# taz.de -- Auftakt des Festivals Tanz im August: Der Tanz macht die Musik | |
> Tanztheater, Performance oder Konzert? Beim Festival Tanz im August, das | |
> diese Woche in Berlin gestartet ist, erhält man das meist alles zusammen. | |
Bild: Das Ensemble von „Dambudzo“ ist, anders als auf diesem Bild, nie mehr… | |
Wie entsteht ein Tanzstück? Ist die Musik vor der Bewegung da? Können die | |
Tänzer proben, wenn auf der Bühne gebaut wird? Wann kommen die Kostüme? | |
Die Dramaturgie der Entstehung hat der junge französische Choreograf Némo | |
Flouret ordentlich durchgeschüttelt in seinem ziemlich komischen Stück | |
„Derniers Feux“, mit dem in dieser Woche das Festival Tanz im August in | |
Berlin begann. Die Beinkleider der Performer:innen ähnelten kleinen | |
Pullovern, Ärmchen schlenkerte um die Schenkel. | |
Eingeschrumpft und auf den Kopf gestellt, das ist schon mal eine Strategie | |
der Verwirbelung des Gewohnten. Fanfaren signalisieren, gleich geht es | |
los, aber das passiert auf der Bühne im Hebbel-Theater dann doch lange | |
nicht. Eine Trommel wird von Performer zu Performer gereicht, ein Takt | |
reingehauen, Musik geschrumpft. Riesige Buchstaben werden über die Bühne | |
getragen und wieder weg, Pappwände aufgestellt und fallen gelassen. | |
Beinahezusammenstöße sind kunstreich inszeniert, zirzensische | |
Präzisionsarbeit. Dass in dem Durcheinander auch getanzt wird, drei | |
Tänzer:innen in synchronen Bewegungen, bemerkt man irgendwann und | |
verliert es wieder aus dem Blick, aber die Tänzer:innen sind immer noch | |
da. Mit Megafon versucht jemand Ordnung ins Chaos zubringen, vergeblich. | |
Hemden fliegen durch die Luft, später Pfeile und Knallerbsen, die den Takt | |
vorgeben. Genüsslich wird das Verfehlen einer Ordnung zelebriert. | |
Programmatischer Auftakt | |
Das war nicht nur ein unterhaltsamer Auftakt des Festivals, das dieses Jahr | |
20 Produktionen, oft von jungen und noch wenig bekannten | |
Choreograf:innen eingeladen hat. Sondern dies schien in einer Hinsicht | |
programmatisch für die nächsten Abende: Musiker:innen und | |
Tänzer:innen agieren gemeinsam, erzeugen Sound und Bilder zusammen. | |
In [1][„Nôt“ von Marlene Monteiro Freitas] sind die drei an den Trommeln | |
ebenso Performer.innen wie die Tänzer:innen, nehmen ebenso Teil an den | |
formalisierten Bewegungsbildern, Ritualen am Krankenbett und | |
Prozessionen, an visuellen Steigerungen ins Groteske. Alle zusammen | |
erzeugen einen dramatisch aufgeladenen Raum voller Assoziationen, die | |
zwischen Katholizismus, Fetischismus und Kolonialismus viele Bilder | |
anreißen. | |
Der Choreograf Adam Lindner, in Australien geboren, pendelnd zwischen | |
Berlin und Los Angeles, hat für „Tournament“ mit dem Komponisten Ethan | |
Braun und dem [2][Solistenensemble Kaleidoskop] gearbeitet. Sie haben sich | |
die Reflexion der historischen Verbindung von Tanz und Musik direkt als | |
Thema vorgenommen. F | |
ünf Streicher:innen sitzen nun auf einer Pyramide vier Tänzer:innen | |
gegenüber. Die Bögen, die über die Saiten gleiten und ein strenges und | |
hartes Tongebäude errichten, übernehmen da teils auch die Regie über die | |
Körper. Werden aber auch entwendet, die Möglichkeiten der Beziehungen | |
variiert. Letztendlich bleibt „Tournament“ ein etwas akademisches | |
Experiment. | |
Lebendige Energie in der Partylocation | |
Dagegen lud nora chipaumire, 1965 in Simbabwe geboren, heute international | |
unterwegs, in eine Installation in der Alten Münze in Berlin Mitte ein, | |
eine Partyloction, die nur so brummte voll lebendiger Energie. | |
Elektronischer Sound unterstütze die schwarzen Performer:innen in | |
„Dambudzo“, die alle tanzten und Musik machten, Fußball spielten, sangen, | |
umherzogen. | |
Über große Strecken hinweg war das ein berührendes Konzert, dann wieder | |
entstanden dramatische Bilder. Etwa wenn in einem wilden Spiel, bei dem | |
Lehmkugeln an eine Wand geworfen wurden, einer der Männer dann von den | |
anderen angegriffen wurde und schließlich wie Christus in der Pietà im | |
Schoß eines anderen liegt. | |
Oder wenn Hundegebell und Schüsse den Sound durchstießen und die blauen | |
Stangen der Tänzer zu Gewehren wurden, mit denen sie Bilder der Bewachung | |
und Bedrohung stellten. In solchen Momenten schimmerte die Erinnerung an | |
eine koloniale Vergangenheit auf. | |
Für nora chipaumire haben koloniale Bildung und Ideologie ihre Jugend | |
geprägt. „Dambudzo“ durchquert diese Erfahrungen wie wiederkehrende Wellen | |
von Schmerzen, aus denen sich herauszulösen nur eine Gemeinschaft helfen | |
kann. Sie bildet sie zusammen mit ihren Künstler:innen, und es ist eine | |
sehr freundliche Geste, mit der sie die Zuschauer.innen einlädt, Teil davon | |
zu werden. | |
Kooperationen verschiedener Festivals | |
Mit „Dambudzo“, entstanden im Auftrag der Berliner Festwochen, tourt | |
chipaumire im Herbst über verschiedene Festivals in Europa. | |
So ist [3][das Berliner Festival Tanz im August] Teil der internationalen | |
Festivalagenda. „Derniers Feux“ und „Nôt“ kamen in Avignon heraus, bei | |
„Tournament“ ist Kampnagel Koproduzent. Bei einigen Stücken sind bis zu | |
zwölf koproduzierende Festivals genannt. | |
Darin spiegelt sich nicht nur die Vernetzung, sondern auch die | |
Notwendigkeit der Szene. Tanzförderung ist nach wie vor fragil, es braucht | |
viele Beteiligte, um einen Etat auf die Beine zu stellen. | |
17 Aug 2025 | |
## LINKS | |
[1] /Tanzperformance-auf-Europatour/!6103931 | |
[2] /Performance-in-der-Berlinischen-Galerie/!6049801 | |
[3] https://www.tanzimaugust.de/ | |
## AUTOREN | |
Katrin Bettina Müller | |
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