# taz.de -- Überwachtes Einkaufen in Hamburg: Abgescannt | |
> In der Hamburger Sternschanze hat ein Supermarkt eröffnet, der die | |
> Kund*innen mit Kameras überwacht. Am Schluss weiß die KI, was jede*r | |
> eingekauft hat. | |
Bild: Wir wissen, was Sie gekauft haben | |
Hamburg taz | Ich ziehe mir die Kapuze über den Kopf und schlage den Kragen | |
meiner Jacke hoch, als ich den Laden betrete. Oh, lieber doch nicht, sonst | |
denkt die KI bestimmt, ich will was klauen. Ziehe Kapuze und Kragen wieder | |
auf ein unverdächtiges Maß aus dem Gesicht und betrete die Gemüseabteilung. | |
Gut achtzig Kameras überwachen Gurken, Kiwis, Sellerie und anderes | |
Grünzeug. | |
Rewe hat ausgerechnet im [1][linksautonom angehauchten Hamburger | |
Schanzenviertel] einen „Pick&Go“-Markt eröffnet. „Pick&Go“ bedeutet, d… | |
Kund*innen, die eine entsprechende App nutzen, die Waren einfach in ihre | |
Tasche packen und den Laden verlassen können. Man muss am Ausgang nur die | |
App scannen, dann bucht sie den Betrag für die mitgenommenen Produkte | |
selbstständig ab. Woher weiß die App, was ich eingekauft habe? Waagen in | |
den Regalen machen es möglich, den Rest schaffen mehrere hundert Kameras an | |
der Decke des Marktes. | |
[2][Rewe] wirbt damit, dass Kund*innen hier zwischen vier Möglichkeiten | |
der Bezahlung wählen können: Neben dem App-basierten Einfach-Rausgehen gibt | |
es neun Selbstscan-Kassen und eine Oldschool-Kasse mit einem menschlichen | |
Mitarbeiter. Die vierte Möglichkeit ist, den Einkaufskorb auf die Waage an | |
der Selbstscan-Kasse zu stellen und sich selbst in einen bestimmten Bereich | |
davor zu positionieren. | |
Kameras erfassen die jeweilige Kundin anhand ihres Körperbaus und setzen | |
sie mit den Bildern in Verbindung, die sie Minuten vorher von ihr gemacht | |
haben, als sie nasebohrend vor dem Klopapierregal stand oder alle Avocados | |
auf der Suche nach dem richtigen Reifegrad einmal eingedrückt hat. Die | |
intelligente Kasse nennt dann den Betrag für den ganzen Einkauf, ohne dass | |
man die Waren einzeln einscannen muss. | |
## Erfasst am Süßigkeitenregal | |
Ich habe natürlich nicht die Pick&Go-App, sondern will testen, wie es sich | |
anfühlt, komplett überwacht einzukaufen. Ich meine: Am Ende weiß der Laden | |
ja eh, was ich gekauft habe. Da ich im Supermarkt fast immer mit Karte | |
zahle, weiß er auch, wer ich bin. Dass mein Körperbau am Süßigkeitenregal | |
erfasst wird, ist allerdings neu und fühlt sich unangenehm an. In der | |
Gemüseabteilung geht es ja gerade noch. Wobei ich mich, als ich länger vor | |
den Blaubeeren stehe und gucke, wo die um diese Jahreszeit so herkommen und | |
ob der Kilopreis mit der Entfernung zunimmt, nach einer Weile frage, ob ich | |
mittlerweile verdächtig lange hier herumlungere. Ich gehe schnell ohne | |
Beeren weiter. | |
Vor dem Brötchenregal hält ein Mitarbeiter drei Handys oder ähnliche Geräte | |
in der Hand und tippt irgendwas ein. Sowieso laufen hier ziemlich viele | |
Mitarbeiter*innen herum und scannen oder sortieren Waren. Allerdings | |
interessieren sie sich nicht für herumlungernde Einkaufende, dafür gibt es | |
schließlich die Kameras. | |
Diese Rewe-Filiale ist ein Hotspot für im Schanzenpark chillende und | |
feiernde Jugendliche, für den Alkoholeinkauf am Freitagabend. Ob die sich | |
an den Kameras stören, ist schwer zu testen an einem Dienstagvormittag. | |
Aber natürlich wird der Supermarkt auch von vielen Anwohner*innen | |
genutzt, die ans Schanzenviertel angrenzend wohnen – und die sind gar nicht | |
amused. Aus Prinzip stellten sich alle immer an die Bargeldkasse, hatte mir | |
eine Bekannte erzählt. Eine Kampagne gegen den Überwachungseinkauf sei in | |
Planung, erzählt eine andere. | |
Ich muss sagen: Als direkte Anwohnerin, die hier alle paar Tage einkaufen | |
geht, würde es mich auch massiv stören, wenn jedes Mal mein Skelett | |
gescannt würde. Als 18-jährige Partyeinkäuferin wäre es mir wahrscheinlich | |
scheißegal. Wobei – in der Getränke- oder Gemüseabteilung ist das eine | |
Sache, aber wie sieht es in der Abteilung „Damenhygiene“ aus? Als ich vor | |
Schwangerschaftstests, Intimseife, Kondomen und Gleitgel stehe, kommen mir | |
schon Zweifel, dass ich hier entspannt was aussuchen könnte, während mir | |
dreißig Kameras in den Nacken starren. Mein 18-jähriges Ich hätte das | |
sicher nicht geschafft. | |
## Darstellung des Knochenbaus | |
Die Kameras im Supermarkt erfassen nach Auskunft des Betreibers „eine | |
schematische Darstellung deines Knochenbaus, in Ausnahmefällen die Farbe | |
deiner Kleidung oder auffällige Accessoires“. Widersprechen kann man nicht, | |
es sei laut den Datenschutzbestimmungen von Rewe nicht möglich, einen | |
entsprechenden Laden zu nutzen, ohne dass „deine Daten von Videokameras | |
erfasst und in Ausnahmefällen in einer Cloud gespeichert werden“. | |
Außerdem speichert der Supermarkt die Uhrzeit und Dauer des Einkaufs sowie | |
„deinen Weg durch den Markt“. Was man aus dem Regal nimmt und wieder | |
zurücklegt, wird ebenso gespeichert wie die Waren und Mengen, die man am | |
Ende erwirbt. Ziemlich viele Daten für ein paar Mandarinen, eine Packung | |
Knäckebrot und eine Nussmischung, denke ich, als ich mich mit meinem | |
Einkauf der Kasse nähere. | |
An den Roboterkassen steht kein Mensch, [3][dafür sind knapp zehn Personen | |
an der Menschenkasse]. Ich zahle bei der freundlichen Kassiererin, | |
inklusive „bitte, danke, schönen Tag noch“. Letztlich war das | |
Einkaufserlebnis nicht schlimm, aber mit meinen Mandarinen, Knäckebroten | |
und der Nussmischung habe ich auch einen geradezu verdächtig langweiligen | |
Einkauf hingelegt. Nicht mal Tampons, Stinkekäse oder ein WC-Duftstein | |
waren dabei. | |
Gut, vielleicht waren die Mandarinen, das Knäcke und die Nussmischung in | |
Wirklichkeit nicht alles, was ich gekauft habe. Details will ich aber nicht | |
verraten. | |
11 Nov 2024 | |
## LINKS | |
[1] /Schanzenviertel/!t5007861 | |
[2] /Der-Supermarkt-des-Horrors/!5767291 | |
[3] /Amazon-Fresh-beendet-Just-walk-out/!5999230 | |
## AUTOREN | |
Katharina Schipkowski | |
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