen | |
| Präsidenten wählen. Nun hat er seinen Hauptgegner aus dem Weg geräumt. | |
| Ausländische Studierende in Deutschland: Ausbeutung in den Semesterferien | |
| Gefälschte Verträge, geprellte Löhne: Studierende aus Nicht-EU-Staaten, die | |
| in den Ferien in Deutschland jobben, werden immer wieder Opfer von Betrug. | |
| Verdacht auf Menschenhandel: Zwei Inder sollen vor Gericht | |
| Die französische Justiz hindert ein Flugzeug mit 300 Menschen aus Indien an | |
| Bord am Weiterflug. Zwölf Passagiere haben Asyl beantragt. | |
| Champagner-Knappheit bei Hennessy: Trinkt, ihr Pfeffersäckchen! | |
| Endlich eine schlimme Nachricht für Reiche: Der Champagner des | |
| Luxuskonzerns LVMH wird knapp. Das riecht nach Einführung einer | |
| Luxussteuer. | |
| Vorwürfe gegen Spargelbauer: Miese Ernte für Erntehelfer | |
| Erntehelfer werfen einem Bauern in Schleswig-Holstein vorenthaltenen Lohn | |
| und unmenschliche Behandlung vor. Die Grünen fordern bessere Kontrollen. | |
| Winzer über deutschen Sekt: „Wir haben ein Riesen-Imageproblem“ | |
| Volker Raumland keltert seit 40 Jahren Sekt. Ein Gespräch über späte Lese, | |
| reife Säure und warum auch Leberwurst zu Schaumwein passt. |