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# taz.de -- Prozess gegen Wiesenhof-Schlachterei: Es hat sich ausgeschlachtet
> Schwarzarbeit im Schlachthof ist schwer nachzuweisen. In Oldenburg muss
> sich eine Wiesenhof-Schlachterei nun vor Gericht verantworten.
Bild: Harte Arbeit zu Dumpinglöhnen: In Schlachthöfen ist das keine Seltenheit
Oldenburg taz | Schlachten, Zerlegen, Marinieren, Verpacken und Carcassen
pulen, also mit Messern noch den letzten Fitzel Putenfleisch vom Gerippe
kratzen: So sieht der Alltag osteuropäischer ArbeiterInnen in
nordwestdeutschen Schlachthöfen aus.
Vier bis fünf Euro Stundenlohn verdienten etwa jene 800 bulgarischen
ArbeiterInnen 2008 bis 2010 bei der Firma Geestland Putenspezialitäten in
Wildeshausen, die zum selben verschachtelten Konzern gehört wie der
Werder-Bremen-Sponsor Wiesenhof. Im Oldenburger Landgericht wird jetzt
verhandelt, ob der Schlachtbetrieb von dieser Schwerstarbeit für
Dumpinglöhne profitiert und Sozialabgaben in Höhe von etwa zehn Millionen
Euro gespart hat.
Der Vorwurf gegen den Geschäftsführer von Geestland, Norbert D., lautet:
Verstoß gegen das Schwarzarbeitbekämpfungsgesetz. Wegen Beihilfe angeklagt
ist Frank D., ehemaliger Wiesenhof-Prokurist und Geschäftsführer der
Personalvermittlungsfirma ZVS, die jetzt unter dem Namen Pro Work firmiert.
Seine Firma hat die bulgarischen Arbeiter vermittelt.
Umrahmt von vier Anwälten sitzen die Angeklagten am Donnerstag im
Schwurgerichtssaal. Viele ZeugInnen sind geladen, die sich nach fast zehn
Jahren nur mühsam erinnern können – oder wollen. Wie ein
Geestland-Vorarbeiter, der in früheren Vernehmungen durch den Zoll
erklärte, er habe den bulgarischen ArbeiterInnen Weisungen erteilt. Ein
klares Indiz dafür, dass Scheinwerkverträge vorliegen und die ArbeiterInnen
in Wahrheit direkt für Geestland gearbeitet haben könnten.
## Zeuge gibt Absprachen zu
Angestellt waren die ArbeiterInnen nämlich offiziell bei bulgarischen
Subunternehmern, die Arbeit bei der Geestland verrichteten sie im Rahmen
von Werkverträgen. Diese Verträge zeichnen sich dadurch aus, dass eine
Leistung eigenständig erbracht wird – hier eben Schlachtung, Zerlegung oder
Verpackung. Weisungsbefugt wären demnach nur bulgarische Vorgesetzte
gewesen.
Vor dem Oldenburger Landgericht geht es jetzt darum, herauszufinden, wer
den bulgarischen ArbeitnehmerInnen wirklich Weisungen erteilt hat. Besagter
Zeuge aber fiel im Laufe des Prozesses um: Er sagt aus, er habe sich nur
mit bulgarischen Vorarbeitern abgesprochen. Und es kommt raus, dass die
Anwälte von Norbert D. die ursprüngliche Aussage des Vorarbeiters noch
einmal „mit ihm durchgesprochen“ hatten, berichtete die Nordwest-Zeitung.
Das ist nicht verboten, aber unüblich und es wirft ein merkwürdiges Licht
auf den Beschuldigten und die Strategie der Verteidiger.
Die Beweisaufnahme ist ohnehin mühsam: Wer hat wann wo eingestempelt, was
bedeuten die Umrechnungen von Stundenlohn in Kilogramm Fleisch? Zu
Letzterem kann am Donnerstag ein weiterer Zeuge Auskunft geben, der für die
frühere ZVS die Verhandlungen mit den bulgarischen Subunternehmen führte
und mit dem Angeklagten Frank D. noch immer geschäftlich verbunden ist: Bei
den Vertragsverhandlungen mit den bulgarischen Firmen habe der Stundenlohn
ja in Kilogramm Fleisch umgerechnet werden müssen, sonst sei es ja kein
Werkvertrag. Das stimmt und ist ein weiteres Indiz dafür, dass es hier
nicht um Werkverträge ging, sondern um illegale Leiharbeit.
## Verwobenes Firmengeflecht
Schwierig zu durchschauen ist auch das Geflecht aus den beteiligten Firmen.
Sowohl Geestland als auch Wiesenhof gehören zum Schlachtkonzern PWH. Der
frühere Wiesenhof-Prokurist Frank D. ist gleichzeitig über seine Firma ZVS,
jetzt Pro Work, in der Personalvermittlung tätig – seine Sekretärin
wiederum, eigentlich bei Wiesenhof angestellt, erledigte auch die
Buchhaltung für die ZVS mit.
Auch die beteiligten bulgarischen Firmen wechselten häufiger mal. Nach den
Aussagen der bulgarischen ArbeiterInnen änderten sich gelegentlich die
Firmennamen und es gab neue Verträge. Die Firmen wechselten, die
ArbeiterInnen blieben – auch das ist ein Hinweis auf das illegale Geschäft
mit osteuropäischen LeiharbeiterInnen.
Ein Punkt, auf den vor allem die Zoll-Ermittlungen hinweisen, ist die
Vermischung der bei offiziell getrennten Firmen angestellten
MitarbeiterInnen. Der Zoll hat dafür die Personaldatenbank mit den digital
erfassten und gespeicherten tatsächlichen Arbeitsstationen und -stunden
abgeglichen. Der zuständige Zollbeamte kommt in seiner Vernehmung zu dem
Schluss: „Der Werkvertrag ist hier nicht gelebt worden.“
Noch zehn Verhandlungstage sind angesetzt, um zu klären, ob die bei
Geestland und Wiesenhof praktizierte Werkvertragskonstruktion sauber war
oder nicht. Der Staatsanwalt sieht es in jedem Fall positiv:. „Immerhin ist
das einer der wenigen Fälle, die wirklich mal zur Verhandlung kommen.“
15 Sep 2017
## AUTOREN
Karolina Meyer-Schilf
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