# taz.de -- Tarifvertrag in der Fleischindustrie: Fleischindustrie reagiert wur… | |
> Bei Betrieben der Zur-Mühlen-Gruppe wurden die Tarifverträge | |
> aufgekündigt. Damit könnten sich bald bundesweit schlechte | |
> Arbeitsverträge durchsetzen. | |
Hamburg taz | Kündigen Fleischfabrikanten Tarifverträge, um eine | |
Zwei-Klassen-Belegschaft in der Fleischindustrie zu erhalten? Das zumindest | |
befürchtet die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG). Beim | |
Fleischverarbeiter Könecke in Delmenhorst sowie in drei weiteren Betrieben | |
im Norden, die ebenfalls zur Zur-Mühlen-Gruppe gehören, sollen künftig | |
Arbeitsverträge mit deutlich schlechteren Konditionen durchgesetzt werden | |
als es sie bislang für Beschäftigte gab. | |
Die NGG sieht darin den Versuch der Fleischindustrie, [1][nach dem Verbot | |
von Werkverträgen], das seit dem 1. Januar gilt, einen Präzedenzfall für | |
einen bundesweit einheitlichen Tarifvertrag mit schlechten Konditionen zu | |
schaffen. | |
Die Geschäftsführung von Könecke in Delmenhorst, wo jährlich etwa 278.000 | |
Tonnen Fleischprodukte herstellt werden, hatte zum Jahresende den geltenden | |
Manteltarifvertrag aufgekündigt. Zwar habe sie Verhandlungen mit der | |
Gewerkschaft für einen neuen Tarifvertrag zugestimmt. | |
Doch soll ihr Angebot für einen neuen Tarifvertrag weit unter dem Niveau | |
der bisherigen Regelungen liegen. „Die Geschäftsführung will | |
Arbeitsbedingungen auf niedrigstem Niveau vereinbaren“, sagt Moritz | |
Steinberger von der NGG. | |
## Reaktion auf Verbot von Werkverträgen | |
Das gleiche Problem gebe es in drei [2][weiteren Betrieben, die ebenfalls | |
zur Zur-Mühlen-Gruppe gehören]: Betroffen sind auch die Angestellten in | |
zwei Betrieben der schleswig-holsteinischen Böcklunder Fleischwarenfabrik | |
sowie bei Schulte Fleisch- und Wurstwaren in Dissen (Landkreis Osnabrück). | |
Auch dort gab es bis zum Jahresende Tarifverträge, die von den | |
Geschäftsführungen gekündigt wurden. | |
Aus Sicht der NGG reagiert der Konzern damit auf das Verbot von | |
Werkverträgen. Seit Anfang des Jahres sind durch das sogenannte | |
Arbeitsschutzkontrollgesetz, das Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) | |
durchgesetzt hatte, Werkverträge [3][in der Fleischindustrie] verboten. Ab | |
dem 1. April soll zudem in den Betrieben die Leiharbeit untersagt sein – | |
mit einer auf drei Jahre befristeten Ausnahmeregelung, um Auftragsspitzen | |
abzufangen. | |
Bei Könecke waren neben rund 430 Beschäftigten mit Tarifvertrag rund 350 | |
Arbeiter:innen mit Werkvertrag beschäftigt. Letzteren muss Könecke | |
künftig einen ordentlichen Arbeitsvertrag geben – offenbar aber nicht zu | |
den Bedingungen, die bislang mit dem Tarifvertrag galten. | |
„Der Konzern will eine Zwei-Klassen-Belegschaft mit oder ohne Tarif | |
fortsetzen“, kritisiert Moritz Steinberger: Auf der einen Seite | |
Beschäftigte, für die der vergleichsweise gute Tarifvertrag vorerst | |
weiterlaufe, auf der anderen Seite die vormals mit Werkvertrag | |
Beschäftigten, für die sich kaum etwas bessern würde. | |
Komme es nicht zu einem Tarifvertrag, könnte der Betrieb auch eigenmächtig | |
Arbeitsverträge mit Beschäftigten, vorbei an der Gewerkschaft, abschließen. | |
Durchgesetzte Rechte für langjährig Beschäftigte, etwa bei der Entlohnung | |
für Überstunden oder beim Wochenendzuschlag, seien dann passé. | |
## Langjährig Beschäftigte nichts zu befürchten? | |
Die Zur-Mühle-Gruppe kann die Aufregung der NGG nicht verstehen. Ziel der | |
Aufkündigung der Tarifverträge sei lediglich, eine einheitliche | |
Tarifstruktur zu schaffen. „Wir sind durchaus überrascht, da wir in den | |
Gesprächen mit der NGG gerade für einen allgemeinverbindlichen Tarifvertrag | |
arbeiten“, sagt deren Sprecher André Vielstädte. | |
Daneben setze sich der Konzern zusätzlich dafür ein, dass die Beschäftigten | |
mit langer Betriebszugehörigkeit bei einem allgemeinverbindlichen | |
Tarifvertrag „ihren Besitzstand wahren“. | |
Doch dass langjährig Beschäftigte nichts zu befürchten haben, glaubt | |
Steinberger nicht. Er geht davon aus, dass das Unternehmen die besser | |
entlohnten Altbeschäftigten kaum auf Dauer wird halten wollen. „Wenn sich | |
schlechtere Arbeitsverträge durchsetzen, dürften künftige Einsparungen wohl | |
zuerst zu Lasten der älteren Beschäftigten vorgenommen werden“, sagt | |
Steinberger. | |
Nicht nur deshalb kündigt die Gewerkschaft an, in den kommenden Wochen bei | |
Könecke mit Streiks in den Arbeitskampf zu ziehen: Aus Sicht der NGG hat | |
der Konflikt auch bundesweit Bedeutung. „Ein lokaler Tarifvertrag könnte | |
zum Präzedenzfall für einen bundesweiten Tarifvertrag werden“, sagt | |
Steinberger. Denn einen Tarifvertrag will auch die Arbeitgeberseite in der | |
Fleischindustrie seit Kurzem unbedingt. | |
Das hatte der Fleischbaron Clemens Tönnies, dessen Holding die | |
Zur-Wiesen-Gruppe besitzt (siehe Kasten), bereits im vergangenen Herbst | |
deutlich gemacht. Ziel sei es, in der gesamten Fleischbranche in | |
Deutschland einen ordentlichen tariflichen Mindeststandard zu schaffen. | |
„Damit bekommen wir Wettbewerbsgleichheit, zumindest im deutschen Markt“, | |
begründete Clemens Tönnies im vorigen September den Vorstoß für eine | |
nationale Regelung. | |
Aus Gewerkschaftssicht gibt es prinzipiell nichts einzuwenden gegen einen | |
bundesweiten Tarifvertrag. Skeptisch ist die NGG jedoch, ob die | |
Fleischindustrie an für die Beschäftigten guten Arbeitsverträge | |
interessiert ist. | |
3 Mar 2021 | |
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## AUTOREN | |
André Zuschlag | |
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