# taz.de -- Studierende aus Usbekistan in Bremen: Ferienjob endet im Desaster | |
> Eine Bremer Leiharbeitsfirma zahlt 76 Usbek*innen kein Gehalt, eine | |
> Agentur aus Taschkent lässt sie hängen. Niemand fühlt sich | |
> verantwortlich. | |
Bild: Lost in Bremen: Malika, Sardor und Davron laufen vom Hauptbahnhof in die … | |
Bremen taz | Das Video zeigt aufgekratzte junge Männer in T-Shirts, Jeans | |
und Turnschuhen. Sie warten auf einen Bus, der sie zum Flughafen der | |
usbekischen Hauptstadt Taschkent bringt. Zwei von ihnen sprechen über die | |
bevorstehende Reise, dazu läuft muntere Popmusik. | |
Hochgeladen wurde der Film am 8. Juni auf dem [1][Instagram-Account der | |
privaten usbekischen Arbeitsvermittlung] „Turon World Cooperation“. Es | |
handelt sich laut Bildtext um 80 „Kandidaten“ des Programms „Work and | |
Travel 2023“. Das richtet sich an Studierende, die einen Ferienjob in | |
Deutschland antreten wollen, Turon World hat ihn vermittelt. | |
Doch für fast alle aus der Gruppe endet der Traum von Deutschland im | |
Desaster. Denn die Bremer Leiharbeitsfirma RAJ Personalservices, mit der | |
sie im Büro der Agentur in Taschkent einen Vertrag unterschrieben hatten, | |
gibt nur Einzelnen Arbeit. | |
Alle anderen müssen zusehen, wo sie bleiben, wovon sie in Deutschland leben | |
und vor allem, wie sie die Vermittlungsgebühren wieder reinbekommen. | |
Abhängig vom Anmeldezeitpunkt kostet das jeweils 600 bis 700 Euro, etwa das | |
Doppelte eines durchschnittlichen usbekischen Monatseinkommens. Hinzu | |
kommen die Kosten für einen Charterflug, für die Turon World umgerechnet | |
550 Euro pro Person genommen hat. Linienflüge sind günstiger. | |
Hätte RAJ den Vertrag erfüllt, hätten die Studierenden ihre Auslagen locker | |
wieder reinbekommen und für usbekische Verhältnisse sehr viel Geld | |
verdient, rund 5.000 Euro. Zwischen Anfang Juni und Ende August hätten sie | |
35 Wochenstunden für einen Stundenlohn von 13 Euro arbeiten sollen, die | |
meisten in der Sortierung und Verpackung von Obst und Gemüse. Der | |
Arbeitgeber hätte laut dem der taz vorliegenden Vertrag die Unterkunft | |
bezahlt. | |
## Alles anders als versprochen | |
Aber es kam alles anders als versprochen. Nachdem sie am Morgen des 5. Juni | |
mit dem Bus aus München angekommen waren, warteten sie auf einen Anruf der | |
Leiharbeitsfirma. Nach ihrer Aussage hatte die Agentur ihnen eingeschärft, | |
dass sie sich nicht selbst bei RAJ melden dürften. Der Anruf blieb aus. | |
Turon World sagte, sie sollten weiter warten. | |
So erzählen es drei Studierende, zwei Männer und eine Frau, die die taz in | |
den vergangenen zweieinhalb Wochen mehrfach getroffen hat, teilweise | |
gemeinsam mit anderen aus der Gruppe, die dasselbe sagen. Zwei von ihnen | |
sind in dem Instagram-Video zu erkennen. Sie unterschreiben eidesstattliche | |
Erklärungen zum Wahrheitsgehalt ihrer Erzählungen, wissend, dass sie für | |
Falschaussagen mit bis zu drei Jahren Haft bestraft werden können. | |
Sie legen Flugtickets vor, Verträge, Visa sowie Belege für Überweisungen an | |
die Vermittlungsagentur. Es gibt keinen Anlass, an ihrer Darstellung zu | |
zweifeln. Auch die Leiharbeitsfirma RAJ tut nichts, um sich in ein besseres | |
Licht zu rücken. Mails der taz mit der Bitte um Stellungnahme bleiben zwei | |
Wochen unbeantwortet. | |
Die drei jungen Leute haben in diesem Artikel andere Namen bekommen, um sie | |
vor Nachstellungen im Heimatland zu schützen. Sie wollen aber, dass ihre | |
Erlebnisse bekannt werden. „Das soll nicht noch einmal passieren“, sagt | |
Malika bei einem der Treffen. Sie ist eine der Handvoll Frauen aus der | |
Gruppe, spricht etwas Deutsch und sehr gut Englisch. Mit 24 Jahren ist sie | |
die Älteste der drei. Die Muslima trägt lange Haare und Lidstrich. Sie | |
übersetzt für die anderen, die nur ein wenig Englisch können. Manchmal | |
dauern ihre Übersetzungen länger. Dann erklärt sie, warum sich alles so | |
zieht. | |
## Leere Versprechungen, kein Gehalt | |
Vor allem Davron ist ungeduldig, ein schmaler 21-Jähriger. An einem | |
schwülen Tag legt er den Kopf auf den Konferenztisch, er hat Kopfschmerzen. | |
„The weather.“ Der Dritte im Bund ist Sardor, gerade 20 geworden, | |
hochgewachsen, trägt meistens Schwarz und strahlt Gelassenheit aus, auch in | |
ihrer misslichen Lage. Die beiden Jungs sind zurückhaltend und höflich, | |
wenn sie mit Älteren sprechen. Sobald sie unter sich sind, wirken sie wie | |
Kinder, albern herum. Malika übernimmt für sie viel mehr als nur das | |
Übersetzen. | |
Aus der Geschichte, die sie erzählen, geht hervor, dass ihnen doppeltes | |
Unrecht geschehen ist. Zum einen hat die usbekische Vermittlungsagentur sie | |
hängen lassen und ihnen viel Geld aus der Tasche gezogen – mit leeren | |
Versprechungen. „Sie haben gesagt, wir könnten uns aussuchen, wo wir | |
arbeiten“, sagt Malika wütend, vielleicht auch auf sich selbst, weil sie es | |
geglaubt hat. Zum anderen verstößt die Leiharbeitsfirma gegen das Gesetz, | |
weil sie im so genannten „Annahmeverzug“, also wenn sie keinen | |
Arbeitseinsatz vermitteln kann, trotzdem ein Gehalt zahlen müsste. | |
Dass Unternehmen Menschen [2][bei schlechter Auftragslage] auf die Straße | |
schicken, komme oft vor, sagt Mahmood Abo-Jeap, der in Bremerhaven bei | |
„Arbeit und Leben“ arbeitet, einem Verein, der [3][Arbeitnehmer:innen | |
aus Nicht-EU-Staaten berät]. Auch er hat versucht, den usbekischen | |
Studierenden zu helfen. Erfolglos, es ist keine Stelle zuständig, sie | |
fallen durch alle Raster des Sozialnetzes. | |
Die einzige Unterbringung, die ihnen der Staat gewähren würde, wäre in | |
einer für Obdachlose. Sozialleistungen könnten sie nur beziehen, wenn sie | |
in Deutschland gearbeitet hätten. Die usbekische Botschaft äußert sich | |
nicht dazu, ob sie den Studierenden helfen wird. | |
## Anklage wegen Urkundenfälschung | |
Nachdem sie eine Woche lang nichts von der Leiharbeitsfirma gehört hatten, | |
seien ein paar der Studierenden in deren Geschäftsräume in einem | |
Gewerbegebiet im Bremer Süden gegangen, erzählt Malika, die sich darüber | |
wundert, dass eine Etage der Firma leer steht. | |
Was sie nicht weiß: RAJ ist noch nicht lange dort, sondern hatte bis vor | |
Kurzem nur zwei Zimmer zur Untermiete nahe der Innenstadt, die zu klein | |
wurden. Dabei gibt es das Unternehmen erst seit 2019. | |
Am 25. August 2020 bewirbt die Firma [4][auf ihrem russischsprachigen | |
Instagram-Account] das Angebot „Work and Travel“. Das Unternehmen entwickle | |
sich „rasant in Richtung Studentenprogramme“, heißt es dort. Doch von den | |
usbekischen Studierenden wollen die RAJ-Mitarbeiter:innen nichts wissen. Es | |
gebe keine Arbeit für sie, sei ihnen bei ihrem ersten Besuch gesagt worden, | |
berichtet Malika, die beiden Männer nicken. Eine knappe Woche später, am | |
19. Juni, gingen sie mit etwa zehn Personen in Begleitung eines Zeugen, | |
einem Dolmetscher, wieder dorthin. Er bestätigt, dass die jungen Leute | |
fortgeschickt wurden. | |
## Sie schlafen auf Bahnhöfen | |
Zu diesem Zeitpunkt hatten einige bereits am Bremer Hauptbahnhof | |
geschlafen. Turon World hatte die jungen Usbek:innen nach ihrer Ankunft | |
am Morgen des 5. Juni für zwei Nächte in einem Hostel untergebracht, das | |
sie selbst bezahlen mussten und sie danach sich selbst überlassen. Einige | |
hatten nur usbekisches Geld dabei, das hier nicht getauscht werden kann. | |
Durch Zufall geriet eine kleine Gruppe an die Gewerkschaft IG BAU, die sie | |
juristisch vertreten wird, um ihren Lohn einzuklagen. Doch nur die drei | |
Protagonist:innen dieser Geschichte kamen wie vereinbart am Montag | |
vergangener Woche in das Gewerkschaftsgebäude in einer tristen Seitenstraße | |
nahe des Bahnhofs, um ihre auf russisch verfassten Beitrittserklärungen | |
auszufüllen. | |
Die Mitgliedschaft ist Voraussetzung dafür, dass die Gewerkschaft sie | |
vertreten kann. Die anderen fünf, die ebenfalls eintreten wollten, seien | |
zwei Tage zuvor von Turon World – offenbar aufgeschreckt durch die Besuche | |
bei der Leiharbeitsfirma – in zwei andere Städte geschickt worden, erzählt | |
Sardor. Dort sei ihnen Arbeit versprochen worden. Wohin genau, steht hier | |
nicht, zum Schutz vor Kriminellen, die ihre hilflose Situation ausnutzen | |
könnten. | |
Die drei hatten dem Angebot nicht getraut und waren in Bremen geblieben. | |
Ihr Misstrauen war berechtigt. Denn in der einen Stadt gab es keine Arbeit | |
und damit auch kein Geld. Zehn Tage nach dem Treffen bei der Gewerkschaft, | |
auf einer privaten Terrasse im Bremer Szene-Stadtteil „Viertel“ zeigen sie | |
auf ihren Handys Videos, auf denen zu sehen ist, wie etwa ein Dutzend junge | |
Männer in einer U-Bahn-Station in Süddeutschland schlafen. | |
## Manche arbeiten schwarz, 13 Stunden | |
Diese Bilder haben es mittlerweile auch [5][in ein usbekisches | |
Online-Nachrichtenportal] geschafft. Turon World postete daraufhin auf | |
Instagram, es handele sich um Fake News und man müsse beide Seiten anhören. | |
Eine Bitte der taz um Stellungnahme blieb eine Woche unbeantwortet. | |
Mit auf der Terrasse sitzt an dem Abend auch Ulugbek, ein junger Mann, der | |
meistens eine schwarze Stoffmütze trägt. Er ist nach fünf Nächten in der | |
U-Bahn-Station nach Bremen zurückgekehrt und in einem der Videos zu sehen. | |
„Ich wollte nicht länger warten.“ Seine Freund:innen in Bremen zahlten | |
ihm die Rückfahrt mit dem Bus. | |
Aus zuverlässiger Quelle hat die taz erfahren, dass ein weiterer Teil der | |
usbekischen Studierenden jetzt schwarz in der anderen Stadt arbeitet. Es | |
sollen 13 bis 14 Stunden am Tag sein, auf einer Baustelle, für vier bis | |
fünf Euro die Stunde. Wer nach einer Woche nicht mehr konnte, soll kein | |
Geld für seine Arbeit bekommen haben. | |
Der Druck, auch [6][unter ausbeuterischen Verhältnissen zu arbeiten,] ist | |
groß. Viele, erzählen die drei, hätten sich für Flug und Vermittlung Geld | |
geliehen, das sie zurückzahlen müssen. Nur Malika hat in dieser Hinsicht | |
keine Sorgen, sie hatte in Usbekistan gejobbt und genug gespart. Die beiden | |
jungen Männer haben sich zwar auch etwas geliehen, aber nur bei | |
Angehörigen, die ihnen keine Probleme bereiten werden. „Ich will es meinem | |
Bruder aber zurückzahlen, er hat Kinder“, sagt Sardor. Ihren Familien haben | |
sie gesagt, sie würden arbeiten, alles sei gut. Die zählen auf sie. | |
## Familien zählen auf sie | |
Denn obwohl ihre Eltern zur Mittelschicht gehören, ist das Geld knapp, | |
Kredite für Häuser müssen abbezahlt werden. Davrons Eltern arbeiten nicht, | |
Ulugbeks Mutter ist alleinerziehende Lehrerin. Sardors Eltern sind Manager, | |
sie verdienen mit 500 Euro im Monat etwas überdurchschnittlich. Alle haben | |
zwei bis vier Geschwister, die meisten von ihnen älter. Als Jüngste sind | |
sie in ihren Semesterferien zum Arbeiten ins Ausland geschickt worden. | |
Für sie ist die Reise auch ein Abenteuer, nur Davron war schon einmal im | |
Ausland, in China, als Kind. Sechs bis sieben Stunden dauert der Flug aus | |
Usbekistan, ein Land, etwa so groß wie Spanien, gelegen zwischen Kasachstan | |
und Afghanistan, mit 35 Millionen Einwohner:innen. Malika fühlt sich so | |
wohl in Deutschland, dass sie hier ihren Master machen will. „Die Menschen | |
respektieren die Grenzen der anderen“, sagt sie. Auch von der Landschaft | |
ist sie begeistert. „Ich liebe Wald“, sagt sie und meint den Bremer | |
Bürgerpark, durch den sie vor ein paar Tagen gelaufen sind. | |
An einem anderen Tag schwärmt sie vom Meer – sie hat die in Bremen Nord | |
recht breite Weser für die Nordsee gehalten und lacht über ihr | |
Missverständnis. „Ich habe noch nie so viel Wasser auf einmal gesehen.“ | |
Usbekistan besteht zu 80 Prozent aus Wüste und Steppe. Der Plan der jungen | |
Usbek:innen war, im Anschluss an den Job zu reisen, Spanien, Frankreich, | |
Italien, so wie Gleichaltrige aus wohlhabenden Staaten. Bloß nicht so lange | |
wie die: nur ein, zwei Wochen. | |
Im Nachhinein frage sie sich auch, warum sie geflogen sei, sagt Malika. | |
Denn sie sei misstrauisch geworden, nachdem Turon World ihr nie hatte sagen | |
wollen, für wen sie arbeiten werde, wo und in welchem Umfang. „Ich habe | |
immer wieder nachgefragt.“ Immer wieder habe es Ausreden gegeben oder sogar | |
Drohungen, sie würde nicht vermittelt. | |
## Freizügigkeit in Usbekistan erst seit 2019 | |
Schließlich hätte sie einen Umschlag mit allen Unterlagen bekommen, um | |
damit für den Visumsantrag zur deutschen Botschaft zu gehen. Dort habe sie | |
den auf Deutsch verfassten Vertrag zum ersten Mal gesehen, sagt sie. | |
Ausgehändigt habe Turon World ihr zuvor keins ihrer Dokumente. Sie würde | |
sie ja doch nur verlieren, hätten sie gesagt. | |
Dass sie ihre Zweifel an der Seriosität der Agentur weggewischt hat und | |
andere gar nicht erst auf die Idee gekommen sind, dass sie betrogen werden | |
könnten, liegt auch daran, dass Usbekistan seine Einwohner:innen erst | |
seit Kurzem frei ziehen lässt. Als letztes postsowjetisches Land | |
[7][schaffte es zum 1. Januar 2019 das Ausreisevisum ab.] Das förderte die | |
Arbeitsmigration: Die Zahl der versicherungspflichtig Beschäftigten mit | |
usbekischer Staatsbürgerschaft ist nach Daten der Bundesarbeitsagentur | |
zwischen 2015 und 2022 stetig gestiegen. | |
Hinzu kommen illegale Beschäftigungsverhältnisse, teilweise von Firmen wie | |
Turon World eingefädelt. Die Pressestelle des Auswärtigen Amtes teilt mit, | |
die deutsche Botschaft in Taschkent habe in den letzten Monaten Erfahrungen | |
mit „unseriösen Vermittlungsagenturen“ gemacht. Diese Agenturen würden | |
Leute teils mit gefälschten Unterlagen in die Visumsstelle schicken, aus | |
denen hervorgeht, dass sie ein studienbegleitendes Praktikum in Deutschland | |
absolvieren wollen – während die Agenturen ihnen einen Job in Deutschland | |
als Erntehelfer:innen in Aussicht gestellt haben. | |
Das Geschäft mit der Visabeschaffung ist lukrativ. Bei einer | |
durchschnittlichen Vermittlungsgebühr von 600 Euro hat Turon World von den | |
80 Studierenden 48.000 Euro kassiert. Eine Menge Geld für die Abwicklung | |
von Papierkram sowie einen Reisebegleiter bis Bremen. Und dafür, dass sie | |
nicht tätig werden, wenn wie in diesem Fall erhebliche Probleme im Zielland | |
auftreten. | |
## Vermittlungsagentur beschafft Visa | |
Turon World vermittelt auch nicht studentische Arbeitskräfte und in andere | |
Länder. In einer Fotoserie der Agentur auf Instagram zeigen junge Männer | |
ihre Reisepässe mit den Visa. [8][In einem am 24. Mai hochgeladenen Video] | |
fährt eine Kamera Dutzende nebeneinander aufgereihte Visa ab, untermalt von | |
dramatischer Musik. „Turon World ist immer erfolgreich“, steht daneben. | |
Zu sehen ist darin auch das Formular, mit dem die Bundesarbeitsagentur | |
bescheinigt, den Antrag von RAJ auf Ferienbeschäftigung geprüft zu haben. | |
Ohne dieses gibt es kein Visum. Die Bundesarbeitsagentur prüft aber nur, ob | |
die Beschäftigungsbedingungen passen, in Bezug auf Lohn, Inhalt, | |
Arbeitszeit. | |
Auf dem einseitigen Formblatt wird auch abgefragt, durch wen der Kontakt zu | |
dem oder der Studierenden zustande kam. Der taz liegen drei dieser | |
Formulare vor, auf denen nicht Turon World, sondern „Uzcamp“ als Vermittler | |
angegeben ist, ein Unternehmen für Sprachreisen im In- und Ausland, es hat | |
dieselbe Adresse wie Turon World. | |
Die Bundesarbeitsagentur äußert sich nicht zum Einzelfall, nur allgemein. | |
„Sollten wir Kenntnis über Rechtsverstöße erlangen, werden wir dem | |
nachgehen und Unternehmen bei schweren Pflichtverstößen von der Zulassung | |
von Ferienbeschäftigungen ausschließen“, sagt eine Sprecherin. „Wir nehmen | |
das sehr ernst.“ | |
## Ein-Zimmer-Wohnung für 800 Euro | |
Das Bittere an dieser Geschichte ist: Mit den drei, die jetzt | |
Gewerkschaftsmitglieder sind, bekommen diejenigen am meisten Hilfe, die sie | |
am wenigsten nötig haben, die nicht unter existenziellem Druck stehen, die | |
Englisch sprechen und so viel Geld dabei hatten, dass sie nie hungern und | |
draußen schlafen mussten. Fünf Nächte hätten sie in Hostels verbracht, drei | |
Nächte seien sie von Landsleuten untergebracht worden, sagen sie. | |
Für die letzten beiden Juniwochen hatten sie eine Ein-Zimmer-Wohnung zur | |
Untermiete am Stadtrand, zwei Wochen für 300 Euro. Für Juli verlangte die | |
Vermieterin, die das als freundliches Hilfsangebot verkaufte, 800 Euro. Das | |
konnten sie nicht bezahlen. | |
Wie es weitergeht, wissen sie nicht. Sie sind provisorisch untergebracht | |
von Leuten, die von ihrer Situation erfahren haben. Aber auch ihr Geld geht | |
zur Neige, die Nerven werden dünner. Sie leben seit einem Monat zusammen | |
auf engem Raum. Für Malika als einzige Frau ist es nicht leicht. Sie denkt | |
weniger traditionell als die jungen Männer. | |
Ob sie in Deutschland legal arbeiten dürfen, kann ihnen nach einem Monat | |
immer noch niemand sagen. Dabei muss es in der Vergangenheit ähnliche | |
Konstellationen gegeben haben, bei denen ausländische Studierende einen | |
neuen Ferienjob brauchten – und sei es nur, weil sie sich mit ihrem Chef | |
überworfen hatten. „Wo sind eure Papiere?“, habe es immer geheißen, wenn | |
sie sich für einen Job vorstellten, sagt Malika – an Angeboten mangelt es | |
nicht. | |
## Behörden wissen nicht, was zu tun ist | |
Dabei steht auf ihrem Visum, dass sie unter die Ausnahmeregelung des | |
Paragrafen 14 der Bundesbeschäftigungsverordnung fallen. Danach brauchen | |
Schüler:innen und Studierende keine Arbeitserlaubnis, sondern nur den | |
Nachweis, dass die Arbeit von der Bundesarbeitsagentur vermittelt wurde. | |
Das ist das besagte Formblatt, das ein potenzieller Arbeitgeber bei der | |
Bundesarbeitsagentur einreichen müsste. | |
„Sollten die Betroffenen ihren Vertrag mit der Leiharbeitsfirma kündigen | |
und einen neuen Arbeitgeber finden, würden wir ihnen unbürokratisch eine | |
Erlaubnis dafür ausstellen“, verspricht die Sprecherin der | |
Bundesarbeitsagentur. Die Studierenden bräuchten dann allerdings ein neues | |
Visum der deutschen Botschaft in Taschkent, sagt die Sprecherin – weil sie | |
nur aufgrund ihres Arbeitsvertrages mit RAJ einreisen durften. | |
Das Auswärtige Amt als Dienstherr der Botschaft widerspricht. Die | |
Ausländerbehörden seien zuständig, weil die Betroffenen bereits im Land | |
seien. Spätestens an dieser Stelle wird es kafkaesk. Denn auf dem Visum | |
steht, dass sie grundsätzlich arbeiten dürfen. Daher hat die Bremer | |
Ausländerbehörde, die Arbeitserlaubnisse ausstellen kann, mit der | |
Angelegenheit nichts zu tun. Die sagt, die Betroffenen sollten sich dennoch | |
bei ihr melden, um zu prüfen, ob ihnen geholfen werden kann. | |
In zwei Monaten läuft das Visum der jungen Usbek:innen ab. Wenn sie | |
jetzt die Jobsuche aufgeben, können die drei hoffen, dass es der | |
Gewerkschaft gelingt, ihren Lohn rückwirkend einzuklagen. Geld würden sie | |
dann aber erst lange nach ihrer Rückkehr bekommen. Die Rückreise wäre dabei | |
das geringste Problem, denn die Stadt Bremen würde ein Busticket bezahlen, | |
sichert ein Sprecher der Bremer Sozialsenatorin zu. | |
Turon World verrät nicht, wie viele der Kandidaten aus „Work and Travel | |
2023“ noch in Deutschland sind, ob und wie Turon World ihnen hilft. Die | |
Firma zeigt auf ihrem Instagram-Kanal nicht, wie es ihnen geht, wie sie | |
leben und arbeiten. Es wären keine schönen Bilder. | |
Anm.d.R.: Am Tag des Erscheinens dieses Artikels in der gedruckten taz | |
schreibt Sardor abends eine Mail an die taz-Reporterin, die | |
Leiharbeitsfirma RAJ habe ihnen Arbeit in einer anderen Stadt angeboten, | |
sie seien bereits dorthin abgereist. Die Kündigungsfrist beträgt laut | |
Vertrag innerhalb der ersten zwei Wochen des Beschäftigungsverhältnisses | |
einen Tag, danach eine Woche. | |
6 Jul 2023 | |
## LINKS | |
[1] https://www.instagram.com/reel/CtPByh4ASjm/?utm_source=ig_web_copy_link&… | |
[2] /Peter-Kossen-ueber-die-Fleischindustrie/!5347407 | |
[3] https://www.faire-integration.de/ | |
[4] https://www.instagram.com/p/CEUREXHnYkn/?utm_source=ig_web_copy_link&ig… | |
[5] https://kun.uz/news/2023/06/29/germaniyaga-ishlashga-borgan-300-ozbekistonl… | |
[6] /Ausbeutung-in-der-Fleischindustrie/!5791699 | |
[7] https://thediplomat.com/2019/01/uzbekistan-abolishes-exit-visa-system/ | |
[8] https://www.instagram.com/reel/CsoIOLhg06p/?utm_source=ig_web_copy_link&… | |
## AUTOREN | |
Eiken Bruhn | |
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