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# taz.de -- Gegen Attacken im Wahlkampf: „Jetzt erst recht!“
> Im deutschen Europawahlkampf häufen sich Angriffe auf Politiker:innen
> – oft auf Menschen mit Migrationshintergrund. Ein Blick nach NRW.
Bild: Anschlag auf ein EU-Wahlplakat der Grünen in Berlin
Bochum/Telgte taz | „Ein mulmiges Gefühl habe ich schon“, sagt die Grüne
Anna di Bari mitten im Europawahlkampf. Unter einem großen grünen Schirm
mit dem Sonnenblumen-Logo ihrer Partei steht die 23-Jährige in der Bochumer
Innenstadt, verteilt Flyer – und redet über Angriffe auf Politiker:innen,
die längst keine Einzelfälle mehr sind. Nein, körperlich angegriffen worden
wie Sachsens SPD-Spitzenkandidat [1][Matthias Ecke], wie Essens dritter
Bürgermeister [2][Rolf Fliß] und sein Parteifreund, der grüne
Bundestagsabgeordnete Kai Gehring, oder wie Berlins
SPD-Wirtschaftssenatorin [3][Franziska Giffey] sei sie noch nicht, erklärt
di Bari.
Trotzdem habe die Gewalt auch sie vorsichtig und wachsam werden lassen: „Da
ist etwas gekippt“, sagt die Grüne, die ihre Partei im Bochumer Stadtrat
vertritt. „Die Grenze, hinter der man physisch bedrängt wird, ist offenbar
schmal geworden.“ „Ganz krass“ seien „die Bedrohungen und Beleidigungen…
vor allem im Netz, sagt di Bari, von der nicht wenige im Ruhrgebiet
glauben, dass sie für den nächsten Bundestag kandidieren könnte.
Als „Kriegstreiber:innen“, als „Linksfaschist:innen“ würden sie und ih…
Parteifreund:innen beschimpft. Ihr Engagement für den [4][Verein Sea
Eye], der im Mittelmeer Geflüchtete aus Seenot rettet, werde als
„Unterstützung von Schlepperbanden“ interpretiert. „Mörderin“ werde s…
deshalb genannt, sagt die stellvertretende Sprecherin der
Bundesarbeitsgemeinschaft Migration und Flucht der Grünen.„Beendet Euer
Leben bitte, ich helf’ Euch dabei“, habe unter einem ihrer Videos
gestanden, sagt die Enkelin eines italienischen und eines serbischen
Migranten. Und bei einem anonymen Anruf habe eine verzerrte Stimme immer
wieder gefragt: „Wo bist du?“
Wirkung zeige das vor allem bei neuen Parteimitgliedern, die bei den Grünen
noch nicht so gut vernetzt sind: „Manche sage dann etwa: Haustürwahlkampf
kann ich mir nicht vorstellen.“
## Die Grünen werden am meisten attackiert
Unbegründet ist die Vorsicht nicht. Keine Partei wird derzeit häufiger
attackiert [5][als die Grünen]. Allein in Nordrhein-Westfalen zählte die
Polizei in diesem Jahr bereits 38 Angriffe auf deren Einrichtungen, Gebäude
oder Parteirepräsentanten. Die AfD, die sich – wie zuletzt am Dienstag beim
Messerangriff eines offenbar psychisch Kranken auf einen ihrer
Gemeinderatskandidaten in Mannheim – gern selbst als Hauptopfer „Politisch
motivierter Kriminalität“ (PMK) stilisiert, traf es NRW-weit in diesem Jahr
36-mal.
Die CDU wurde laut NRW-Innenministerium 11-mal, die FDP 7-mal, die
Linkspartei dagegen nur einmal angegriffen – was auch daran liegen dürfte,
dass die Linken etwa die Zerstörung von Wahlplakaten, aber auch massive
Beleidigungen gar nicht mehr zur Anzeige bringen. Auch bei der SPD scheinen
die 17 in diesem Jahr von der Polizei dokumentierten PMK-Fälle nur die
Spitze des Eisbergs. Zwar habe es bisher keine körperlichen Angriffe auf
sozialdemokratische Europawahlkämpfer:innen gegeben, sagt die
Co-Landesvorsitzende Sarah Philipp.
„Vor unserem Parteibüro in Mönchengladbach wurde aber ein Stapel alter
Zeitungen abgelegt und mit einer brennbaren Flüssigkeit übergossen“, sagt
die Landtagsabgeordnete. „Daneben lag eine Schachtel Streichhölzer – dabei
lebt über dem Büro eine Familie.“ Außerdem seien „so viele Wahlplakate
beschädigt und zerstört worden wie nie zuvor“, klagt Philipp: Die
SPD-Werbung wurde etwa mit dem Schriftzug „AFD“, Hakenkreuzen oder der vom
rechtsextremen Thüringer AfD-Chef Björn [6][Höcke benutzten Parole von
Hitlers SA, „Alles für Deutschland“], beschmiert.
Selbst im wohlhabenden Münsterland wurde der in Kamerun geborene
SPD-Europakandidat Gilbert Wamba rassistisch beleidigt: „Auf ein Wahlplakat
mit meinem Gesicht wurde das N-Wort geschmiert“, erzählt der
Maschinenbau-Ingenieur, der seit 25 Jahren in Deutschland lebt, am
Wahlkampfstand im katholischen Wallfahrtsort Telgte im Kreis Warendorf. Und
über eines seiner Wahlplakate hat die AfD ihren Spruch „Asylchaos beenden“
gehängt. Ein Foto davon wurde von der Facebookseite „AfD im Stauferkreis
Göppingen“, 500 Kilometer entfernt in Baden-Württemberg, gepostet.
## „Keine Lust auf Opferrolle“
Was folgte, waren mittlerweile zwar gelöschte, aber dokumentierte weitere
rassistische Sprüche: „Ist das ein Wahlplakat aus dem Kongo“, fragte eine
Kommentatorin, „Was ist die SPD tief gesunken“, hetzte ein anderer. Wamba
selbst lässt sich davon nicht einschüchtern. „Ich habe keine Lust auf die
Opferrolle, werde die Politik ganz bestimmt nicht verlassen“, sagt er.
Natürlich müssten „Angriffe und Beleidigungen konsequent geahndet“ werden,
müsse „die juristische Strafverfolgung schnell gehen“, fordert auch die
SPD-Landeschefin Philipp, die Wamba am Wahlkampfstand auf dem Telgter
Marktplatz unterstützt. Verängstigt seien die Sozialdemokraten nicht.
„Jetzt erst recht“: Das sei die Stimmung, die in der Partei vorherrsche,
sagt Philipp – und klingt wie die Grüne Anna di Bari: „Wir machen“,
verspricht auch die Bochumerin, „auf jeden Fall weiter“.
7 Jun 2024
## LINKS
[1] /Rechter-Angriff-in-Dresden/!6008416
[2] /Angriffe-gegen-politisch-Engagierte/!6009456
[3] /Angriffe-auf-Politikerinnen/!6009426
[4] https://sea-eye.org/
[5] /BKA-Chef-Muench-zu-Gewalt-im-Wahlkampf/!6010030
[6] /Urteil-gegen-AfD-Politiker/!6009855
## AUTOREN
Andreas Wyputta
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