# taz.de -- Angriffe auf Politiker:innen: „Solidarität ist die Antwort“ | |
> Vereinsvorsitzende und Bischöfe sollten Betroffenen rechter Gewalt | |
> Unterstützung anbieten, sagt Extremismusexperte David Begrich im | |
> Interview. | |
Bild: Lässt sich wieder aufbauen: umgekipptes Europawahlplakat in Leipzig | |
taz: Herr Begrich, [1][Sie warnen seit Langem vor der Ausbreitung des | |
Rechtsextremismus]. Der [2][Angriff auf den sächsischen | |
SPD-Europaspitzenkandidaten Matthias Ecke] in Dresden und Bedrohungen | |
weiterer Wahlkämpfender, sind das Taten, die Sie befürchtet haben? | |
David Begrich: Ja, so etwas war leider zu befürchten. Weil wir seit Jahren | |
in bestimmten Regionen der Bundesrepublik, und insbesondere in | |
Ostdeutschland, eine Zunahme von Angriffen nicht nur auf Politikerinnen und | |
Politiker erleben, sondern auf Engagierte generell – ehrenamtliche | |
Bürgermeister oder Vertreter von Vereinen und Verbänden. Und zwar immer | |
dann, wenn diese Personen kenntlich machen, dass sie für die Demokratie | |
eintreten. Insofern hat mich das leider nicht überrascht. | |
Bundesinnenministerin Nancy Faeser spricht von einer „neuen Dimension | |
antidemokratischer Gewalt“. Das sehen Sie nicht so? | |
Nein. Natürlich erleben wir nicht jeden Tag solch schwere Gewalttaten. Aber | |
ich will daran erinnern, dass wir schon seit Jahren etwa körperliche | |
Angriffe auf Journalisten und Journalistinnen erleben, die in Sachsen über | |
die rechten Montagsdemonstrationen berichten. Oder denken Sie zurück an die | |
Wahlkämpfe Ende der Neunziger Jahre in Ostdeutschland, da gab es ähnliche | |
Situationen, als Neonazis aus dem NPD-Umfeld gewalttätig wurden. Der | |
Angriff auf Matthias Ecke ist daher Teil einer langen Kontinuität, nicht | |
eine Ausnahme. | |
Wer trägt die Verantwortung für die wieder aufbrechende Gewalt? Die AfD? | |
Man muss vor allem auf das Vorfeldmilieu der AfD gucken, das in den | |
ostdeutschen Klein- und Mittelstädten seit 2016 ununterbrochen auf die | |
Straße geht, vorzugsweise montags, und einen Radikalisierungsverlauf | |
hingelegt hat, der seinesgleichen sucht. Da gibt es rechts der AfD die | |
Freien Sachsen, die um ein erhebliches radikaler sind, in ihren | |
Ausdrucksmitteln oder Aufrufen zu Gewalttaten. Vor allem die Grünen trifft | |
eine völlig verachtende Rhetorik – was in Ostdeutschland sehr breite | |
Resonanz findet. Das ist der Nährboden, auf dem Enthemmung entsteht und | |
dann auch solche Taten wie in Dresden. | |
Gegen die Grünen hört man auch aus der Union scharfe Polemiken. Tragen | |
demokratische Parteien eine Mitschuld? | |
Kontroversität und Polemik gehört zum politischen Geschäft. Aber die | |
Wortwahl in der politischen Auseinandersetzung trifft auf einen | |
Resonanzraum, in dem Herabwürdigung und Radikalisierung Platz greifen. | |
Heißt: Sorgsam mit Worten in der politischen Auseinandersetzung sein! | |
Zuletzt gab es Angriffe auf Politiker auch im Westen, in Essen oder | |
Nordhorn. Die Gewalt ist also nichts spezifisch Ostdeutsches? | |
Es gibt in den Bundesländern spezifische Ursachen und natürlich gibt es | |
auch in Westdeutschland Übergriffe. Aber das darf uns nicht davon ablenken, | |
dass wir in Ostdeutschland doch eine noch weiterreichende, auch | |
sozialwissenschaftlich belegte Verächtlichmachung der Parteien und | |
Demokratiedistanz erleben, die weit stärker in die Mitte der Gesellschaft | |
hineinreicht als das in Westdeutschland der Fall ist. | |
Nach den Angriffen gab es spontane Solidaritätskundgebungen in Dresden und | |
Berlin, auch mit Auftritten von [3][Spitzenpolitikern wie Hendrik Wüst], | |
Lars Klingbeil oder Katrin Göring-Eckardt. Ein wichtiges Zeichen? | |
Ja, das ist ein Zeichen, aber mehr auch nicht. Ich hätte mir gewünscht, | |
dass in Berlin – wie es in Dresden geschehen ist – die Politprominenten | |
denjenigen eine Stimme gegeben hätten, die in den Regionen von den | |
Bedrohungen betroffen sind. Eine Bundestagsvizepräsidentin hat, völlig zu | |
Recht, einen Dienstwagen und Polizeischutz, der sie wieder sicher nach | |
Hause bringt. Ein ehrenamtlicher Bürgermeister, der mit dem Fahrrad durch | |
die Stadt radelt, hat das nicht. Diese Menschen sind aber diejenigen, die | |
jetzt gefährdet sind – und die unsere Aufmerksamkeit brauchen. | |
Gerade in Teilen Ostdeutschlands hat die AfD weiter Zulauf, ebenso die | |
Freien Sachsen. Kriegt man die Stimmung überhaupt noch eingefangen? | |
Man kriegt das jedenfalls nicht eingefangen, wenn man jetzt nur die nächste | |
Pressemitteilung schreibt, in der alle nochmal ihre Solidarität bekunden. | |
Das ist wichtig und notwendig, aber nicht ausreichend. Was es braucht, ist, | |
dass diejenigen, die in den Regionen ihr Gesicht für die Demokratie in den | |
Wind halten, die tatsächliche Rückendeckung ihrer Institutionen bekommen – | |
seien es Parteien, Kirchengemeinden oder Initiativen von unten. Das heißt | |
konkrete Unterstützung. | |
Ich habe zu oft mit Menschen gesprochen, die erzählten, ihre Institutionen | |
bekämen das eigentlich gar nicht mit, wenn sie angegriffen werden. Da gibt | |
es eine unendliche Langsamkeit der Reaktionen. Es muss aber klar sein, wenn | |
Vertreter demokratischer Institutionen angegriffen werden, dann müssen | |
diese Institutionen hörbar und sichtbar sein. Es darf nicht der Hauch des | |
Eindrucks entstehen, dass der attackierte Bürgermeister, die | |
Jugendsozialarbeiterin oder ein Übungsleiter in solch einer Situation | |
alleine ist. | |
Was sagt es aus, dass viele Betroffene dennoch diesen Eindruck schildern? | |
Das kann unterschiedliche Ursachen haben. Entweder wird die Bedrohung von | |
den Institutionen wirklich nicht wahrgenommen. Oder dort wird oft gedacht, | |
ach, da wird sich schon jemand kümmern. Darauf würde ich mich aber nicht | |
verlassen, sondern als Vereinsvorsitzender, Bischof oder Schuldirektor | |
lieber einmal mehr zum Telefon greifen als einmal zu wenig und bei den | |
Betroffenen nachfragen, was sie an konkreter Unterstützung brauchen. Es | |
darf nicht sein, dass am Ende des Tages die Betroffenen ihre zerstochenen | |
Reifen von der eigenen Versicherung bezahlen müssen. | |
Reicht das? Gefordert wird auch mehr Polizeischutz für die Wahlkämpfenden | |
oder eine Strafverschärfung. Zu Recht? | |
Strafverschärfungen? Es gibt doch hinreichend Instrumentarien, um solche | |
Vorgänge zu verfolgen. Und Demokratie lebt nicht davon, dass sie unter | |
Polizeischutz stattfindet, sondern dass sie ein offener Austausch ist. | |
Natürlich kann man Veranstaltungen mit der Polizei schützen, aber ich | |
möchte keinen Bürgerdialog erleben, an dem man nur nach einer Kontrolle | |
durch die Bereitschaftspolizei mitwirken kann. Das kann nicht die Antwort | |
sein. | |
Was wäre dann die Antwort? | |
Solidarität ist die Antwort. Es kann nur eine zivilgesellschaftliche | |
Antwort geben. Eine aus der politischen Bildung, aus der Arbeit vor Ort, | |
ein Zusammenrücken der demokratischen Akteure. | |
Sehen Sie, dass das ausreichend geschieht? | |
Mein Eindruck ist, dass das Problembewusstsein für kommende Gefahren | |
wächst. | |
Braucht es auch mehr Prävention? Etwa mit dem schon lange geforderten | |
Demokratiefördergesetz, das Projekte langfristig absichert? | |
Das ist Gegenstand der politischen Debatte. Ganz klar: Die Arbeit für | |
Demokratie gerade in Ostdeutschland braucht Planungssicherheit und | |
Rückendeckung, ja. Und da ist es befremdlich, wenn das | |
Demokratiefördergesetz schon seit zehn Jahren versprochen wird, aber nie | |
eingelöst. | |
Zu Jahresbeginn gab es bundesweit große Demonstrationen gegen | |
Rechtsextremismus. Ist deren Wirkung jetzt schon wieder verpufft? | |
Die Demonstrationen waren ein wichtiges Zeichen der Ermutigung. Aber sie | |
kamen gewissermaßen zu früh. Das Wahljahr ist lang. Die Zivilgesellschaft | |
muss zeigen, dass ihr Atem länger ist als jener der extremen Rechten. Das | |
ist ein Kraftakt. Jetzt gilt es, potenziell bedrohten ostdeutschen Kultur- | |
und Jugendinitiativen Gehör zu verschaffen. So wie es etwa die Berliner | |
Initiative Netzwerk Polylux tut. | |
Derzeit laufen die Wahlkämpfe für die Europa- und einige Kommunalwahlen, im | |
Herbst folgen dann die Landtagswahlen in [4][Thüringen], [5][Sachsen] und | |
Brandenburg. Müssen wir mit weiteren Gewalttaten rechnen? | |
Wir müssen uns darauf einstellen, dass die Auseinandersetzungen im | |
Wahlkampf härter werden. Ich fürchte, dass es weitere Gewalttaten geben | |
wird. Umso wichtiger ist das Momentum der Sensibilisierung derzeit. Und | |
dass Parteien, die ihre Ehrenamtlichen losschicken zum Plakate aufhängen | |
oder Handzettel verteilen, eine intensive Vor- und Nachbereitung dieser | |
Touren anbieten, auch Gesprächsangebote der Nachsorge, um eventuelle | |
Angriffe zu verarbeiten. Niemand sollte den Stresstest für die Demokratie | |
in diesem Jahr unterschätzen. Niemand! | |
11 May 2024 | |
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## AUTOREN | |
Konrad Litschko | |
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