# taz.de -- Kommentar Weniger Fleisch essen: Besteuert endlich das Schnitzel | |
> Eine Steuer auf Fleisch? Sie ist unabdingbar, will Deutschland seine | |
> Klimaziele erreichen. Die Lobbyisten der Fleischindustrie laufen Sturm. | |
Bild: Wird weniger Fleisch gegessen, leiden weniger Tiere | |
Könnte durchaus sein, dass es 2016 wieder ein paar Gramm weniger Fleisch | |
werden, die wir aufs Jahr gerechnet pro Mensch in Deutschland verspeist | |
haben. Wobei sich die Fleischindus-trie das anders vorgestellt hat, denn es | |
war die Fußballeuropameisterschaft, und seit dem Sommermärchen 2006 schießt | |
der Fleischverbrauch (wie übrigens auch der vom Bier) immer nach oben, wenn | |
große Fußballturniere anstehen. | |
Doch es grassiert die Geflügelpest, in elf Bundesländern gilt Stallpflicht. | |
Einige Länder, vor allem in Asien, haben den Import von deutschem Geflügel | |
gestoppt. Trotz aller Beteuerungen von Experten, dass eine Übertragung auf | |
den Menschen theoretisch denkbar, aber bisher nie nachgewiesen wurde: Es | |
ist nicht ausgemacht, wie sich die Vogelgrippe H5N8 auf das | |
Einkaufsverhalten bei uns auswirkt, vor allem jetzt zu Weihnachten, wo | |
Gänse- und Entenbraten bei vielen dazu gehören. | |
Alles sieht danach aus, als könnte man in einigen Jahrzehnten das Jahr 2016 | |
in jene Periode einrechnen, in der so ein Jo-Jo-Effekt zu beobachten war: | |
Mal wurde mehr, mal weniger Fleisch gegessen, insgesamt aber galt | |
Nullwachstum. | |
Ja, so könnte es sein, hätte 2016 nicht eine Idee Fahrt aufgenommen, die | |
bislang höchstens der Vegetarierbund im Portfolio hatte. Die, dafür spricht | |
einiges, nicht mehr weggehen wird: die Fleischsteuer. Zuletzt kam dieser | |
Vorschlag aus dem Umweltministerium. Es war ein Expertenratschlag für den | |
Klimaschutzplan 2050. Ganz genau ging es darum, Fleisch künftig mit dem | |
vollen Mehrwersteuersatz von 19 Prozent zu besteuern. Oder nicht fiskalisch | |
ausgedrückt: Fleisch soll nicht mehr als Grundnahrungsmittel gelten. | |
## Roulade, Kassler, Mettwurst und Leberkäse | |
Geht das? In Deutschland? Dem Land von Roulade und Kasseler, von Mettwurst | |
und Leberkäse. Dem Land, in dem den Grünen ihr inzwischen vier Jahre alter | |
Vorschlag, in staatlich betriebenen Kantinen – nur um die ging es – einen | |
Veggieday einzuführen, noch immer am Hals hängt wie eine schwere Kuhglocke, | |
die „Bevormundung“ läutet, „Schikane“ und „Gängelung“. Das libera… | |
ging der Partei damit flöten. | |
Kein Politiker will sich seitdem noch einmal die Finger verbrennen an der | |
Frage von Fleisch und Gemüse. Und doch werden sie das heiße Eisen anfassen | |
müssen, wenn es so weitergeht. Es gibt kein Grundrecht auf Fleisch, vor | |
allem nicht in Zeiten des Klimawandels. Es können noch so viel Windräder | |
aufgestellt, Solarmodule auf Dächer geklebt oder Wände gedämmt werden. Am | |
Fleisch, danach sieht es gerade aus, wird sich einmal entscheiden, ob diese | |
Gesellschaft tatsächlich Verantwortung für den Klimawandel übernimmt oder | |
nicht. | |
Warum die Steuer? Weil die Landwirtschaft in Deutschland nach der Industrie | |
der zweitgrößte Verursacher von Treibhausgasen ist. Und dabei 70 Prozent, | |
also der Hauptanteil, auf die Tierhaltung gehen. Da ist das Methan, weit | |
schädlicher für die Atmosphäre als CO2, das nicht nur Rinder, aber Rinder | |
insbesondere, ausfurzen. Es entstehen aber auch Lachgase und Stickoxide, | |
wenn Gülle und mineralische Dünger ausgebracht werden, um Futterpflanzen | |
anzubauen. Eingerechnet sind zudem die Moorflächen, wichtige CO2-Speicher, | |
die umgenutzt als Weide- oder Ackerland ihre Funktion verlieren. | |
Um die Klimaschutzziele von Paris zu erreichen, sagen Forscher, muss der | |
Tierbestand in Deutschland bis 2050 halbiert werden, und die Menschen | |
hierzulande sollten nur noch halb so viel tierische Produkte essen wie | |
heute. Ob das überhaupt mit einer erhöhten Mehrwertsteuer allein zu | |
schaffen ist? | |
Der Vorschlag, den normalen Mehrwertsteuersatz auf Fleisch zu erheben, | |
findet sich mittlerweile nicht mehr im Klimaschutzplan. Kaum ausgesprochen, | |
standen die Kritiker auf dem Plan: Es sei gar nicht ausgemacht, ob eine | |
höhere Mehrwertsteuer etwas am Konsum ändere. Und wenn, dann hieße das, nur | |
noch Reiche können sich Fleisch leisten. Ohnehin sei das deutsche | |
Mehrwertsteuersystem nicht nachvollziehbar, da helfe nicht, noch weiteren | |
Unsinn damit anzustellen. Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt | |
sagte sogar, Klimaschutz und Ernährungssicherheit dürften nicht | |
gegeneinander ausgespielt werden. In wenigen Tagen entstand das Bild, der | |
Hunger halte wieder Einzug, sollte die Steuer eingeführt werden. | |
## Milchpulver, Schweinefuß und Hühnerklein | |
Das ist natürlich Quatsch. Ein Blick auf die Fakten verdeutlicht es, denn | |
Deutschland ist nicht nur das Land von Roulade und Kassler, sondern auch | |
von Milchpulver, Schweinefuß und Hühnerklein. Über 50 Prozent der | |
Fleischproduktion geht ins Ausland, meist das, worauf wir keinen Appetit | |
haben. Allein der Export von Hühnerfleisch nach Afrika – alles außer | |
Hühnerbrust, die wird sogar importiert – hat sich in den letzten 15 Jahren | |
verzehnfacht. Bei Schwein und Rind sieht es ähnlich aus. Tatsächlich | |
spielen Politiker wie Schmidt und seine Vorgänger seit Jahrzehnten mit dem | |
Wort „Ernährungssicherheit“ so ziemlich jedes andere Anliegen aus. | |
Natürlich haben Steuern Einfluss auf den Konsum. Viele Lebensmittel sind im | |
Laufe der Zeit schon einmal besteuert worden. Bei Getreide und Salz | |
kassierten Staaten auf der ganzen Welt einst mit ab, nur zu oft führte die | |
Gier der Monarchen dabei zu geringerem Konsum, zu Hunger und Aufständen. | |
Steuern auf Genussmittel wie Alkohol, Kaffee und Tee wiederum sollten immer | |
auch zur Mäßigung beitragen. | |
Klar, es gab es auch völlig unsinnige Steuern. Das kurioseste Beispiel | |
stammt aus Bayern: die Speiseeissteuer. Sie wurde erst 1972 abgeschafft. | |
Bis auf Alkohol und auf Kaffee werden heute in Deutschland keine | |
Verbrauchsteuern auf bestimmte Nahrungsmittel mehr erhoben. Zuletzt machte | |
2013 der Kaffeeröster Darboven gegen die Kaffeesteuer mobil. | |
Steuern auf Lebensmittel haben jedoch wieder Konjunktur. Es setzt sich die | |
Erkenntnis durch, dass gutes Zureden gegen die PR-Maschinerie der | |
Lebensmittelindustrie nichts ausrichtet. Bekanntestes Beispiel: die Steuer | |
auf Softgetränke. In Mexiko, dem Land mit den meisten Übergewichtigen | |
weltweit, gilt sie seit 2014. Schon jetzt zeigen sich positive Wirkungen: | |
Die Diabetesraten, vor allem die bei Kindern und Jugendlichen, beginnen zu | |
sinken. In Philadelphia, der Millionenmetropole an der Ostküste der USA, | |
tritt die Steuer auf Cola & Co. nach Jahren erbitterter | |
Auseinandersetzungen mit der Getränkeindustrie zum 1. Januar in Kraft. Auch | |
Großbritannien will die Steuer einführen. | |
Selbst für die Fleischsteuer gibt es ein Vorbild: die dänische Fettsteuer, | |
die nicht nur Fleisch, sondern auch Milchprodukte erfasste. Nachdem die | |
Dänen allerdings massenhaft zu Butterfahrten nach Deutschland aufbrachen, | |
wurde sie wieder abgeschafft. Trotz dieser Erfahrung hat der dänische | |
Ethikrat nun eine Klimasteuer auf Rindfleisch vorgeschlagen. | |
## Softdrinksteuer, Fettsteuer, Klimasteuer auf Rindfleisch | |
Können sich bald nur Reiche noch Fleisch leisten? Blödsinn – sie beginnen | |
schon längst, für Qualität und nicht für Quantität zu zahlen. Die tägliche | |
Ration Fleisch und Wurst, oft billiger als Gemüse, ist dagegen | |
Statusgedanke für weniger Betuchte. Es geht auch nicht darum, Fleisch zum | |
Luxusprodukt zu machen oder aus uns allen Vegetarier, sondern aus Verzicht | |
mehr Genuss. | |
Eine Steuer könnte in diese Richtung lenken. Als 1999 die Ökosteuer | |
eingeführt wurde, um die Deutschen zum Energiesparen zu bringen, ging der | |
Ertrag an die Rentenkasse. Und gewirkt hat es: Wir sind freudige Strom- und | |
Benzinsparer geworden. | |
26 Nov 2016 | |
## AUTOREN | |
Jörn Kabisch | |
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