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# taz.de -- Nürnberger Verkehrswende am Scheidepunkt: Vision eines Stadtkanals
> Der schmale Leiblsteg überquert den Frankenschnellweg. Dort, wo heute
> noch Autos donnern, könnte eines Tages der Nürnberg-Fürther Stadtkanal
> sein.
Bild: Eine Wasserstraße wartet auf ihre Wiederbelebung
Nürnberg taz | Ein mächtiges Rauschen ist zu hören, wenn man frühabends auf
dem schmalen Leiblsteg steht. Rund neun Meter tiefer rollt vierspurig der
Autoverkehr, im Minutentakt reichern direkt daneben auf vier
Schienensträngen Züge die Geräuschkulisse an. Wenn dann dicke Lastwagen und
Güterzüge zeitgleich die Fußgängerbrücke passieren, schwillt das nervige
Rauschkonzert mit dröhnendem Fortissimo an.
Los ging es mit dem Lärm 1967, als hier im Schatten des Quelle-Turms in
Nürnberg der erste Abschnitt des Frankenschnellwegs eröffnet wurde. Es
entstand eine Stadtautobahn, die den Nürnberger Westen massiv
durchschneidet. Die Namen betroffener Stadtteile wie Eberhardshof und Höfen
signalisieren, dass hier einmal Ackerbau dominierte. Sandsteingebäude auf
beiden Seiten erinnern heute noch an die Zeit der Bauernhöfe.
## Wasser einst, wo heute Straße ist
Aber bereits Mitte des 19. Jahrhunderts hatte sich das Ortsbild geändert,
als mit dem [1][alten Ludwigskanal] eine Verbindung zwischen Main und Donau
geschaffen wurde. Ein vergleichsweise beschauliches Bauwerk, das Schiffe ab
1950 nicht mehr nutzten. Während die Wasserstraße südlich der Nürnberger
Gartenstadt und nördlich von Erlangen erhalten blieb und zur Freizeitoase
wurde, schüttete man sie im Ballungsraum zu. Auf der Kanaltrasse bekam der
motorisierte Verkehr eine Pendlerpiste, um schneller nach und durch
Nürnberg zu kommen.
Ein Wunschdenken, das von der Wirklichkeit überrollt wurde. Immer mehr
Autos sorgten für Dauerstaus, weil auf der autobahnähnlichen Trasse ein
Straßenabschnitt mit drei Ampeln geblieben war. Vom 130 Meter langen
Leiblsteg lassen sich die Auswirkungen gut beobachten. Im Rhythmus der
Ampeln werden stetig neue Fahrzeugströme westwärts ausgespuckt, während
Bremslichter ein rotes Band stadteinwärts bilden. Als Vorbote der nahenden
Staufalle.
Gegen den Verkehrslärm installierte man auf der Bahnseite graue
Schallschutzwände, während neben der Straße grün umrankte Betonzylinder
Spalier stehen, deren Dämmwirkung für die Anwohner allerdings eher gering
ist. Ein Grund, warum die Stadt ein dickes Ausbaupaket geschnürt hat, zu
dem acht Meter hohe Lärmschutzwände gehören.
Seit gut 15 Jahren wird über das Großprojekt gestritten, das auch einen
Tunnel wie beim Mittleren Ring in München vorsieht. Im April 2024 hat der
bayerische Verwaltungsgerichtshof die Klage der Kritiker gegen den
Planfeststellungsbeschluss abgewiesen. Der Bund Naturschutz will nun die
Urteilsbegründung abwarten, bevor über eine Revision vor dem
Bundesverwaltungsgericht entschieden wird.
Angesichts der allseits geforderten Verkehrswende stellt sich doch die
Frage, ob so ein Frankenschnellweg-Ausbau nicht aus der Zeit gefallen ist.
Zumal die Kosten längst von prognostizierten 200 Millionen Euro in Richtung
einer Milliarde gestiegen sind. Die Kommune aber will das Projekt nicht
beerdigen. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder hat zugesagt, 80 Prozent
der Kosten aus dem Etat des Freistaats zu übernehmen.
Wegen des schwebenden Verfahrens ist ein baldiger Baubeginn unrealistisch.
So wäre es an der Zeit, dass die Stadtverwaltung eine klimafreundliche
Alternative untersucht, die eine Renaissance des Wasserwegs vorsieht. Die
hat der [2][Verein Nürnberg-Fürther Stadtkanal (NFSK]) vor vier Jahren ins
Gespräch gebracht und dafür 2021 [3][sogar einen Panterpreis der
taz-Leser:innen erhalten].
## Ausflugsboote statt Autos
Der Charme des neuen Stadtkanals: Die Züge würden weiter wie bisher fahren,
auf der jetzigen Asphaltpiste aber wären Ausflugsboote unterwegs. Es gäbe
viel Grün samt Kleingärten, einen Fahrradschnellweg und Raum zum Flanieren
sowie eine zusätzliche Frischluftschneise, während der Autoverkehr durch
intelligente Maßnahmen deutlich reduziert und umgeleitet wird.
Doch der NFSK hat erst 136 Mitglieder, was noch nicht für so eine breite
Volksbewegung wie im holländischen Utrecht spricht. Dort hatte schon 2001
ein Bürgerentscheid zum Aus für die Stadtautobahn und den Neustart zum
Stadtkanal geführt, der 2021 vollendet wurde.
Nach zwei Stadtkanalkongressen ist in Nürnberg allen bewusst, dass ein
langer Atem und Allianzen nötig sind, um die Idee für einen klimagerechten
Stadtumbau mehrheitsfähig zu machen. Wegweisend könnte ein Volksfest sein,
das am 6. Juli auf einem gesperrten Teilstück des Frankenschnellwegs
stattfindet, während sechs Kilometer entfernt das Norisring-Autorennen über
die Bühne geht.
Am Leiblsteg wird sich der Lärm da mal in Grenzen halten, die Fußgänger
können von berauschenden Aussichten für eine Verkehrswende träumen.
25 May 2024
## LINKS
[1] https://de.wikipedia.org/wiki/Ludwig-Donau-Main-Kanal
[2] https://nfsk.de/
[3] /taz-Panter-Preis-Verleihung/!5815238
## AUTOREN
Jo Seuß
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