| # taz.de -- Unsicherer Broterwerb: Wo die Tagelöhner stehen | |
| > Auf dem "Arbeiterstrich" in Hamburg-Wilhelmsburg bieten Bulgaren und | |
| > Rumänen, Männer und Frauen, jeden Morgen ihre Arbeitskraft an. Wenn's mit | |
| > der Sprache hapert, nimmt der Kleinbus halt einen anderen mit. | |
| Bild: Viele der Frauen ergattern einen Job als Zimmermädchen, werden aber nich… | |
| HAMBURG taz | Die Visitenkarte von Devedzhiev Sali sind seine Schuhe. | |
| Derbe, mit einer Putzschicht bedeckte Schuhe, dazu seine blaue Latzhose und | |
| die grobe graue Jacke. Sali, ein kräftiger Mann mit graumeliertem Haar ist | |
| Arbeiter – der gerade auf Arbeit wartet. Seit halb sechs Uhr steht er an | |
| diesem Morgen am Stübenplatz in Hamburg-Wilhelmsburg. Hinter dem | |
| 57-Jährigen klettert die Sonne über die Fassade eines Gründerzeithauses, | |
| Menschen hetzen vorbei, zur Bushaltestelle weiter unten in der | |
| Veringstraße, um zur Arbeit zu kommen. | |
| Gegenüber von einem Schnellimbiss sitzt Devedzhiev Sali auf einem | |
| Granitblock, der einen Baum umfasst. Wartet auf einen der Minibusse und | |
| Transporter, die hier jeden Morgen vorbeikommen und Tagelöhner einsammeln. | |
| Zwei Wochen ist der Bulgare nun schon in Hamburg, schläft ein paar | |
| Steinwürfe vom Stübenplatz entfernt in einer Grünanlage. „In Sliwen habe | |
| ich als Logistiker im Lager gearbeitet“, erzählt der kräftige Mann mit den | |
| abgebrochenen Schneidezähnen. In Spanien sei er gewesen, in der Obsternte | |
| und beim Landschaftsbau. „Renovieren kann ich auch – ich brauche Arbeit.“ | |
| Sali hat eine orangefarbene, dünne Plastiktüte dabei, sein Proviant für den | |
| Arbeitstag: ein paar Scheiben Brot, Wurst und Käse. Es sieht nicht gut aus | |
| an diesem Morgen. Nur ein Kleinbus hat bis jetzt bei ihm gehalten und ihn | |
| dann doch stehenlassen, weil die Verständigung nicht auf Anhieb klappte. | |
| Sali spricht kaum Deutsch, verständigt sich auf Türkisch oder den paar | |
| Brocken Spanisch. | |
| ## Die Sache mit der Sprache | |
| Das klappt, wenn er, wie in der Woche zuvor, mit anderen Bulgaren | |
| zusammenarbeitet, in einem Lager, für vier Euro die Stunde: Da waren auch | |
| ein paar Türken angestellt, sodass die Kommunikation keine Hürde war. Heute | |
| ist sie es, denn Devedzhiev Sali kennt noch kaum Leute hier, an die er sich | |
| anhängen kann. Ganz allein sitzt er beim Imbiss am Stübenplatz – und die | |
| Zeit läuft gegen ihn: Gegen halb sieben ist alles vorbei und alle Jobs | |
| verteilt. Dann kommt keiner mehr von den professionellen Anwerbern, die | |
| drei, manchmal vier Mal vorbeifahren, durch die Vering- oder die | |
| Fährstraße, und Frauen wie Männer einsteigen lassen. | |
| Dann bleibt für Sali nur noch, den Tag in der Nähe zu verbringen, am Ufer | |
| des Ernst-August-Kanals, auf dem Stübenplatz oder dem „Westend“, einer | |
| Sozialeinrichtung. Später am Tag könnte er dann zum Büro der „Bildung und | |
| Integration Hamburg Süd gGmbH“ gehen. | |
| ## Infos für die Zukunft | |
| Dort arbeitet Milena Ohnesorge. Jeden Montag von 16 bis 18 Uhr berät die | |
| ehemalige Angestellte des bulgarischen Honorarkonsulats, die jetzt soziale | |
| Arbeit studiert, Menschen wie Sali bei den wesentlichen Dingen: die | |
| Anmeldung als selbständiger Unternehmer, die Fragen von Meldebehörde und | |
| Finanzamt, die Anerkennung von bulgarischen Zeugnissen und Abschlüssen | |
| sowie, nicht zuletzt, welche Möglichkeiten es gibt, Deutsch zu lernen. Für | |
| Devedzhiev Sali konnte sie bisher wenig tun: Der Neuankömmling hat noch | |
| keine Unterkunft und keine Adresse. | |
| Bei Margarita Plakovska ist es anders: Die gelernte Kranführerin will ihre | |
| Abschlüsse hier anerkennen lassen und lernt auch schon Deutsch. „Ich will | |
| nicht ewig als Putzfrau arbeiten“, sagt sie. Putzfrau, das ist einer der | |
| typischen Jobs für Frauen aus Bulgarien, viele sind auch Zimmermädchen in | |
| einem der Hotels. Jobs, teilweise pauschal bezahlt – und längst nicht immer | |
| fair abgerechnet. | |
| Das sind zumindest die Erfahrungen der „Beratungsstelle | |
| Arbeitnehmerfreizügigkeit“ des Vereins Arbeit und Leben. „Es kommt immer | |
| wieder vor, dass osteuropäische Arbeiter und Arbeiterinnen zu Dumpinglöhnen | |
| auf dem Bau, in der Fleischindustrie oder im Reinigungsgewerbe angestellt | |
| werden“, sagt Leiter Rüdiger Winter. Im Gewerkschaftshaus am | |
| Besenbinderhof, nicht weit vom Hamburger Hauptbahnhof, berät ein | |
| sechsköpfiges Team die meist aus Osteuropa stammenden Arbeiter – auf | |
| Deutsch, Polnisch, Bulgarisch, Rumänisch, Spanisch und Russisch. | |
| Auch wenn Löhne ausbleiben, plötzlich zuvor nicht vereinbarte Abzüge auf | |
| der Abrechnung stehen oder geleistete Überstunden unter den Tisch fallen, | |
| wird die Beratungsstelle aktiv: Dann schaltet man auch schon mal Anwälte | |
| ein. „Die haben ein Recht, hier zu sein und nach Arbeit zu suchen“, sagt | |
| Winter über seine Klienten und verweist auf das Einkommensgefälle zwischen | |
| Deutschland und Bulgarien oder Rumänien. | |
| Er weiß, dass sich die Tagelöhner nicht nur am Wilhelmsburger Stübenplatz | |
| anbieten, sondern auch in der Spaldingstraße, in Berlin-Neukölln oder gar | |
| in Andalusien. Dort hat auch Devedzhiev Sali gearbeitet, aber mit der | |
| Wirtschaftskrise zerschlugen sich für ihn die Perspektiven in Spanien. Über | |
| türkische Bekannte wurde er auf Wilhelmsburg aufmerksam. So gehe es vielen | |
| der Männer und Frauen, die hier ihre Arbeitskraft verkaufen, sagt Winter. | |
| „Die haben oft keine Ahnung, was sie für Rechte in Deutschland haben und | |
| ihnen sind Beratungseinrichtungen vollkommen fremd“, sagt Rüdiger Winter. | |
| Das deckt sich auch mit den Erfahrungen von Desislava Koeva, die als | |
| Beraterin zuständig ist für die Bulgaren. Ende Mai hat sie das „bulgarische | |
| Nachbarschaftsfest“ hier in Wilhelmsburg mitorganisiert, um den Kontakt zu | |
| verbessern zwischen Beratungsstellen, Sozialeinrichtungen und den | |
| Organisationen der bulgarischen Gemeinde, aber auch Arbeitsamt, Schulen und | |
| Kindergärten. | |
| ## Schluss mit dem Containerausladen | |
| Und das offenbar erfolgreich: Seit Anfang Juni beraten Koeva und ihre | |
| Kollegen einmal pro Woche im Stadtteil, in wechselnden Sprachen und in | |
| Kooperation mit dem Hamburger Arbeitsamt. Von dessen Angeboten könnte | |
| manches interessant sein für Bine Kosus. | |
| Der 26-jährige Bulgare arbeitet zurzeit als Handlanger auf dem Großmarkt | |
| und lebt mit seinem Bruder, seiner Frau und den Eltern gemeinsam in einer | |
| kleine Wohnung am Wilhelmsburger Vogelhüttendeich. „Ich habe keine | |
| Ausbildung und muss nehmen, was ich kriege“ sagt er, stockend, aber auf | |
| Deutsch. Den Schulabschluss wollen er und seine Frau nachmachen, Deutsch | |
| lernen – dann könnte irgendwann Schluss sein mit dem Ausladen von | |
| Containern in aller Früh. 650 Euro verdient Kosus auf dem Großmarkt, und | |
| nur gemeinsam kommt die Familie über die Runden. | |
| Am Stübenplatz schüttelt Devedzhiev Sali enttäuscht den Kopf. Es ist kurz | |
| vor sieben, und seit einer halben Stunde ist kein Kleinbus mehr | |
| vorbeigekommen. Heute wird er nichts mehr verdienen, also geht er rüber zum | |
| bulgarischen Backshop, da gibt’s Kaffee. Und er ist billig. | |
| 17 Aug 2014 | |
| ## AUTOREN | |
| Knut Henkel | |
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