# taz.de -- Matthias Brümmer über Werkverträge: „Ausbeutung breitet sich a… | |
> Fleischindustrie betrügt Beschäftigte selbst um den gesetzlichen | |
> Mindestlohn, sagt Gewerkschafter Matthias Brümmer. Ausbeutung mit | |
> Werkverträgen müsse ein Ende haben. | |
Bild: Werden oft sogar um den Mindestlohn betrogen: Werkvertragsarbeiter in der… | |
taz: Herr Brümmer, Klagen über miese Arbeitsbedingungen und Ausbeutung in | |
deutschen Schlachthöfen reißen nicht ab. Wie schlimm ist die Lage? | |
Matthias Brümmer: Wir beraten täglich Kollegen mit Werkverträgen, die | |
selbst um den gesetzlichen Mindestlohn von 8,50 Euro betrogen werden. | |
Wie funktioniert dieser Betrug genau? | |
Die Arbeitszeit-Aufzeichnung wird manipuliert. Das Betreten des | |
Schlachthofs wird per Firmen-Chip elektronisch registriert, das Verlassen | |
aber nicht. Stattdessen werden handschriftlich irgendwelche Arbeitszeiten | |
notiert – natürlich zum Nachteil der Beschäftigten. Manche | |
Werkvertragsarbeiter machen täglich Doppelschichten, bekommen aber nur acht | |
Stunden bezahlt. Dazu kommen diverse Strafgelder. | |
Von den 8,50 Euro Mindestlohn werden auch noch Strafgelder abgezogen? | |
Wenn Beschäftigten beim Zerlegen ein Stück Fleisch herunterfällt, gibt es | |
Lohnabzüge. Selbst für die Überlassung des Fleischermessers müssen sie | |
zahlen. In der Branche heißt das ‚Messergeld‘. Auch für Schutzhandschuhe | |
und deren Reinigung wird vielen Werkvertragsarbeitern Geld abgenommen – | |
entgegen der gültigen Rechtsprechung. Dazu kommen völlig überzogene | |
Unterbringungskosten. | |
Wieso? | |
Noch immer berechnen manche Subunternehmer 170 bis 300 Euro im Monat für | |
ein Bett in irgendeiner heruntergekommen Bude. Dabei sind das Firmen, deren | |
Geschäftszweck angeblich Arbeit in der Nahrungsmittelindustrie und nicht | |
die Vermietung von Unterkünften ist. Für uns liegt da die Vermutung des | |
Steuerbetrugs nahe. | |
Wie viele Menschen arbeiten unter solchen prekären Bedingungen? | |
Allein in den Schlachthöfen und Fleischbetrieben unserer Region Weser-Ems | |
sind mehr als 10.000 Beschäftigte Werkvertragsarbeiter. Um Löhne und | |
Sozialversicherungskosten zu drücken, arbeiten 70 bis 80 Prozent der | |
Zerleger als Leiharbeiter oder mit Werkverträgen. In der | |
Fleischweiterverarbeitung sind es rund 30 Prozent. | |
Wie funktioniert so ein Werkvertrag im Detail? | |
Die großen Schlachthofbetreiber wie Danish Crown, Tönnies, Vion, Heidemark | |
oder Wiesenhof engagieren häufig aus Osteuropa stammende Subunternehmen und | |
beauftragen die mit der Erledigung sogenannter ‚Gewerke‘. Die sagen also | |
etwa: Die Ohren der Tiere werden nicht mehr von meinen Leuten, sondern von | |
den Mitarbeitern des als Werkvertragsnehmer geltenden Subunternehmers | |
abgeschnitten. Ich als großer Schlachthofbetreiber habe mit diesen | |
Mitarbeitern nichts zu tun – und kann deshalb auch nicht ändern, wenn sie | |
ausgebeutet und betrogen werden. Wir als Gewerkschaft halten diese | |
Auslagerung sozialer Verantwortung für schlicht illegal. | |
Um wie viel Geld geht es denn dabei? | |
Insgesamt sicher um hohe Millionensummen. Aktuell betreuen wir zwei | |
Prozesse: Dem Schlachthof Oldenburg und seinen Subunternehmern werfen wir | |
vor, neun Beschäftigten 60.000 Euro Lohn zu wenig gezahlt zu haben – sie | |
haben 270 Stunden im Monat gearbeitet, bekamen aber nur 165 Stunden | |
bezahlt. Und in Stade fehlten 28 Beschäftigten knapp 70.000 Euro Lohn. | |
Wie kann den Arbeitern geholfen werden? | |
Zunächst einmal durch mehr Information in ihren Heimatländern. Die meisten | |
kommen aus Rumänien und Bulgarien. Dort wird ihnen der Himmel auf Erden | |
versprochen: 1.900 Euro Nettolohn, freie Unterkunft, freie Verpflegung. Wir | |
als Gewerkschaft fordern Aufklärungskampagnen, die klarstellen, dass hier | |
in Deutschland maximal 1.000 Euro gezahlt werden. Außerdem ist die EU auch | |
vor Ort gefordert. | |
Inwiefern? | |
Brüssel muss endlich Arbeitsmarktprogramme in Osteuropa auflegen – denn | |
dort landen die meisten der Werkvertragsarbeiter irgendwann doch wieder: | |
Spätestens wenn sie hier in Deutschland krank werden oder sich über ihre | |
miesen Löhne beschweren, versuchen die Arbeitgeber alles, um sie wieder | |
loszuwerden. Trotzdem breitet sich diese Ausbeutung durch Werkverträge | |
immer mehr aus. | |
Welche Branchen arbeiten noch so? | |
Viel zu viele. Im Obstanbau und der Gemüseindustrie, aber auch in der | |
Metallindustrie nimmt dieses Sozialdumping immer mehr zu. Auf der | |
Meyer-Werft in Papenburg werden bis zu 70 Prozent der Belegschaft nur auf | |
Werkvertrags-Basis beschäftigt. Selbst die Autoindustrie orientiert sich | |
daran. | |
Die Autoindustrie? | |
Ja. Da wird dann etwa die Logistik zum eigenen ‚Gewerk‘ erklärt – so wie | |
bei Mercedes-Benz in Mannheim. | |
Was sollte die Politik hier in Deutschland dagegen tun? | |
Im März war SPD-Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel hier bei uns in | |
Weser-Ems und hat von Zuständen gesprochen, die ihn an Organisierte | |
Kriminalität erinnerten. Danach ist tatsächlich etwas passiert: Das Land | |
Niedersachsen fördert etwa Beratungsstellen für Werkvertrag-Arbeitnehmer. | |
Aber: Das reicht nicht. | |
Was fordern die Gewerkschaften stattdessen? | |
Die Politik muss klarstellen, dass zusammenhängende Arbeitsschritte wie das | |
Zerlegen und Verpacken von Fleisch in einem Schlachthof eben keine | |
voneinander unabhängigen ‚Gewerke‘ sind, die an Subunternehmer vergeben | |
werden können, die dann noch mieser zahlende Subunternehmer beauftragen. | |
Dann gäbe es nicht mehr bis zu 20 verschiedene Firmen in einem Betrieb, die | |
sich bei Löhnen und Sozialstandards einen gnadenlosen Konkurrenzkampf nach | |
unten liefern. Wir fordern, dass künftig wieder alle Mitarbeiter eines | |
Betriebs bei einem Arbeitgeber beschäftigt sind. Mit dem können wir als | |
Gewerkschaft dann auch Arbeitsbedingungen aushandeln, die sich an den | |
Tarifverträgen orientieren – keine Sorge! | |
4 Dec 2015 | |
## AUTOREN | |
Andreas Wyputta | |
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