# taz.de -- Mitbegründer des Hannoveraner Punk-Protests: "Chaos in der Kartei" | |
> Vor 30 Jahren fanden in Hannover die ersten Chaos-Tage statt. Initiator | |
> Karl Nagel über Verwirrungstaktik, kaputte Scheiben und einen nicht tot | |
> zu kriegenden Mythos. | |
Bild: Entwickelte sich ungeplant zur Dauerveranstaltung: Chaos-Tage in Hannover. | |
taz: Karl Nagel, du hast am 18. Dezember 1982 die ersten Chaos-Tage in | |
Hannover mitbegründet. Wieso in Hannover? | |
Die Chaos-Tage waren nie als Hannoveraner Serie geplant. Das sollte ein | |
einmaliges Ereignis sein. Ein taz-Journalist hatte damals über eine Kartei | |
berichtet, in der Punks aufgrund ihres Aussehens erfasst wurden. | |
Ende August 1982 wurde die Polizei Hannover angewiesen, „alle Erkenntnisse | |
über sog. Punker unverzüglich der zentralen Nachrichten und | |
Auswertungsstelle der KFI 7 formlos schriftlich mitzuteilen“ – also im | |
Prinzip sollten merkwürdig aussehende Leute dem Staatsschutz gemeldet | |
werden. | |
Die Polizei hatte damals die etwas irrige Annahme, die Punks seien | |
gefährlich, würden Bomben legen und seien das revolutionäre Potenzial von | |
Morgen. Die Punks haben zwar mit radikalen Symbolen gearbeitet, gern mal | |
ein RAF-T-Shirt getragen. Auf entsprechenden Demos waren sie sehr aktiv und | |
manche waren auch durchaus sehr politisch. Aber für die Polizei, die es | |
nicht geschafft hat, Spitzel in die Punk-Szene einzuschleusen, hat sich das | |
eben nur von außen dargestellt. Die sind ziemlich auf die ganze Symbolik | |
reingefallen. | |
Die ersten Chaos-Tage waren also eine politische Aktion? | |
Eher eine Art Verwirrungstaktik. Was wäre denn, wenn sich ganz viele als | |
Punks verkleiden und dann noch ganz viele Punks von außerhalb kommen? Dann | |
kann die Polizei unter dem Stichwort „Punker-Datei“ so viel fotografieren | |
und Personalien aufnehmen wie sie will. Sie werden einen miesen | |
Datenbestand haben, weil eben auch Leute dabei sind, die keine Punks sind. | |
Und so wird die Datei unbrauchbar – eine schöne Idee. | |
Die war abgeguckt von Mitglieder der Grün-Alternativen-Bunten-Liste, die | |
damals als Punks verkleidet an einer Sitzung des Stadtrats teilgenommen | |
hatten. Uns ging es mit den Chaos-Tagen um das Chaos in der Kartei und | |
nicht um reales Chaos in der Stadt. Die Aktion haben wir dann mit | |
entsprechendem Brimborium angekündigt. | |
Mit Flugblättern, auf denen Dinge standen wie „Noch zehn Tage bis zum | |
Untergang Hannovers!“. Kamen denn auch verkleidete Nicht-Punks? | |
Die Idee ist nur bedingt aufgegangen, muss man sagen. Und die ganze Sache | |
ist auch ziemlich schnell aus dem Ruder gelaufen. Es haben sich am 18. | |
Dezember 1982 viele Leute am Kröpcke in der Innenstadt Hannovers | |
versammelt. Und die Stimmung war recht friedlich, da ging vielleicht mal | |
eine Flasche zu Boden, aber es wurde keine geworfen, wie es später hieß. | |
Aus diesem Mob heraus formierte sich dann irgendwann eine Demo, die die | |
Polizei sofort wieder zerschlagen hat – zack und druff. Das hat dann die | |
üblichen Kollateralschäden mit sich gebracht. | |
Zerschlagene Scheiben und so? | |
Der Krawall dauerte maximal 15 Minuten und ja, es gingen diverse Scheiben | |
kaputt. Das muss man aber auch im zeitlichen Kontext der Hausbesetzungen | |
sehen. Damals waren zerbrochene Scheiben fast schon ein Stilmittel. | |
Mitte der 1990er blieb beim Revival der Chaos-Tage von dem politischen | |
Ansinnen des Anfangs nichts übrig. Es gab Schlagzeilen wie „In der | |
Nordstadt herrschte Todesangst“ oder „Chaoten wollen die Stadt in Schutt | |
und Asche legen“. Wie kam das? | |
Das Wiederbeleben der Chaos-Tage 1994 hatte keine politischen, sondern eher | |
nostalgische Gründe. Wir wollten sehen, was noch so geht. Und es kamen | |
immerhin 800 Punks nach Hannover. Wir hatten gar nicht die Absicht, da | |
irgendwas zu veranstalten. Diese große Dimension, die das Ganze angenommen | |
hat, ist ziemlich eindeutig der sich verändernden Medienlandschaft | |
zuzuschreiben. | |
Es ist aber doch tatsächlich ziemlich eskaliert. | |
Die Polizei konnte mit den Punks nicht umgehen und räumte wegen | |
Nichtigkeiten etwa 200 Leute vor dem Bahnhof ab. Aber der Hammer war, dass | |
die Polizei im Gespräch mit irgendwelchen Medienvertretern gesagt hatte, | |
die Punks hätten angekündigt, die Stadt in Schutt und Asche legen zu | |
wollen. Aber das ist eine von Polizei und Medien 1994 erfundene Legende, | |
die nie belegt werden konnte, es gibt kein Flugblatt zum Thema. Und ich | |
weiß es, weil ich dabei war. Wir haben extrem unpolitisches Zeug | |
geschrieben wie „Wir helfen Rentnern über die Straße“. Da ist man dann do… | |
ziemlich überrascht, wenn man liest: Die Punks wollen Hannover in Schutt | |
und Asche legen. | |
In der öffentlichen Wahrnehmung ist von den Chaos-Tagen aber nur hängen | |
geblieben: Da kommen merkwürdige Leute und machen alles kaputt. | |
So wurde auch berichtet. Die ganze Innenstadt Hannovers war voll mit | |
Fernsehteams, die jedes Taschentuch, das verkokelt auf dem Boden lag, als | |
Beleg für die Ausschreitungen der Punks filmten. Letztlich war es wohl so, | |
dass sich eine Rentnerin bei der Polizei gemeldet hatte und erzählte, sie | |
habe ein Gespräch zwischen zwei Punks gehört und die hätten gesagt, sie | |
wollten die Stadt in Schutt und Asche legen. So könnte man auch jeden | |
CDU-Parteitag von der Polizei räumen lassen. | |
Stille Post also? | |
Im Prinzip schon und für uns war klar: Jetzt wird zurückgelogen. In den | |
Jahren darauf haben wir nur noch Flyer gemacht mit Nachrichten wie „Giftgas | |
in Tokio – Chaos-Tage in Hannover“ oder „Wir schubsen Rentner vors Auto“ | |
und so Zeug. Und was ist passiert, obwohl Satire drauf stand? Man hat genau | |
diese Dinge wieder zitiert als Vorhaben der Punks. Und so wurde das ganze | |
fürchterlich aufgebauscht und jeder kleine Punk wusste: Ich fahre nach | |
Hannover, da bin ich mal richtig Chef. | |
Also alles für die Katz? | |
Ach, damals war die Wut über dieses Medienmonster, das alles machen kann, | |
einfach riesig groß und da hat es einfach Spaß gemacht, selbst zu lügen. So | |
gesehen war das schon in Ordnung und ich würde da auch nichts von | |
zurücknehmen. Aber wenn man das politisch betrachtet und sich fragt, wem | |
hat das geholfen?, muss man sagen: Natürlich keinem von uns. Es hat eher | |
Leuten Probleme bereitet. Aber es gibt Momente, da ist einem das ziemlich | |
scheißegal, da will man sich einfach nur wehren. | |
17 Dec 2012 | |
## AUTOREN | |
Ilka Kreutzträger | |
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