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# taz.de -- Freispruch im Wiesenhof-Prozess: Nicht nur Puten bluten
> Im Prozess um die illegale Beschäftigung von Leiharbeitern gibt es zwei
> Freisprüche – und eine saftige Rechnung für Wiesenhof-Tochter Geestland.
Bild: Hartes Geschäft: Fleischzerlegung.
Bremen taz | Im Prozess um die Beschäftigung von 800 bulgarischen
LeiharbeiterInnen bei der Wiesenhof-Tochter Geestland-Putenspezialitäten
hat es gestern vor dem Oldenburger Landgericht zwei Freisprüche gegeben.
Allerdings nicht, weil Geestland-Geschäftsführer Norbert D. und der
ehemalige Wiesenhof-Prokurist und Geschäftsführer der
Arbeitsvermittlungsfirma ZVS unschuldig wären – die Taten sind schlicht
verjährt.
Das Gericht konnte keinen „groben Eigennutz“ erkennen – das hätte die
Verjährungsfrist verlängert und schließlich doch noch zu einer Verurteilung
geführt. Aber die Angeklagten haben sich, obwohl beide laut Gericht
vorsätzlich und wissentlich gehandelt haben, eben nicht persönlich
bereichert.
Doch auch wenn Frank D. und Norbert D. den Schwurgerichtssaal als freie
Männer verlassen, müssen ihre Unternehmen zahlen: Eine seit dem 1. Juli
2017 geltende Gesetzesänderung macht es möglich, die aufgrund von illegalen
Geschäften erzielten Werte einzuziehen, und zwar egal, ob die Taten
verjährt sind. So muss nun die Geestland-Putenspezialitäten GmbH gut zehn
Millionen Euro zahlen, die Personalvermittlungsfirma ZVS, die heute unter
dem Namen Pro Work firmiert, immerhin noch gute 70.000 Euro.
Der Betrag ergibt sich so: Reguläre LeiharbeiterInnen erhielten bei
Geestland im Tatzeitraum etwa zwölf Euro brutto pro Stunde, die
bulgarischen ArbeiterInnen jedoch nur vier bis fünf. Da das Gericht aber zu
dem Schluss gekommen ist, bei den BulgarInnen habe es sich eben nicht um
WerkvertragsmitarbeiterInnen, sondern illegale LeiharbeiterInnen gehandelt,
werden die von ihnen erbrachten Arbeitsstunden mit den zwölf Euro regulärem
Stundenlohn multipliziert. Knapp 900.000 geleistete Arbeitsstunden mal
zwölf macht zehn Millionen.
Dass das Geschäft mit den bulgarischen LeiharbeiterInnen illegal war, daran
lässt das Gericht keinen Zweifel. Ein Werkvertrag sei nicht gelebt worden,
sagte der Vorsitzende Richter Ralf Busch bei der Urteilsverkündung.
Vielmehr seien die bulgarischen ArbeiterInnen gegenüber Geestland
„umfassend weisungsgebunden“ gewesen, seien nach Stunden und nicht nach
Kilogramm des bearbeiteten Fleisches bezahlt worden und hätten keine
eigenen Produktionsstätten gehabt.
Deutliche Worte fand der Vorsitzende Richter auch zur Glaubwürdigkeit der
als ZeugInnen geladenen und teilweise heute noch bei Geestland
beschäftigten ArbeiterInnen: Diese waren, so stellte es sich während der
mühsamen Beweisaufnahme heraus, zuvor durch die Rechtsanwälte von Norbert
D. „befragt“ worden. Die Aussagen in der Hauptverhandlung wichen zum Teil
erheblich von dem ab, was die ZeugInnen noch in ihrer ersten Vernehmung
durch den Zoll im Jahr 2010 gesagt hatten.
„Die Zeugen wurden in den Räumlichkeiten der Geestland befragt, in der
Hauptverhandlung saß ihnen ihr Arbeitgeber gegenüber“, sagte Busch. „Die
Zeugen standen unter erheblichem Druck.“ Zudem hätten sie sich während der
Verhandlung geziert zu sagen, ob sie zuvor befragt worden waren, und das
teilweise „hart an der Grenze zur Falschaussage“.
Er betonte zwar, es gebe keine Hinweise auf eine unzulässige Beeinflussung
der ZeugInnen durch die Rechtsanwälte. Der Richter sagte aber auch: „Die
Zeugen sind auf die Punkte aufmerksam gemacht worden, die im Verfahren
wichtig sind.“
Die Anwälte indessen geben nicht auf: Sie werden „auf jeden Fall in
Revision gehen“, kündigte Rechtsanwalt Franz Anton Berding der taz an. Dann
allerdings geht es nur noch um die Geestland GmbH und die ZVS – denn
Norbert D. und Frank D. sind ja frei.
17 Oct 2017
## AUTOREN
Karolina Meyer-Schilf
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