# taz.de -- Ausbeutung in der Fleischindustrie: „Diesen Job würde kein Deuts… | |
> Ein neues Gesetz soll die Arbeitsbedingungen in der Fleischindustrie | |
> verbessern. Hält es, was es verspricht? Eine Recherche im sächsischen | |
> Torgau. | |
Bild: Akkordarbeit in einem Schlachthof | |
Broiler machen froh, Keulen und Flügel ebenso“ steht auf einem großen | |
Plakat an der Bundesstraße 87 kurz vor der Kleinstadt Torgau, nordöstlich | |
von Leipzig. Das massive Schild ist eine Werbetafel der Gräfendorfer | |
Geflügel- und Tiefkühlfeinkost Produktions GmbH. Nur wenige Kilometer | |
entfernt, in der Gemeinde Mockrehna, lässt sie massenweise Hühner rupfen, | |
schlachten und abpacken. | |
Deutschland ist der fünftgrößte Geflügelproduzent in Europa. [1][2019 | |
wurden hierzulande 703,8 Millionen Hühner, Puten und Enten geschlachtet]. | |
Allein bei Gräfendorfer, einem Teil der Firmengruppe Sprehe mit Sitz in | |
Niedersachsen, verarbeitete man 2018 100.699 Tonnen Masthähnchen und machte | |
2019 mehr als 150 Millionen Euro Umsatz. | |
Diese Form der Produktion geht jedoch nicht nur auf Kosten der Tiere, | |
sondern auch auf die der Beschäftigten. [2][Rund 600 Beschäftigte] zählt | |
der Betrieb. [3][Ein Großteil von ihnen] kommt aus Bulgarien, Rumänien oder | |
der Slowakei, viele von ihnen sind Rom:nja. Fragt man die Menschen aus der | |
Region, warum bei Gräfendorfer so viele ausländische Beschäftigte arbeiten, | |
sagen alle: Dies ist ein Job, den kein Deutscher machen würde. | |
Doch seit Januar 2021 gibt es ein [4][neues Arbeitsschutzkontrollgesetz], | |
das mit den Ausbeutungsverhältnissen in der deutschen Fleischindustrie | |
„aufräumen“ soll, wie Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) im Zuge des | |
Coronaskandals bei Tönnies 2020 sagte. Mit dem neuen Gesetz wurden zuerst | |
die Werkverträge in den Schlachtbetrieben verboten, seit April gehören auch | |
Leiharbeitsverträge der Vergangenheit an. Aber hat das neue Gesetz die | |
Situation für die Beschäftigten der Gräfendorfer Geflügel- und | |
Tiefkühlfeinkost Produktions GmbH verbessert? | |
Wer mehr darüber erfahren möchte, muss den etwas verrufenen Stadtteil | |
Torgau Nordwest besuchen. Seit Jahren gibt es hier Streit, vor allem um | |
zwei Plattenbauten. In den heruntergekommenen Gebäuden, in denen nicht mal | |
mehr die Klingelanlagen funktionieren, leben viele osteuropäische | |
Fleischarbeiter:innen auf engstem Raum. | |
2018 sagte der damals amtierende Bürgermeister Matthias Grimm-Over, dass es | |
vor allem die „Arbeitsnomaden“ seien, die für die „Zustände“ in Nordw… | |
sorgen – und meinte damit die angebliche Müll- und Lärmbelästigung sowie | |
Kriminalität. 2020 bezeichnete der CDU-Stadtrat Edwin Bendrin die Menschen | |
dort gar als „Abschaum“. Aber es gibt auch die, die sagen, wie schlecht die | |
Fleischarbeiter:innen bei Gräfendorfer behandelt werden und wie wenig | |
sich von Vermieterseite um die Wohnungen gekümmert wird. Selten sind es | |
jedoch die Beschäftigten selbst, die erzählen. | |
„Sie haben zu viel Angst davor, ihren Job zu verlieren“, sagt Renata | |
Horvathova, eine freundliche Frau mit kunstvoll manikürten Fingernägeln. | |
Horvathova arbeitet als Beraterin für Romano Sumnal. Einem Verein, der 2019 | |
eine Zweigstelle in Torgau Nordwest eröffnet hat, um die Rom:nja zu | |
unterstützen. Oft hinge die Existenz der gesamten Familie von dem Job in | |
der Geflügelfabrik ab, sagt Horvathova. „Ohne Einkommen haben sie keine | |
Perspektive.“ | |
Nur ein einziger ihrer Klient:innen will mit der taz sprechen. Der Rom | |
Damian Kolozova ist 27 Jahre alt und heißt eigentlich anders, will aus | |
Angst vor Konsequenzen aber anonym bleiben. Beim Gespräch im Büro des | |
Vereins lässt der junge Mann mit dem gepflegten Dreitagebart die Schultern | |
hängen. Im Dezember 2020 war er aus der slowakischen Kleinstadt Nitra nach | |
Torgau gekommen, „um Arbeit zu finden“, wie die Beraterin aus dem | |
Slowakischen übersetzt. | |
Nitra ist eine Stadt, aus der viele Rom:nja auswandern. Sie werden dort | |
häufig rassistisch diskriminiert, leben in ärmlichen Verhältnissen, am | |
Rande der Stadt, [5][die Arbeitslosenquote liegt bei fast 100 Prozent]. | |
Subunternehmen nutzen das aus und werben sie für den deutschen | |
Billiglohnsektor an – so machten sie es auch mit Kolozova. | |
Er fing im Dezember 2020 bei Gräfendorfer an. Mit seiner Partnerin und den | |
zwei kleinen Kindern teilte er sich zunächst die enge Wohnung seiner | |
bereits seit einigen Jahren in Torgau Nordwest lebenden Mutter, bis die | |
Familie im Mai desselben Jahres eine eigene Wohnung in der Innenstadt | |
bekam. Für Kolozova war der Neuanfang zunächst ein Segen. „Ich war sehr | |
glücklich, dass ich Arbeit gefunden hatte“, sagt er – und dass er deshalb | |
ja überhaupt erst nach Deutschland gekommen sei. | |
Nach nur einem knappen halben Jahr war er wieder arbeitslos. Im Juni 2021 | |
wurde ihm außerordentlich und fristlos gekündigt. In dem | |
Kündigungsschreiben, das der taz vorliegt, heißt es: „Die Kündigung erfolgt | |
aufgrund Ihres pflichtwidrigen Verhaltens und dem daraus resultierenden | |
zerstörten Vertrauensverhältnis.“ | |
Was war passiert? | |
In dem Schreiben ist auch nachzulesen, dass Kolozova drei Fehltage hatte. | |
Zwei aufeinanderfolgende im Mai und einen im Juni. Gräfendorfer wirft ihm | |
vor, unentschuldigt gefehlt zu haben. Kolozova hingegen sagt, er sei krank | |
gewesen und habe dies seinem Arbeitgeber auch per Telefon mitgeteilt. | |
Tatsächlich zeigt seine Anrufaufzeichnung für den Tag vor dem ersten Fehlen | |
einen Anruf bei seinem Vorarbeiter an. Kolozova erzählt, sein ärztliches | |
Attest sei im Nachhinein nicht mehr akzeptiert worden. Ob es das Attest | |
gibt, konnte die taz nicht überprüfen. | |
Zwei Schreiben von Gräfendorfer belegen jedoch, dass er für beide Fehltage | |
eine Abmahnung erhielt. Als er nach zwei Tagen mit Fieber wieder zur Arbeit | |
gekommen sei, berichtet Kolozova, bat er darum, erneut zum Arzt gehen zu | |
dürfen. Sein Chef soll gesagt haben: „Wenn du jetzt wieder nach Hause | |
gehst, brauchst du nicht wiederkommen.“ | |
Wenn der junge Mann das erzählt, schaut er immer wieder betroffen auf seine | |
Füße. Dass er arbeiten will, um seine Familie zu ernähren, glaubt man ihm. | |
Viel verdient hat er indes nicht: Der Stundenlohn liegt bei 8,75 Euro plus | |
einer Schichtprämie von 10 Cent pro Stunde. Im Mai kam er so auf insgesamt | |
957,36 Euro netto. Zieht man die Mietkosten ab, blieben für die vierköpfige | |
Familie 642,36 Euro zum Leben. | |
„An manchen Tagen habe ich bis zu 13 Stunden gearbeitet, ohne die | |
Überstunden ausgeglichen zu bekommen“, sagt Kolozova. Fragt man ihn, woraus | |
seine Arbeit bestand, verzieht er angeekelt das Gesicht. | |
Der Gestank sei nicht auszuhalten gewesen, erinnert er sich und schildert | |
die Arbeitsabläufe: Zunächst würde ein Gebläse die herumflatternden Hühner | |
bei lebendigem Leib durch einen Trichter drücken. Dabei würden die Hühner | |
vor lauter Angst ammoniakhaltigen, stinkenden Kot aussondern. Am Ende des | |
Trichters stünden Arbeiter:innen, die die Hühner an den Füßen festbänden | |
und aufhingen. Von dort aus würden sie dann weitertransportiert, | |
automatisiert getötet, gerupft und im Anschluss per Hand portioniert und | |
verpackt. | |
Ein weiterer Mann, der ebenfalls anonym bleiben möchte, bestätigt der taz | |
den Produktionsablauf. Er sagt, er habe das einmal gesehen – und danach | |
sein Frühstück erbrochen. Die taz selbst konnte den Betrieb nicht | |
besichtigen, eine entsprechende Anfrage wurde nie beantwortet. | |
Die harte Arbeit ist das eine, das andere sind die unzumutbaren | |
Arbeitsbedingungen, die laut mehrerer Personen bei Gräfendorfer | |
vorherrschen sollen. Damian Kolozova ist nicht der Einzige, der davon | |
berichtet. Auf der Online-Plattform Kununu, auf der Angestellte ihre | |
Arbeitgeber:innen bewerten, ist von „Brüllen und Toben“ im Betrieb die | |
Rede, von ständigen Schichtwechseln und Überstunden, und davon, dass eine | |
ungewöhnlich hohe Fluktuation herrsche. | |
Die Beraterin von Romano Sumnal kennt die Vorwürfe. Die Arbeiter:innen | |
beschwerten sich schon länger über Ausbeutung bei Gräfendorfer, sagt sie. | |
Außerdem würden Klient:innen immer wieder von Überstunden und | |
Abmahnungen berichten. | |
Renata Horvathova berichtet zudem, dass einigen ihrer Klient:innen schon | |
vor Ablauf der sechsmonatigen Probezeit fristlos gekündigt wurde. | |
Warum? | |
„Wenn sie nicht mehr gebraucht werden, oder aufgrund von Krankheit nicht | |
mehr verwertbar sind, werden sie ausgetauscht“, sagt sie. | |
Die taz hat die Gräfendorfer Geflügel- und Tiefkühlfeinkost Produktions | |
GmbH schon vor Monaten mit den Vorwürfen konfrontiert. Doch erst nach | |
Anrufen, fünf E-Mails und dem Hinweis auf eine baldige Veröffentlichung hat | |
sie reagiert. | |
In der Rückmeldung vom 30. Juli schreibt das Unternehmen auf die Frage, ob | |
es bei ihm üblich sei, jemanden nach mehr als dreitägiger Krankmeldung und | |
nachträglich eingereichtem Attest abzumahnen und fristlos zu kündigen: „Da | |
wir als Lebensmittelunternehmen auf die Zuverlässigkeit unserer | |
Arbeitnehmer angewiesen sind, ist es eine notwendige Konsequenz unseres | |
Unternehmens, entsprechende Verstöße zu ahnden.“ Jedoch würde eine | |
Kündigung stets unter Einhaltung der rechtlichen Vorgaben ausgesprochen. Im | |
Übrigen habe jede:r Angestellte jederzeit das Recht, einen Arzt | |
aufzusuchen. | |
Auch bei den Arbeitszeiten halte man sich stets an die Gesetzgebung, | |
schreibt das Unternehmen weiter: „Die tägliche Regel-Arbeitszeit beträgt 8 | |
h im Mehrschichtsystem. Eine Ausdehnung von Arbeitszeiten z. B. im | |
Saisongeschäft, bei Havarien oder Notfällen erfolgt ausschließlich im | |
Rahmen der Gesetzlichkeiten.“ Sofern Überstunden anfielen, würden sie | |
notiert und ausbezahlt. | |
Die Arbeitsbedingungen in der Fleischindustrie werden nicht erst seit dem | |
Tönnies-Skandal kritisiert. Wie [6][eine kleine Anfrage] der Linkspartei | |
von 2019 zeigt, hat sich der Anteil der ausländischen Beschäftigen seit | |
2008 in der Fleischindustrie [7][verdreifacht]. Eine zunehmende | |
Rationalisierung der Betriebe führt laut der Bundeszentrale für politische | |
Bildung zu einer Verschiebung von unternehmerischer Verantwortlichkeit. | |
„Für die Beschäftigten hat das erhebliche Folgen“, heißt es in einem | |
[8][Dossier]. | |
Besonders schlimm davon betroffen sind Rom:nja. Laut eines | |
[9][Monitoringberichts] des Zentralrates Deutscher Sinti und Roma befinden | |
sie sich am untersten Ende der Ausbeutungsskala in Europa. Dennoch kommen | |
viele von ihnen nach Deutschland, weil die Perspektive auf einen Job unter | |
schlechten Bedingungen besser ist als gar keine. | |
Gjulner Sejdi möchte den sich daraus ergebenden Abhängigkeiten etwas | |
entgegensetzen. Der Vereinsvorsitzende von Romano Sumnal ist selbst Rom. | |
Die taz trifft ihn in der Hauptgeschäftsstelle in einem Plattenbau in | |
Leipzig-Grünau. „Wir wollen zeigen, wer wir sind“, steht auf einem Plakat | |
an der Wand, im eigens eingerichteten Tonstudio treffen sich junge Rom:nja | |
zum Musikproduzieren. Es gehe um die „Selbstvertretung der Roma und Sinti | |
in allen für unsere Minderheit relevanten Bereichen“, sagt Sejdi – und um | |
den Kampf gegen Antiromaismus. | |
Der Jurist Sejdi, im dunkelblauen Wollpulli über kariertem Hemd, ist | |
während des Jugoslawienkriegs nach Deutschland gekommen. Für sein | |
Engagement erhielt er 2017 die Auszeichnung „Botschafter für Demokratie und | |
Toleranz“. | |
„Alle wollen billiges Fleisch, aber niemand fragt sich, warum es so billig | |
ist“, sagt Sejdi. Er glaubt, dass die Abhängigkeiten auch dadurch | |
entstehen, dass die Diskriminierung von Rom:nja noch immer weit verbreitet | |
ist. Die Rom:nja würden für Jobs, die Deutsche nicht machen wollen, | |
geholt, erhielten aber kaum Rechte. Dazu gehört auch, dass aufgrund von | |
rassistischer Diskriminierung auf dem Arbeitsmarkt die wenigsten ihren | |
Wohnort frei wählen können. | |
Mit 12 Millionen Angehörigen gilt die Bevölkerungsgruppe der Rom:nja und | |
Sinti:zze als größte ethnische Minderheit in Europa – und zugleich als | |
eine der am meisten diskriminierten Gruppen. Oftmals werden sie als fremd | |
markiert, dabei sind sie seit dem Mittelalter hier ansässig. In der NS-Zeit | |
wurden geschätzt zwischen 220.000 und 500.000 Rom:nja und Sinti:zze aus | |
rassistischen Gründen ermordet – Porajmos nennen sie selbst diesen Genozid. | |
Bis heute ist er kaum aufgearbeitet, der Antiromaismus hingegen noch immer | |
weit verbreitet. Laut der Leipziger [10][„Mitte-Studie“] glaubt jede:r | |
Fünfte in Deutschland, „Sinti und Roma neigen zur Kriminalität“. | |
Zurück in Torgau Nordwest, wo viele Rom:nja, die bei Gräfendorfer arbeiten, | |
wohnen. Das Viertel ist funktional: ein Spielplatz, eine Grundschule, Kita, | |
Hausarzt, Discounter. Zwischen den Wohnblöcken sind Wäscheleinen gespannt, | |
die Farbe der Spielgeräte abgeplatzt. Einige Teenager lungern auf | |
Holzbänken, krachende Popmusik dröhnt aus ihren Smartphones. Seit über zwei | |
Jahren hat sich niemand für die ausgeschriebene Sozialarbeiterstelle | |
gefunden. | |
In den Zeitungen wird von Kriminalität geschrieben, Ruhestörungen, | |
Vandalismus und illegalen Mülllagern. Insbesondere die beiden | |
Plattenbauten, in denen rund 1.000 Osteuropäer:innen leben, stehen im | |
Fokus. | |
Es ist ein kühler Vormittag im Juni. Die taz ist mit Romina Barth | |
verabredet, die mit 38 Jahren die jüngste Oberbürgermeisterin Sachsens ist. | |
Die CDU-Frau ist medienaffin, zum Treffen in Nordwest erscheint sie in | |
einem langen, weißen Sommerkleid und schimmernden Perlenohrringen. Fragt | |
man sie, welche Probleme es hier gibt, macht sie ein sorgenvolles Gesicht. | |
„Es sind vor allem Probleme kultureller Natur“, sagt Barth. Spielende | |
Kinder, die Ruhesuchende stören, fehlende Mülltrennung, Diebstähle. | |
Doch „meterhohe Sperrmüllberge“, wie es die Lokalzeitungen schreiben, sieht | |
man hier nicht. Stattdessen Balkone, von denen hier und da ein Teppich zum | |
Lüften herunterhängt, an der Straßenecke ein Einkaufswagen, vereinzelte | |
Müllschnipsel auf einer Wiese. Es ist kein Ordnungsparadies, aber auch kein | |
Bild der Verwüstung. Eher der Anblick einer Gegend, in der viele Menschen | |
auf engem Raum leben. | |
Dennoch hat der Stadtteil als „Brennpunktviertel“ 2018 einen | |
Bürgerpolizisten zugeordnet bekommen, 2019 kam ein zweiter hinzu. Zwei | |
gemütliche Männer, die zwischen den Bewohner:innen und Behörden | |
vermitteln sollen und seitdem tagein, tagaus durch das Viertel streifen. | |
„Wir sind nicht dazu da, um mit dem Knüppel draufzuhauen“, sagt einer, | |
„sondern um zu helfen.“ Ihrer Meinung nach sind es vor allem die Eigentümer | |
selbst, die die Häuser verwahrlosen lassen. Es gebe keinen Hausmeister, | |
erzählen sie, keine Wartung der Wohnungen. | |
Bis vor Kurzem gehörten die Blöcke einer Firma in Dresden, die sich auf | |
taz-Anfragen nicht zu den Vorwürfen äußerte. Die Bürgermeisterin sagt, dass | |
die Stadt mehrfach Bußgelder gegen die Firma verhängt habe, weil sie sich | |
nicht um den Zustand ihrer Häuser kümmere. Doch seit dem 1. Juli gibt es | |
mit der Firma Murek Immobilienmanagement eine neue Eigentümerin. Auf | |
Anfrage erklärt sie der taz, dass man das Haus instand setzen wolle, aber | |
auch „kontrollieren, wer dort wohnt“ und im Falle von Mietbetrug | |
„rechtliche Instrumentarien schaffen“. | |
Aber die Fleischarbeiter:innen brauchen mehr als ordnungspolitische | |
Maßnahmen. „Ständig beschweren sich Menschen über Fahrraddiebstähle“, s… | |
einer der Polizisten. „Aber über die unmenschlichen Bedingungen, unter | |
denen die Osteuropäer hier leben, beschwert sich niemand.“ | |
Renata Horvathova von Romano Sumnal erklärt, dass die Beschäftigten bei | |
Gräfendorfer Aufhebungsverträge unterzeichnen müssten, wenn sie gekündigt | |
werden. Darin werde vereinbart, dass sie ihre Ansprüche auf | |
Sozialleistungen abtreten und dann für drei Monate kein Arbeitslosengeld | |
bekommen. Oftmals wüssten sie mangels Übersetzung gar nicht, was sie da | |
unterschreiben. | |
Diese Praxis ist nicht selten. Bis zum vergangenen Jahr waren die meisten | |
ausländischen Beschäftigten über Subunternehmen bei den Fleischproduzenten | |
angestellt. Das ermöglichte den Firmen, Verantwortung abzugeben, | |
gesetzliche Grauzonen auszunutzen und keine unbefristeten Verträge | |
ausstellen zu müssen. | |
Laut dem [11][Deutschen Gewerkschaftsbund] liegt der Anteil der eigenen | |
Beschäftigten in fast allen großen deutschen Schlachtbetrieben unter 50 | |
Prozent, bei manchen sogar nur bei 10 Prozent. | |
Hinzu kommt, dass laut einer Erhebung von 2018 über 70 Prozent der | |
ausländischen Beschäftigten ihren Job innerhalb eines Jahres verloren | |
haben. | |
Die Gräfendorfer Geflügel- und Tiefkühlfeinkost Produktions GmbH verneint, | |
ehemalige Angestellte jemals zur Unterzeichnung eines Aufhebungsvertrages | |
genötigt zu haben: „Wenn uns ein Kollege kurzfristig verlassen möchte, | |
legen wir keine Steine in den Weg und dafür ist ein Aufhebungsvertrag ein | |
probates Mittel.“ Darüber hinaus arbeite man bei Bedarf mit Dolmetschern | |
und Übersetzungen, sodass der Verständigung nichts im Wege stünde. | |
Hat das neue Arbeitsschutzkontrollgesetz überhaupt etwas gebracht? | |
Fragt man die Mitarbeiter:innen von Romano Sumnal, sagen sie, dass es | |
jetzt zwar feste Verträge zwischen Gräfendorfer und den Angestellten gebe, | |
fristlose Kündigungen passierten aber weiterhin, und auch die unbezahlten | |
Überstunden und 14-Stunden-Schichten seien geblieben. | |
Auch die Bundeszentrale für politische Bildung kritisiert, dass der | |
informelle Charakter der Arbeitsverhältnisse das neue Gesetz oft | |
unterlaufe: „Auf dem Papier müssen Arbeitszeiten eingehalten werden, | |
tatsächlich wird undokumentiert bis zu 16 Stunden am Tag und bis zu sieben | |
Tage in der Woche gearbeitet“, schreibt sie in ihrem Bericht. | |
Hinzu kämen zahlreiche Nischen, um Menschen in Leiharbeit statt in | |
Festanstellung zu beschäftigen, sagt eine Sprecherin der Beratungsstelle | |
für ausländische Beschäftigte. So gelten die neuen Regelungen | |
beispielsweise nicht für Reinigungs- und Aufräumarbeiten oder die | |
Herstellung von vegetarischem Fleischersatz. | |
Auch in Torgau Nordwest sind die Probleme noch lange nicht gelöst. | |
Bürgermeisterin Barth sagt zwar, sie wolle „miteinander statt übereinander | |
reden“, hat nach eigener Aussage aber erst einmal mit einem osteuropäischen | |
Bewohner gesprochen. Wenn man sie fragt, warum, sagt sie: | |
„Sprachbarrieren.“ | |
Für Damian Kolozova soll es trotz Kündigung weitergehen. Renata Horvathova | |
möchte ihm ein Berufscoaching des Europäischen Bildungswerks mit | |
anschließender Weiterbildung vermitteln, vielleicht als Hotelfachmann. Bis | |
dahin heißt es, weiter Formulare ausfüllen, Gelder beantragen, überleben. | |
Die Recherche wurde vom Deutschen Institut für Menschenrechte, RomaniPhen | |
und der Stiftung EVZ gefördert. | |
6 Sep 2021 | |
## LINKS | |
[1] https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2020/02/PD20_036_413.h… | |
[2] https://www.sueddeutsche.de/gesundheit/gesundheit-dresden-anstieg-bei-coron… | |
[3] https://www.saechsische.de/plus/fleisch-mit-gutem-gewissen-5219199.html | |
[4] https://dserver.bundestag.de/brd/2020/0426-20.pdf | |
[5] https://www.researchgate.net/publication/333753122_Problems_of_the_Roma_fam… | |
[6] https://kleineanfragen.de/bundestag/19/11284-arbeitsbedingungen-in-der-flei… | |
[7] https://de.statista.com/infografik/22039/beschaeftigte-im-wirtschaftszweig-… | |
[8] https://www.bpb.de/gesellschaft/migration/kurzdossiers/325067/fleischindust… | |
[9] https://zentralrat.sintiundroma.de/wp-content/uploads/2019/11/rcm-y3-c2-ger… | |
[10] https://www.fes.de/index.php?eID=dumpFile&t=f&f=65543&token=be… | |
[11] https://www.dgb.de/themen/++co++fa053272-d1a7-11ea-bd7f-001a4a160123 | |
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