| # taz.de -- Studierende aus Usbekistan in Bremen: Ferienjob endet im Desaster | |
| > Eine Bremer Leiharbeitsfirma zahlt 76 Usbek*innen kein Gehalt, eine | |
| > Agentur aus Taschkent lässt sie hängen. Niemand fühlt sich | |
| > verantwortlich. | |
| Bild: Lost in Bremen: Malika, Sardor und Davron laufen vom Hauptbahnhof in die … | |
| Bremen taz | Das Video zeigt aufgekratzte junge Männer in T-Shirts, Jeans | |
| und Turnschuhen. Sie warten auf einen Bus, der sie zum Flughafen der | |
| usbekischen Hauptstadt Taschkent bringt. Zwei von ihnen sprechen über die | |
| bevorstehende Reise, dazu läuft muntere Popmusik. | |
| Hochgeladen wurde der Film am 8. Juni auf dem [1][Instagram-Account der | |
| privaten usbekischen Arbeitsvermittlung] „Turon World Cooperation“. Es | |
| handelt sich laut Bildtext um 80 „Kandidaten“ des Programms „Work and | |
| Travel 2023“. Das richtet sich an Studierende, die einen Ferienjob in | |
| Deutschland antreten wollen, Turon World hat ihn vermittelt. | |
| Doch für fast alle aus der Gruppe endet der Traum von Deutschland im | |
| Desaster. Denn die Bremer Leiharbeitsfirma RAJ Personalservices, mit der | |
| sie im Büro der Agentur in Taschkent einen Vertrag unterschrieben hatten, | |
| gibt nur Einzelnen Arbeit. | |
| Alle anderen müssen zusehen, wo sie bleiben, wovon sie in Deutschland leben | |
| und vor allem, wie sie die Vermittlungsgebühren wieder reinbekommen. | |
| Abhängig vom Anmeldezeitpunkt kostet das jeweils 600 bis 700 Euro, etwa das | |
| Doppelte eines durchschnittlichen usbekischen Monatseinkommens. Hinzu | |
| kommen die Kosten für einen Charterflug, für die Turon World umgerechnet | |
| 550 Euro pro Person genommen hat. Linienflüge sind günstiger. | |
| Hätte RAJ den Vertrag erfüllt, hätten die Studierenden ihre Auslagen locker | |
| wieder reinbekommen und für usbekische Verhältnisse sehr viel Geld | |
| verdient, rund 5.000 Euro. Zwischen Anfang Juni und Ende August hätten sie | |
| 35 Wochenstunden für einen Stundenlohn von 13 Euro arbeiten sollen, die | |
| meisten in der Sortierung und Verpackung von Obst und Gemüse. Der | |
| Arbeitgeber hätte laut dem der taz vorliegenden Vertrag die Unterkunft | |
| bezahlt. | |
| ## Alles anders als versprochen | |
| Aber es kam alles anders als versprochen. Nachdem sie am Morgen des 5. Juni | |
| mit dem Bus aus München angekommen waren, warteten sie auf einen Anruf der | |
| Leiharbeitsfirma. Nach ihrer Aussage hatte die Agentur ihnen eingeschärft, | |
| dass sie sich nicht selbst bei RAJ melden dürften. Der Anruf blieb aus. | |
| Turon World sagte, sie sollten weiter warten. | |
| So erzählen es drei Studierende, zwei Männer und eine Frau, die die taz in | |
| den vergangenen zweieinhalb Wochen mehrfach getroffen hat, teilweise | |
| gemeinsam mit anderen aus der Gruppe, die dasselbe sagen. Zwei von ihnen | |
| sind in dem Instagram-Video zu erkennen. Sie unterschreiben eidesstattliche | |
| Erklärungen zum Wahrheitsgehalt ihrer Erzählungen, wissend, dass sie für | |
| Falschaussagen mit bis zu drei Jahren Haft bestraft werden können. | |
| Sie legen Flugtickets vor, Verträge, Visa sowie Belege für Überweisungen an | |
| die Vermittlungsagentur. Es gibt keinen Anlass, an ihrer Darstellung zu | |
| zweifeln. Auch die Leiharbeitsfirma RAJ tut nichts, um sich in ein besseres | |
| Licht zu rücken. Mails der taz mit der Bitte um Stellungnahme bleiben zwei | |
| Wochen unbeantwortet. | |
| Die drei jungen Leute haben in diesem Artikel andere Namen bekommen, um sie | |
| vor Nachstellungen im Heimatland zu schützen. Sie wollen aber, dass ihre | |
| Erlebnisse bekannt werden. „Das soll nicht noch einmal passieren“, sagt | |
| Malika bei einem der Treffen. Sie ist eine der Handvoll Frauen aus der | |
| Gruppe, spricht etwas Deutsch und sehr gut Englisch. Mit 24 Jahren ist sie | |
| die Älteste der drei. Die Muslima trägt lange Haare und Lidstrich. Sie | |
| übersetzt für die anderen, die nur ein wenig Englisch können. Manchmal | |
| dauern ihre Übersetzungen länger. Dann erklärt sie, warum sich alles so | |
| zieht. | |
| ## Leere Versprechungen, kein Gehalt | |
| Vor allem Davron ist ungeduldig, ein schmaler 21-Jähriger. An einem | |
| schwülen Tag legt er den Kopf auf den Konferenztisch, er hat Kopfschmerzen. | |
| „The weather.“ Der Dritte im Bund ist Sardor, gerade 20 geworden, | |
| hochgewachsen, trägt meistens Schwarz und strahlt Gelassenheit aus, auch in | |
| ihrer misslichen Lage. Die beiden Jungs sind zurückhaltend und höflich, | |
| wenn sie mit Älteren sprechen. Sobald sie unter sich sind, wirken sie wie | |
| Kinder, albern herum. Malika übernimmt für sie viel mehr als nur das | |
| Übersetzen. | |
| Aus der Geschichte, die sie erzählen, geht hervor, dass ihnen doppeltes | |
| Unrecht geschehen ist. Zum einen hat die usbekische Vermittlungsagentur sie | |
| hängen lassen und ihnen viel Geld aus der Tasche gezogen – mit leeren | |
| Versprechungen. „Sie haben gesagt, wir könnten uns aussuchen, wo wir | |
| arbeiten“, sagt Malika wütend, vielleicht auch auf sich selbst, weil sie es | |
| geglaubt hat. Zum anderen verstößt die Leiharbeitsfirma gegen das Gesetz, | |
| weil sie im so genannten „Annahmeverzug“, also wenn sie keinen | |
| Arbeitseinsatz vermitteln kann, trotzdem ein Gehalt zahlen müsste. | |
| Dass Unternehmen Menschen [2][bei schlechter Auftragslage] auf die Straße | |
| schicken, komme oft vor, sagt Mahmood Abo-Jeap, der in Bremerhaven bei | |
| „Arbeit und Leben“ arbeitet, einem Verein, der [3][Arbeitnehmer:innen | |
| aus Nicht-EU-Staaten berät]. Auch er hat versucht, den usbekischen | |
| Studierenden zu helfen. Erfolglos, es ist keine Stelle zuständig, sie | |
| fallen durch alle Raster des Sozialnetzes. | |
| Die einzige Unterbringung, die ihnen der Staat gewähren würde, wäre in | |
| einer für Obdachlose. Sozialleistungen könnten sie nur beziehen, wenn sie | |
| in Deutschland gearbeitet hätten. Die usbekische Botschaft äußert sich | |
| nicht dazu, ob sie den Studierenden helfen wird. | |
| ## Anklage wegen Urkundenfälschung | |
| Nachdem sie eine Woche lang nichts von der Leiharbeitsfirma gehört hatten, | |
| seien ein paar der Studierenden in deren Geschäftsräume in einem | |
| Gewerbegebiet im Bremer Süden gegangen, erzählt Malika, die sich darüber | |
| wundert, dass eine Etage der Firma leer steht. | |
| Was sie nicht weiß: RAJ ist noch nicht lange dort, sondern hatte bis vor | |
| Kurzem nur zwei Zimmer zur Untermiete nahe der Innenstadt, die zu klein | |
| wurden. Dabei gibt es das Unternehmen erst seit 2019. | |
| Am 25. August 2020 bewirbt die Firma [4][auf ihrem russischsprachigen | |
| Instagram-Account] das Angebot „Work and Travel“. Das Unternehmen entwickle | |
| sich „rasant in Richtung Studentenprogramme“, heißt es dort. Doch von den | |
| usbekischen Studierenden wollen die RAJ-Mitarbeiter:innen nichts wissen. Es | |
| gebe keine Arbeit für sie, sei ihnen bei ihrem ersten Besuch gesagt worden, | |
| berichtet Malika, die beiden Männer nicken. Eine knappe Woche später, am | |
| 19. Juni, gingen sie mit etwa zehn Personen in Begleitung eines Zeugen, | |
| einem Dolmetscher, wieder dorthin. Er bestätigt, dass die jungen Leute | |
| fortgeschickt wurden. | |
| ## Sie schlafen auf Bahnhöfen | |
| Zu diesem Zeitpunkt hatten einige bereits am Bremer Hauptbahnhof | |
| geschlafen. Turon World hatte die jungen Usbek:innen nach ihrer Ankunft | |
| am Morgen des 5. Juni für zwei Nächte in einem Hostel untergebracht, das | |
| sie selbst bezahlen mussten und sie danach sich selbst überlassen. Einige | |
| hatten nur usbekisches Geld dabei, das hier nicht getauscht werden kann. | |
| Durch Zufall geriet eine kleine Gruppe an die Gewerkschaft IG BAU, die sie | |
| juristisch vertreten wird, um ihren Lohn einzuklagen. Doch nur die drei | |
| Protagonist:innen dieser Geschichte kamen wie vereinbart am Montag | |
| vergangener Woche in das Gewerkschaftsgebäude in einer tristen Seitenstraße | |
| nahe des Bahnhofs, um ihre auf russisch verfassten Beitrittserklärungen | |
| auszufüllen. | |
| Die Mitgliedschaft ist Voraussetzung dafür, dass die Gewerkschaft sie | |
| vertreten kann. Die anderen fünf, die ebenfalls eintreten wollten, seien | |
| zwei Tage zuvor von Turon World – offenbar aufgeschreckt durch die Besuche | |
| bei der Leiharbeitsfirma – in zwei andere Städte geschickt worden, erzählt | |
| Sardor. Dort sei ihnen Arbeit versprochen worden. Wohin genau, steht hier | |
| nicht, zum Schutz vor Kriminellen, die ihre hilflose Situation ausnutzen | |
| könnten. | |
| Die drei hatten dem Angebot nicht getraut und waren in Bremen geblieben. | |
| Ihr Misstrauen war berechtigt. Denn in der einen Stadt gab es keine Arbeit | |
| und damit auch kein Geld. Zehn Tage nach dem Treffen bei der Gewerkschaft, | |
| auf einer privaten Terrasse im Bremer Szene-Stadtteil „Viertel“ zeigen sie | |
| auf ihren Handys Videos, auf denen zu sehen ist, wie etwa ein Dutzend junge | |
| Männer in einer U-Bahn-Station in Süddeutschland schlafen. | |
| ## Manche arbeiten schwarz, 13 Stunden | |
| Diese Bilder haben es mittlerweile auch [5][in ein usbekisches | |
| Online-Nachrichtenportal] geschafft. Turon World postete daraufhin auf | |
| Instagram, es handele sich um Fake News und man müsse beide Seiten anhören. | |
| Eine Bitte der taz um Stellungnahme blieb eine Woche unbeantwortet. | |
| Mit auf der Terrasse sitzt an dem Abend auch Ulugbek, ein junger Mann, der | |
| meistens eine schwarze Stoffmütze trägt. Er ist nach fünf Nächten in der | |
| U-Bahn-Station nach Bremen zurückgekehrt und in einem der Videos zu sehen. | |
| „Ich wollte nicht länger warten.“ Seine Freund:innen in Bremen zahlten | |
| ihm die Rückfahrt mit dem Bus. | |
| Aus zuverlässiger Quelle hat die taz erfahren, dass ein weiterer Teil der | |
| usbekischen Studierenden jetzt schwarz in der anderen Stadt arbeitet. Es | |
| sollen 13 bis 14 Stunden am Tag sein, auf einer Baustelle, für vier bis | |
| fünf Euro die Stunde. Wer nach einer Woche nicht mehr konnte, soll kein | |
| Geld für seine Arbeit bekommen haben. | |
| Der Druck, auch [6][unter ausbeuterischen Verhältnissen zu arbeiten,] ist | |
| groß. Viele, erzählen die drei, hätten sich für Flug und Vermittlung Geld | |
| geliehen, das sie zurückzahlen müssen. Nur Malika hat in dieser Hinsicht | |
| keine Sorgen, sie hatte in Usbekistan gejobbt und genug gespart. Die beiden | |
| jungen Männer haben sich zwar auch etwas geliehen, aber nur bei | |
| Angehörigen, die ihnen keine Probleme bereiten werden. „Ich will es meinem | |
| Bruder aber zurückzahlen, er hat Kinder“, sagt Sardor. Ihren Familien haben | |
| sie gesagt, sie würden arbeiten, alles sei gut. Die zählen auf sie. | |
| ## Familien zählen auf sie | |
| Denn obwohl ihre Eltern zur Mittelschicht gehören, ist das Geld knapp, | |
| Kredite für Häuser müssen abbezahlt werden. Davrons Eltern arbeiten nicht, | |
| Ulugbeks Mutter ist alleinerziehende Lehrerin. Sardors Eltern sind Manager, | |
| sie verdienen mit 500 Euro im Monat etwas überdurchschnittlich. Alle haben | |
| zwei bis vier Geschwister, die meisten von ihnen älter. Als Jüngste sind | |
| sie in ihren Semesterferien zum Arbeiten ins Ausland geschickt worden. | |
| Für sie ist die Reise auch ein Abenteuer, nur Davron war schon einmal im | |
| Ausland, in China, als Kind. Sechs bis sieben Stunden dauert der Flug aus | |
| Usbekistan, ein Land, etwa so groß wie Spanien, gelegen zwischen Kasachstan | |
| und Afghanistan, mit 35 Millionen Einwohner:innen. Malika fühlt sich so | |
| wohl in Deutschland, dass sie hier ihren Master machen will. „Die Menschen | |
| respektieren die Grenzen der anderen“, sagt sie. Auch von der Landschaft | |
| ist sie begeistert. „Ich liebe Wald“, sagt sie und meint den Bremer | |
| Bürgerpark, durch den sie vor ein paar Tagen gelaufen sind. | |
| An einem anderen Tag schwärmt sie vom Meer – sie hat die in Bremen Nord | |
| recht breite Weser für die Nordsee gehalten und lacht über ihr | |
| Missverständnis. „Ich habe noch nie so viel Wasser auf einmal gesehen.“ | |
| Usbekistan besteht zu 80 Prozent aus Wüste und Steppe. Der Plan der jungen | |
| Usbek:innen war, im Anschluss an den Job zu reisen, Spanien, Frankreich, | |
| Italien, so wie Gleichaltrige aus wohlhabenden Staaten. Bloß nicht so lange | |
| wie die: nur ein, zwei Wochen. | |
| Im Nachhinein frage sie sich auch, warum sie geflogen sei, sagt Malika. | |
| Denn sie sei misstrauisch geworden, nachdem Turon World ihr nie hatte sagen | |
| wollen, für wen sie arbeiten werde, wo und in welchem Umfang. „Ich habe | |
| immer wieder nachgefragt.“ Immer wieder habe es Ausreden gegeben oder sogar | |
| Drohungen, sie würde nicht vermittelt. | |
| ## Freizügigkeit in Usbekistan erst seit 2019 | |
| Schließlich hätte sie einen Umschlag mit allen Unterlagen bekommen, um | |
| damit für den Visumsantrag zur deutschen Botschaft zu gehen. Dort habe sie | |
| den auf Deutsch verfassten Vertrag zum ersten Mal gesehen, sagt sie. | |
| Ausgehändigt habe Turon World ihr zuvor keins ihrer Dokumente. Sie würde | |
| sie ja doch nur verlieren, hätten sie gesagt. | |
| Dass sie ihre Zweifel an der Seriosität der Agentur weggewischt hat und | |
| andere gar nicht erst auf die Idee gekommen sind, dass sie betrogen werden | |
| könnten, liegt auch daran, dass Usbekistan seine Einwohner:innen erst | |
| seit Kurzem frei ziehen lässt. Als letztes postsowjetisches Land | |
| [7][schaffte es zum 1. Januar 2019 das Ausreisevisum ab.] Das förderte die | |
| Arbeitsmigration: Die Zahl der versicherungspflichtig Beschäftigten mit | |
| usbekischer Staatsbürgerschaft ist nach Daten der Bundesarbeitsagentur | |
| zwischen 2015 und 2022 stetig gestiegen. | |
| Hinzu kommen illegale Beschäftigungsverhältnisse, teilweise von Firmen wie | |
| Turon World eingefädelt. Die Pressestelle des Auswärtigen Amtes teilt mit, | |
| die deutsche Botschaft in Taschkent habe in den letzten Monaten Erfahrungen | |
| mit „unseriösen Vermittlungsagenturen“ gemacht. Diese Agenturen würden | |
| Leute teils mit gefälschten Unterlagen in die Visumsstelle schicken, aus | |
| denen hervorgeht, dass sie ein studienbegleitendes Praktikum in Deutschland | |
| absolvieren wollen – während die Agenturen ihnen einen Job in Deutschland | |
| als Erntehelfer:innen in Aussicht gestellt haben. | |
| Das Geschäft mit der Visabeschaffung ist lukrativ. Bei einer | |
| durchschnittlichen Vermittlungsgebühr von 600 Euro hat Turon World von den | |
| 80 Studierenden 48.000 Euro kassiert. Eine Menge Geld für die Abwicklung | |
| von Papierkram sowie einen Reisebegleiter bis Bremen. Und dafür, dass sie | |
| nicht tätig werden, wenn wie in diesem Fall erhebliche Probleme im Zielland | |
| auftreten. | |
| ## Vermittlungsagentur beschafft Visa | |
| Turon World vermittelt auch nicht studentische Arbeitskräfte und in andere | |
| Länder. In einer Fotoserie der Agentur auf Instagram zeigen junge Männer | |
| ihre Reisepässe mit den Visa. [8][In einem am 24. Mai hochgeladenen Video] | |
| fährt eine Kamera Dutzende nebeneinander aufgereihte Visa ab, untermalt von | |
| dramatischer Musik. „Turon World ist immer erfolgreich“, steht daneben. | |
| Zu sehen ist darin auch das Formular, mit dem die Bundesarbeitsagentur | |
| bescheinigt, den Antrag von RAJ auf Ferienbeschäftigung geprüft zu haben. | |
| Ohne dieses gibt es kein Visum. Die Bundesarbeitsagentur prüft aber nur, ob | |
| die Beschäftigungsbedingungen passen, in Bezug auf Lohn, Inhalt, | |
| Arbeitszeit. | |
| Auf dem einseitigen Formblatt wird auch abgefragt, durch wen der Kontakt zu | |
| dem oder der Studierenden zustande kam. Der taz liegen drei dieser | |
| Formulare vor, auf denen nicht Turon World, sondern „Uzcamp“ als Vermittler | |
| angegeben ist, ein Unternehmen für Sprachreisen im In- und Ausland, es hat | |
| dieselbe Adresse wie Turon World. | |
| Die Bundesarbeitsagentur äußert sich nicht zum Einzelfall, nur allgemein. | |
| „Sollten wir Kenntnis über Rechtsverstöße erlangen, werden wir dem | |
| nachgehen und Unternehmen bei schweren Pflichtverstößen von der Zulassung | |
| von Ferienbeschäftigungen ausschließen“, sagt eine Sprecherin. „Wir nehmen | |
| das sehr ernst.“ | |
| ## Ein-Zimmer-Wohnung für 800 Euro | |
| Das Bittere an dieser Geschichte ist: Mit den drei, die jetzt | |
| Gewerkschaftsmitglieder sind, bekommen diejenigen am meisten Hilfe, die sie | |
| am wenigsten nötig haben, die nicht unter existenziellem Druck stehen, die | |
| Englisch sprechen und so viel Geld dabei hatten, dass sie nie hungern und | |
| draußen schlafen mussten. Fünf Nächte hätten sie in Hostels verbracht, drei | |
| Nächte seien sie von Landsleuten untergebracht worden, sagen sie. | |
| Für die letzten beiden Juniwochen hatten sie eine Ein-Zimmer-Wohnung zur | |
| Untermiete am Stadtrand, zwei Wochen für 300 Euro. Für Juli verlangte die | |
| Vermieterin, die das als freundliches Hilfsangebot verkaufte, 800 Euro. Das | |
| konnten sie nicht bezahlen. | |
| Wie es weitergeht, wissen sie nicht. Sie sind provisorisch untergebracht | |
| von Leuten, die von ihrer Situation erfahren haben. Aber auch ihr Geld geht | |
| zur Neige, die Nerven werden dünner. Sie leben seit einem Monat zusammen | |
| auf engem Raum. Für Malika als einzige Frau ist es nicht leicht. Sie denkt | |
| weniger traditionell als die jungen Männer. | |
| Ob sie in Deutschland legal arbeiten dürfen, kann ihnen nach einem Monat | |
| immer noch niemand sagen. Dabei muss es in der Vergangenheit ähnliche | |
| Konstellationen gegeben haben, bei denen ausländische Studierende einen | |
| neuen Ferienjob brauchten – und sei es nur, weil sie sich mit ihrem Chef | |
| überworfen hatten. „Wo sind eure Papiere?“, habe es immer geheißen, wenn | |
| sie sich für einen Job vorstellten, sagt Malika – an Angeboten mangelt es | |
| nicht. | |
| ## Behörden wissen nicht, was zu tun ist | |
| Dabei steht auf ihrem Visum, dass sie unter die Ausnahmeregelung des | |
| Paragrafen 14 der Bundesbeschäftigungsverordnung fallen. Danach brauchen | |
| Schüler:innen und Studierende keine Arbeitserlaubnis, sondern nur den | |
| Nachweis, dass die Arbeit von der Bundesarbeitsagentur vermittelt wurde. | |
| Das ist das besagte Formblatt, das ein potenzieller Arbeitgeber bei der | |
| Bundesarbeitsagentur einreichen müsste. | |
| „Sollten die Betroffenen ihren Vertrag mit der Leiharbeitsfirma kündigen | |
| und einen neuen Arbeitgeber finden, würden wir ihnen unbürokratisch eine | |
| Erlaubnis dafür ausstellen“, verspricht die Sprecherin der | |
| Bundesarbeitsagentur. Die Studierenden bräuchten dann allerdings ein neues | |
| Visum der deutschen Botschaft in Taschkent, sagt die Sprecherin – weil sie | |
| nur aufgrund ihres Arbeitsvertrages mit RAJ einreisen durften. | |
| Das Auswärtige Amt als Dienstherr der Botschaft widerspricht. Die | |
| Ausländerbehörden seien zuständig, weil die Betroffenen bereits im Land | |
| seien. Spätestens an dieser Stelle wird es kafkaesk. Denn auf dem Visum | |
| steht, dass sie grundsätzlich arbeiten dürfen. Daher hat die Bremer | |
| Ausländerbehörde, die Arbeitserlaubnisse ausstellen kann, mit der | |
| Angelegenheit nichts zu tun. Die sagt, die Betroffenen sollten sich dennoch | |
| bei ihr melden, um zu prüfen, ob ihnen geholfen werden kann. | |
| In zwei Monaten läuft das Visum der jungen Usbek:innen ab. Wenn sie | |
| jetzt die Jobsuche aufgeben, können die drei hoffen, dass es der | |
| Gewerkschaft gelingt, ihren Lohn rückwirkend einzuklagen. Geld würden sie | |
| dann aber erst lange nach ihrer Rückkehr bekommen. Die Rückreise wäre dabei | |
| das geringste Problem, denn die Stadt Bremen würde ein Busticket bezahlen, | |
| sichert ein Sprecher der Bremer Sozialsenatorin zu. | |
| Turon World verrät nicht, wie viele der Kandidaten aus „Work and Travel | |
| 2023“ noch in Deutschland sind, ob und wie Turon World ihnen hilft. Die | |
| Firma zeigt auf ihrem Instagram-Kanal nicht, wie es ihnen geht, wie sie | |
| leben und arbeiten. Es wären keine schönen Bilder. | |
| Anm.d.R.: Am Tag des Erscheinens dieses Artikels in der gedruckten taz | |
| schreibt Sardor abends eine Mail an die taz-Reporterin, die | |
| Leiharbeitsfirma RAJ habe ihnen Arbeit in einer anderen Stadt angeboten, | |
| sie seien bereits dorthin abgereist. Die Kündigungsfrist beträgt laut | |
| Vertrag innerhalb der ersten zwei Wochen des Beschäftigungsverhältnisses | |
| einen Tag, danach eine Woche. | |
| 6 Jul 2023 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://www.instagram.com/reel/CtPByh4ASjm/?utm_source=ig_web_copy_link&… | |
| [2] /Peter-Kossen-ueber-die-Fleischindustrie/!5347407 | |
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| [6] /Ausbeutung-in-der-Fleischindustrie/!5791699 | |
| [7] https://thediplomat.com/2019/01/uzbekistan-abolishes-exit-visa-system/ | |
| [8] https://www.instagram.com/reel/CsoIOLhg06p/?utm_source=ig_web_copy_link&… | |
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| Eiken Bruhn | |
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