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# taz.de -- Leiharbeit in der Wurstindustrie: Das Geschäft mit den Arbeitern
> Lohndumping, falsche Abrechnungen und Lohnabzüge sind bei Leiharbeitern
> aus Osteuropa in der Fleischindustrie keine Ausnahme. Das zeigt auch der
> Fall von Florin Tirt.
Bild: Prekäre Beschäftigung in der Wurstfabrik: Die Firma Schwarz Cranz will …
NEU WULMSTORF taz | Aufgeregt wird in der Gruppe diskutiert, die sich vor
dem Eingang von „Arbeit und Leben“ eingefunden hat. Florin Tirt ist einer
aus der Gruppe der rumänischen Arbeiter, die auf die Beraterin Mirela Barut
warten, die derzeit alle Hände voll zu tun hat. „Bei uns in der
Beratungsstelle warten rund 60 Männer und Frauen auf Hilfe, die von der
Insolvenz von Bir Service überrascht wurden“, sagt sie.
Die Bir Service GmbH ist ein Personaldienstleister aus Neu Wulmstorf, der
mit der dort ansässigen Wurstfabrik Schwarz Cranz einen Werkvertrag
abgeschlossen hatte, um Nachfragespitzen abzudecken. Das sei in der Fleisch
verarbeitenden Branche gang und gäbe, sagt Rüdiger Winter, Projektleiter
der Beratungsstelle Arbeitnehmerfreizügigkeit bei Arbeit und Leben. „Es
kommt immer wieder vor, dass osteuropäische Arbeiter zu Dumpinglöhnen in
der Fleischindustrie angestellt werden und da kommen wir ins Spiel.“
Winter steht einem Team von sechs Beratern vor, die auf deutsch, polnisch,
bulgarisch, rumänisch, spanisch oder russisch beraten und aktiv werden,
wenn Löhne nicht gezahlt werden, nicht vereinbarte Lohnabzüge auf der
Abrechnung stehen oder Überstunden unter den Tisch fallen. Bei der Bir
Service GmbH ist dies laut Barut wiederholt vorgekommen, für Tirt hat sie
gerade die Zahlung seines Juni-Gehalts beim Insolvenzverwalter
durchgesetzt.
Doch der 29-jährige Rumäne ist laut seiner Lohnabrechnung aus dem Mai 2014
auch in die falsche Steuerklasse eingestuft worden und musste für
Arbeitskleidung, Fremdmiete und Gesundheitsausgaben aufkommen. Fehler in
der Abrechnung, die zu Lasten des diplomierten Sportlehrers gehen. Der
sucht nach einem Job, will in Deutschland bleiben, weil er mit seiner
Ausbildung hier gute Chancen sieht: „Ich muss deutsch lernen, und meinen
Universitätsabschluss hier anerkennen lassen. Dann habe ich eine Chance.“
Wieder in der Fabrik von Schwarz Cranz für einen anderen
Personaldienstleister zu schuften, kann er sich nicht vorstellen. „Ich habe
im Mai zwölf Stunden täglich sechs Tage die Woche geschuftet. Nur zwei
halbstündige Pausen habe ich gemacht – das war zu viel“, sagt er. Dabei ist
es Tirt laut Barut noch gut ergangen, denn von den rund 400 Frauen und
Männern, von denen dem Insolvenzverwalter Unterlagen vorliegen, sind viele
schlechter bezahlt worden.
Auf 8,30 Euro hat Tirt laut Arbeitsvertrag Anspruch und es ist korrekt
abgerechnet worden. „Das ist bei anderen Arbeitnehmern nicht der Fall
gewesen“, sagt Barut. Deutlich höhere Summen für die Miete in
Sammelunterkünften wurden angegeben, hohe Vorschüsse, die bar ausgezahlt
wurden und so nicht nachweisbar sind und immer mal wieder stimmen die
abgerechneten Stunden nicht. Barut weiß von vielen Arbeitnehmern, die
längst abgereist sind, weil sie nicht wussten, wie sie ihre Ansprüche
geltend machen sollen.
Sprachhürden, fehlende Informationen über die Rechte von Arbeitnehmer in
Deutschland sind dafür genauso verantwortlich wie die Isolation durch
abgelegene Unterkünfte. So befanden sich die von Bir Service angemieteten
Unterkünfte zum Teil in nahe gelegenen Dörfern, wohin die ArbeiterInnen
nach Schichtende im Kleinbus gefahren wurden.
Dafür wurde Fahrtgeld in Höhe von 75 Euro berechnet, auch die Unterbringung
soll nicht günstig gewesen sein. Fakten, die dazu geführt haben, dass es am
16. Juni eine Kundgebung der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG)
vor der Schwarz Cranz-Fabrik und den Büros von Bir Service gab.
Die hat dazu beigetragen, dass Leiharbeiter wie Tirt protestierten und
ihren Lohn einforderten. Der wurde nun vom Insolvenzverwalter der Bir
Service GmbH ausgezahlt, aber wie es weitergeht, weiß Tirt nicht. Eine
Festanstellung, die Schwarz Cranz für bis zu 200 Arbeiter angekündigt hat,
ist für ihn keine Option.
29 Jul 2014
## AUTOREN
Knut Henkel
## TAGS
Leiharbeit
Lohndumping
Europa
Fleischindustrie
Andrea Nahles
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