# taz.de -- Argentiniens Präsident und die Diktatur: Die anderen waren auch ga… | |
> Unter Argentiniens Präsident Milei läuft eine Kampagne zur Relativierung | |
> der Menschenrechtsverbrechen der Militärdiktatur. | |
Bild: Nationaler Gedenktag in Argentinien für die Opfer der Militärdiktatur i… | |
Buenos Aires taz | Während Argentiniens libertärer Präsident Javier Milei | |
mit seiner brutalen Sparpolitik für Schlagzeilen sorgt, vollzieht sich auch | |
ein Wandel in der Menschenrechtspolitik. Jüngstes Beispiel dafür ist der | |
Besuch von sechs Abgeordneten der Partei La Libertad Avanza (LLA) des | |
Präsidenten bei verurteilten Menschenrechtsverbrechern der Militärdiktatur | |
im Gefängnis. | |
Im Juli fuhren die sechs in einem offiziellen Fahrzeug des | |
Abgeordnetenhauses zu dem Gefängnis vor den Toren der Hauptstadt Buenos | |
Aires. Dort trafen sie „ehemalige Kämpfer gegen die marxistische | |
Subversion“, wie der LLA-Abgeordnete Beltrán Benedit betonte. Unter ihnen | |
war auch der ehemalige [1][Marinekapitän Alfredo Astiz, bekannt als | |
„blonder Todesengel“]. | |
Am 24. März 1976 hatte sich das Militär an die Macht geputscht. Es folgte | |
eine als „Prozess der nationalen Reorganisation“ bezeichnete Herrschaft, | |
unter der politische Gegner*innen gnadenlos verfolgt wurden und eine | |
radikal neoliberale Wirtschaftspolitik eingeführt wurde. | |
Menschenrechtsgruppen schätzen, dass bis zum Ende der Diktatur im Jahr 1983 | |
rund [2][30.000 Menschen ermordet wurden oder bis heute verschwunden sind]. | |
Noch immer gilt Argentinien als Vorbild bei der juristischen Aufarbeitung | |
von Verbrechen gegen die Menschlichkeit während der Diktatur. 1.187 | |
Personen wurden wegen Entführung, Folter oder Mord verurteilt. 508 der | |
Verurteilten stehen heute unter Hausarrest, 134 sind im Gefängnis. Gegen | |
weitere 500 Personen wurde ermittelt, aber einige von ihnen wurden aus | |
Alters- oder Gesundheitsgründen aus dem Strafverfahren ausgeschlossen oder | |
freigesprochen. | |
## Keine Mittel mehr für die Erinnerungskultur | |
Und während Milei versuchte, den Gefängnisbesuch seiner Abgeordneten mit | |
den Worten „Es war ihr Wille, ich hätte es nicht getan, aber Libertäre sind | |
kein Rudel“ herunterzuspielen, passte er perfekt zu den revisionistischen | |
Bestrebungen der konservativen Vizepräsidentin Victoria Villarruel. Die | |
49-jährige Militärstochter ist Gründerin und Vorsitzende des Zentrums für | |
juristische Studien über den Terrorismus und seine Opfer (CELTYV). | |
Dessen Ziel ist nach eigenen Angaben, „die Opfer des Linksterrorismus in | |
Argentinien zu zählen, zu verteidigen und ihnen eine Stimme zu geben“. | |
Lange vor ihrer Zeit als Vizepräsidentin hatte Villarruel mehrfach | |
verurteilte Menschenrechtsverbrecher in der Haft besucht, darunter auch den | |
2013 verstorbenen Junta-Chef Jorge Rafael Videla. | |
„Die Entscheidung, die Politik der Erinnerung, der Wahrheit und der | |
Gerechtigkeit zu streichen, ist seit der Wahlkampagne Teil des Programms | |
der derzeitigen Regierung“, schreibt die Menschenrechtsorganisation Centro | |
de Estudios Legales y Sociales (CELS) in ihrem Ende Juli veröffentlichten | |
[3][Bericht „Memoria Cancelada“] (Gestrichene Erinnerung). Daraus stammen | |
auch die Angaben zur juristischen Aufarbeitung. | |
[4][Im Wahlkampf hatte sich der Kandidat Milei als Verfechter der „Theorie | |
der zwei Dämonen“ positioniert], nach der die Verbrechen des | |
Staatsterrorismus mit den Gewalttaten der Guerillaorganisationen | |
gleichzusetzen sind. „In den 1970er Jahren gab es einen Krieg, die | |
Sicherheitskräfte haben Exzesse begangen, aber die Terroristen der | |
Montoneros und der ERP haben gemordet, Bomben gelegt und auch Verbrechen | |
gegen die Menschlichkeit begangen“, sagte Milei in der Fernsehdebatte der | |
Präsidentschaftskandidat*innen. | |
Seit seinem Amtsantritt hat sich dies in Form von Kürzungen, | |
[5][Schließungen und Entlassungen im Bereich der Menschenrechte] | |
niedergeschlagen, kritisiert die Menschenrechtsorganisation CELS. Die | |
Hälfte der Mitarbeitenden der acht Gedenkstätten, die direkt vom | |
Menschenrechtssekretariat der Regierung abhängen, wurde entlassen. Vielen | |
der über 800 Orte, die für Inhaftierung, Folter und Verschwindenlassen | |
genutzt und in Gedenkstätten oder Museen umgewandelt wurden, wurden die | |
Mittel gekürzt. | |
Darüber hinaus beschloss die Regierung, der Nationalen Kommission für das | |
Recht auf Identität (CoNaDI) keine Akten und Informationen der Streitkräfte | |
und der Polizei mehr zur Verfügung zu stellen, um das Schicksal der Babys | |
aufzuklären, die während der Diktatur in Gefangenschaft geboren und geraubt | |
wurden. Alles zielt darauf ab, die Suche nach Erinnerung, Wahrheit und | |
Gerechtigkeit in einen Exzess umzudeuten, der die Täter zu Opfern macht, so | |
die Schlussfolgerung von CELS. | |
12 Aug 2024 | |
## LINKS | |
[1] /ESMA-Prozess-in-Argentinien/!5466828 | |
[2] /Jahrestag-des-Militaerputsches/!5999955 | |
[3] https://www.cels.org.ar/web/publicaciones/memoria-cancelada-el-intento-libe… | |
[4] /Praesidentschaftswahl-in-Argentinien/!5963832 | |
[5] /Argentinien-vor-der-Wahl/!5964991 | |
## AUTOREN | |
Jürgen Vogt | |
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