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# taz.de -- Choreografin Constanza Macras: „Wir müssen uns verteidigen, vor …
> Die argentinische Choreografin Constanza Macras kam 1995 nach Berlin. Ein
> Gespräch über die Stadt, die Welt und die Wiederaufnahme ihres neuen
> Stücks.
Bild: Regisseurin und Choreographin Constanza Macras in der Volksbühne
Constanza Macras' Präsenz ist sofort spürbar, als sie im knalligen Mantel
aus glänzendem Synthetikstoff ins dunkle Café eintritt. Sie kommt direkt
von einer Probe mit ihrer Kompagnie Dorky Park für das Stück „Back to the
Present“. Die Wiederaufnahme in der Volksbühne steht kurz bevor, Macras
beschreibt die Proben als intensiv, aber produktiv. Im Gespräch über ihr
neues altes Stück, Musks Mars-Mission, Berlin in den 90ern und heute, und
Lesen als politischen Widerstand merkt man: Hoffnungslosigkeit ist keine
Option für sie.
taz: [1][Das Stück „Back to the Present“ wurde 2003 im verlassenen Kaufhaus
Jandorf uraufgeführt], und als legendäre Partyperformance gefeiert. Was war
die Originalidee?
Constanza Macras: Ich war Anfang 30, und desillusioniert von romantischen
Beziehungen (lacht). Ich wollte ein humorvolles Stück darüber machen, was
Leute als Überbleibsel nach einer Trennung aufbewahren. In Privatwohnungen
sieht man ja diese ganzen Miniökosysteme von Dingen, die eigentlich wertlos
sind, aber für die Leute einen wichtigen emotionalen Wert haben. So kam ich
auf den Satz, der das Stück anleitet: „Memories are fragile, garbage lasts
forever“ („Erinnerungen sind zerbrechlich, Müll hält ewig“) (lacht).
taz: Jetzt holen Sie „Back to the Present“ zurück ins Jetzt. Wie kam es
dazu?
Macras: Dieses Jahr bringen wir zum über 20-jährigen Bestehen von Dorky
Park ein Buch raus. In diesem Zuge dachte ich mir: Lass uns das Stück
zurück auf die Bühne bringen, das in gewisser Weise unser Durchbruch war.
taz: Das Stück verhandelt unseren Blick auf die Vergangenheit. Wie war das
für Sie, ein über 20 Jahre altes Stück wiederaufzunehmen?
Macras: Wenn ich das Stück jetzt betrachte, finde ich es auf eine Weise
sehr jung. Es hat diese obsessive Liebe zum Detail. Alles war präzise
durchgeplant, wie die Leute aufstanden, wie sie die Türen öffneten und
schlossen. Einige Dinge würde ich heute anders machen. Aber es hat eine
Verspieltheit, von der ich immer noch denke, dass sie sehr wichtig ist.
taz: Hat sich die neue Version sehr verändert?
Macras: Ja, aber auch nein. Und das ist gut so (schmunzelt). Die Struktur
ist die gleiche, aber einige Figuren sind verschwunden, weil sie nicht
stark genug waren, um zu überleben, glaube ich. Dafür sind andere Figuren
stärker geworden.
taz: Ihre Choreografien entstehen immer in enger Kollaboration mit den
Tänzer:innen.
Macras: Ja, in dem Stück spielt jede:r sich selbst bzw. eine Karikatur von
sich. Deswegen verändern sich die Figuren und die Choreografie, je nachdem,
mit wem ich zusammenarbeite. Die Hauptfigur Jill Emerson hat sich vor 20
Jahren selbst gespielt und spielt sich jetzt immer noch selbst.
taz: Abgesehen von ihr hat sich die gesamte Besetzung geändert. Wie haben
Sie die Zusammenarbeit erlebt?
Macras: Ich war sehr froh, dass sie zugesagt hat, als einzige der
ursprünglichen Besetzung. Die meisten anderen fühlten sich nicht mehr mit
dem Stück verbunden. Das ist normal: Im Leben geht man in verschiedene
Richtungen. Aber Jill war immer die Person, die ich am meisten vermisst
habe. Es ist wirklich schön, wieder mit ihr zusammenzuarbeiten, und auch,
dass sie und die neue Besetzung sich fantastisch verstehen. Sie sind alle
sehr perfektionistisch, aber auch sehr herzlich miteinander. Und es ergibt
eine interessante Mischung aus Vergangenheit und Gegenwart.
taz: Welche Themen aus „Back to the Present“ sind heute vielleicht noch
relevanter als damals?
Macras: Im Stück wird ein Text des Theaterautors [2][Marius von Mayenburg]
vorgetragen, eine Zukunftsvision mit einem fast rassistischen Unterton, die
ausgewählte Leute privilegiert, die dann goldene Haut und so was haben. Es
ist gruselig, weil es früher nur absurde Fiktion war und jetzt wie die
reale Mission von Elon Musk klingt, Reisen zum Mars anzubieten – natürlich
nur für Milliardäre. Soviel Geld fließt derzeit in die falschen Dinge. Zum
Beispiel in die Verteidigung. Ja, wir müssen uns verteidigen, aber vor
allem vor uns selbst. Dafür gibt es keine echte Möglichkeit der
Verteidigung. Man kann noch so viel Geld ausgeben, es wird nicht besser
werden.
taz: Sie fühlen sich hoffnungslos in Bezug auf die Lage der Menschheit und
die Weltpolitik?
Macras: Wir haben gerade ein sehr hoffnungsloses Bild, dem müssen wir etwas
entgegensetzen. Ich bin stark von meiner Kindheit unter der
[3][argentinischen Diktatur] beeinflusst. Da habe ich trotz der Schrecken
auch Momente der Hoffnung und des Fortschritts gesehen. Ich glaube, auch
jetzt ist das möglich, aber wir müssen uns aktiv engagieren.
taz: An welche Möglichkeiten des Aktivwerdens denken Sie?
Macras: Ich denke, wir müssen wieder zu analogen Formen zurückkehren,
wieder mehr lesen. Unsere Aufmerksamkeitsspanne wird durch Social Media
immer kürzer, immer brauchen wir irgendeine Art von Effekt. Lesen engagiert
das Denken auf ganz andere Weise und hilft uns, resilienter gegenüber
Clickbait zu werden, ein wichtiges Instrument für rechte Parteien. Und wir
müssen versuchen, ihren schrecklichen Diskurs gegen Ausländer:innen zu
ändern. Er geht gegen alles: Sexualität, Gender, Race. Wenn man das zu Ende
denkt, trifft rechte Hetze im Endeffekt jeden.
taz: Ihre Kompanie wurde immer wieder als sehr divers bezeichnet. Sie
bringen Leute aus den unterschiedlichen Genres, Hintergründen und Ländern
zusammen. Warum ist Ihnen das wichtig?
Macras: Neulich schrieb jemand einen Kommentar auf Instagram: „Wow, die
Besetzung ist so divers, was gender und race angeht, bald wird das vorbei
sein.“ Es war schwer zu verstehen, ob es Ironie war. Aber dass jemand so
etwas schreibt, ist schon seltsam. Wir müssen verstehen, dass Diversität
nichts Außergewöhnliches ist. Sie passiert bei uns ganz natürlich. Wenn man
die Tür öffnet zu einem Ort, an dem inspirierende Menschen sind, zieht es
automatisch ganz verschiedene Menschen dahin.
taz: Ein wichtiger Ort in Ihrem Leben ist Berlin. Auch wenn Sie auf der
ganzen Welt touren, kehren Sie immer wieder hierher zurück. Was hält Sie
hier?
Macras: Nun, Berlin wurde eher zufällig zu meinem Zuhause. Ursprünglich um
mit meinem Ex-Freund zusammenzuziehen, was nie passiert ist. Aber ich
fühlte mich wohl hier in den 90ern, es war ein guter Ort für
Künstler:innen. Jetzt habe ich hier meine Familie. Ein wichtiger Faktor war
auch die große Unterstützung der Kultur in den letzten Jahren. Hier konnte
ich Produktionen schaffen, die ich dann weiter in die Welt hinaustragen
konnte. Für mich war immer sehr wichtig, Berlin in die Welt zu bringen und
die Welt nach Berlin. Ich denke, diese globale Offenheit ist wichtig für
die Stadt.
taz: Wie blicken Sie auf die Haushaltskürzungen des Berliner Senats im
Bereich Kultur?
Macras: Es ist beängstigend. Ich habe in den neunziger Jahren in New York
erlebt, was passiert, wenn der Kultur die Gelder gekürzt werden. Man konnte
nur noch Arbeiten machen, die sich kommerziell verkaufen ließen – nicht das
Beste für Kunst. Deshalb kamen viele großartige Künstler:innen nach
Westberlin. Margaret Atwood schrieb hier „Der Report der Magd“ mit der
Unterstützung eines Stipendiums. Man muss den Boden bereiten, damit
Künstler:innen wertvolle Arbeit leisten können. Ich verstehe natürlich,
dass auch in anderen Bereichen wie Bildung und Gesundheit nicht gekürzt
werden darf, wobei diese eh auch schon unterfinanziert sind. Aber wir
dürfen nicht vergessen, wie zentral Kultur für die Identität der Stadt
Berlin ist. Nicht nur für den Tourismus – sie ist eine Lebensweise, eine
Möglichkeit des Austausches.
taz: Merken Sie auch in Ihrer Kompanie eine wachsende Unsicherheit?
Macras: Ich habe großes Glück, weil ich immer noch Arbeit anbieten kann.
Derzeit haben acht Leute einen Vertrag, die anderen arbeiten freiberuflich.
Ich bin den Politiker:innen sehr dankbar, die hart für die Kultur
arbeiten und uns ermöglichen, unsere Arbeit fortzusetzen. Trotzdem haben
wir natürlich alle ein Gefühl der Unsicherheit. Es ist aber auch meine
Verantwortung als Künstlerin, über Geldfragen nachzudenken. Für mich heißt
das: weniger Kosten für Material, mehr für die Menschen. Für die nächste
Show werde ich einfach Teile anderer Bühnen wiederverwenden. Die
Requisiten, die ich für Back to the Present“ verwende, sind alle über 20
Jahre alt. Und ich versuche auch, talentierten Künstler:innen Türen zu
öffnen: „Back to the Present“ engagiert etwa sieben Gäst:innen. Auf einer
Bühne wie der Volksbühne zu stehen, ist eine gute Möglichkeit, um gesehen
zu werden. Ich erinnere mich daran, wie es ist, als Tänzerin mit einem
leeren Lebenslauf an Arbeit kommen zu wollen. Wir müssen alle darüber
nachdenken, wie wir mehr Menschen in die Szene einbinden und solidarischer
sein können.
taz: Verstehen Sie auch Ihre Kunst als politischen Akt?
Macras: Definitiv. In „Scratch Neukölln“ zum Beispiel haben wir mit
Jugendlichen aus Neukölln zusammengearbeitet, die im Bildungswesen stark
benachteiligt werden. Wir sollten wieder mehr solche Stücke machen, in die
Nachbarschaften gehen und Orte schaffen, an denen sich Menschen begegnen
und diskutieren können.
31 Mar 2025
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## AUTOREN
Yi Ling Pan
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