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# taz.de -- Studierende aus Usbekistan in Bremen: Ferienjob endet im Desaster
> Eine Bremer Leiharbeitsfirma zahlt 76 Usbek*innen kein Gehalt, eine
> Agentur aus Taschkent lässt sie hängen. Niemand fühlt sich
> verantwortlich.
Bild: Lost in Bremen: Malika, Sardor und Davron laufen vom Hauptbahnhof in die …
Bremen taz | Das Video zeigt aufgekratzte junge Männer in T-Shirts, Jeans
und Turnschuhen. Sie warten auf einen Bus, der sie zum Flughafen der
usbekischen Hauptstadt Taschkent bringt. Zwei von ihnen sprechen über die
bevorstehende Reise, dazu läuft muntere Popmusik.
Hochgeladen wurde der Film am 8. Juni auf dem [1][Instagram-Account der
privaten usbekischen Arbeitsvermittlung] „Turon World Cooperation“. Es
handelt sich laut Bildtext um 80 „Kandidaten“ des Programms „Work and
Travel 2023“. Das richtet sich an Studierende, die einen Ferienjob in
Deutschland antreten wollen, Turon World hat ihn vermittelt.
Doch für fast alle aus der Gruppe endet der Traum von Deutschland im
Desaster. Denn die Bremer Leiharbeitsfirma RAJ Personalservices, mit der
sie im Büro der Agentur in Taschkent einen Vertrag unterschrieben hatten,
gibt nur Einzelnen Arbeit.
Alle anderen müssen zusehen, wo sie bleiben, wovon sie in Deutschland leben
und vor allem, wie sie die Vermittlungsgebühren wieder reinbekommen.
Abhängig vom Anmeldezeitpunkt kostet das jeweils 600 bis 700 Euro, etwa das
Doppelte eines durchschnittlichen usbekischen Monatseinkommens. Hinzu
kommen die Kosten für einen Charterflug, für die Turon World umgerechnet
550 Euro pro Person genommen hat. Linienflüge sind günstiger.
Hätte RAJ den Vertrag erfüllt, hätten die Studierenden ihre Auslagen locker
wieder reinbekommen und für usbekische Verhältnisse sehr viel Geld
verdient, rund 5.000 Euro. Zwischen Anfang Juni und Ende August hätten sie
35 Wochenstunden für einen Stundenlohn von 13 Euro arbeiten sollen, die
meisten in der Sortierung und Verpackung von Obst und Gemüse. Der
Arbeitgeber hätte laut dem der taz vorliegenden Vertrag die Unterkunft
bezahlt.
## Alles anders als versprochen
Aber es kam alles anders als versprochen. Nachdem sie am Morgen des 5. Juni
mit dem Bus aus München angekommen waren, warteten sie auf einen Anruf der
Leiharbeitsfirma. Nach ihrer Aussage hatte die Agentur ihnen eingeschärft,
dass sie sich nicht selbst bei RAJ melden dürften. Der Anruf blieb aus.
Turon World sagte, sie sollten weiter warten.
So erzählen es drei Studierende, zwei Männer und eine Frau, die die taz in
den vergangenen zweieinhalb Wochen mehrfach getroffen hat, teilweise
gemeinsam mit anderen aus der Gruppe, die dasselbe sagen. Zwei von ihnen
sind in dem Instagram-Video zu erkennen. Sie unterschreiben eidesstattliche
Erklärungen zum Wahrheitsgehalt ihrer Erzählungen, wissend, dass sie für
Falschaussagen mit bis zu drei Jahren Haft bestraft werden können.
Sie legen Flugtickets vor, Verträge, Visa sowie Belege für Überweisungen an
die Vermittlungsagentur. Es gibt keinen Anlass, an ihrer Darstellung zu
zweifeln. Auch die Leiharbeitsfirma RAJ tut nichts, um sich in ein besseres
Licht zu rücken. Mails der taz mit der Bitte um Stellungnahme bleiben zwei
Wochen unbeantwortet.
Die drei jungen Leute haben in diesem Artikel andere Namen bekommen, um sie
vor Nachstellungen im Heimatland zu schützen. Sie wollen aber, dass ihre
Erlebnisse bekannt werden. „Das soll nicht noch einmal passieren“, sagt
Malika bei einem der Treffen. Sie ist eine der Handvoll Frauen aus der
Gruppe, spricht etwas Deutsch und sehr gut Englisch. Mit 24 Jahren ist sie
die Älteste der drei. Die Muslima trägt lange Haare und Lidstrich. Sie
übersetzt für die anderen, die nur ein wenig Englisch können. Manchmal
dauern ihre Übersetzungen länger. Dann erklärt sie, warum sich alles so
zieht.
## Leere Versprechungen, kein Gehalt
Vor allem Davron ist ungeduldig, ein schmaler 21-Jähriger. An einem
schwülen Tag legt er den Kopf auf den Konferenztisch, er hat Kopfschmerzen.
„The weather.“ Der Dritte im Bund ist Sardor, gerade 20 geworden,
hochgewachsen, trägt meistens Schwarz und strahlt Gelassenheit aus, auch in
ihrer misslichen Lage. Die beiden Jungs sind zurückhaltend und höflich,
wenn sie mit Älteren sprechen. Sobald sie unter sich sind, wirken sie wie
Kinder, albern herum. Malika übernimmt für sie viel mehr als nur das
Übersetzen.
Aus der Geschichte, die sie erzählen, geht hervor, dass ihnen doppeltes
Unrecht geschehen ist. Zum einen hat die usbekische Vermittlungsagentur sie
hängen lassen und ihnen viel Geld aus der Tasche gezogen – mit leeren
Versprechungen. „Sie haben gesagt, wir könnten uns aussuchen, wo wir
arbeiten“, sagt Malika wütend, vielleicht auch auf sich selbst, weil sie es
geglaubt hat. Zum anderen verstößt die Leiharbeitsfirma gegen das Gesetz,
weil sie im so genannten „Annahmeverzug“, also wenn sie keinen
Arbeitseinsatz vermitteln kann, trotzdem ein Gehalt zahlen müsste.
Dass Unternehmen Menschen [2][bei schlechter Auftragslage] auf die Straße
schicken, komme oft vor, sagt Mahmood Abo-Jeap, der in Bremerhaven bei
„Arbeit und Leben“ arbeitet, einem Verein, der [3][Arbeitnehmer:innen
aus Nicht-EU-Staaten berät]. Auch er hat versucht, den usbekischen
Studierenden zu helfen. Erfolglos, es ist keine Stelle zuständig, sie
fallen durch alle Raster des Sozialnetzes.
Die einzige Unterbringung, die ihnen der Staat gewähren würde, wäre in
einer für Obdachlose. Sozialleistungen könnten sie nur beziehen, wenn sie
in Deutschland gearbeitet hätten. Die usbekische Botschaft äußert sich
nicht dazu, ob sie den Studierenden helfen wird.
## Anklage wegen Urkundenfälschung
Nachdem sie eine Woche lang nichts von der Leiharbeitsfirma gehört hatten,
seien ein paar der Studierenden in deren Geschäftsräume in einem
Gewerbegebiet im Bremer Süden gegangen, erzählt Malika, die sich darüber
wundert, dass eine Etage der Firma leer steht.
Was sie nicht weiß: RAJ ist noch nicht lange dort, sondern hatte bis vor
Kurzem nur zwei Zimmer zur Untermiete nahe der Innenstadt, die zu klein
wurden. Dabei gibt es das Unternehmen erst seit 2019.
Am 25. August 2020 bewirbt die Firma [4][auf ihrem russischsprachigen
Instagram-Account] das Angebot „Work and Travel“. Das Unternehmen entwickle
sich „rasant in Richtung Studentenprogramme“, heißt es dort. Doch von den
usbekischen Studierenden wollen die RAJ-Mitarbeiter:innen nichts wissen. Es
gebe keine Arbeit für sie, sei ihnen bei ihrem ersten Besuch gesagt worden,
berichtet Malika, die beiden Männer nicken. Eine knappe Woche später, am
19. Juni, gingen sie mit etwa zehn Personen in Begleitung eines Zeugen,
einem Dolmetscher, wieder dorthin. Er bestätigt, dass die jungen Leute
fortgeschickt wurden.
## Sie schlafen auf Bahnhöfen
Zu diesem Zeitpunkt hatten einige bereits am Bremer Hauptbahnhof
geschlafen. Turon World hatte die jungen Usbek:innen nach ihrer Ankunft
am Morgen des 5. Juni für zwei Nächte in einem Hostel untergebracht, das
sie selbst bezahlen mussten und sie danach sich selbst überlassen. Einige
hatten nur usbekisches Geld dabei, das hier nicht getauscht werden kann.
Durch Zufall geriet eine kleine Gruppe an die Gewerkschaft IG BAU, die sie
juristisch vertreten wird, um ihren Lohn einzuklagen. Doch nur die drei
Protagonist:innen dieser Geschichte kamen wie vereinbart am Montag
vergangener Woche in das Gewerkschaftsgebäude in einer tristen Seitenstraße
nahe des Bahnhofs, um ihre auf russisch verfassten Beitrittserklärungen
auszufüllen.
Die Mitgliedschaft ist Voraussetzung dafür, dass die Gewerkschaft sie
vertreten kann. Die anderen fünf, die ebenfalls eintreten wollten, seien
zwei Tage zuvor von Turon World – offenbar aufgeschreckt durch die Besuche
bei der Leiharbeitsfirma – in zwei andere Städte geschickt worden, erzählt
Sardor. Dort sei ihnen Arbeit versprochen worden. Wohin genau, steht hier
nicht, zum Schutz vor Kriminellen, die ihre hilflose Situation ausnutzen
könnten.
Die drei hatten dem Angebot nicht getraut und waren in Bremen geblieben.
Ihr Misstrauen war berechtigt. Denn in der einen Stadt gab es keine Arbeit
und damit auch kein Geld. Zehn Tage nach dem Treffen bei der Gewerkschaft,
auf einer privaten Terrasse im Bremer Szene-Stadtteil „Viertel“ zeigen sie
auf ihren Handys Videos, auf denen zu sehen ist, wie etwa ein Dutzend junge
Männer in einer U-Bahn-Station in Süddeutschland schlafen.
## Manche arbeiten schwarz, 13 Stunden
Diese Bilder haben es mittlerweile auch [5][in ein usbekisches
Online-Nachrichtenportal] geschafft. Turon World postete daraufhin auf
Instagram, es handele sich um Fake News und man müsse beide Seiten anhören.
Eine Bitte der taz um Stellungnahme blieb eine Woche unbeantwortet.
Mit auf der Terrasse sitzt an dem Abend auch Ulugbek, ein junger Mann, der
meistens eine schwarze Stoffmütze trägt. Er ist nach fünf Nächten in der
U-Bahn-Station nach Bremen zurückgekehrt und in einem der Videos zu sehen.
„Ich wollte nicht länger warten.“ Seine Freund:innen in Bremen zahlten
ihm die Rückfahrt mit dem Bus.
Aus zuverlässiger Quelle hat die taz erfahren, dass ein weiterer Teil der
usbekischen Studierenden jetzt schwarz in der anderen Stadt arbeitet. Es
sollen 13 bis 14 Stunden am Tag sein, auf einer Baustelle, für vier bis
fünf Euro die Stunde. Wer nach einer Woche nicht mehr konnte, soll kein
Geld für seine Arbeit bekommen haben.
Der Druck, auch [6][unter ausbeuterischen Verhältnissen zu arbeiten,] ist
groß. Viele, erzählen die drei, hätten sich für Flug und Vermittlung Geld
geliehen, das sie zurückzahlen müssen. Nur Malika hat in dieser Hinsicht
keine Sorgen, sie hatte in Usbekistan gejobbt und genug gespart. Die beiden
jungen Männer haben sich zwar auch etwas geliehen, aber nur bei
Angehörigen, die ihnen keine Probleme bereiten werden. „Ich will es meinem
Bruder aber zurückzahlen, er hat Kinder“, sagt Sardor. Ihren Familien haben
sie gesagt, sie würden arbeiten, alles sei gut. Die zählen auf sie.
## Familien zählen auf sie
Denn obwohl ihre Eltern zur Mittelschicht gehören, ist das Geld knapp,
Kredite für Häuser müssen abbezahlt werden. Davrons Eltern arbeiten nicht,
Ulugbeks Mutter ist alleinerziehende Lehrerin. Sardors Eltern sind Manager,
sie verdienen mit 500 Euro im Monat etwas überdurchschnittlich. Alle haben
zwei bis vier Geschwister, die meisten von ihnen älter. Als Jüngste sind
sie in ihren Semesterferien zum Arbeiten ins Ausland geschickt worden.
Für sie ist die Reise auch ein Abenteuer, nur Davron war schon einmal im
Ausland, in China, als Kind. Sechs bis sieben Stunden dauert der Flug aus
Usbekistan, ein Land, etwa so groß wie Spanien, gelegen zwischen Kasachstan
und Afghanistan, mit 35 Millionen Einwohner:innen. Malika fühlt sich so
wohl in Deutschland, dass sie hier ihren Master machen will. „Die Menschen
respektieren die Grenzen der anderen“, sagt sie. Auch von der Landschaft
ist sie begeistert. „Ich liebe Wald“, sagt sie und meint den Bremer
Bürgerpark, durch den sie vor ein paar Tagen gelaufen sind.
An einem anderen Tag schwärmt sie vom Meer – sie hat die in Bremen Nord
recht breite Weser für die Nordsee gehalten und lacht über ihr
Missverständnis. „Ich habe noch nie so viel Wasser auf einmal gesehen.“
Usbekistan besteht zu 80 Prozent aus Wüste und Steppe. Der Plan der jungen
Usbek:innen war, im Anschluss an den Job zu reisen, Spanien, Frankreich,
Italien, so wie Gleichaltrige aus wohlhabenden Staaten. Bloß nicht so lange
wie die: nur ein, zwei Wochen.
Im Nachhinein frage sie sich auch, warum sie geflogen sei, sagt Malika.
Denn sie sei misstrauisch geworden, nachdem Turon World ihr nie hatte sagen
wollen, für wen sie arbeiten werde, wo und in welchem Umfang. „Ich habe
immer wieder nachgefragt.“ Immer wieder habe es Ausreden gegeben oder sogar
Drohungen, sie würde nicht vermittelt.
## Freizügigkeit in Usbekistan erst seit 2019
Schließlich hätte sie einen Umschlag mit allen Unterlagen bekommen, um
damit für den Visumsantrag zur deutschen Botschaft zu gehen. Dort habe sie
den auf Deutsch verfassten Vertrag zum ersten Mal gesehen, sagt sie.
Ausgehändigt habe Turon World ihr zuvor keins ihrer Dokumente. Sie würde
sie ja doch nur verlieren, hätten sie gesagt.
Dass sie ihre Zweifel an der Seriosität der Agentur weggewischt hat und
andere gar nicht erst auf die Idee gekommen sind, dass sie betrogen werden
könnten, liegt auch daran, dass Usbekistan seine Einwohner:innen erst
seit Kurzem frei ziehen lässt. Als letztes postsowjetisches Land
[7][schaffte es zum 1. Januar 2019 das Ausreisevisum ab.] Das förderte die
Arbeitsmigration: Die Zahl der versicherungspflichtig Beschäftigten mit
usbekischer Staatsbürgerschaft ist nach Daten der Bundesarbeitsagentur
zwischen 2015 und 2022 stetig gestiegen.
Hinzu kommen illegale Beschäftigungsverhältnisse, teilweise von Firmen wie
Turon World eingefädelt. Die Pressestelle des Auswärtigen Amtes teilt mit,
die deutsche Botschaft in Taschkent habe in den letzten Monaten Erfahrungen
mit „unseriösen Vermittlungsagenturen“ gemacht. Diese Agenturen würden
Leute teils mit gefälschten Unterlagen in die Visumsstelle schicken, aus
denen hervorgeht, dass sie ein studienbegleitendes Praktikum in Deutschland
absolvieren wollen – während die Agenturen ihnen einen Job in Deutschland
als Erntehelfer:innen in Aussicht gestellt haben.
Das Geschäft mit der Visabeschaffung ist lukrativ. Bei einer
durchschnittlichen Vermittlungsgebühr von 600 Euro hat Turon World von den
80 Studierenden 48.000 Euro kassiert. Eine Menge Geld für die Abwicklung
von Papierkram sowie einen Reisebegleiter bis Bremen. Und dafür, dass sie
nicht tätig werden, wenn wie in diesem Fall erhebliche Probleme im Zielland
auftreten.
## Vermittlungsagentur beschafft Visa
Turon World vermittelt auch nicht studentische Arbeitskräfte und in andere
Länder. In einer Fotoserie der Agentur auf Instagram zeigen junge Männer
ihre Reisepässe mit den Visa. [8][In einem am 24. Mai hochgeladenen Video]
fährt eine Kamera Dutzende nebeneinander aufgereihte Visa ab, untermalt von
dramatischer Musik. „Turon World ist immer erfolgreich“, steht daneben.
Zu sehen ist darin auch das Formular, mit dem die Bundesarbeitsagentur
bescheinigt, den Antrag von RAJ auf Ferienbeschäftigung geprüft zu haben.
Ohne dieses gibt es kein Visum. Die Bundesarbeitsagentur prüft aber nur, ob
die Beschäftigungsbedingungen passen, in Bezug auf Lohn, Inhalt,
Arbeitszeit.
Auf dem einseitigen Formblatt wird auch abgefragt, durch wen der Kontakt zu
dem oder der Studierenden zustande kam. Der taz liegen drei dieser
Formulare vor, auf denen nicht Turon World, sondern „Uzcamp“ als Vermittler
angegeben ist, ein Unternehmen für Sprachreisen im In- und Ausland, es hat
dieselbe Adresse wie Turon World.
Die Bundesarbeitsagentur äußert sich nicht zum Einzelfall, nur allgemein.
„Sollten wir Kenntnis über Rechtsverstöße erlangen, werden wir dem
nachgehen und Unternehmen bei schweren Pflichtverstößen von der Zulassung
von Ferienbeschäftigungen ausschließen“, sagt eine Sprecherin. „Wir nehmen
das sehr ernst.“
## Ein-Zimmer-Wohnung für 800 Euro
Das Bittere an dieser Geschichte ist: Mit den drei, die jetzt
Gewerkschaftsmitglieder sind, bekommen diejenigen am meisten Hilfe, die sie
am wenigsten nötig haben, die nicht unter existenziellem Druck stehen, die
Englisch sprechen und so viel Geld dabei hatten, dass sie nie hungern und
draußen schlafen mussten. Fünf Nächte hätten sie in Hostels verbracht, drei
Nächte seien sie von Landsleuten untergebracht worden, sagen sie.
Für die letzten beiden Juniwochen hatten sie eine Ein-Zimmer-Wohnung zur
Untermiete am Stadtrand, zwei Wochen für 300 Euro. Für Juli verlangte die
Vermieterin, die das als freundliches Hilfsangebot verkaufte, 800 Euro. Das
konnten sie nicht bezahlen.
Wie es weitergeht, wissen sie nicht. Sie sind provisorisch untergebracht
von Leuten, die von ihrer Situation erfahren haben. Aber auch ihr Geld geht
zur Neige, die Nerven werden dünner. Sie leben seit einem Monat zusammen
auf engem Raum. Für Malika als einzige Frau ist es nicht leicht. Sie denkt
weniger traditionell als die jungen Männer.
Ob sie in Deutschland legal arbeiten dürfen, kann ihnen nach einem Monat
immer noch niemand sagen. Dabei muss es in der Vergangenheit ähnliche
Konstellationen gegeben haben, bei denen ausländische Studierende einen
neuen Ferienjob brauchten – und sei es nur, weil sie sich mit ihrem Chef
überworfen hatten. „Wo sind eure Papiere?“, habe es immer geheißen, wenn
sie sich für einen Job vorstellten, sagt Malika – an Angeboten mangelt es
nicht.
## Behörden wissen nicht, was zu tun ist
Dabei steht auf ihrem Visum, dass sie unter die Ausnahmeregelung des
Paragrafen 14 der Bundesbeschäftigungsverordnung fallen. Danach brauchen
Schüler:innen und Studierende keine Arbeitserlaubnis, sondern nur den
Nachweis, dass die Arbeit von der Bundesarbeitsagentur vermittelt wurde.
Das ist das besagte Formblatt, das ein potenzieller Arbeitgeber bei der
Bundesarbeitsagentur einreichen müsste.
„Sollten die Betroffenen ihren Vertrag mit der Leiharbeitsfirma kündigen
und einen neuen Arbeitgeber finden, würden wir ihnen unbürokratisch eine
Erlaubnis dafür ausstellen“, verspricht die Sprecherin der
Bundesarbeitsagentur. Die Studierenden bräuchten dann allerdings ein neues
Visum der deutschen Botschaft in Taschkent, sagt die Sprecherin – weil sie
nur aufgrund ihres Arbeitsvertrages mit RAJ einreisen durften.
Das Auswärtige Amt als Dienstherr der Botschaft widerspricht. Die
Ausländerbehörden seien zuständig, weil die Betroffenen bereits im Land
seien. Spätestens an dieser Stelle wird es kafkaesk. Denn auf dem Visum
steht, dass sie grundsätzlich arbeiten dürfen. Daher hat die Bremer
Ausländerbehörde, die Arbeitserlaubnisse ausstellen kann, mit der
Angelegenheit nichts zu tun. Die sagt, die Betroffenen sollten sich dennoch
bei ihr melden, um zu prüfen, ob ihnen geholfen werden kann.
In zwei Monaten läuft das Visum der jungen Usbek:innen ab. Wenn sie
jetzt die Jobsuche aufgeben, können die drei hoffen, dass es der
Gewerkschaft gelingt, ihren Lohn rückwirkend einzuklagen. Geld würden sie
dann aber erst lange nach ihrer Rückkehr bekommen. Die Rückreise wäre dabei
das geringste Problem, denn die Stadt Bremen würde ein Busticket bezahlen,
sichert ein Sprecher der Bremer Sozialsenatorin zu.
Turon World verrät nicht, wie viele der Kandidaten aus „Work and Travel
2023“ noch in Deutschland sind, ob und wie Turon World ihnen hilft. Die
Firma zeigt auf ihrem Instagram-Kanal nicht, wie es ihnen geht, wie sie
leben und arbeiten. Es wären keine schönen Bilder.
Anm.d.R.: Am Tag des Erscheinens dieses Artikels in der gedruckten taz
schreibt Sardor abends eine Mail an die taz-Reporterin, die
Leiharbeitsfirma RAJ habe ihnen Arbeit in einer anderen Stadt angeboten,
sie seien bereits dorthin abgereist. Die Kündigungsfrist beträgt laut
Vertrag innerhalb der ersten zwei Wochen des Beschäftigungsverhältnisses
einen Tag, danach eine Woche.
6 Jul 2023
## LINKS
[1] https://www.instagram.com/reel/CtPByh4ASjm/?utm_source=ig_web_copy_link&amp…
[2] /Peter-Kossen-ueber-die-Fleischindustrie/!5347407
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[6] /Ausbeutung-in-der-Fleischindustrie/!5791699
[7] https://thediplomat.com/2019/01/uzbekistan-abolishes-exit-visa-system/
[8] https://www.instagram.com/reel/CsoIOLhg06p/?utm_source=ig_web_copy_link&amp…
## AUTOREN
Eiken Bruhn
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