| # taz.de -- Rechtsstreit um Schlachthof Geestland: Richter wollen Vermögen ein… | |
| > Nach der Ausbeutung von Arbeitern vor über zehn Jahren soll Geestland | |
| > hinterzogene Sozialleistungen zurückzahlen. Ist das juristisch | |
| > durchsetzbar? | |
| Bild: Der Schlachthof im Juni 2020 – die illegale Beschäftigungspraxis flog … | |
| Hannover taz | Es war ein Fall, der aus vielen Gründen im Gedächtnis blieb: | |
| [1][der Prozess gegen die beiden Geschäftsführer der Geestland | |
| Putenspezialitäten und der mit ihr verbundenen Zeitarbeitsfirma ZVS], die | |
| jetzt Pro Work heißt. Um die illegale Beschäftigung und Ausbeutung von 800 | |
| bulgarischen Arbeiter:innen ging es in dem zähen und langwierigen | |
| Verfahren vor dem Landgericht Oldenburg 2017. | |
| Die beiden Männer mussten letztlich freigesprochen werden – die Taten waren | |
| verjährt, auch weil es so lange gedauert hatte, bis sie überhaupt vor | |
| Gericht landeten. Doch so ganz ungeschoren sollten die Täter trotzdem nicht | |
| davon kommen: Das Gericht ordnete eine umfangreiche Vermögenseinziehung an, | |
| die etwa den hinterzogenen Sozialleistungen entsprach. Zehn Millionen Euro | |
| sollte die Firma Geestland zahlen, die zu Wiesenhof gehört, rund 72.000 | |
| Euro die betroffene Zeitarbeitsfirma. | |
| Dagegen wehren die sich natürlich und legten umgehend Revision ein, die zur | |
| Zeit beim Bundesgerichtshof liegt. Der musste sich vom | |
| Bundesverfassungsgericht erst einmal eine Grundsatzentscheidung einholen: | |
| Geht das überhaupt, ein Vermögen einziehen, wenn die Straftaten, mit denen | |
| es erworben wurde, längst verjährt sind? Und mehr noch: auch schon verjährt | |
| waren, als dieses Gesetz – das ja eigentlich auf Organisierte Kriminalität, | |
| auf Clans und Terroristen zielte – 2017 überhaupt in Kraft trat? | |
| Ja, bescheinigte das Bundesverfassungsgericht nun, das geht. Weil es sich | |
| nicht im eigentlichen Sinne um eine Strafe handelt, sondern um die | |
| Abschöpfung eines unrechtmäßig erworbenen Vorteils, der sonst zu weiteren | |
| Straftaten animieren könnte. | |
| Und auch der Grundsatz, dass nichts rückwirkend für illegal oder unzulässig | |
| erklärt werden darf (weil es in einem Rechtsstaat so etwas wie | |
| Vertrauensschutz in die jeweils geltende Rechtslage geben muss), gilt hier | |
| nicht, sagen die Karlsruher – weil es um überragende Belange des | |
| Gemeinwohls geht, nämlich das Vertrauen der Bürger:innen in den | |
| Rechtsstaat. | |
| Damit ist nun die Bahn frei, um die eigentliche Revision vor dem | |
| Bundesgericht zu verhandeln. Es ist also ein kleiner Schritt in Richtung | |
| finanzieller Aderlass, aber bei Weitem nicht der letzte Akt in diesem | |
| Drama. | |
| Das hat ja auch eigentlich schon viel früher begonnen: 2010 durchsuchte der | |
| Zoll die Räume von Geestland Putenspezialitäten in Wildeshausen – im Rahmen | |
| von Ermittlungen, die sich auch gegen Wiesenhof in Lohne richteten. | |
| Die sorgten auch deshalb für Aufsehen, weil sie zum Rücktritt der damaligen | |
| [2][Landwirtschaftsministerin Astrid Grotelüschen (CDU) führten, die] – | |
| über den Mastbetrieb ihres Mannes und ihrer Schwiegereltern, den sie | |
| zeitweise mit führte – geschäftlich mit beiden Unternehmen verbandelt war. | |
| Im Rahmen der Ermittlungen stieß der Zoll auf die Schein-Werkverträge der | |
| Bulgar:innen. Die waren zwar auf dem Papier als | |
| Werkvertragsarbeiter:innen eingesetzt, tatsächlich arbeiteten sie | |
| aber genau wie alle anderen Leiharbeiter:innen auch: Sie stempelten | |
| für die gleichen Schichten ein und aus, wurden im selben EDV-Programm des | |
| Betriebes erfasst und nahmen von den gleichen Vorgesetzten Anweisungen | |
| entgegen. | |
| Mit dem kleinen Unterschied, dass sie für ihre Akkordarbeit drei bis vier | |
| Euro pro Stunde bekamen, während es bei den anderen zwölf Euro brutto | |
| waren. Irgendwann zum Schluss wurden die Löhne dann pro forma von der | |
| stundenmäßigen Bezahlung auf eine Bezahlung pro Kilo umgerechnet – damit | |
| der Anschein des Werkvertrages erfüllt blieb. Die Masche war ebenso dreist | |
| wie gängig, Frank D., ehemaliger Wiesenhof-Prokurist und dann | |
| Geschäftsführer der Zeitarbeitsfirma ZVS, stand auch noch in einem weiteren | |
| Verfahren vor Gericht. | |
| Bis es soweit kam, dauerte es allerdings. Erst im August 2017 wurde der | |
| Prozess vor der Großen Wirtschaftsstrafkammer des Oldenburger Landgerichts | |
| eröffnet – wegen Überlastung der Gerichte, hieß es damals. Erst eine | |
| Beschwerde der Staatsanwaltschaft brachte das Verfahren schließlich doch | |
| noch ins Rollen. | |
| Die Folgen waren absehbar: Zeugen konnten sich nach so vielen Jahren nicht | |
| mehr so genau erinnern. Einige der Arbeiter:innen waren wohl auch vorab | |
| vom Anwalt der Firma „befragt“ worden, wie der Richter gegen Ende des | |
| Verfahrens festhielt. Ein Großteil der Taten aus den Jahren 2007 bis 2010 | |
| musste schließlich als verjährt verbucht werden. | |
| ## Eigentlich müssten die Arbeiter:innen entschädigt werden | |
| Übrig blieb also nur die Vermögensabschöpfung, welche die ehemaligen | |
| Angeklagten ja immerhin auch schwer getroffen hätte. Ob diese nun wirklich | |
| Bestand hat, muss sich erst noch zeigen. Theoretisch müsste das Geld sogar | |
| den betroffenen Arbeiter:innen zugutekommen – das Gesetz sieht auch | |
| einen Ausgleich für Opfer vor. Fraglich ist nur, ob man die überhaupt noch | |
| ausfindig machen kann, wenn die Mühlen des Rechtsstaates irgendwann einmal | |
| fertig gemahlen haben. | |
| Aber auch die juristischen Kniffeligkeiten der Vermögensabschöpfung werden | |
| das Bundesverfassungsgericht möglicherweise noch öfter beschäftigen. | |
| [3][Mit der 2017er Reform hatte der Gesetzgeber] versucht, die Spielregeln | |
| hier sehr viel weiter zu fassen. Seither kann auch Vermögen eingezogen | |
| werden, wenn das Gericht hinreichend überzeugt ist, dass es aus illegalen | |
| Aktivitäten stammt – ohne haarklein nachweisen zu müssen, mit welchen Taten | |
| denn hier wie viele Euros gemacht wurden. | |
| Einige Jurist:innen sehen darin eine nicht zulässige Umkehr der | |
| Beweislast, weil im Extremfall nun der oder die Verdächtige nachweisen | |
| muss, dass das Vermögen legal erwirtschaftet wurde. | |
| 18 Mar 2021 | |
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| ## AUTOREN | |
| Nadine Conti | |
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