# taz.de -- Ministerpräsident Weil will Jobs retten: Großbrand trifft Mitarbe… | |
> Nach der Zerstörung seines Wiesenhof-Schlachthofs im niedersächsischen | |
> Lohne will der Hühnerbaron Wesjohann seine Beschäftigten gern loswerden. | |
Bild: Bei Wiesenhof ist ein Teil der Belegschaft über Werkverträge beschäfti… | |
HANNOVER taz | Nach dem Großbrand im Wiesenhof-Schlachthof im | |
niedersächsischen Lohne wollen die Gewerkschaften um jeden Arbeitsplatz | |
kämpfen. „Beschäftigung vor Entlassung! Das ist die Devise, nach der wir | |
jetzt vorgehen“, so Matthias Brümmer, Geschäftsführer der [1][Gewerkschaft | |
Nahrung, Genuss, Gaststätten (NGG)] in der Region Oldenburg/Ostfriesland, | |
zur taz. Zuvor hatte eine Unternehmenssprecherin mitgeteilt, dass Wiesenhof | |
„aufgrund des Produktionsausfalls einen Teil seiner Mitarbeiterinnen und | |
Mitarbeiter vorerst leider nicht weiterbeschäftigen“ könne. | |
Wiesenhof gehört zur PHW-Gruppe des Hühnerbarons Paul-Heinz Wesjohann. Der | |
Konzern schlachtet pro Woche insgesamt 4,5 Millionen Hühnchen und gehört | |
damit zu den größten Unternehmen der deutschen Lebensmittelindustrie. In | |
den vergangenen Jahren stand PHW immer wieder wegen Verstößen gegen | |
Tierschutzrichtlinien und der Verletzung von Hygienevorschriften in der | |
Kritik – von überzüchteten Hühnern, die am Ende der Mast kaum noch laufen | |
und damit weder Futter noch Wasser erreichen konnten, wurde ebenso | |
berichtet wie von schwächelnden Tieren, die lebend in Müllcontainer | |
geschleudert wurden. Im Geschäftsjahr 2014/15 setzte die PHW-Gruppe | |
insgesamt knapp 2,4 Milliarden Euro um. | |
Möglich wird dieser Umsatz auch durch miese Arbeitsbedingungen: Ein Teil | |
der ArbeiterInnen in den Schlachthöfen stammt aus Osteuropa und wird über | |
Werkverträge (siehe Kasten) beschäftigt. „Die Gefahr, dass diese | |
Kolleginnen und Kollegen nach dem Brand ohne ein Dach über dem Kopf | |
dastehen, ist riesengroß“, sagt Gewerkschafter Brümmer – schließlich sind | |
Arbeit und Unterbringung bei Werkvertrags-Beschäftigten oft aneinander | |
gekoppelt. | |
Erst im Dezember hatte NGG-Mann Brümmer, der selbst zehn Jahre in der | |
Fleischindustrie gearbeitet hat, im taz-Interview über diese Ausbeutung in | |
Deutschlands Schlachthöfen geklagt: Manche Subunternehmer berechneten den | |
Osteuropäern, die oft kaum Deutsch sprechen, „170 bis 300 Euro im Monat für | |
ein Bett in irgendeiner heruntergekommen Bude“. Um den gesetzlichen | |
Mindestlohn von 8,50 Euro würden sie oft betrogen: Teile der Branche | |
arbeiteten mit gefälschten Arbeitszeitnachweisen. Selbst für die | |
Überlassung des Fleischermessers werde oft Miete fällig – das sogenannte | |
„Messergeld“. | |
Von Arbeitslosigkeit bedroht sind in Lohne aber nicht nur die 450 | |
Leiharbeiter und Werkvertrags-Beschäftigten – Niedersachsens | |
SPD-Landesminister Olaf Lies sorgt sich auch um die 750 Festangestellten. | |
Der Schlachthof zwischen Bremen und Osnabrück sei „richtig kaputt“, sagte | |
sein Sprecher Stefan Wittke am Mittwoch vor JournalistInnen der | |
Landespressekonferenz in Hannover. Ihnen könne die Bundesagentur für Arbeit | |
mit Qualifizierungs- und Kurzarbeitergeld helfen. | |
Gewerkschafter Brümmer setzt dagegen auf eine Betriebsausfall-Versicherung | |
– die müsste nach dem Brand auch die Löhne der Beschäftigten übernehmen. | |
Außerdem erwarte er, dass der Konzern MitarbeiterInnen Arbeit an anderen | |
Standorten, etwa im niedersächsischen Wildeshausen oder Holte, anbiete. Des | |
Weiteren sei die NGG bereit, über Arbeitszeitreduzierungen und flexible | |
Urlaubsregelungen zu verhandeln. Diese gelten aber nur für die | |
Stammbelegschaft – Werkvertrags-Beschäftigten muss PHW nicht einmal | |
kündigen. | |
Vor allem sie müssen deshalb mit einem Rauswurf rechnen: Nachdem im Februar | |
2015 im bayerischen Bogen schon einmal ein „Wiesenhof“-Schlachthof | |
abgebrannt ist, behielten nach einem Bericht der Süddeutschen Zeitung dort | |
mehr als die Hälfte der Festangestellten, aber nur rund 35 Prozent der | |
prekär Beschäftigten ihren Job. Auch Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) | |
will sich deshalb für die Wiesenhof-MitarbeiterInnen einsetzen: In der | |
nächsten Woche ist ein Treffen mit den Firmenchefs Paul-Heinz Wesjohann und | |
seinem Sohn Peter geplant. Einzelheiten stehen aber noch nicht fest. | |
30 Mar 2016 | |
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[1] http://oldenburg-ostfriesland.dgb.de/ueber-uns/gewerkschaften-vor-ort/gewer… | |
## AUTOREN | |
Andreas Wyputta | |
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