# taz.de -- Gesetzlich geregeltes Tierschutzlabel: Nur für ein paar Tiere | |
> Agrarminister Schmidt verspricht ein Staatssiegel für artgerechter | |
> erzeugtes Fleisch – jedoch ein freiwilliges. Ist das nicht nur | |
> Greenwashing? | |
Bild: Christian Schmidt präsentiert: das Tierwohl-Label | |
BERLIN taz | Bundesagrarminister Christian Schmidt (CSU) hat am Donnerstag | |
ein staatliches „Tierwohllabel“ angekündigt. Anders als private Siegel | |
soll es durch ein Gesetz geregelt werden und deshalb glaubwürdiger sein. | |
Aber Experten bezweifeln, dass es so genügend Tieren besser gehen wird. | |
Das sechseckige Label mit der Aufschrift „Mehr Tierwohl“ soll laut Schmidt | |
ab „spätestens 2018“ zunächst Schweine- und dann Geflügelfleisch | |
kennzeichnen, das tierfreundlicher als gesetzlich vorgeschrieben erzeugt | |
wurde. Es wird nicht verpflichtend, sondern freiwillig sein. Geplant sind | |
mehrere Varianten – je höher die Stufe, desto besser die | |
Haltungsbedingungen. | |
Das Ministerium will das Siegel über einen nicht genannten Zeitraum mit 70 | |
Millionen Euro bewerben und den Bauern durch Subventionen erleichtern, ihre | |
Tierhaltung nach den Regeln des Siegels umzubauen. | |
Die Kriterien hat das Ministerium noch nicht festgelegt. Möglicherweise | |
werden sie nur geringfügig über dem gesetzlichen Minimum liegen. Es kann | |
also durchaus sein, dass es ein „Marketinggag“ wird, wie die | |
Verbraucherorganisation Foodwatch warnt. | |
## „Das ist ein Greenwashing-Siegel“ | |
Denn das Siegel wird sich lediglich auf eine Minderheit des Viehs | |
auswirken. Als ein Vorbild nennt Minister Schmidt das Bio-Siegel. Doch das | |
haben auch nach jahrelangen Kampagnen nur rund 6 Prozent der deutschen | |
Agrarbetriebe. Wissenschaftler schätzen das Marktpotenzial für | |
„Premium“-Fleisch aus besserer Tierhaltung auf maximal 20 Prozent. | |
„Das Label ist zu wenig“, sagte der agrarpolitische Sprecher der | |
Grünen-Bundestagsfraktion, Friedrich Ostendorff, der taz. „Das ist ein | |
Greenwashing-Siegel, das nur die gesellschaftliche Diskussion über | |
schärfere Tierschutzvorschriften beruhigen soll. Von strengeren Regeln | |
würden viel mehr Tiere profitieren.“ Zudem will der Grüne eine | |
verpflichtende Haltungskennzeichnung, wie es sie bereits bei Eiern gibt. | |
Der entscheidende Unterschied zu einem freiwilligen Label wäre: Die | |
Produkte aus den schlechtesten Haltungsformen würden sozusagen | |
gebrandmarkt. „Jeder Verbraucher ist damit in der Pflicht, seine | |
Kaufentscheidung zugunsten einer besseren und artgemäßen Tierhaltung zu | |
treffen“, erklärte Fachreferentin Angela Dinter von der | |
Tierschutzorganisation Provieh. Sie hat gerade ein detailliertes Konzept | |
für eine derartige Kennzeichnung erarbeitet. | |
## Nur auf EU-Ebene möglich | |
Die schlechteste Kategorie 3 sollen demnach alle Produkte erhalten, die nur | |
die gesetzlichen Mindestnormen einhalten. Die 2 gäbe es zum Beispiel, wenn | |
jedes Mastschwein statt auf 0,7 künftig 1,1 Quadratmeter leben darf. Für | |
die 1 wäre Zugang zum Freiland Pflicht, mit mindestens 217 Quadratmetern | |
pro Tier. Die 0 bekämen alle Produkte mit dem Bio-Siegel, das zwar nur | |
einen kleineren Auslauf, aber zum Beispiel naturfreundlicher erzeugtes | |
Bio-Futter vorschreibt. | |
Provieh hält so eine obligatorische Kennzeichnung für vereinbar | |
beispielsweise mit der EU-Verordnung zur Lebensmittelinformation. Sie | |
erlaube nationale Vorschriften zu Aspekten, die noch nicht EU-weit geregelt | |
sind. Ob der Europäischen Kommission das reicht, muss aber noch geklärt | |
werden. Minister Schmidt sagte, eine nationale Pflichtkennzeichnung sei nur | |
auf EU-Ebene möglich. | |
Auch der Bauernverband lehnt eine obligatorische Kennzeichnung ab. | |
Hauptargument: Es gebe etwa für Schweine so viele verschiedene | |
Haltungssysteme, dass 4 Kategorien nicht ausreichten. Mehr Stufen seien zu | |
unübersichtlich für den Verbraucher, so Verbandssprecher Michael Lohse. | |
Tierschützerin Dinter von Provieh antwortet darauf, ihr Konzept beweise, | |
das eine Haltungskennzeichnung machbar sei. Die Datengrundlage hätten | |
Wissenschaftler des Kuratoriums für Technik und Bauwesen in der | |
Landwirtschaft geliefert. Sie haben mehr als 100 Haltungsverfahren | |
aufgelistet und nach ihrer Tiergerechtheit beurteilt. | |
19 Jan 2017 | |
## AUTOREN | |
Jost Maurin | |
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