| # taz.de -- Briefkastenfirmen in Deutschland: Die Schweiz in Schönefeld | |
| > Die Gemeinde Schönefeld bei Berlin ist eine Hochburg der | |
| > Briefkastenfirmen. Ein konkurrenzlos niedriger Gewerbesteuersatz zieht | |
| > sie magisch an. | |
| Bild: Das Kapital mag scheu sein, manchmal hinterlässt es aber doch Spuren | |
| Schönefeld taz | Die Lindenpassage im verschlafenen Ortsteil Großziethen | |
| der [1][Gemeinde Schönefeld bei Berlin] ist ein Einkaufszentrum, wie es so | |
| ähnlich in vielen Speckgürteln deutscher Großstädte steht: ein Komplex aus | |
| unaufdringlich roten Ziegeln, bestehend aus drei Gebäuden, zwei Etagen. | |
| Oben Wohnungen, unten alles, was man so braucht: Sparkassenfiliale, | |
| Backshop, Friseursalon und ambulanter Pflegedienst. Dazwischen eine | |
| gepflasterte Fußgängerzone, in der an diesem Mittwochmittag allerdings nur | |
| eine Frau mit Kinderwagen herumschlendert, ansonsten wirkt die | |
| Ladenpassage eher verwaist. | |
| Was die Lindenpassage von anderen Einkaufszentren unterscheidet, ist, dass | |
| sie neben den Dingen des täglichen Bedarfs auch noch ein internationaler | |
| Business-Hub ist. Mehr als 35 Unternehmen haben hier ihren Sitz. | |
| Immobilienfirmen, die Grundstücke weit außerhalb Berlins managen, | |
| Vermögensverwalter:innen und sogar eine international agierende | |
| Sockenmodemarke. Trotzdem ist von Angestellten weit und breit nichts zu | |
| sehen. | |
| Beim Betrachten des türkisblauen Briefkastens, auf dem in gerade noch | |
| lesbarer Schriftgröße die Firmennamen dicht gedrängt auf weißen Etiketten | |
| stehen, kommt ein schwerwiegender Verdacht auf: Handelt es sich hier etwa | |
| um [2][Briefkastenfirmen], die ihren Sitz in der Lindenpassage nur | |
| vortäuschen, um Steuern zu sparen? | |
| Tatsächlich hat die Gemeinde Schönefeld mit Ländern wie der Schweiz, | |
| Luxemburg oder den Caymaninseln gemein, dass sie als Steueroase bekannt | |
| ist. Denn der Gewerbesteuersatz, dessen Hebesatz die Kommunen in | |
| Deutschland selbst festlegen können, ist in der Flughafengemeinde im Süden | |
| Berlins mit am niedrigsten. So beträgt die Gewerbesteuer in Berlin 14,35 | |
| Prozent, in Schönefeld sind es dagegen nur 8,4 Prozent. | |
| ## Steuereinnahmen sollen sprudeln | |
| Die Idee dahinter ist einfach. Speckgürtelgemeinden wie Schönefeld oder | |
| [3][Zossen bei Berlin], aber auch [4][Grünwald bei München] oder | |
| [5][Monheim am Rhein] versuchen mit den niedrigen Steuersätzen Anreize für | |
| Unternehmen zu bieten, die es ansonsten viel eher in die benachbarten | |
| Metropolen zieht. Mit den Unternehmen sollen dann nicht nur Steuereinnahmen | |
| sprudeln, sondern auch Arbeitsplätze und Investitionen kommen. | |
| In der Tat ist Schönefeld bei Unternehmen beliebt. Knapp 3.500 Firmen | |
| sind mit ihrem Sitz in der 20.000-Einwohner:innen-Gemeinde registriert. Das | |
| spülte 2022 nach Schätzungen des Netzwerks Steuergerechtigkeit rund 90 | |
| Millionen Euro Gewerbesteuer in die Kassen. Der Boom macht sich im | |
| Straßenbild bemerkbar, überall entstehen glitzernde Bürokomplexe, neu | |
| ausgewiesene Gewerbegebiete fressen sich in das umliegende Ackerland. | |
| Doch allein das krasse Zahlenverhältnis von Einwohner:innen zu | |
| Unternehmen macht deutlich, dass die meisten Firmen, die nach Schönefeld | |
| kommen, weder Arbeitsplätze schaffen noch Büroflächen benötigen. Der | |
| Schaden, der durch das Steuerdumping entsteht, ist hingegen enorm: Jährlich | |
| eine Milliarde Euro Gewerbesteuereinnahmen gehen durch bundesdeutsche | |
| Steueroasen verloren, berechnet das Netzwerk Steuergerechtigkeit. | |
| Ungefähr ein Drittel dieser Firmen seien Immobilienunternehmen, erklärt | |
| Christoph Trautvetter vom Netzwerk. Steueroasen wie Schönefeld seien | |
| ideal für Unternehmen, die Gewinne erwirtschafteten, ohne dass es viel | |
| Arbeit erfordere. „Das Einzige, was sie machen müssen, ist, ein Mal im Jahr | |
| eine Grundsteuererklärung zu unterschreiben.“ | |
| Dieses Detail ist wichtig, denn ein Briefkasten allein macht noch keine | |
| Firma. Es braucht noch einen physischen Geschäftssitz, ansonsten wäre das | |
| ganze Unterfangen illegal. In der Lindenpassage wird dieses Problem | |
| platzsparend gelöst. Alle Unternehmen teilen sich einen Co-Working-Space, | |
| in dem sie einmal im Jahr besagte Erklärung unterschreiben oder andere | |
| wichtige Geschäftstätigkeiten durchführen können. Falls in der Zwischenzeit | |
| Post kommt, wird sie vom Dienstleister, der den Co-Working-Space vermietet, | |
| weitergeleitet. | |
| ## Aufgeräumte Schreibtischinseln | |
| Die Geschäftstätigkeit hält sich an diesem Mittwoch in Grenzen. Niemand ist | |
| anzutreffen. Ein Blick durch die Fensterscheiben des Co-Working-Spaces | |
| bestätigt den Eindruck. Schreibtischinseln stehen sauber aufgeräumt | |
| aneinander, Textmarker und Flipcharts warten darauf, benutzt zu werden. Das | |
| einzig Lebendige im Raum ist ein gut gewässerter Bürospargel. | |
| In vielen Fällen werde die Grenze der Legalität in den Steueroasen auch | |
| überschritten, erklärt Trautvetter. Etwa, wenn Unternehmen anderswo Büros | |
| unterhalten, die Gewerbesteuer aber in Schönefeld bezahlen. „Da müsste die | |
| Steuerbehörde eigentlich eingreifen“, sagt Trautvetter, „aber Kontrollen | |
| passieren viel zu selten.“ | |
| 20 May 2024 | |
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| ## AUTOREN | |
| Jonas Wahmkow | |
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