| # taz.de -- Zwischen Avantgarde und Dancefloor: Es fehlte zum Genießen nur das… | |
| > Entdeckungsreisen durch Nebelschwaden: Das Festival Berlin Atonal ist ein | |
| > schwer greifbares Kulturmonstrum. Fünf Tage mit Sound, Club und mehr. | |
| Bild: Verwunschen wirkte der in Schwarzlicht getauchte Garten des Dänen Kristo… | |
| Versucht man, das Festival Berlin Atonal in wenigen Worten zu erklären, | |
| findet sich die Charakteristik vielleicht im Mangel eigener treffender | |
| Begriffe; es fühlt sich stets wie ein unvollständiges Umreißen dieses | |
| schwer greifbaren Kulturmonstrums an. Tonflächen auf reichlich Fläche, | |
| Elektronische Musik verschiedenster Coleur und aus unterschiedlichen | |
| Jahrzehnten, sich irgendwie analog gestaltende Musik mit „echten“ | |
| Instrumenten, gar nicht so musikalische Musik und mehr Ton, gar kein Ton. | |
| Dazu kommen Gemälde und Performances, Mitmachkunst und Videospiel, | |
| Videoinstallationen und Nebel noch und nöcher. | |
| Das klingt allzu, Achtung kulturjournalistisches Unwort, eklektisch. | |
| Vielleicht beschreibt auch die sehr bewegte Geschichte des Festivals | |
| selbiges am besten: 1982 ersonnen vom [1][Tresor-Gründer Dimitri Hegemann], | |
| 1990 eingestellt, weil er sich gänzlich dem Club- und Labelbetrieb widmete, | |
| 2013 von den beiden Australiern Laurens von Oswald und Harry Glass durch | |
| Hegemanns Initiative wiederbelebt, 2020 pandemisch niedergestreckt, 2021 in | |
| einen Megakunstparcours verwandelt, [2][2023 dann mit gleich elf Tagen] | |
| wiederbelebt, im Jahr darauf [3][in dreitägiger Miniatur], weil nur noch | |
| bi-jährlich und nun, 2025, wieder in fünftägiger Vollversion. | |
| In diesen fünf Tagen tummelten sich nun zahlreiche Geneigte bis Ahnungslose | |
| auf dem Veranstaltungsgelände vom Kraftwerk, Ohm und Tresor und kamen in | |
| den Genuss von dem Brutalismus umgenutzter Industriearchitektur und von | |
| Soundspuren, die mal mehr, mal minder harmonisch daherkamen. | |
| Das Selbsterklärendste war dabei noch die in Festival- und Bahnhofssprache | |
| Food Court genannte Reihe an kulinarischen Angeboten, die von | |
| nordamerikanischer Pfannenpizza über unvermeidliche Burger zu indonesischen | |
| Samosas auf an zwei Händen abzählbaren Ständen doch reichlich boten. | |
| ## Regen oder Stehparty | |
| Weniger bot sich Gelegenheit zum Verzehr im Sitzen. Der teilweise zum | |
| begrünten Veranstaltungsvorhof gewordene Parkplatz glich, wenn er nicht wie | |
| in den ersten beiden Tagen und Nächten vom Regen leergefegt war, einer rege | |
| besuchten Stehparty. | |
| In den gleichermaßen verschachtelten wie offenen Räumlichkeiten des | |
| ehemaligen Kraftwerks verlor sich die Masse etwas auf zahlreichen Ebenen | |
| und Flächen; im obersten Stockwerk die stets gut gefüllte Main Stage. | |
| Darunter, daneben und dazwischen bot die neu erdachte third surface | |
| Performancekunst, Video-, Videospiel und Soundinstallationen, Fotografie | |
| und Malerei, politische Ebene und vereinzelt ebenfalls Konzerte und | |
| Livesets. | |
| Tresor, Globus und Ohm versprachen mit DJ-Sets indes rhythmischen | |
| Eskapismus für das Partyvolk, dem das Festival bisweilen zu atonal wurde | |
| (oder das schlichtweg dachte, einer gewöhnlichen Nacht im Tresor | |
| beizuwohnen). Abseits des Tresors, in dessen vernebelten Katakomben | |
| markentreu Techno gespielt wurde, galt auch bei den Clubelementen das | |
| Mantra, sich nicht von Erwartungen leiten zu lassen: Im Ohm ersetzten | |
| zeitweise Air Horns den Übergang zwischen Afrobeats mit reichlich Bässen | |
| und von Autotune verzerrten Hooklines. | |
| Parallel versetzten die Berliner Techno-Legende DJ Pete und | |
| Drum’n’Bass-Elder Calibre den Globus kurzerhand mit einem Jump-Up-Set | |
| zurück in die Jahrtausendwende, wieder gefolgt von einem erratischen Set | |
| zwischen Bass Music und Broken Beats von Marylou. | |
| ## Durch die Genres wildern | |
| Das Dazwischen, die third surface, lockte zu Entdeckungsreisen in den | |
| Winkeln der riesigen Haupthalle, die täglich mit fortschreitender Stunde in | |
| beeindruckenden Mengen Nebelfluid versank, in dessen Schwaden sich die mit | |
| Bedacht gesetzten Lichtquellen umso schöner brachen. Umso verwunschener | |
| wirkte der in Schwarzlicht getauchte Garten des Dänen Kristoffer Akselbo, | |
| der hin und wieder seine Holzhütte verließ und seine Pflanzen liebevoll | |
| wässerte. | |
| Die Bühne nebenan beherbergte als Hightlight unter anderem Djrum, dessen | |
| improvisiertes Liveset zeigte, wie aufreibend auch Ambient sein kann, wenn | |
| sich ein durch Genres wilderndes Sampling-Genie ihm annimmt. Das weitaus | |
| treibendere Äquivalent lieferte er tags darauf mit einer zweiten | |
| Performance im Globus. Auch der zuvor bereits erwähnte Calibre spielte | |
| irritierenderweise gleich zweimal. | |
| Die Werke des Norwegers Steinar Haga Kristensen leiteten unmerklich durch | |
| das Gebäude, zentral aufgebaut mit einem freskoartig bemalten Raum im Raum, | |
| in dem immerhin zwei Bänke zum Videospiel mit seinen bunten | |
| schlafparalysedämonenhaften Figuren luden; neben der Hauptbühne luden | |
| starre, unter Bässen erzitternde Holzplateaus zum Niederlegen und | |
| Betrachten seiner Deckenmalerei in Kirchenschifflänge. Verweildauer bot | |
| auch der imposante Anblick nicht, zu unbequem die Härte der Plateaus, nur | |
| übertroffen von den metallenen Tribünen, die die Main Stage einrahmten. | |
| Eigentlich fatal, luden doch weltentrückte Sphären wie die Klänge der | |
| Französin Malibu umso mehr dazu ein, sich zu optimalem Hörgenuss | |
| niederzulassen. Den inneren Wunsch, die Bühne samt perfekt ausgesteuerter | |
| Anlage mit zum heimischen Sofa zu nehmen, brach vor allem die Performance | |
| von Bendik Giske und Sam Barker auf, deren metronomfreie Trance aus Synth- | |
| und Saxofonloops in gebührende Extase und die Frage mündete, was nach deren | |
| Eröffnungskonzert eigentlich noch kommen soll. | |
| Mit der überdimensionierten Warnleuchten-Installation mahnt [4][die | |
| polnische Künstlerin Joanna Rajkowska] zwar ähnlich den zunehmend | |
| irreversiblen Verfall der Welt an, es ließe sich aber auch als Warnung an | |
| allzu kritische Stimmen verstehen, sich mit dem Programm zu versöhnen, | |
| anstatt ein Festival inmitten von Stahl und Beton in eine Listening Bar mit | |
| Ohrensesseln verwandeln zu wollen. | |
| 2 Sep 2025 | |
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| ## AUTOREN | |
| Ben Robin König | |
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