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# taz.de -- Die Gemüsewerft in Bremen: Industrial Chic meets Villa Kunterbunt
> Die Gemüsewerft in Bremen zieht Kohl und Möhren und braut auch Bier. Dass
> sie dazu ein soziales Projekt ist, ist auf den ersten Blick gar nicht
> sichtbar.
Bild: Möhren und Hopfen gehören zu den Pflanzen, die auf dem ehemaligen Hafen…
Bremen taz | Ein paar Strünke Grünkohl stehen Anfang November in einer der
Holzkisten vorn am Zaun, weiter hinten wächst Salbei, schießt Fenchel ins
Kraut. Aber in vielen der 425 Hochbeete ist die dunkel-krümelige Erde von
fein geharkten Wellen durchzogen: Hier liegt die Saat für die nächste
Saison.
Auch das Rankgerüst im Hopfenfeld steht nackt: Vor zwei Monaten haben
Freiwillige und Beschäftigte der [1][Bremer Gemüsewerft] – so heißt der
Garten in der Bremer Überseestadt – 140 Kilo Hopfen geerntet. Er wird
nebenan in einer kleinen Brauerei verarbeitet. Das Bier kann man im Sommer
auf Podesten zwischen den Hochbeeten trinken. Vielleicht zu Tomaten aus dem
Gewächshaus: grünen, gelben, lilanen, roten, orangenen.
Die Gemüsewerft ist aber nicht nur Biergarten und [2][urbane Landwirtschaft
im Westentaschenformat]. Sondern auch ein soziales Projekt, betrieben von
der gemeinnützigen Gesellschaft für integrative Beschäftigung, kurz „Gib�…
Deren Geschäftsführer Michael Scheer erklärt vor Ort das Prinzip:
Behinderte und psychisch schwer kranke Menschen bekommen ein geringes
Gehalt fürs Gärtnern, den Verkauf von Gemüse, Jungpflanzen oder Getränken.
Es wird, anders als der Lohn vieler anderer Beschäftigungsverhältnisse,
nicht mit der Sozialhilfe verrechnet.
Rund 300 Euro im Monat – das ist etwas mehr, als [3][Beschäftigte von
Behindertenwerkstätten] verdienen, obwohl diese mehr arbeiten. Auf der
Gemüsewerft sind zwei Stunden am Tag die Mindestanforderung. Viel mehr
schaffen die meisten nicht. Das Geld sei der Anreiz, hier zu arbeiten, sagt
Geschäftsführer Michael Scheer. „Aber sie bekommen noch mehr.“
[4][Tagesstruktur, soziale Kontakte,] eine Bedeutung, die über das bloße
Sein hinausgeht. „Das, was uns erst fehlt, wenn wir es nicht mehr haben.“
## Lkw-Parkplatz des Kelloggs-Werks
Die Gemüsewerft ist ein [5][Zuverdienstbetrieb], das heißt, die Kommune
zahlt die Gehälter. In Bremen gibt es rund 400 solcher Jobs. Zwölf Männer
und drei Frauen arbeiten derzeit unter Anleitung eines Gärtners auf der
Gemüsewerft, auf 9.000 Quadratmetern an drei Standorten. 2015 ging es los,
2019 kam als jüngste Fläche der ehemalige Lkw-Parkplatz des geschlossenen
Kelloggs-Werks samt Pförtnerhäuschen hinzu. Für das Hopfenfeld und drei
Bäume wurden 400 der 1.500 Quadratmeter entsiegelt.
Dieses dreieckige Grundstück wird auf einer Seite von der Spundmauer zur
Weser begrenzt. Der Blick hinunter auf den Fluss und in den Sonnenuntergang
hinein ist in Bremen einmalig. Im Rücken steht die Kulisse des zum Hotel
umgebauten Kelloggs-Silos und des abgerissenen und mit ähnlicher Fassade
neu aufgebauten Reislagers. In dessen Erdgeschoss befindet sich die
Brauerei samt Ausschank, ein Italiener und bis vor Kurzem ein Bioladen mit
Mittagstisch. In einem der Büros darüber werfen an diesem grauen
Novembertag zwei junge Bärtige auf eine Dartscheibe.
Industrial Chic meets Villa Kunterbunt – der Ort ist dermaßen fotogen, dass
die „Popularitätsrakete“ der Gemüsewerft, wie Michael Scheer es nennt, se…
Eröffnung des jüngsten Standorts so richtig gezündet hat. 400
Medienberichte und Blogbeiträge hat er gezählt. Bremen wirbt mit Plakaten
auf Bahnhöfen mit dem Projekt. Ihm würden ständig neue Flächen angeboten,
und er habe aufgehört, die Anfragen zu beantworten von Leuten, die eine
coole Location für ihre Veranstaltung suchen. „Das geht mit unseren Leuten
gar nicht, die müssen um 21 Uhr den letzten Bus kriegen.“
## Echte Begeisterung statt Mitleid
Doch das ist vielen Besucher:innen vermutlich gar nicht bewusst. Es
gibt keinen Hinweis, wer hier arbeitet, jedenfalls keinen, der ins Auge
springt. „Hier steht nirgends ‚Vorsicht! – Verrückte‘ “, sagt Michael
Scheer und grinst. Das ermögliche echte Inklusion. „Niemand wird aufgrund
einer Behinderung mit Samthandschuhen angefasst.“ Die Beschäftigten würden
davon profitieren, glaubt er. „Sie spüren, dass sie Teil einer tollen Sache
sind.“ Statt paternalistischem Mitleid schlage ihnen echte Begeisterung und
Neugier entgegen. Umgekehrt dürften Besucher:innen der Gemüsewerft
keine Servicementalität erwarten. „Es kann passieren, dass man
vollgequatscht wird oder eine Person wegläuft, die man etwas fragen
möchte.“
Glatt und gefällig ist nichts an der Gemüsewerft, auch äußerlich nicht. Da
stehen in einer Ecke zwei rostigrote Container, über ihnen eine Hochebene,
darunter Gerümpel, neben dem Hopfenfeld stapeln sich Paletten. Der Kontrast
zu den Gebäuden, die bereits stehen, und denen, die gegenüber geplant sind,
könnte kaum größer sein.
Die Gemüsewerft war als Erste hier, eine Pionierpflanze, deren Namen
niemand kennt, gewachsen in einer Asphaltritze. Michael Scheer sagt, sie
werde für immer hier bleiben. Denn Unkraut – das vergeht nicht.
24 Nov 2024
## LINKS
[1] https://gib-bremen.info/urban_gardening_farming_gemuesewerft.php
[2] /Urban-Gardener-in-Berlin/!6015041
[3] /Theater-ueber-Behindertenwerkstaetten/!6035775
[4] /Gartenprojekt-in-Gropiusstadt/!5720865
[5] https://mehrzuverdienst.de/
## AUTOREN
Eiken Bruhn
## TAGS
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