| # taz.de -- Bedrohter Punkertreff in Hannover: Wieder mal No future | |
| > Die Kopernikus entstand nach den Chaostagen der 90er. Erstaunlicherweise | |
| > gibt es den Treff immer noch, nun droht das Aus für den sehr speziellen | |
| > Ort. | |
| Bild: Buntes Treiben im Schatten der Bahn, noch | |
| Hannover taz | Das Ding klebt da an der Eisenbahnbrücke wie ein Wespennest. | |
| Es muss einmal ein Technikhäuschen gewesen sein, das von der Bahn auf | |
| diesen Hang geflanscht wurde, nicht schön, aber zweckmäßig, umgeben von | |
| Brachfläche und Gestrüpp. Über dem Eingang hängt ein dunkles Transparent, | |
| so dunkel, dass es mit der Umgebung fast verschmilzt, auf dem steht: „Das | |
| Viertel bleibt dreckig – Kopernikus bleibt“. | |
| Der Eingang tut sich plötzlich auf, er ist wie eine Schießscharte. Man geht | |
| den Bürgersteig entlang, und da öffnet sich die mannshohe Mauer neben einem | |
| zum schmalen dunklen Gang. Der führt zu einer Stahltür, hinter der eine | |
| steile dunkle Treppe einmal ums Eck und in einen dunklen Raum voller | |
| Graffiti und Sticker führt, wo ein altersschwacher Tischkicker und eine | |
| schrabbelige Theke stehen. Es riecht nach kaltem Rauch und nassem Hund. | |
| Der Raum öffnet sich zu einer großzügigen Terrasse, auf der sich meist | |
| genauso viel Menschen wie Hunde aufhalten. Heute sind es nur vier pro | |
| Gattung, sie warten auf den Pressebesuch. Auf der Terrasse sitzen sie | |
| gemütlich, halb verborgen hinter grünem Blattwerk. Oben rumpeln die Züge, | |
| unten rauscht der Autoverkehr vorbei. | |
| ## Wo einem der Arsch gerettet wird | |
| „Die Kopi“ heißt das, lernt man zuerst. Oder „die Kopernikus“, was noch | |
| seltsamer klingt. Aber es leitet sich eben ab von der Adresse, | |
| Kopernikusstraße 11 in Hannovers Nordstadt. „Die Kopi hat mir den Arsch | |
| gerettet“, sagt jedenfalls Anne, Tattoos, schwarze Dreadlocks, blondierter | |
| Pony, während sie sich eine Zigarette dreht. Sie war Anfang 20 und „lost“, | |
| als sie hierherkam, um Sozialstunden abzuleisten. Dann blieb sie, fing | |
| nicht nur an, Konzerte zu organisieren, sondern auch Führerschein, | |
| Schulabschluss und Pflegeausbildung nachzuholen. Demnächst beginnt sie ein | |
| Studium an der Fachhochschule. | |
| „Solche Geschichten haben wir hier viele“, brummelt der schwarz gekleidete | |
| Mittfünfziger neben ihr, der Herr K. genannt werden möchte. Herr K. gehört | |
| zur Gründungsgeneration dieses Punkertreffs. Entstanden ist die Kopi vor | |
| fast 30 Jahren im Windschatten [1][der legendären Chaostage], als Punks aus | |
| der gesamten Republik anreisten, sich wüste Straßenschlachten mit der | |
| Polizei lieferten und 1995 fast die ganze Nordstadt zerlegten. Also die | |
| Kopi, sagt Herr K., sei vielleicht auch so entstanden. Aber natürlich | |
| trugen die Straßenkampfszenen und die „Tagesschau“-Bilder vom geplünderten | |
| Penny-Markt dazu bei, dass die lokale Politik bereit war, Geld für | |
| Gewaltprävention und Straßensozialarbeit rauszuhauen. | |
| „Gründet mal einen Verein!, haben sie gesagt“, sagt Herr K., „das ham wir | |
| dann gemacht.“ Der Verein trägt den eher spießbürgerlichen Namen | |
| Lutherkirchentreff. Das war nämlich der Ort, an dem die Punks vorher | |
| herumhingen und die Nachbarn ärgerten. Mittlerweile hat der Verein 170 | |
| Mitglieder, ist anerkannter Jugendhilfeträger und kommt mit den meisten | |
| Nachbarn ganz gut aus. Extrem niedrigschwellige Straßensozialarbeit machen | |
| sie hier. Einmal in der Woche gibt es Frühstück, ab und zu Konzerte, an | |
| Abenden wird Doppelkopf oder Dungeons & Dragons gespielt, es werden Filme | |
| oder Fußballspiele geguckt. | |
| Es kämen Leute, wie sie selbst früher waren, sagt Herr K., ausgerückt aus | |
| schwierigen Elternhäusern, auf der Suche nach Halt oder einem Schlafplatz. | |
| Er habe viele kaputtgehen sehen damals, meist an Drogen, sagt Herr K. Hier | |
| aber hätten auch viele dann doch noch ganz erstaunliche bürgerliche | |
| Karrieren gemacht. | |
| Der Nachwuchs sei ihnen nie ausgegangen, sagt Sandra, ebenfalls | |
| Gründungsmitglied. Man müsse hier auch keine Piercings und bunt gefärbten | |
| Haare haben, versichert sie. Nur so ein Minimum an Sozialverträglichkeit, | |
| und na ja, man sollte halt kein Fascho sein. „Es ist doch wichtig, dass man | |
| irgendwo noch Räume hat, die nicht kommerziell sind, sagt Sandra. | |
| ## Sanierung sorgt für Verdrängung | |
| Aber dieser sehr spezielle Raum ist nun wieder gefährdet. Also irgendwie | |
| randständig, eher geduldet als erwünscht waren sie ja schon immer, aber | |
| immerhin haben sie sich im Laufe der Jahre ihren Platz erkämpft im | |
| [2][Jugendhilfegefüge] der Stadt. Die Arbeit, die sie hier leisten, ist | |
| natürlich ehrenamtlich, sie sind ja auch keine Sozialarbeiter, aber für | |
| Miete, Material und sonstige Aufwendungen gab es immer mal wieder etwas. | |
| Jetzt soll gegen Ende des Jahres das mühsam in Eigenleistung | |
| zurechtgezimmerte Vereinsgelände einer Brückensanierung der [3][Deutschen | |
| Bahn] zum Opfer fallen. Eine kleine Weile lang sorgten unklare | |
| Besitzverhältnisse für einen Aufschub. Eigentlich hatte auch die Stadt vor | |
| Jahren versprochen, einen Alternativstandort ausfindig zu machen, doch das | |
| klappt einfach nicht. Und so langsam bewegt sich die Stimmungslage hier von | |
| Angst und Frust hin zu Wut. „Vielleicht muss halt doch noch einmal die | |
| Straße brennen“, murmelt jemand. Die Altpunks gucken müde. | |
| 16 Jun 2024 | |
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| ## AUTOREN | |
| Nadine Conti | |
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