| # taz.de -- Angriffe auf CSDs: Wer stört hier wen? | |
| > Rechtsextreme Angriffe auf queere Feste in der Provinz nehmen zu. Vor Ort | |
| > lässt sich dennoch kaum jemand unterkriegen. | |
| Bild: Max Armonies (rechts), Organisator:in des CSD in Eberswalde | |
| Eberswalde, Bad Freienwalde und Berlin taz | Max Armonies, Sonnenbrille, | |
| Sneaker, Schmetterlingstattoo, düst mit einem schwarzen VW Polo durch die | |
| Altstadt von Eberswalde. Am Samstag soll hier im Norden Brandenburgs eine | |
| queere Parade durch die Straßen ziehen. Armonies, 27, Student:in des | |
| Holzingenieurwesens, organisiert den CSD mit und hat es eilig. Um 12 Uhr | |
| ist Vorlesung, Materialkunde, vorher müssen noch Soli-T-Shirts ausgeliefert | |
| und Funkgeräte abgeholt werden. Für die Ordner:innen auf der bunten | |
| Demo. | |
| [1][Rechtsextreme hatten am Sonntag die Kundgebung „Bad Freienwalde bleibt | |
| bunt“ angegriffen], nur ein paar Kilometer entfernt. Seitdem ist die Lage | |
| für den CSD in Eberswalde eine andere, auch die Polizei weiß das und hat | |
| sich bei den Organisator:innen schon gemeldet. „Der Angriff in | |
| Freienwalde hat uns natürlich nicht kaltgelassen“, sagt Armonies, „es hat | |
| uns belastet und erschüttert.“ Überrascht sind die Brandenburger Queers | |
| jedoch nicht. | |
| Schon in der CSD-Saison 2024 fiel eine [2][neue Generation junger | |
| Neonazis] auf, organisiert in miteinander verbundenen Gruppen. Sie sind | |
| vor allem im Osten Deutschlands aktiv, aber auch im Rest der Republik. Hass | |
| gegen Juden und Migrant:innen, Hass gegen alles Linke und Queere eint sie. | |
| 2024 kamen gegen den CSD Bautzen 700 Rechtsextreme zusammen, in Görlitz | |
| skandierten sie: „HIV, hilf uns doch, Schwule gibt es immer noch!“ Die | |
| Parade in Gelsenkirchen wurde Mitte Mai wegen Drohungen abgesagt, in | |
| Wernigerode gab es Gewaltdrohungen eines 20-Jährigen. Erst diese Woche hat | |
| der CSD [3][Regensburg entschiedenen, den Umzug in eine Kundgebung | |
| umzuwandeln] – wegen einer „abstrakten Bedrohungslage“. | |
| ## Supermilitante Angreifer | |
| In Bad Freienwalde wurde es vor einer Woche ganz konkret. Unter den alten | |
| Bäumen auf dem Marktplatz der „ältesten Kurstadt in der Mark Brandenburg“ | |
| ist es jetzt, am Mittwochnachmittag, ruhig. Jule Grienitz vom Bündnis „Bad | |
| Freienwalde bleibt bunt“ hat den Angriff am Sonntag erlebt. „Er kam, kurz | |
| bevor es losgehen sollte“, sagt Grienitz auf einer Bank vor dem Rathaus. | |
| Die Omas gegen Rechts hatten schon ihren Stand aufgebaut, Schüler:innen, | |
| die Kuchen verkaufen wollten, eine kirchliche Stiftung, die sich um | |
| Menschen mit Behinderung kümmert, eine Dragqueen waren da, wie in den vier | |
| Jahren zuvor auch. „Uns geht es um Vielfalt, und dazu gehört eine queere | |
| Community, aber eben auch migrantische Menschen und Kultur, Menschen mit | |
| oder ohne Behinderung und verschiedenen Alters“, sagt Grienitz, die als | |
| Sozialarbeiterin in der Kleinstadt arbeitet. | |
| Knapp ein Dutzend Angreifer seien dann auf den Platz gestürmt. „Die sahen | |
| supermilitant aus. Ich habe schon Angriffe erlebt, aber in so einer | |
| Dimension noch nicht.“ Die Vermummten hätten Schlagstöcke getragen. Und | |
| Quartzhandschuhe, die Faustschlägen mehr Wucht verleihen sollen. Die | |
| Angreifer schlugen zwei Personen ins Gesicht, vier wurden verletzt. | |
| Auch Karim gehört zum Bündnis, möchte als queere Person aber nicht den | |
| echten Namen in der Zeitung stehen haben. „Ich glaube, wir hatten Glück“, | |
| sagt Karim. „Wir vom Team waren alle schon da und mit dem Aufbau fertig. | |
| Unsere Ordner konnten sofort eingreifen.“ Die Angreifer flüchteten so | |
| schnell, wie sie da waren, das ist auf [4][einem Video des RBB] zu sehen. | |
| Unter anderem ein geschwungener Kochtopf hat offenbar Eindruck gemacht. | |
| Und die Polizei? Die war zunächst nicht auf dem Platz. Obwohl das Bündnis | |
| zuvor angezeigt hatte, dass viele der regenbogenfarbenen Plakate für die | |
| Kundgebung abgerissen wurden. Obwohl die neonazistische Kleinstpartei | |
| Dritter Weg im Februar über das Bündnis schrieb, dass diesem „antideutschen | |
| Milieu […] das Handwerk gelegt werden“ müsse. | |
| Am Nachmittag erst sicherten schwer bewaffnete Bundespolizist:innen | |
| den Marktplatz, eigentlich kontrollieren sie gerade die nahe gelegene | |
| Grenze zu Polen. Das Bündnis konnte sein Vielfaltsfest feiern, richtig | |
| schön sei es noch geworden, sagt Grienitz. Auch wenn der Schrecken tief | |
| saß, besonders bei den Kindern. Das Bertolt-Brecht-Gymnasium in der Stadt | |
| ließ sich trotzdem nicht von seiner „Pride Week“ abhalten. Bei einer | |
| Filmvorführung zum lesbischen Leben in der DDR bewachten am Montag | |
| allerdings Polizist:innen die Schule. Auch am Marktplatz demonstriert | |
| die Polizei jetzt nachträglich Präsenz. | |
| Vom Bürgermeister lässt sich das nicht behaupten. Ralf Lehmann von der CDU | |
| war eingeladen zur bunten Kundgebung, doch selbst nach dem Vorfall zeigte | |
| er sich nicht auf den Platz vor seinem Rathaus. Tags darauf [5][sprach | |
| Lehmann im RBB-Fernsehen von einer „Störung“], nicht von einem Angriff. Ein | |
| Ordner habe einen Störer festgehalten, der Mann zugeschlagen: „Wer will | |
| denn wen jetzt verurteilen und wofür?“ Von Verharmlosung spricht der | |
| Freienwalder Verein „Wir packen’s an“ [6][in einem offenen Brief]: „War… | |
| unterstützen Sie nicht den ehrenamtlichen Einsatz für eine vielfältige, | |
| lebenswerte Stadt?“ Ja, warum? Drinnen im Rathaus sagt eine | |
| Reinigungskraft, dass der Bürgermeister schon weg sei, überhaupt sei | |
| Mittwoch kein Sprechtag. Auf eine schriftliche Anfrage der taz antwortet | |
| Lehmann nicht. | |
| Anders als der Bürgermeister kam der parteilose brandenburgische | |
| Innenminister am Sonntag spontan nach Bad Freienwalde. „Dass sich so etwas | |
| im öffentlichen Raum getraut wird, hat es seit Jahren nicht gegeben“, | |
| [7][sagte René Wilke wenig später der taz]. „Es gab schon vorher Vorfälle, | |
| wo es am Rande von solchen Veranstaltungen Störungen gab, das habe ich | |
| selbst erlebt. Aber was wir in Bad Freienwalde gesehen haben, hat eine | |
| völlig andere Qualität. Und es ist kein Einzelfall.“ | |
| 2024 veröffentlichte das Bundesinnenministerium [8][einen Bericht zur | |
| kriminalitätsbezogenen Sicherheit von Queers]. Queerfeindliche | |
| Hasskriminalität sei „auch eine Gefahr für die innere Sicherheit und für | |
| unsere Gesellschaft“, heißt es darin. Die Straftaten haben sich seit 2010 | |
| nahezu verzehnfacht, der überwiegende Teil der Verdächtigen ist männlich, | |
| deutsch und in jedem dritten Fall politisch rechts motiviert. | |
| Auf der Bank vor dem Rathaus von Bad Freienwalde sitzen mittlerweile zwei | |
| Männer Anfang 20. Tätowierte Arme, Bierchen in der Hand. Angesichts der | |
| vielen Beamten diskutieren die beiden, ob Frauen als Polizistinnen taugen. | |
| Einer fragt: | |
| „Ist da ’ne Demo?“ | |
| Das ist wegen des Vorfalls am Sonntag, wart ihr dabei? | |
| „Nee, aber ich weiß zu hundert Prozent, wer das war.“ | |
| Willst du das der Zeitung verraten? | |
| „Nee, ich kenn die, ich krieg Ärger.“ | |
| Tatsächlich wurde mittlerweile die Wohnung eines Tatverdächtigen durchsucht | |
| und auch die seiner Eltern. Berichten zufolge soll der 21-Jährige zum | |
| Dritten Weg gehören. Der junge Mann hier auf dem Marktplatz erzählt stolz, | |
| dass seine Tochter in vier Wochen ein Jahr alt werde, dass er sich viel um | |
| sie kümmere. | |
| „Das geht nicht, dass die da so ein Regenbogenfest machen und den Kinder | |
| sagen: Ist okay, wenn man nicht weiß, was man ist. Es gibt Jungen, und es | |
| gibt Mädchen. Punkt.“ | |
| Aber ist es nicht feige, eine Veranstaltung vermummt anzugreifen? | |
| „Geht gar nicht, wenn da Kinder auf dem Fest sind. Sonst? Na ja.“ | |
| In Bad Freienwalde gingen bei der letzten Bundestagswahl 40 Prozent der | |
| Stimmen an die AfD. Schon 2023 hatte die Partei begonnen, gegen queere | |
| Events zu Felde zu ziehen, dem regenbogenfarbenen Pride-Month begegnet sie | |
| mit einem schwarz-rot-goldenen „Stolz-Monat“. Der Dritte Weg tut es ihr | |
| gleich, die NPD-Nachfolgerin Die Heimat auch. Gerade junge Männer lassen | |
| sich durch Queerfeindlichkeit rekrutieren, so das Kalkül. | |
| Dass die AfD Brandenburg nach dem Angriff vom Sonntag recht schnell sagte: | |
| „Gewalt ist niemals zu rechtfertigen“, ist für die Aktiven des bunten | |
| Bündnisses in Bad Freienwalde nur vorgeschoben. „Es steht ein | |
| Verbotsverfahren im Raum, die wollen einfach nicht auffallen. Alles | |
| Theater“. | |
| Auch der örtliche AfDler Lars Günther verurteilte in einem Video die Gewalt | |
| auf dem Marktplatz, nur um anschließend von der Kundgebung als einem | |
| „Gendergaga-Schauspiel“ zu sprechen und den ganzen Angriff als | |
| „Inszenierung“ in Zweifel zu ziehen – Verharmlosung nach Vorbild des | |
| CDU-Bürgermeisters. | |
| CDU-Bundestagspräsidentin Julia Klöckner verbot unterdessen, dass das | |
| Regenbogennetzwerk der Bundestagsverwaltung, ein Zusammenschluss queerer | |
| Mitarbeiter:innen der Bundestagsverwaltung, [9][als Gruppe auf dem | |
| Berliner CSD mitläuft]. Schon vorher hatte die zweite Frau im Staat bekannt | |
| gegeben, die Regenbogenfahne nicht mehr hissen zu wollen. | |
| Berlin-Tempelhof. Mit einer Regenbogenfahne in ihrer Mitte laufen rund 40 | |
| junge Menschen durch eine Werkshalle auf dem alten Flughafengelände. | |
| Plötzlich mischen sich zwei Pöbler in die Gruppe. Wie damit umgehen, ohne | |
| Gewalt, ohne die Störer zu provozieren? Das üben sie hier bei einem der | |
| Demotrainings des Bündnisses Widersetzen. | |
| Die Stimmung ist locker, das Schuhwerk fest trotz der Hitze. Wo Staat und | |
| Polizei nicht zur Stelle sind, wollen sie CSDs schützen. „Wenn jemand | |
| Gegenstände in die Kundgebung wirft, schützt euren Kopf, werft nichts | |
| zurück, auch wenn es in den Fingern juckt“, sagt die Trainerin. | |
| Vollvermummung ist tabu, man will nicht als Schwarzer Block auftreten. | |
| „Alle Ausfälle fallen zurück auf die queeren Menschen vor Ort.“ | |
| Einige sind hier in Vorbereitung auf die Marzahn Pride an diesem Samstag, | |
| die von Deutsche Jugend Voran bedroht wird. Eine Gruppe Abiturienten will | |
| zum ersten CSD in Wittenberg fahren. Die Jungen Nationalisten mobilisieren | |
| dorthin unter dem Motto „Heimat, Familien und Nation statt CSD und | |
| Perversion“. Der größte Teil der frisch Trainierten will am Samstag nach | |
| Eberswalde. | |
| Gegen den dortigen CSD mobilisierte der mutmaßlich mit der Deutschen Jugend | |
| Voran vernetzte AfD-Stadtverordnete Maximilian Fritsche, zunächst unter dem | |
| Motto „Keine Frühsexualisierung und Indoktrination von Kindern!“. In | |
| anderen, verharmlosenden Ankündigungen ist nur von einem „Sommerfest“ die | |
| Rede. Mit dabei: die Landtagabgeordnete Lena Kotré, die im Wahlkampf kleine | |
| Nahkampfwaffen verteilt hat. | |
| In Eberswalde ist Max Armonies froh über die Unterstützung aus Berlin. Mit | |
| bis zu 2.000 Teilnehmenden rechnet das CSD-Team hier. „Eigentlich wollen | |
| wir uns auf die Polizei verlassen können“, sagt Armonies. „Ob das | |
| funktioniert, steht auf einem anderen Blatt.“ Zumindest hängt hier, zur | |
| Feier des Tages, der Bürgermeister die Regenbogenfahne ans Rathaus. | |
| 21 Jun 2025 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Rechter-Angriff-in-Brandenburg-/!6094093 | |
| [2] /Gewalt-gegen-Wohnprojekte/!6089879 | |
| [3] /Wachsende-Queerfeindlichkeit/!6094976 | |
| [4] https://www.rbb24.de/politik/beitrag/av7/video-brandenburg-bad-freienwalde-… | |
| [5] https://youtu.be/I-_pge9sA5o?t=70 | |
| [6] https://wir-packens-an.info/offener-brief-ralf-lehmann/ | |
| [7] /Minister-ueber-Angriff-in-Bad-Freienwalde/!6094936 | |
| [8] https://www.bmi.bund.de/SharedDocs/downloads/DE/publikationen/themen/sicher… | |
| [9] /CSD-Absage-des-Bundestags/!6091532 | |
| ## AUTOREN | |
| Stefan Hunglinger | |
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