| # taz.de -- Choreograf Moritz Ostruschnjak: Jedes Glied auf einem anderen Trip | |
| > Mit Copy, Paste und Remix arbeitet der junge Münchner Choreograf Moritz | |
| > Ostruschnjak mit Vorliebe. Fanmassen werden ebenso zum Thema wie | |
| > Inklusion. | |
| Bild: Warum Treppen steigen, wenn man auch drübertanzen kann? Ostruschnjaks �… | |
| Coolnessfaktor: 100 Prozent. Publikumsandrang: Man steht Schlange. Das ist | |
| alles andere als selbstverständlich, wenn zeitgenössischer Tanz auf der | |
| Tagesordnung steht. Was hier auch nicht wirklich der Fall ist. Moritz | |
| Ostruschnjaks „Cardboard Sessions“, die am 28. Juni in der Münchner | |
| Pinakothek der Moderne stattfanden, sind eher eine freundliche Übernahme | |
| der Museumsarchitektur durch Urban Dance. | |
| Es beginnt mit zwei Meisterinnen des Krump am Kopf einer breiten Treppe. | |
| Die in der lichten Rotunde verteilten Zuschauer*innen müssen die beiden | |
| erst suchen, die ameisenklein wirken da oben. Und plötzlich ploppen | |
| zwischen ihnen noch winzigere Köpfe auf. | |
| 12 Tänzer und Tänzerinnen verschiedener Herkünfte, von Breaking und | |
| Krumping über Waving, Elektro, HipHop und House hat Ostruschnjak hier | |
| freigelassen, unter ihnen Stars der Szene wie der deutsche Olympionike | |
| Serhat „Saïd“ Perhat. Der Jüngste im Team ist erst 14 Jahre alt, ein B-Boy | |
| lässt die gelähmten Beine durch die Luft fliegen wie nichts, und alle | |
| mischen sich unter die Zuschauer*innen, um dort in die unmöglichsten | |
| Verknotungen zu gleiten. | |
| Sie kleben ihre Körper an das Glas der Balkone, suchen Blickkontakt und | |
| lassen die Stimmung mit spektakulären Aktionen kochen, sie performen aber | |
| neben den fast utopischen Möglichkeiten des menschlichen Körpers auch eine | |
| Gemeinschaft, der man unbedingt beitreten möchte. | |
| In der Sprayer- und Breakdance-Szene sozialisiert | |
| Moritz Ostruschnjak hat einmal dazugehört. 1982 in Marburg geboren, wurde | |
| er in der Sprayer- und Breakdance-Szene sozialisiert, bevor er bei Maurice | |
| Béjart in Lausanne und an der Münchner Iwanson-Schule klassischen und | |
| zeitgenössischen Tanz studierte. | |
| Seit 2013 fusioniert er beides in unverwechselbare Choreografien, um die | |
| sich europäische Festivals reißen. Drei seiner Stücke waren bereits zur | |
| [1][Tanzplattform Deutschland] eingeladen, der Bestenauswahl der Branche. | |
| Es gibt wenige Künstler, die in den letzten Jahren derart durchgestartet | |
| sind. | |
| Auch beim Internationalen Münchner Dance-Festival, als dessen Nachhut | |
| „Cardboard Sessions“ nun etwas verspätet zur Weltpremiere kam. Für den | |
| neuen Festivalleiter Tobias Staab, der Dance als Brücke zwischen bildender | |
| Kunst und Tanz, Club und Bühne, Street Credibility und Hochkultur neu | |
| situieren will, ist Ostruschnjaks Flirt mit den eigenen Wurzeln ein | |
| Volltreffer. | |
| Und auch seine anderen Arbeiten hätten ideal in Staabs Programm gepasst. | |
| Stärker durchchoreografiert, holen sie die Memes und viralen Gesten des | |
| World Wide Web zurück in die Körper und schmuggeln meist noch ein | |
| politisches Anliegen ein. | |
| Zwischen Fantum und Fanatismus | |
| In Ostruschnjaks jüngster Produktion „Non + Ultras“ geht es etwa um die | |
| Spanne zwischen Fantum und Fanatismus. Rund 500 farbenfrohe Schals bilden | |
| dafür die widersprüchliche Signale aussendende Bühne. | |
| Und der Zeichenoverkill ist geradezu das Markenzeichen dieses jungen | |
| Choreografen, der vor einigen Jahren entschied, es gebe nichts Neues mehr | |
| zu erfinden, aber umso mehr zu klauen, zu sammeln, zu kompilieren und wild | |
| miteinander zu verschneiden. Copy, Paste und Remix sind Moritz | |
| Ostruschnjaks choreografische Prinzipien. Und das gilt nicht nur für das | |
| Schritt- und Bewegungsmaterial, sondern für alle Layer, aus denen seine | |
| Stücke bestehen: also auch für Videobilder und Musik, Bühne und Kostüme. | |
| In seiner mit dem Ensemble von [2][tanzmainz kreierten Produktion „Trailer | |
| Park“], die in diesem Jahr bei [3][Tanz im August in Berlin] zu Gast sein | |
| wird, sehen schon die Shirts der zehn Tänzer*innen aus wie ein Mix aus | |
| Motocross-Trikots und umgeschneiderter Bandenwerbung. | |
| Die Botschaften clashen und überlagern sich aber auch in den Grimassen, | |
| Handgesten und fragmentierten Bewegungen. Ähnlich wie „Autoplay“, | |
| Ostruschnjaks 2019 in der Münchner freien Szene entstandener „Bastard-Pop | |
| aus 1000 Diebstählen“, basiert auch dieser Abend auf Playlists, die die | |
| Tänzer*innen aus Netz-Fundstücken wie Memes und viralen Tanz- und | |
| Sport-Videos angelegt haben. | |
| Kürzestsequenzen daraus wurden eingeübt und immer wieder neu | |
| zusammengesetzt, bis es sich richtig anfühlt. Da begegnen sich auch schon | |
| mal im Körper verschiedene Quellen: oben klassischer japanischer Tanz, | |
| unten Techno-Jumpstyle. Manchmal sieht es sogar so aus, als wäre jedes | |
| Glied auf einem anderen Trip. | |
| Überforderungen der Gegenwart | |
| Aber auch musikalisch geht es munter querbeet in diesen Arbeiten, in denen | |
| sich die „Dismatches“ und die Überforderungen der Gegenwart spiegeln. Doch | |
| wenn Ostruschnjak danach fragt, wie sich die Digitalisierung auf uns | |
| auswirkt, fällt seine künstlerische Antwort darauf nie kulturpessimistisch, | |
| sondern eher ironisch-realistisch aus. | |
| Wie er dieses Potpourri popkultureller Referenzen immer wieder dicht und | |
| thematisch konkret bekommt, bleibt sein Geheimnis – auch vor sich selbst: | |
| „Eine Szene stimmt dann, wenn sie etwas mit mir macht,“ sagt der belesene | |
| und nachdenkliche Mann schlicht. Und meistens macht sie dann auch etwas mit | |
| dem Publikum. | |
| Etwas ungeheuer Zartes ist ihm da mit „Cry Why“ gelungen, einer Komposition | |
| aus zwei Tanz-Soli, Inline-Skates und rollenden Klavieren. Und von seinem | |
| [4][Pandemie-Meisterstück „Yester:Now“] wird man wohl auch in zwanzig | |
| Jahren noch sprechen: Damals fluteten seine Tänzer*innen den verwaisten, | |
| rund 2.400 Sitze fassenden Zuschauerraum der Philharmonie im Münchner | |
| Gasteig, mit Baseballschlägern und Schildern mit – natürlich – höchst | |
| widersprüchlichen Messages und hochvirtuosem Tanz, in dem urbane Stile, | |
| lässige Zeitgenossenschaft und die ganze Unübersichtlichkeit unserer Welt | |
| aufs schönste aufeinandertrafen. Coolnessfaktor: 100 Prozent | |
| Publikumsandrang: Man steht Schlange. | |
| 1 Jul 2025 | |
| ## LINKS | |
| [1] /16-Tanzplattform-Freiburg/!5994340 | |
| [2] https://www.staatstheater-mainz.com/veranstaltungen/tanz-24-25/trailer-park… | |
| [3] /Berliner-Festival-Tanz-im-August/!6030896 | |
| [4] https://moritzostruschnjak.com/yesternow/?lang=de | |
| ## AUTOREN | |
| Sabine Leucht | |
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