# taz.de -- Ein Tag im Columbiabad Neukölln: Hauptsache, Rutsche | |
> Das Berliner Columbiabad ist mehr als Massenschlägereien. Es ist auch ein | |
> Ort der Erholung und ein Treffpunkt für sehr verschiedene Menschen. | |
Bild: Die legendäre Rutsche im Columbiabad hat wieder auf | |
Berlin taz | Es ist 30 Grad heiß, die Sonne strahlt und keine einzige Wolke | |
ist am Himmel zu sehen. Abgekühlt und noch etwas nass vom Schwimmen geht es | |
in den Imbiss, [1][eine große Portion Pommes Schranke] holen. Die Hände | |
riechen nach Chlor und von den nassen Haarspitzen tropft das Badewasser auf | |
die Pommes. Schranke, das ist unüblich in Berlin, aber die Verkäuferin | |
kennt es, die kommt nämlich aus NRW. | |
Doch bevor man es überhaupt zur Pommes schafft, muss man in dieses | |
Schwimmbad erst mal reinkommen. Im Sommerbad Neukölln, [2][welches unter | |
dem Namen Columbiabad bekannt sein dürfte], ist die Kasse nämlich täglich | |
nur bis 10 Uhr geöffnet, danach kann man die Tickets online erwerben – | |
solange der Vorrat reicht. | |
An diesem heißen Samstagnachmittag stehen ein paar Personen vor dem | |
Eingang, darunter ein Kind in Badehose und einem roten Plastikeimer mit | |
seinem Vater. Es schreit und weint. Der Vater versucht einem der | |
Mitarbeiter, der für den Eingang verantwortlich ist, zu überreden, doch | |
reinkommen zu können: „Ja, aber früher konnte man auch Tickets an der Kasse | |
kaufen“, argumentiert der Vater und zeigt auf sein enttäuschtes Kind. | |
Der Freibadangestellte zuckt mit den Schultern. „Sie brauchen ein | |
Onlineticket, einen Personalausweis und kein Messer, kein Glas oder | |
ähnliche Waffen in Ihrem Rucksack. Dann dürfen Sie rein. Nur leider nicht | |
mehr heute“, sagt er und winkt die Leute mit einem Ticket durch. | |
Wenn man die erste Hürde genommen und die härteste Tür Neuköllns überwunden | |
hat, beginnt die nächste Herausforderung: einen Platz zu finden! Denn es | |
gibt eine ungeschriebene Aufteilung unter den Besuchern, die man kennen | |
muss. In der Nähe des Imbiss und des großen Beckens tummeln sich die | |
Jugendlichen. „Heute gibt es Vapes statt Prügel“, sagt ein größerer Junge | |
gönnerhaft zu einem kleineren. „Heute auf Kombi, Bruder“, fügt er hinzu. | |
Ein Mädchen berichtet von einem fürchterlichen Kuss, während ihre Freundin | |
einen Arm um sie legt. | |
## Weinblätter gegen Baklava | |
Am Kinderplanschbecken, das inzwischen wieder in Betrieb ist, nehmen die | |
Familien mit kleinen Kindern Platz. Zum Teil sitzen große Familien mit | |
großen Decken und sehr viel Essen dort. Auch die Großeltern sind dabei. Sie | |
bieten ihren Nachbarn gefüllte Weinblätter an. Die Nachbarn wiederum bieten | |
ihnen Baklava an. | |
Ganz weit hinten auf der Wiese, wo es einem vorkommt, als müsse man eine | |
halbe Ewigkeit zum Becken gehen, liegen die Neuankömmlinge, die entweder | |
neu nach Neukölln gezogen sind oder schon immer mal ins Columbiabad | |
wollten. Einzelne Personen, die ein Buch lesen. Personen, die gar nicht ins | |
Wasser wollen. Und einige, die eben später angekommen sind und keinen | |
besseren Platz bekommen haben. | |
Die Geräuschkulisse ist ein Remix aus Geschrei, Wasserplanschen, Youtube | |
Oriental Mix-Playlisten, von gesungenen Koranversen, deutschem Punk und | |
arabischem Pop. Und mittendrin, auf einer der Sitzbänke, sitzt eine Gruppe | |
von Frauen in Burkinis, die Sonnenblumenkerne essen und sich über ihre | |
Männer beschweren. | |
Die Rutsche hat auch wieder auf, und minütlich wächst die Schlange. Ein | |
Kind bietet einem anderen sein Wassereis an, im Gegenzug möchte es | |
vorgelassen werden. | |
Im Juni 2023 ging es im Sommerbad Neukölln nicht so harmonisch zu. Als rund | |
50 Jugendliche die Rutsche stürmten und einen Polizeieinsatz auslösten, | |
[3][musste das Bad geräumt und die Rutsche geschlossen werden]. Es folgten | |
Auseinandersetzungen zwischen Jugendlichen und Beschäftigten. Die | |
Mitarbeiter schrieben einen Brandbrief an die Chefetage, [4][und das Bad | |
blieb geschlossen]. | |
Vorfälle wie diese würden die Mitarbeiter krank machen, hieß es damals vom | |
Chef der Bäderbetriebe Johannes Kleinsorg. Eine bundesweite Debatte war die | |
Folge. Die Grünenfraktion im Berliner Abgeordnetenhaus forderte ein | |
Hausverbot für gewalttätige Mehrfachtäter – nicht nur im Columbiabad, | |
sondern in allen Schwimmbädern. Auch Friedrich Merz (CDU) äußerte sich – | |
sein Wunsch: [5][eine höhere Polizeipräsenz]. | |
## Keine Spur von Merz’ Polizisten | |
Das Columbiabad hat dennoch weiterhin auf. Keine Eskalation, kein | |
Hausverbot und auch keine Spur von Merz’ Polizisten, lediglich die Hürden | |
beim Einlass. Und ein Plakat, welches am Bauzaun des geschlossenen | |
50-Meter-Sportbeckens hängt. Auf dem ist eine Werbung für die Hilferuf-App | |
Safe Now zu sehen, mit der der Sicherheitsdienst alarmiert werden kann, | |
wenn Gefahr droht. Sie ist ein Pilotprojekt und seit dem 3. Juni im | |
Einsatz. | |
Vor dem Plakat sitzt einer der Sicherheitsleute und schleckt genüsslich an | |
seinem Eis. Bisher verläuft der Sommer im Columbiabad recht ruhig. | |
7 Jul 2024 | |
## LINKS | |
[1] /Die-Wahrheit/!6011810 | |
[2] /Debatte-um-Berliner-Freibaeder/!5948827 | |
[3] /Sommerbad-Neukoelln-geschlossen/!5943502 | |
[4] /Krawall-in-Berliner-Freibaedern/!5943627 | |
[5] https://blogs.taz.de/prinzenbad/2023/07/12/randale-in-den-freibaedern/ | |
## AUTOREN | |
Derya Türkmen | |
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