# taz.de -- Ausländische Studierende in Deutschland: Ausbeutung in den Semeste… | |
> Gefälschte Verträge, geprellte Löhne: Studierende aus Nicht-EU-Staaten, | |
> die in den Ferien in Deutschland jobben, werden immer wieder Opfer von | |
> Betrug. | |
Bild: 2022 gab es laut Bundesarbeitsagentur 28.000 Anträge auf Ferienbeschäft… | |
BREMEN taz | Zehntausende Studierende aus Nicht-EU-Staaten jobben in ihren | |
Semesterferien in Deutschland – derzeit laufen in ihren Heimatländern die | |
Bewerbungsverfahren für diesen Sommer. Für ihre Arbeitgeber sind sie | |
billige, oft anspruchslose Arbeitskräfte: am Band, in Großküchen, auf dem | |
Bau oder in der Landwirtschaft. Auch die ausländischen Studierenden | |
profitieren: Sie haben zwar nur Anspruch auf Mindestlohn, verdienen damit | |
aber ein Vielfaches dessen, was in ihrem Heimatland möglich wäre. | |
Um dieses System am Laufen zu halten, sind die gesetzlichen Hürden niedrig. | |
So niedrig, dass Betrüger:innen leichtes Spiel haben, wie eine | |
taz-Recherche zeigt. Vermittlungsagenturen im In- und Ausland versprechen | |
„Work and Travel“-Erlebnisse, zu besichtigen auf Instagram. Sie | |
organisieren den Papierkram, vor allem die Visumsbeschaffung. Ein Vertrag | |
mit einem deutschen Arbeitgeber ist dafür Voraussetzung. | |
Einige nutzen die Unerfahrenheit ihrer jungen Kund:innen aus und schicken | |
sie nach Deutschland, wo Unternehmen sie Akkord arbeiten lassen und für | |
Wucherpreise in Mehrbettzimmern unterbringen. Und manche können gar nicht | |
erst anfangen zu arbeiten, weil die Vermittlungsagentur den Arbeitsvertrag | |
gefälscht oder der potenzielle Arbeitgeber ihn nur pro forma ausgestellt | |
hat, um das Visum beantragen zu können. | |
So erging es im vergangenen Sommer einer Gruppe Studierender aus | |
Usbekistan, die in Bremen und München gestrandet war. [1][Über ihr | |
Schicksal hatte die taz berichtet.] Die Bremer Leiharbeitsfirma, die sie | |
drei Monate für Hilfstätigkeiten angestellt hatte, schickte sie fort, weil | |
sie keine Arbeit für sie hatte. Mindestens 76 usbekische Studierende | |
reisten so Anfang Juni nach Deutschland ein – und landeten buchstäblich auf | |
der Straße, teils ohne jeden Euro für Unterkunft und Essen. | |
Einfach zurück konnten oder wollten nur wenige, weil sich die meisten Geld | |
geliehen hatten, um die usbekische Vermittlungsagentur „Turon World“ sowie | |
ihre Flugkosten zu bezahlen. Das mussten sie erst wieder reinarbeiten. Doch | |
legal war dies kaum möglich. „Zu geringe Deutschkenntnisse“, „zu | |
kurzfristig“, hörte etwa Malika*, eine der wenigen Frauen aus der Gruppe, | |
von potenziellen Arbeitgebern. Die einzige Hilfe, die ihnen der deutsche | |
Staat anbot, war die Unterbringung in einer Obdachlosenunterkunft sowie ein | |
Busticket nach Hause. | |
## Auch betroffen: Studierende aus Kirgistan | |
Es war kein Einzelfall, ergaben weitere Recherchen. Der taz wurde zudem der | |
Fall von mindestens 16 Studierenden aus Kirgistan bekannt, die im Sommer in | |
Bayern festsaßen und ebenfalls ungeplant auf Jobsuche gehen mussten. Sie | |
hatten Arbeitsverträge mit zwei Bremer Leiharbeitsfirmen geschlossen, | |
darunter die, bei der auch die Usbek:innen unter Vertrag standen. | |
Als Vermittlungsagentur ist in diesem Fall eine deutsche angegeben, die mit | |
ausländischen Agenturen zusammenarbeitet. Deren Geschäftsführer bittet | |
aufgrund von Drohmails einer der Agenturen um Anonymität. Er sagt, er prüfe | |
im Auftrag der deutschen Arbeitgeber, ob die Angaben der ausländischen | |
Agenturen stimmen: ob die Studierenden wirklich eingeschrieben sind und die | |
Universität existiert, von der sie eine Immatrikulationsbescheinigung | |
vorlegen. | |
Ihm zufolge gibt es vor allem Probleme mit Agenturen in Usbekistan und | |
Kirgistan. Dabei sei Usbekistan besonders teuer, sagt er. Turon World nahm | |
600 bis 700 Euro Vermittlungsgebühr von den Studierenden, etwa das Doppelte | |
eines durchschnittlichen usbekischen Monatseinkommens. Hinzu kamen weitere | |
Kosten für das Visum sowie 550 Euro für den Charterflug. Erklären lässt | |
sich das damit, dass Usbekistan als letztes postsowjetisches Land seine | |
Einwohner:innen erst seit 2019 frei ziehen lässt und Arbeitsmigration | |
eine relativ neue Möglichkeit ist, von der viele Gebrauch machen wollen. | |
Nicht immer sind betrügerische Agenturen für Probleme verantwortlich. 2022 | |
hatten zwölf Georgierinnen Hilfe bei einer Beratungsstelle gesucht, nachdem | |
sie von einer Regensburger Leiharbeitsfirma zu wenig Lohn erhalten hatten, | |
wie die taz von einem der Berater erfuhr. | |
Georgien gehört neben Kirgistan und Usbekistan zu den Ländern, aus denen | |
laut Bundesarbeitsagentur aktuell besonders viele Anträge auf | |
Ferienbeschäftigung gestellt werden. 28.000 gab es im Jahr 2022 insgesamt, | |
davon betrafen 6.116 georgische, 4.803 kirgisische und 2.328 usbekische | |
Staatsangehörige. In allen drei Ländern war dies deutlich mehr als im | |
Vorjahr. Die größte Steigerung hatte es aus Usbekistan gegeben: Das | |
Antragsvolumen war 6,4 Mal so hoch. | |
Bis zum Beginn des russischen Angriffskriegs Anfang 2022 war die Hälfte der | |
damals noch rund 40.000 Anträge von ukrainischen Studierenden gekommen. | |
Diese hatten laut einem [2][Bericht des Instituts für nachhaltige | |
Regionalentwicklung in Europa] „Peco“ in den nordöstlichen Bundesländern | |
bis dahin die drittgrößte Gruppe unter allen Erntehelfer:innen | |
ausgemacht. | |
## Bundesagentur spricht von „unredlichen Strukturen“ | |
Deutsche Unternehmen würden seit 2019 auch in anderen Branchen verstärkt | |
studentische Ferienbeschäftigte einsetzen, sagte eine Sprecherin der | |
Bundesarbeitsagentur der taz. „Es handelt sich um eine relativ | |
unbürokratische Einreisemöglichkeit.“ Leider hätten sich auch „unredliche | |
Strukturen herausgebildet“. So seien in geschäftsmäßiger Absicht Unterlagen | |
gefälscht worden, um Personen als Studierende ausgeben zu können, die keine | |
waren. 2020 habe es deswegen Ermittlungen wegen organisierter Kriminalität | |
gegeben, insbesondere in der Landwirtschaft. | |
Als Konsequenz, sagt die Sprecherin, sei im August ein Verbindungsbüro der | |
Bundesarbeitsagentur zum Auswärtigen Amt eröffnet worden, um gezielter | |
zusammenzuarbeiten. Außerdem seien Kontrollen verstärkt worden, es würden | |
mehr Originaldokumente verlangt als vorher. Und: Seitdem muss der | |
Arbeitgeber auf seinem Antrag auf Ferienbeschäftigung den Namen der Agentur | |
angeben, die die Studierenden vermittelt hat. So sollen betrügerische | |
Firmen ausgeschlossen werden. | |
Nur: Die Fälle, die die taz aufgedeckt hat, zeigen, dass das nicht reicht. | |
So taucht etwa die Agentur Turon World gar nicht auf dem Antrag auf, den | |
die Bremer Leiharbeitsfirma gestellt hat, sondern „Uzcamp“, ein usbekisches | |
Reiseunternehmen. Das habe die Vermittlungsagentur als ihren Namen | |
angegeben, begründet die Bremer Leiharbeitsfirma; die Adresse sei ja | |
dieselbe. Tatsächlich haben in der Abay Street 13A in Taschkent mehrere | |
Firmen ihren Sitz, die alle etwas mit Auslandsaufenthalten zu tun haben: | |
Sprachreisen, Studienplätze, Internate, Jobs. | |
Doch dass Studierende besser vor Betrug und Ausbeutung geschützt werden | |
müssen, über Aufklärung im Heimatland oder Zertifizierung der | |
Vermittlungsagenturen – dafür sehen weder das Bundesarbeitsministerium noch | |
das Auswärtige Amt Handlungsbedarf, teilten sie der taz mit. | |
Dabei bestehen die Probleme nicht nur bei Studierenden. Besonders | |
vulnerabel seien alle kurzfristig Beschäftigten sowie Arbeitnehmer:innen, | |
deren Visum an einen bestimmten Arbeitgeber geknüpft sei, sagt Benjamin | |
Luig. Er ist im Projekt Faire Mobilität des Deutschen Gewerkschaftsbunds | |
zuständig für den Bereich Landwirtschaft und fordert eine staatliche | |
Vermittlung. Dies ist in Georgien und Moldawien der Fall, den beiden | |
Ländern, mit denen Deutschland Abkommen geschlossen hat, die unter anderem | |
die Arbeitsmigration erleichtern. | |
## Wenig Hilfsangebote | |
Problematisch ist auch: Selbst wenn sich die Betroffenen Hilfe suchen, | |
haben sie kaum Möglichkeiten, ihre Rechte durchzusetzen. Das | |
Bundesarbeitsministerium verweist auf die Beratungsstellen von faire | |
Integration. | |
Einer von ihnen gelang es, für die zwölf georgischen Studentinnen | |
nachträglich einen Teil des Lohns aus dem Sommer 2022 geltend zu machen. | |
Aber vier von ihnen gingen leer aus und die anderen bekamen längst nicht | |
das, was ihnen laut Vertrag zustand. Vor einem deutschen Gericht klagen | |
konnten sie nicht, da sie keinen Anspruch auf Prozesskostenhilfe haben. | |
„Sie fallen durch alle Raster“, sagt Mahmood Abo-Jeap von der | |
Faire-Integration-Beratungsstelle in Bremerhaven. Er hatte erfolglos | |
versucht, den usbekischen Studierenden zu helfen. Auch die Gewerkschaft IG | |
BAU konnte nicht viel ausrichten. Nur Malika war als Einzige aus der Gruppe | |
bereit, sich auf eine juristische Auseinandersetzung einzulassen. | |
Sie bekam in einem Vergleichsverfahren 1.000 Euro. Eine Klage auf den Lohn | |
von 3.700 Euro war aus Sicht der IG BAU aussichtslos, weil die Agentur | |
Turon World einen Trick angewendet hatte. Sie hatte den Studierenden | |
eingeschärft, sie müssten darauf warten, dass ihr Arbeitgeber sich bei | |
ihnen meldet. Laut Arbeitsvertrag hätten sie aber ihre Arbeitskraft sofort | |
anbieten müssen, sonst wird der Vertrag nichtig. „Solche Fälle sind | |
frustrierend, weil wir nicht herankommen“, sagt Katharina Metschke, die | |
Anwältin der IG BAU Bremen. Dennoch sei es wichtig, solche Verfahren zu | |
führen. „Damit die Firmen wissen, dass sie nicht mit allem durchkommen.“ | |
* Name von der Redaktion geändert | |
5 Feb 2024 | |
## LINKS | |
[1] /Studierende-aus-Usbekistan-in-Bremen/!5944582 | |
[2] https://www.peco-ev.de/docs/PECO_04_2022_Bericht_Ukrainische_Studierende.pdf | |
## AUTOREN | |
Eiken Bruhn | |
## TAGS | |
Ausbeutung | |
Leiharbeit | |
Studierende | |
GNS | |
Longread | |
Mindestlohn | |
Leiharbeit | |
Leiharbeit | |
Schlachthof | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Ausbeutung von Arbeitsmigranten: Hoch qualifiziert, arm dran | |
Drei Programmierer aus Syrien, Russland und Marokko rennen erfolglos ihrem | |
Gehalt hinterher. Vorenthalten hat es ihnen ein Jungunternehmer aus Bremen. | |
Mehr Verstöße gegen den Mindestlohn: Weniger Kontrollen, mehr Delikte | |
Der Zoll hat im vergangenen Jahr weniger Arbeitgeber kontrolliert als noch | |
2022. Die Zahl der Gesetzesverstöße aber geht nicht zurück. | |
Ausbeutung in der Champagnerproduktion: Blut, Schweiß und Schampus | |
Tausende Arbeitsmigrant*innen kommen als Saisonarbeiter für die | |
Champagner-Produktion nach Frankreich. Eine Recherche von moderner | |
Sklaverei und Rekordumsätzen. | |
Studierende aus Usbekistan in Bremen: Ferienjob endet im Desaster | |
Eine Bremer Leiharbeitsfirma zahlt 76 Usbek*innen kein Gehalt, eine | |
Agentur aus Taschkent lässt sie hängen. Niemand fühlt sich verantwortlich. | |
Peter Kossen über die Fleischindustrie: „Perfides System von Abhängigkeit“ | |
Prälat Peter Kossen nennt die Arbeitsumstände in der Fleischbranche | |
„sklavereiähnlich“. Der Mindestlohn hat wenig verbessert. |