| # taz.de -- Voreingenommene Ermittlungen?: Bis aufs Messer | |
| > Ein Neonazi, zwei Antifas, drei Schwerverletzte. Bald stehen die beiden | |
| > Linken vor Gericht, dabei gibt es noch eine Version jenes Abends im April | |
| > 2024. | |
| Bild: Tatort Spielplatz: Hier in Berlin-Pankow fand die Polizei den blutenden N… | |
| Am Ende ist da Blut, viel Blut. Eine Lache im Hausflur des graugetünchten | |
| Mietshauses im Nordberliner Stadtteil Pankow. Eine Blutspur von rund 200 | |
| Metern, die sich bis auf die Straße zieht, über einen Spielplatz hinweg, um | |
| eine weitere Ecke bis zu einer Brücke. Am 18. April 2024, ein Donnerstag, | |
| kurz nach 20 Uhr, liegen dort zwei Schwerverletzte, beide Antifaschisten. | |
| Auch sie umgibt eine Blutlache, sie haben tiefe, bis zu 15 Zentimeter lange | |
| Messerstiche in der Brust, im Oberschenkel und am Handrücken. Ein weiterer | |
| Schwerverletzter sitzt auf dem Spielplatz, ein Neonazi von der | |
| Splitterpartei III. Weg. Auch er mit Verletzungen, darunter einer | |
| klaffenden Schnittwunde am linken Unterschenkel. | |
| An jenem Abend waren es alarmierte Polizisten, die den drei Verletzten | |
| Druckverbände anlegten und sie so wohl vor dem Verbluten retteten. Alle | |
| drei Männer mussten operiert werden. Polizisten fanden im Flur des Pankower | |
| Mietshauses die Waffe, die das Blutbad verursachte: ein schwarzes | |
| Klappmesser, blutverschmiert. | |
| Sicherheitsbehörden und Medien ordneten die Auseinandersetzung schnell als | |
| neuen Höhepunkt linksextremer Gewalt ein. Ein Angriff militanter | |
| Antifaschisten auf einen Rechtsextremen. Eine Eskalation. Das | |
| Boulevard-Blatt BZ schrieb, es seien drei Linke gewesen, die auf den | |
| Neonazi „eingestochen“ haben sollen, einer sei flüchtig. Die Bild | |
| spekulierte über einen Angriff der linken „Hammerbande“, weil nahe des | |
| Tatorts auch ein Stoffbeutel mit einem Hammer gefunden worden sei. Als | |
| „[1][Hammerbande]“ wird die frühere Antifa-Gruppe um die Leipzigerin Lina | |
| E. bezeichnet, die mehrere schwere Angriffe auf Neonazis verübte, teils | |
| auch mit Hämmern. | |
| Und auch die Parteifreunde des Neonazis vom III. Weg reihten sich ein und | |
| sprachen von „politischem Terror“. Dann hörte man lange nichts. | |
| ## Umsetzung einer rechten Strategie? | |
| Am 8. Dezember wird nun aber vor dem Amtsgericht Tiergarten ein Prozess zu | |
| der Attacke von Pankow beginnen. Und die Anklage schließt sich dem ersten | |
| Eindruck der Medien und des Neonazis an: Sie richtet sich laut Gericht und | |
| Staatsanwaltschaft ausschließlich gegen die beiden Antifaschisten. | |
| Doch vieles spricht dafür, dass sich die Situation auch anders zugetragen | |
| haben könnte, als es Boulevardmedien und Staatsanwaltschaft verbreiten. Die | |
| taz hat die Ermittlungen nachvollzogen, mit Zeugen gesprochen und sich vor | |
| Ort in der Nachbarschaft kundig gemacht. Demnach gibt es Hinweise darauf, | |
| dass an jenem Abend der Neonazi das Messer geführt und zugestochen haben | |
| könnte – und nicht die Antifaschisten. | |
| Am Tatmesser gibt es nach taz-Informationen keine Fingerabdruckspuren, von | |
| keinem der Beteiligten. Es waren die Anwälte der angeklagten | |
| Antifaschisten, die auf eine Untersuchung des Messers in den Ermittlungen | |
| drängten – um zu zeigen, dass es dem Neonazi gehört habe. Der wiederum war | |
| am Tatabend den Antifaschisten noch bis auf einen Spielplatz | |
| hinterhergejagt. Fragen der Ermittler, wem das Tatmesser gehörte und wer es | |
| einsetzte, ließ er unbeantwortet. Seine Wohnung wurde bis heute, anders als | |
| bei den Antifaschisten, nicht durchsucht. Nach Willen der Anklage soll er | |
| straffrei bleiben, weil er in Notwehr gehandelt habe. | |
| Dabei spricht einiges dafür, dass der Neonazi nicht unvorbereitet in diesen | |
| Abend ging. Die schweren Stichverletzungen könnten auch Umsetzung einer | |
| Strategie sein, welche die Neonaziszene seit einiger Zeit explizit ausgibt: | |
| einen tödlichen Ausgang bei Auseinandersetzungen mit dem politischen Gegner | |
| – unter Ausnutzung von Notwehrsituationen – herbeizuführen. | |
| ## Die Ermittlungsarbeit? „Ein Skandal“ | |
| Lukas Theune und Martina Arndt, die Anwält*innen der Antifaschisten, | |
| sehen es genau so. „Die Ermittlungen wurden so voreingenommen und so zu | |
| Lasten der Angeklagten geführt, wie ich es selten erlebt habe“, kritisiert | |
| Theune. „Unsere Mandanten hatten nichts mit dem Messer zu tun.“ Die | |
| Ermittlungsarbeit sei „ein Skandal“. | |
| Die Berliner Staatsanwaltschaft sieht es anders. Sie wirft den beiden | |
| Antifaschisten eine gemeinschaftliche, schwere Körperverletzung vor. | |
| Zusammen mit einem geflüchteten und bis heute unbekannten Mittäter hätten | |
| die beiden Männer, Anfang dreißig, politisch motiviert, den Neonazi an | |
| besagtem 18. April 2024 im Flur seines Hauses aufgelauert, unvermittelt auf | |
| den 24-Jährigen eingeprügelt und mit einem Messer auf ihn eingestochen. | |
| Dann habe sich die Auseinandersetzung vor die Haustür verlagert, auf den | |
| benachbarten Spielplatz. Selbst als der Neonazi schon am Boden lag, sei er | |
| noch mit einer Glasflasche auf den Hinterkopf geschlagen und mit Reizgas | |
| besprüht worden, so die Anklage. | |
| Die Verletzungen der Antifaschisten – darunter ein potentiell | |
| lebensgefährlicher Stich in die Brust und ein Schnitt in den Oberschenkel – | |
| und wie es zu diesen kam, erwähnt die Anklage nach taz-Informationen | |
| dagegen nicht. Als Opfer wird der Rechtsextremist geführt, der im Prozess | |
| auch als Nebenkläger teilnehmen wird. Die Anklage hält fest: Sofern er es | |
| war, der die beiden Antifaschisten so schwer verletzte, habe er dies aus | |
| Notwehr getan – und bleibe damit straffrei. | |
| Der Neonazi, ein Bauarbeiter, ist schon seit Jahren in der rechtsextremen | |
| Szene aktiv. Fotos zeigen ihn zwischen 2019 und 2021 bei Aktionen der | |
| „Jungen Nationalisten“, dem Jugendverband der NPD, die heute als „Heimat�… | |
| firmiert. Später tauchte er bei Aufmärschen des III. Wegs auf, teils im | |
| grünen Pullover der Partei – nicht nur in Berlin, sondern auch in Sachsen, | |
| Thüringen, Bayern. Er zählt zu den Umtriebigsten der Partei. Bilder zeigen | |
| ihn immer wieder bei Kampfsporttrainings, auch in öffentlichen Parks und | |
| Sportanlagen, teils mit Jugendlichen. | |
| ## Es bleibt nicht beim Training | |
| Das ist beim III. Weg Strategie. Die Partei zielt auf jugendlichen | |
| Nachwuchs – und auf Drill mittels Kampfsport. Sie gehört zu den extremsten | |
| in Deutschland, wurde 2013 von einstigen Kameradschaftlern gegründet, um | |
| Verbote zu umgehen. Das Programm des III. Wegs lehnt sich an die NSDAP an. | |
| Ein Leitbegriff ist dabei immer wieder: der politische Kampf. Die „deutsche | |
| Kultur“ werde „auch mit der Faust“ verteidigt, eine eigene | |
| Arbeitsgemeinschaft heißt „Körper und Geist“. Auf Zeltlagern veranstaltet | |
| die Partei frühmorgendliche Appelle und Boxkämpfe. Vor allem der | |
| Parteinachwuchs, die „Nationalrevolutionäre Jugend“ (NRJ), wird hier | |
| gedrillt. Es sind diese Kreise, in denen sich der 24-Jährige aus Pankow | |
| bewegt. | |
| Und es bleibt nicht beim Training. Immer wieder fallen Mitglieder des III. | |
| Wegs und der NRJ mit Gewalt auf der Straße auf. In Berlin attackierten | |
| Parteianhänger im Juli 2024 am Bahnhof Ostkreuz junge Linke mit | |
| Schlagstöcken, Holzknüppeln und Pfefferspray auf dem Weg zu einer Demo | |
| gegen rechts. Zwei Opfer, 15 und 39 Jahre alt, mussten ins Krankenhaus. | |
| Ende Mai dann versuchten laut Zeugen acht Vermummte mit Bezug zum III. Weg | |
| in eine linke Kneipe mitten im Berliner Szenekiez Friedrichshain, in der | |
| Rigaer Straße, einzudringen – bewaffnet mit Hämmern und Schlagstöcken. Und | |
| im Juni überfielen Vermummte ein Vielfalts-Fest in Bad Freienwalde in | |
| Brandenburg, hier wurden zwei Menschen verletzt. Der einzige Beschuldigte, | |
| den die Staatsanwaltschaft bisher ermitteln konnte: ein Aktivist vom III. | |
| Weg. | |
| Auch der Verfassungsschutz in Brandenburg attestiert der Partei und ihrem | |
| Nachwuchs in seinem Bericht für 2024: „Unter dem Vorwand der | |
| Selbstverteidigung befürwortet die ‚NRJ‘ Gewalt gegen politische Gegner.“ | |
| Bundesweit falle vor allem die Parteijugend in Berlin und Brandenburg | |
| „durch ihr aggressives Auftreten“ und „wiederholt provokative Aktionen | |
| gegen (vermeintliche) politische Gegner“ auf. In mehreren Fällen sei sie | |
| „an gewaltsamen Auseinandersetzungen“ beteiligt gewesen. | |
| ## Mehrfach tatverdächtig | |
| Nach taz-Informationen war auch der 24-jährige Neonazi aus Pankow bereits | |
| bei mehreren Vorfällen Tatverdächtiger. Er soll mit anderen vom III. Weg im | |
| Juli 2023 Teilnehmende eines CSDs in Berlin bedroht haben, teils mit | |
| Flaschen in den Händen, wie es auf dem antifaschistischen Recherche-Blog | |
| „[2][Aus dem Weg]“ heißt. Fotos des Vorfalls lassen für Außenstehende ke… | |
| eindeutige Identifizierung zu. | |
| Ein Jahr später wurde ein öffentliches Kampftraining von ihm und | |
| Parteifreunden in Berlin-Lichtenberg von der Polizei beendet – | |
| beschlagnahmt wurde ein Springmesser. Und im Mai erwischte die Polizei den | |
| 24-Jährigen dann mit einem unerlaubten Tierabwehrspray. Einen Strafbefehl | |
| von 40 Tagessätzen zu je 50 Euro bekam er dafür, also 2.000 Euro. Eine | |
| Anfrage zu den Vorwürfen ließ sein Anwalt unbeantwortet. | |
| Auch am Abend des 18. April 2024 kam der Mann offenbar vom Kampfsport. Nach | |
| taz-Informationen trug er einen Rucksack, darin Boxhandschuhe und III. | |
| Weg-Bekleidung. Wie die Antifaschisten auf ihn aufmerksam wurden, woher sie | |
| seine Adresse kannten, ist ungeklärt. Schon länger aber veröffentlichten | |
| antifaschistische Recherche-Blogs Fotos von Aktivitäten des III. Wegs, auch | |
| von dem 24-Jährigen, der dort als „Kader“ der Szene bezeichnet wird. Die | |
| beiden Antifaschisten werden von Behörden der linksradikalen Szene | |
| zugerechnet. Einer soll an einer Besetzungsaktion beteiligt gewesen sein, | |
| der andere Boxerfahrung haben. Klar ist nur – anhand der Blutspuren und | |
| ihrer Verletzungen –, dass sie schließlich im Flur des Wohnhauses des | |
| Neonazis standen. | |
| Warum und was genau dort geschah, dazu schweigen die beiden Antifaschisten | |
| bisher. Zeugen zu der Situation im Hausflur gibt es offenbar nicht. Deshalb | |
| gibt es bisher nur eine Version der Vorgänge: die des Neonazis. Nach | |
| taz-Informationen schilderte er den Ermittlern über eine schriftliche | |
| Erklärung seines Anwalts den Tatverlauf – genau so, wie er nun in der | |
| Anklage steht. Die Angreifer hätten sich in seinem Haus hinter einer Ecke | |
| versteckt, es seien sogar vier bis sechs Personen gewesen. Dann sei alles | |
| schnell gegangen. Ohne eine Äußerung seien sie auf ihn losgegangen, es habe | |
| einen längeren Kampf gegeben, bis jemand „Abbruch“ gerufen und Pfefferspray | |
| gesprüht habe. Dann habe sich der Kampf vor die Haustür und auf den | |
| Spielplatz verlagert. Er habe versucht, einen Täter festzuhalten, habe aber | |
| weiter Schläge und Tritte eingesteckt. Die Angreifer seien dann geflüchtet, | |
| er habe sich auf eine Bank gesetzt. Alles sei sehr chaotisch gewesen. | |
| ## Wer führte das Messer? | |
| Auf die explizite Frage der Ermittler aber, wer das Messer führte und wem | |
| es gehörte, dazu sollen er und sein Anwalt nichts geantwortet haben. | |
| Auch die Ermittlungen konnten das nicht klären. Zwar fanden sich an dem | |
| Messer Blutspuren von allen drei Beteiligten. Wem die Tatwaffe aber | |
| letztendlich gehörte, blieb offen. Erst nachdem die Verteidiger der | |
| Antifaschisten mehrmals darauf gedrängt hätten, sei das Messer auf | |
| Fingerabdrücke untersucht worden. Entsprechende Spuren konnten da aber | |
| nicht mehr festgestellt werden. | |
| Nach taz-Recherchen gibt es aber Zeugen, die zumindest das Ende der | |
| Auseinandersetzung auf dem Spielplatz beobachteten. Ein Anwohner filmte | |
| sogar das Geschehen von seinem Balkon aus. In dem kurzen Video ist zuerst | |
| ein Gerangel zwischen dem Neonazi und drei schwarz Gekleideten zu sehen. | |
| Dann rennen die Vermummten, teils humpelnd, davon – und der Neonazi | |
| hinterher. Er verfolgt die Vermummten durch ein Zauntor bis auf einen | |
| Spielplatz, wirft irgendwann seinen Rucksack ab, so, als würde er sie noch | |
| schneller einholen wollen. Ein weiterer Zeuge habe einen Ausruf gehört: | |
| „Ich werde dich töten.“ Unklar, von wem. | |
| Der Anwalt des Neonazis, Matthias Bauerfeind, reagierte nicht auf Anfragen | |
| der taz. Auch Bauerfeind ist indes kein Unbekannter: [3][Der Anwalt aus | |
| Bayern ist selbst Teil des III. Wegs], stand dort auch schon hinterm | |
| Rednerpult, war früher bei der NPD aktiv. | |
| Für Lukas Theune, der einen der Angeklagten verteidigt, spreche nach | |
| Aktenlagen dagegen viel dafür, dass es der Neonazi war, der das Messer | |
| eingesetzt habe. „Es war wohl sein Messer. Es gibt daran keine | |
| Fingerabdrücke unserer Mandanten.“ Warum aber waren die Angeklagten in dem | |
| Hausflur? Das werde der Prozess klären müssen, sagte Theune der taz. „Aber | |
| selbst wenn sie einem der gefährlichsten Neonazis von Berlin eine Ansage | |
| hätten machen wollen, rechtfertigt das keinen lebensgefährlichen Angriff | |
| mit einem Messer.“ Und die schwere Verletzung des Neonazis? Die, so Theune, | |
| dürfte er sich selbst bei seinem Angriff zugefügt haben. Theune weist | |
| darauf hin, dass die rechtsextreme Szene sich genau auf ein solches | |
| Szenario wie in Pankow lange vorbereitet hatte. „Der eine Stich erfolgte | |
| wie trainiert in den Oberschenkel, wo eine Hauptarterie verläuft. Unsere | |
| Mandanten hätten sterben können.“ | |
| ## Rechte Pläne, Linke zu töten | |
| Ob sich der Neonazi auch selbst verletzt haben könnte, ist aus | |
| medizinischer Sicht offen. Als übliches Tatmittel militanter | |
| Antifaschist*innen galten Messer bisher jedenfalls nicht – anders als | |
| bei Neonazis. Dafür setzten Autonome zuletzt aber durchaus Schlagstöcke | |
| oder auch Hämmer ein. Ein Hammer soll in einem Beutel in der Nähe der | |
| verletzten Antifaschisten gefunden worden sein. | |
| Zwischenzeitlich rekonstruierten die Ermittler nach taz-Informationen eine | |
| weitere Version des Ablaufs, nach der die Antifaschisten den Neonazi mit | |
| einem Hammer und Fäusten im Hausflur attackiert hätten. Worauf der Neonazi | |
| es gewesen sei, der ein Messer zog und damit die Antifaschisten verletzt | |
| habe. Einem der Angeklagten sei es dann gelungen, dem Neonazi das Messer zu | |
| entreißen, meinen die Ermittler. Er habe den nach ihm tretenden Neonazi | |
| damit am Unterschenkel verletzt und das Messer fallen lassen. In der | |
| finalen Anklage aber ist nur noch die Rede davon, dass die beiden | |
| Antifaschisten das Messer besaßen und einsetzten. | |
| Wofür es Belege gibt: In der rechtsextremen Szene wurde sich schon länger | |
| auf solche Angriffe von Linksradikalen vorbereitet, auch mit Plänen, in | |
| solch einem Fall Linke zu töten. | |
| 2016 hatten Rechtsextreme in Leipzig-Connewitz die Wolfgang-Heinze-Straße | |
| gestürmt und dort Geschäfte und Passanten angegriffen. Eine Gruppe | |
| Linksradikaler um die Leipziger Lina E. und Johann G. antworteten ab 2018 | |
| mit militanten Überfällen auf Neonazis in Thüringen und Sachsen. Lina E. | |
| und drei Mitangeklagte wurden dafür im Jahr 2023 zu bis zu gut fünf Jahren | |
| Haft verurteilt. Johann G. war da noch flüchtig – in Kürze wird er nun in | |
| Dresden vor Gericht stehen. Im Februar 2023 gab es zudem Attacken auf | |
| Rechtsextreme in Budapest, wo sich alljährlich Neonazis aus Europa zu einem | |
| Großaufmarsch versammeln. Eine in dem Fall Beschuldigte, Hanna S., wurde | |
| zuletzt in München zu fünf Jahren Haft verurteilt. Gegen eine weitere | |
| beschuldigte Person, [4][Maja T., läuft in Ungarn ein Prozess. Bis zu 24 | |
| Jahre Haft drohen T]. | |
| ## Das Szenemagazin heißt NS Heute | |
| In der rechtsextremen Szene wurde nach den Angriffen Rache geschworen. | |
| Schon 2021 äußerte sich etwa der Thüringer Szenekader Thorsten Heise, | |
| damals wie heute Bundesvizechef der NPD/Heimat, ebenso wie der damalige | |
| Thüringer NPD/Heimat-Funktionär Patrick Wieschke, der forderte: | |
| „Deutschland braucht jetzt keine Tastaturkrieger mehr, sondern Männer.“ | |
| Tatsächlich hatte der Eisenacher Neonazi Leon R. bereits bei einem der | |
| Angriffe durch die Gruppe um Lina E. ein Messer gezogen. Die Antifas ließen | |
| daraufhin von ihm ab, griffen aber noch drei Rechtsextreme an, die Leon R. | |
| zu Hilfe eilen wollten. Später standen Leon R. und seine Kampfsportgruppe | |
| „Knockout51“ selbst vor Gericht. Die Bundesanwaltschaft warf ihnen vor, | |
| gewaltsame Auseinandersetzungen mit Linken gesucht zu haben. Im Herbst 2021 | |
| habe die Neonazi-Gruppe auch über die Möglichkeit eines weiteren Angriffs | |
| auf Leon R. sinniert – mit dem Plan, einen solchen „für einen tödlichen | |
| Gegenangriff zu nutzen“. | |
| Der Messereinsatz von Leon R. wurde in der Neonaziszene rege diskutiert. | |
| Ende 2022 sprach etwa der langjährige Berliner NPD/Heimat-Aktivist | |
| Sebastian Schmidtke in einem Video-Interview im Zusammenhang mit Angriffen | |
| von Antifaschist*innen darüber, dass Messer etwas seien, vor dem es | |
| einen gewissen Respekt gebe. „Was jeder jetzt daraus macht, muss jeder | |
| selber wissen“, sagt Schmidtke dazu. An anderer Stelle erklärte er, ein | |
| Messer sei eine Sache, „die zumindest erst mal für jeden einzelnen | |
| interessant sein könnte, für seine Umgangsformen, wie er nach draußen | |
| geht“. | |
| Noch weiter angeheizt wurde die Szenedebatte im Neonazimagazin NS Heute. | |
| Das Blatt ist subkulturell und organisationsübergreifend ausgerichtet und | |
| gilt als Stichwortgeber der deutschen Neonaziszene. Auch Parteimitglieder | |
| des III. Wegs treten als Autoren auf, die Partei veröffentlicht Schriften | |
| im gleichen Verlag. In Beiträgen aus den Jahren 2021 und 2023 hieß es in | |
| dem Magazin: Man müsse dafür sorgen, dass aus jedem weiteren Angriff von | |
| links „ein Desaster“ werde. Und damit, so der Autor, sei „sicherlich nicht | |
| die kurzzeitige Festnahme durch die Polizei gemeint, sondern ein richtiges | |
| Desaster“. Es war ein Aufruf, wie er so unverhohlen lange nicht mehr in der | |
| Szene verkündet wurde. Versehen wurde er mit einem expliziten Hinweis: Man | |
| müsse schauen, „wie das Notwehr- und Nothilferecht bei konkreten Überfällen | |
| am effektivsten anzuwenden ist“. Es sei dieser gesetzliche Rahmen, „den wir | |
| ausschöpfen können und sollten“. | |
| ## „Wie ein Löwe“ | |
| Das liest sich wie eine Anleitung für das, was am Abend des 18. April 2024 | |
| in Pankow passiert sein könnte. | |
| Ob sich der 24-jährige Neonazi aus Pankow auf einen möglichen Angriff | |
| vorbereitete, auch dazu lässt sein Anwalt eine taz-Anfrage unbeantwortet. | |
| Aber klar ist, dass er an jenem Aprilabend auf seine Kampfsporterfahrung | |
| bauen konnte. Die Neonazi-Partei III. Weg schlachtete dies nach der | |
| blutigen Auseinandersetzung direkt aus. Bei ihm seien die Angreifer „an den | |
| Falschen geraten“, verlautbarte die Partei. Er habe sich „wie ein Löwe | |
| gegen die rote Bande verteidigt“. Und die Partei kündigte Rache an: „Die | |
| Reaktionen darauf werden die Entsprechenden sein.“ | |
| Dass es zu dieser Rache bisher nicht kam, hat wohl auch mit der Polizei zu | |
| tun. Schon kurz nach der Tat sollen Beamte nach taz-Informationen den | |
| Neonazi ermahnt haben, keine Vergeltung zu üben. Die gleiche Ansage soll es | |
| auch für mindestens einen engen Parteifreund gegeben haben. | |
| Verteidiger Lukas Theune dagegen kritisiert scharf, dass gar nicht geprüft | |
| worden sei, ob der Neonazi in Notwehr gehandelt habe. „Das wird einfach | |
| behauptet.“ Ein Sprecher der Berliner Staatsanwaltschaft sagte der taz, wer | |
| bei der Tat wann welche Verletzungen verursachte und ob der 24-Jährige | |
| dabei in Notwehr handelte, sei letztlich „durch die Hauptverhandlung zu | |
| klären“. Zudem verwies der Sprecher darauf, dass es parallel auch noch ein | |
| Verfahren gegen den 24-Jährigen wegen der Auseinandersetzung gebe – das | |
| noch offen sei und dessen Ausgang ebenfalls vom Prozessausgang abhängig | |
| sei. Übersetzt heißt das: In dem Verfahren gegen den Neonazi passiert | |
| derzeit nicht viel – es wird nur relevant, sofern im Prozess festgestellt | |
| würde, dass er nicht in Notwehr handelte. | |
| Einen Rückschlag aber verzeichnete die Staatsanwaltschaft bereits. | |
| Ursprünglich wollte sie den Prozess vor dem höherrangigen Landgericht | |
| Berlin führen. Dieses aber verwies die Anklage an das Amtsgericht | |
| Tiergarten, wo nun demnächst verhandelt wird – weil keine Straferwartung | |
| von mehr als vier Jahren Haft bestehe, so das Gericht. | |
| ## Es kommt auf das Gericht an | |
| Der Neonazi scheint derweil von den Geschehnissen am 18. April 2024 nicht | |
| sonderlich beeindruckt. Schon einen Monat danach war er in Pankow bei einem | |
| Kampfsporttraining dabei, unweit seiner Wohnung, wieder öffentlich auf | |
| einem Sportplatz – zusammen mit rund 20 anderen Neonazis, einige | |
| demonstrativ in Shirts des III. Wegs. Später tauchte er auch bei weiteren | |
| Aktionen seiner Partei in Berlin, Thüringen, Brandenburg und sogar Paris | |
| auf. Und seine Partei schmähte zuletzt in einem Text direkt die angeklagten | |
| Antifaschisten als „Kreaturen“, welche ihre „Bewegung“ attackieren wür… | |
| Davon werde man sich aber „nicht aus der Ruhe bringen lassen“, so der III. | |
| Weg. „Die Zeiten werden sich ändern.“ Das klang nach einer Drohung. | |
| Es wird nun das Amtsgericht sein, vor dem die Beteiligten erstmals wieder | |
| aufeinandertreffen. Für die beiden Antifaschisten dürfte die Anspannung | |
| groß sein. Der Abend des 18. April lasse sie bis heute nicht los, sagt ihr | |
| Verteidiger Theune. | |
| Das Gericht wird entscheiden, ob die beiden für mehrere Jahre in Haft | |
| wandern. Und ob der Neonazi seinem Treiben weiter folgenlos nachgehen kann. | |
| Aus rechtlichen Gründen hat die taz in diesem Text auf die Nennung der | |
| Namen aller Beteiligten verzichtet. | |
| 25 Oct 2025 | |
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| [1] /Angriffe-in-Budapest/!6103784 | |
| [2] https://www.ausdemweg.net/versuchter-angriff-vom-iii-weg-auf-teilnehmende-d… | |
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| [4] /taz-besucht-Maja-T-exklusiv-in-Haft/!6101642 | |
| ## AUTOREN | |
| Konrad Litschko | |
| Jean-Philipp Baeck | |
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