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# taz.de -- Peter Kossen über die Fleischindustrie: „Perfides System von Abh…
> Prälat Peter Kossen nennt die Arbeitsumstände in der Fleischbranche
> „sklavereiähnlich“. Der Mindestlohn hat wenig verbessert.
Bild: Für Billiglohn zerlegt: Tiere im Schlachthof
taz: Herr Kossen, was macht es mit einem Menschen, wenn er den ganzen Tag
Gliedmaßen abtrennt, Kadaver zerlegt, Küken schreddert?
Peter Kossen: Das ist sicher eine schwere Arbeit, die Menschen körperlich
und psychisch sehr beansprucht. Da, wo die Fleischerei noch ein Handwerk
ist und keine Massenproduktion, wird es wahrscheinlich auch ordentlich
betrieben. Aber wo es massenhaft geschieht, wo der Mensch und das Tier
hintan stehen und letztlich der Masse geopfert werden und auch dem Profit,
da macht es Menschen kaputt.
Sie sprechen von „sklavereiähnlichen Bedingungen“.
Die Notlage der Menschen, die sie in ihren Heimatländern oft haben, wird
ausgenutzt. Menschen werden oft mit falschen Versprechungen aus Osteuropa
angeworben. Wenn zum Beispiel 1.500 Euro, ein Bett im Zweibettzimmer und
drei Mahlzeiten pro Tag versprochen werden, ist die Wirklichkeit, die sie
vorfinden, eine andere.
Wie sieht die Realität aus?
Nicht selten müssen die Leute ihren Pass an ihren Subunternehmer abgeben,
Löhne werden vorenthalten, die Leute werden hingehalten. Der Arbeitgeber
ist oft auch der Wohnungsgeber. Die Leute werden brutal abgezockt für ein
Rattenloch, 14,50 Euro pro Nacht für das Bett im Vierbettzimmer. Es
entsteht ein ausgefeiltes, perfides System von Abhängigkeit.
Hat sich durch die Einführung des Mindestlohns vor zwei Jahren etwas
verbessert?
Für manche schon, aber der Zoll zum Beispiel hat gar nicht das Personal,
das zu kontrollieren. Beim Hauptzollamt in Osnabrück haben sie einen
Mitarbeiter mehr bekommen seit Einführung des Mindestlohns – für den
Nordwesten Deutschlands ist das so gut wie nichts.
Bekommen die Werkvertragsarbeiter denn ihren Mindestlohn?
Zum Teil wird der ausgezahlt. Aber das Problem ist, dass häufig auf den
Abrechnungen keine Stundenzahl vermerkt ist. Sie kriegen dann 167 Stunden
nach Mindestlohn bezahlt, haben de facto aber 260 Stunden gearbeitet.
Wie ist die Branche organisiert?
Die Stammbelegschaft hat man in den letzten 20 oder 25 Jahren sehr
zurückgefahren. Wir haben jetzt einen Durchschnitt von 80 Prozent
Werkvertrags- oder Leiharbeitern. Für die ist der Betriebsrat nicht
zuständig, und sie sind in der Regel auch keine Gewerkschaftsmitglieder.
Dadurch hat man einen riesigen Graubereich, der ermöglicht, dass man
simpelste Sozialstandards unterlaufen kann.
Wie wird da getrickst?
Man hat Stellschrauben über den Transport zur Arbeitsstelle oder die
Vermietung von Arbeitsmitteln, sodass man den Mindestlohn zwar auszahlt,
auf der anderen Seite aber einen ganzen Teil davon wieder einkassiert.
Ist das legal?
Eigentlich nicht, aber es geht so, dass das Messer oder der
Sicherheitshandschuh geliehen oder gekauft werden muss. Oder dass die
Arbeiter Strafgelder zahlen müssen für schlecht gereinigte Messer. Das ist
willkürlich und unrechtmäßig.
Erhoffen Sie sich irgendwas von der internationalen Fleischkonferenz der
Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG), die gestern stattgefunden
hat?
Da saß ja auch die Fleischindustrie am Tisch. Es ist schon gut, wenn die
miteinander reden. Aber was ich sehe ist, dass da auch viel kosmetisch
gemacht wird. Das ist Sand-in-die-Augen-streuen. Man findet neue Wege, die
Ausbeutung geschickter zu kaschieren. Was ich nicht sehe, ist eine
Haltungsänderung. Es gilt als legitim, dass eine Zwei-Klassen-Gesellschaft
existiert: Es gibt die einen, die einen gewissen Arbeitsschutz genießen,
und die anderen, für die das nicht gilt.
Was schlagen Sie vor?
Die bestehenden Gesetze müssten besser kontrolliert werden, die Behörden
müssten Personal und rechtliche Handhabe haben, um das durchzusetzen. Und
ich glaube, dass man Obergrenzen setzen muss, wie viel Prozent
Werkvertragsarbeit erlaubt ist. Das wird sich nicht von alleine regulieren.
Da braucht es den Gesetzgeber.
Sind Sie Vegetarier?
Nein, aber ich esse deutlich weniger Fleisch, seit das ein Thema für mich
ist.
Stehen Sie mit Ihrer Haltung in der Kirche alleine da?
Ich bin nicht der Erste und nicht der Einzige, aber ich habe es in den
vergangenen Jahren vermisst, dass die leitenden Leute in den Kirchen ein
gemeinsames Wort gesprochen und Veränderung gefordert hätten.
23 May 2023
## AUTOREN
Katharina Schipkowski
## TAGS
Schlachthof
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Fleischindustrie
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