# taz.de -- Gewalt gegen Wohnprojekte: Der Nazi-Nachwuchs | |
> Wie überall machen sich in der ehemaligen Punker-Hochburg Hannover rechte | |
> Jugendbanden breit. Die Machtverhältnisse verschieben sich. | |
Bild: Dieser Mülleimer steht an einem der Orte, an dem sich rechte Jugendliche… | |
Hannover taz | Der laue Frühlingssonntag vor ein paar Wochen hätte für | |
Chris, der eigentlich anders heißt, ein entspannter Tag werden sollen. Am | |
späten Nachmittag schwang er sich auf sein Fahrrad, um zu einem kleinen | |
Open Air zu fahren. Über eine Telegram-Gruppe wurde die Party in einem | |
kleinen Waldstück bei Hannover beworben. | |
Auf einer Lichtung hatte sich zu elektronischer Musik eine wilde Mischung | |
an Menschen versammelt. Das zeigen auch Aufnahmen der Party im Internet. | |
Chris erzählt, wie er von einem anderen Partygast auf ein linkes | |
politisches Tattoo angesprochen worden sei. Das Gespräch habe sich zum | |
Wortgefecht entwickelt. Dann habe sein Gegenüber begonnen, wild zu | |
telefonieren. | |
Ungefähr zu selben Zeit fügte einer, der rechtsextreme Bilder auf Telegram | |
verbreitet, Personen der „Rave-Gruppe“ hinzu. Und nach und nach kamen neue | |
Besucher*innen. Mit Schlauchschal und Sonnenbrillen gekleidet, habe die | |
Gruppe am Rand gepogt, sagt Chris. Er habe sich beobachtet gefühlt. Als er | |
beschloss zu gehen, habe ihn ein Älterer aus der Gruppe angesprochen, wo er | |
denn hin wolle. Die Situation habe sich immer bedrohlicher angefühlt. | |
Darauf beschloss Chris, sich durch das Waldstück davonzuschlagen. | |
Kurz nach seinem Verschwinden hätten mehrere Personengruppen begonnen, den | |
Wald mit Taschenlampen auszuleuchten. Chris ist sich sicher: Die Gruppe | |
folgte ihm. Er schlug sich durchs Unterholz und rief Freund*innen an. | |
Zwei Autos hätten mit Abstand zueinander den einzigen nahen Waldweg mit | |
eingeschaltetem Frontscheinwerfern ausgeleuchtet. Mehrere Gruppen hätten | |
das Waldstück umkreist. Nach eineinhalb Stunden sammelten ihn | |
Freund*innen mit einem Auto ein. | |
Teile der Schilderungen lassen sich nicht überprüfen, doch für Chris ist | |
klar: Erst mal wird er nicht mehr zu online beworbenen Raves im Grünen | |
gehen. Und er warnt andere, die Augen offen zu halten. | |
## Berüchtigt für die „Chaostage“ | |
Was Chris erlebt hat, ist nicht das, woran man als Erstes bei Hannover | |
denkt. Einst war die Stadt berühmt-berüchtigt [1][für randalierende Punks | |
und die „Chaostage“]. Rechtsextreme konnten in der niedersächsischen | |
Landeshauptstadt kaum Fuß fassen. An „Demos gegen rechts“ vergangenes Jahr | |
beteiligten sich Zehntausende. Und erst vergangenes Wochenende entglasten | |
Unbekannte alle Autoscheiben des Orga-Teams einer rechtsextremen Demo. | |
Es gibt Gegenwehr, sowohl aus der Zivilgesellschaft als auch aus der | |
Antifa. Wie also kommt es, dass sich Neonazis ermächtigt fühlen, politische | |
Gegner zu jagen? Um diese Frage zu beantworten, muss man die neue, junge | |
Generation Rechtsextremer in den Blick nehmen. | |
Wer sich auf der Social-Media-Plattform Instagram umsieht, findet sie | |
schnell, die lokalen rechtsoffenen Jugendbanden. Viele haben „hnvr“ für | |
Hannover im Profilnamen. Gezeigt werden Springerstiefel und Bomberjacken, | |
Rechtsrock und elektronische Hardtekk-Musik. Mehrere Cliquen gibt es in | |
Hannover, die online stolz ihre Faszination für den Nationalsozialismus zur | |
Schau stellen. | |
Dieser Hardcore-Neonazi-Vibe wird nur manchmal durchbrochen von Fotos, die | |
die Jugendlichen von sich im Spiegel aufgenommen haben und die sie gerne | |
mit der Musik des Berliner Rappers Pashanim unterlegen. Der ist eine | |
Internetberühmtheit und rappt vor allem aus postmigrantischer Perspektive | |
über die deutsche Gesellschaft. Einen Swipe weiter trainieren die | |
Jugendlichen dann wieder gemeinsam den Häuserkampf – mit Paintballwaffen. | |
Wieder ein Beitrag weiter läuft Rechtsrock. | |
In dieser Gruppe sind fast alle Fans von Hannover 96, in ihren | |
Instagram-Storys zeigen sie sich gern mit Schal und Bier. Neben Hannover 96 | |
scheinen die Jugendlichen auch ein Faible für Eishockey zu haben. Einer | |
spielt im Jugendteam. Andere sind als Zuschauer*innen im Eisstadion. Es | |
dürfte den Heranwachsenden wohl wieder vor allem um kollektive | |
Identifikation gehen. | |
## Faschismus wieder en vogue | |
Und nicht nur online ist zu sehen, dass Faschismus wieder en vogue ist. | |
Quer über die niedersächsische Landeshauptstadt verteilt tauchen vermehrt | |
rechtsextreme Sticker auf. Die rechten Jugendbanden selbst zeigen sich an | |
bestimmten Orten. So berichten Augenzeug*innen von einer Gruppe, die | |
sich rund um den Dörries- und den Kantplatz, in der Nähe des Eisstadions am | |
Pferdeturm, herumtreibt. Sie sollen Migrant*innen und Menschen, die | |
rechte Sticker abkratzen, attackiert und angepöbelt haben. | |
Immer wieder postet diese Gruppe auch [2][Übergriffe auf „Pedos“] – | |
Erwachsene, die sie für Pädophile halten. Sie wollen sie „hunten“. Per | |
Instagram-Umfrage wird um Tipps für Zielpersonen gebeten. Später teilen die | |
Personen dann Videos, die zeigen, wie mehrere junge Männer auf den Kopf | |
eines anderen, der am Boden liegt, eintreten. Bis dieser sich aufrappelt, | |
vor ein Auto stolpert, das bremst, und dann davonrennt. Auf Anfrage sagt | |
sie Polizei, die Fälle seien ihr nicht bekannt. | |
Zunehmend kommt es in den linksalternativ geprägten Stadtteilen Linden und | |
Nordstadt zu Attacken auf alternative Projekte. [3][Der Punkertreff | |
Kopernikus in der Nordstadt], dem hannoverschen Univiertel, wurde mehrfach | |
aufgebrochen. Veranstaltungstechnik wurde zerstört und Deutschlandfahnen an | |
die Wand gesprüht. In Linden trifft es im letzten halben Jahr immer wieder | |
das Wohnprojekt in der Fröbelstraße, wo seit über zehn Jahren mehr als 50 | |
Menschen leben. Im Januar brachen Unbekannte in gemeinschaftlich genutzte | |
Vereinsräume im Keller ein und fluteten diesen. Auch hier zerstörten sie | |
Veranstaltungstechnik und Elektronik. Und wieder wurde eine krakelige | |
Deutschlandfahne an die Wand gemalt. | |
Entmutigen lassen wollen sich die Bewohner*innen und Nutzer*innen | |
der Räume von den Angriffen nicht. So war schon am Tag nach der Attacke auf | |
die Fröbelstraße vom angerichteten Schaden kaum noch etwas zu sehen, | |
mehrere Personen werkelten mit Hochdruck an Reparaturen. | |
Dennoch bleibt die Gefahr von rechtsextrem motivierten Übergriffen | |
virulent. Es kursieren Warnungen in verschiedenen alternativen | |
Messenger-Gruppen, dass Rechtsextreme mit Fake-Accounts versucht haben | |
sollen, private Instagram-Profile auszuforschen. | |
In einem Fall gingen die jungen Neonazis noch deutlich weiter, wie in einem | |
Video zu sehen ist. Am helllichten Tag schießt ein junger Mann eine | |
Silvesterrakete auf ein Gebäude, in dem Punker wohnen. Das Geschoss | |
zerschellt knallend an der Hauswand. Einer der mutmaßlichen Bewohner blickt | |
aus der Terrassentür. „Scheiß Antifa! Fickt euch! Ihr kleinen Fotzen“, ru… | |
der Handyfilmer. Dann fliegt eine Flasche auf das Haus. Es sind Aufnahmen, | |
entstanden Ende letzten Jahres. | |
## Instagram-Account ist der Polizei bekannt | |
Eine Gruppe junger Neonazis hatte mehrfach das Punker-Wohnprojekt in | |
Hannover-Altwarmbüchen angegriffen. Einer von ihnen verbreitete die | |
Aufnahmen der Attacken in den sozialen Netzwerken. Die Polizei ermittelt | |
mittlerweile gegen die Gruppe wegen Verstoßes gegen das Waffengesetz und | |
versuchter schwerer Brandstiftung, teilt sie auf Anfrage mit. Der | |
Instagram-Account, auf dem die Attacken geteilt wurden, sei bekannt. | |
Insgesamt hatten sich über vierzig Personen in einer Chat-Gruppe vernetzt. | |
Die Aktionen sollten wohl eine Vorbereitung für weitere Attacken auf | |
linksalternative Projekte sein. Nicht alle im Gruppenchat kommen aus | |
Hannover. Unter den Mitgliedern findet sich beispielsweise ein | |
Administrator der Gruppe „Jung und Stark“ aus Hessen. Einer im Chat soll | |
Teil der militanten Neonazi-Jugendgruppe „Elblandrevolte“ gewesen sein. | |
Die Übergriffe bleiben nicht unbeantwortet. Kurz nach den Attacken erschien | |
auf der linken Platform Indymedia ein Artikel mit dem Titel [4][„Wenn aus | |
Boxern Läufer werden“]. Darin wird beschrieben, wie | |
Antifa-Aktivist*innen von einer weiteren geplanten Attacke erfahren, | |
diese handfest gestoppt und unter anderem Telefone „konfisziert“ hatten. | |
Die Staatsanwaltschaft Hannover ermittelt in diesem Fall wegen | |
Landfriedensbruchs und Raubes gegen Unbekannt. | |
Die Punker WG in Hannover-Altwarmbüchen ist mittlerweile ausgezogen. Kurz | |
darauf kamen die Täter zurück zum leeren Haus und beschmierten die Fassade | |
mit rechtsextremen Parolen und Hakenkreuzen. Alles in allem dürfte dieser | |
Angriff also ein Sieg für die Rechtsextremen gewesen sein – wenn auch mit | |
einem blauen Auge. Die Täter könnte das anspornen. | |
Weitere ungeklärte Straftaten in Hannover passen in das Schema der nächsten | |
Stufe rechtsextremer Gewalt. So ging im Januar ein Döner-Imbiss auf der | |
Vahrenwalder Straße in Flammen auf. Die Polizei ermittelt wegen | |
Brandstiftung. Ganz in der Nähe kommt es immer wieder zu körperlichen | |
Angriffen auf Obdachlose, die auf dem Weg zu einer Notunterkunft sind. | |
Nach jahrelanger Aktivität in verschiedenen Gruppen und zahlreichen | |
Straftaten driften einzelne immer tiefer in die rechtsextreme Szene ab. Ein | |
gutes Beispiel dafür ist der jüngst verhaftete 25-jährige Angelos L. Laut | |
Polizei war er Mitglied der „Jungen Nationalisten“, der Jugendorganisation | |
der Partei Die Heimat (früher NPD), und der militanten | |
Neonazi-Kameradschaft Calenberger-Bande. L. soll auch in die AfD | |
eingetreten sein. | |
Laut Polizei zeigen Aufnahmen von Überwachungskameras aus den letzten | |
Jahren, wie Angelos L. mit zwei Mitstreitern [5][immer wieder die | |
Holocaust-Gedenkstätte Ahlem bei Hannover schändet]. Bei einer | |
Hausdurchsuchung fanden sich in seiner Wohnung unter anderem eine | |
vollautomatische, funktionsfähige Maschinenpistole inklusive eines Magazins | |
und passender Munition. | |
Im Februar hatte er an einem AfD-Wahlkampfstand, gemeinsam mit JN-Kader | |
Lois Wagner, einen gemütlichen Schnack mit AfD-Mitgliedern gehalten – und | |
dann unvermittelt den Gegenprotest attackiert. Wagner, der wie Angelos L. | |
gerne in traditioneller HJ-Uniform marschiert, erlangte kürzlich | |
überregionale Bekanntheit, weil die [6][RTL-Investigativ-Reporterin | |
Angelique Geray sich in den „Heimathof“, die Zentrale der JN im nahen | |
Eschede, eingeschleust hatte] und berichtete, wie Wagner dort den Kampf für | |
Adolf Hitler besang. | |
Angelos L. wiederum wurde kürzlich in Ungarn von Zielfahndern festgenommen. | |
Ihm wird laut Pressemitteilung der ungarischen Polizei Waffenhandel zur | |
Last gelegt. | |
Doch auch wenn es bereits personelle Überschneidungen gibt: Noch hat der | |
große Schulterschluss zwischen den militanten JN-Strukturen und den rechten | |
Jugendbanden nicht stattgefunden. Aber es gibt Berührungspunkte, | |
beispielsweise Demonstrationen. So tauchten die Instagram-Jungrechten im | |
April bei der rechtsextremen „Gemeinsam für Deutschland“-Demonstration in | |
Hannover auf. | |
Statt zu demonstrieren, vergnügte sich die Bande allerdings auf dem | |
hannoverschen Frühlingsfest. Wie Augenzeug:innen berichten, war die | |
Gruppe dort öfter gesehen worden. Unter Gejohle habe man einen den | |
Hitlergruß zeigen sehen. | |
Es gibt auch Orte, an denen die rechten Jugendlichen zusammenzukommen. Auf | |
Instagram kursiert ein Bild, das eine Gruppe mit Hannover 96- und | |
Deutschlandfahne zeigt, am Boden liegt eine schwarze Sexpuppe. Wo es | |
entstanden ist – unklar. | |
9 Jun 2025 | |
## LINKS | |
[1] /Mitbegruender-des-Hannoveraner-Punk-Protests/!5077034 | |
[2] /Rechte-Gewalt-in-Oesterreich/!6077992 | |
[3] /Bedrohter-Punkertreff-in-Hannover/!6015177 | |
[4] https://de.indymedia.org/node/482853 | |
[5] /Neonazis-durchdringen-Stadtteil/!5882352 | |
[6] https://www.stern.de/politik/deutschland/rechtsextremer--heimathof---razzia… | |
## AUTOREN | |
Michael Trammer | |
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