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# taz.de -- Arbeitskampf in der Games-Branche: Welcome to the Bossfight
> Die Bedingungen in der Gaming-Branche sind unterirdisch, lange gab es
> kaum Widerstand. Nun vernetzt sich eine neue Generation von
> Spieleentwickler:innen.
Bild: Game Over
Level 1 – The Quest
Gabriela Herbst ist wütend. Sie sitzt im Homeoffice, blaue Kopfhörer auf
den Ohren, ein vollgekritzeltes Whiteboard im Hintergrund. „Gestern kam die
Nachricht, dass alle entlassen werden“, erzählt sie im Zoom-Call. Am Tag
darauf bestätigt sich ihre schlimmste Befürchtung: Der Investor ist raus,
die Firma wird geschlossen, übernächsten Monat ist das ganze Team ohne Job.
„Ich bin immer noch dabei, das zu verarbeiten“, sagt sie.
Herbst ist Spieleentwicklerin. Sie heißt nicht wirklich Gabriela Herbst,
will aber – wie alle Spieleentwickler:innen, mit denen die taz für diese
Recherche gesprochen hat – anonym bleiben. Sie sorgt sich, sonst nie wieder
einen Job in der Branche zu bekommen. Drei Jahre hat Herbst in dem kleinen
Entwicklerstudio gearbeitet. Jetzt ist sie Teil von Massenentlassungen, die
die Spielebranche in Deutschland und international erschüttern.
Zu Beginn des Jahres wurden gleich drei Studios in Deutschland geschlossen.
Im März verkündete außerdem das französische Videospielunternehmen Ubisoft,
bekannt für Assasin’s Creed und Far Cry, die Entlassung von 65
Mitarbeitenden am Standort in Düsseldorf. Ubisoft ist in Deutschland einer
der größten Gaming-Arbeitgeber.
Laut Branchenverband game ist die Zahl der Mitarbeitenden in
Computerspiel-Unternehmen deutschlandweit von 2024 auf 2025 [1][erstmals
seit sechs Jahren wieder gesunken] – von circa 12.400 auf 12.100.
Dabei lief es auf dem Spielemarkt jahrelang ausgezeichnet. 9,4 Milliarden
Euro Umsatz hat er 2024 in Deutschland gemacht, mehr als Musik- und
Filmindustrie zusammen. Jede:r sechste Deutsche zwischen 6 und 69 Jahren
spielt regelmäßig Games. Und ab dem 20. August werden voraussichtlich
wieder rund 300.000 Menschen zur Spielemesse Gamescom nach Köln strömen.
Doch die Branche hat einen schlechten Ruf. Die Arbeitsbedingungen seien
unterirdisch, heißt es. Wie könnte sich daran etwas ändern?
Dass Gaming-Unternehmen ihre Mitarbeiter:innen [2][extrem fordern, ist
lange bekannt]. Besonders berüchtigt: der sogenannte „Crunch“. So wird die
Endphase eines Projekts genannt, in der Spieleentwickler:innen
[3][oft 60-Stunden-Arbeitswochen und unbezahlte Überstunden] machen müssen.
Die Praxis ist so normalisiert, dass sich Angestellte dagegen kaum wehren
können.
Vor allem [4][Frauen haben es in der Branche schwer]. „Neue Ideen hat mein
Chef nur ernst genommen, wenn sie von einem Mann kamen“, sagt Herbst. Sie
verwundert es deshalb nicht, dass die meisten Kolleg:innen, die in den
vergangenen Monaten um sie herum gekündigt hätten, Frauen seien. Sie hätten
es einfach nicht mehr ausgehalten. „Man lebt in konstanter Angst“, sagt
Herbst. Vor allem für sie als Person of Color und als
Nicht-Muttersprachlerin sei es schwierig, Jobs zu finden. „Je stärker ich
in meinen Bewerbungen meine Herkunft aus Südamerika betone, desto schneller
werde ich abgelehnt“, sagt sie.
Hinzu kommen intransparente Gehälter. Vollzeit würde Herbst in ihrer
mittleren Managementposition 38.000 Euro brutto im Jahr verdienen. Ihre
Kollegin, die ebenfalls im mittleren Management arbeitet, verdiene jährlich
50.000 Euro. Ein Vergleich mit InnoGames, eine der wenigen
Entwicklungsfirmen, die ihre Gehälter seit 2022 offenlegt, zeigt: 38.000
Euro ist dort ein Einstiegsgehalt.
„Angestellte werden nicht als Menschen, sondern als Produktionsmittel
gesehen. Bei einem Job wie diesem, den die meisten aus Leidenschaft machen,
tut es richtig weh, wenn man so behandelt wird“, sagt Herbst. Sie sei mit
Videospielen aufgewachsen, habe schon als Kind Super Mario und Prince of
Persia gezockt und ihre Leidenschaft mit Mitte 20 wiederentdeckt. Den Job
im deutschen Indie-Studio habe sie sich hart erkämpft.
Es ist diese Leidenschaft, die oft gegen Entwickler:innen verwendet
wird. In der Branche werde immer wieder argumentiert, „dass man alles
hinnehmen soll, weil es ein Privileg sei, einen Job zu machen, der Spaß
bringt“, sagt Valerie Kenntemich vom Verein Game:in, der sich gegen
Sexismus in der Games-Branche einsetzt.
Massenentlassungen, Mobbing, Sexismus, Rassismus und undurchsichtiges
Gehalt. „Die Wut ist so groß, dass sie jetzt übergekocht ist und
strukturelle Auswirkungen hat“, sagt Jan Schneider. Auch er ist
Spieleentwickler und hat vor zwei Jahren den Game Devs Roundtable
mitgegründet, die erste gewerkschaftliche Organisierung der Spielebranche
in Deutschland.
Level 2 – The Backstory
Dass sich die Games-Branche in Deutschland erst jetzt zu organisieren
beginnt, ist vor allem der dort herrschenden Kultur geschuldet. Die ist
geprägt durch das neoliberale Silicon-Valley-Mindset: Alle sind ihres
eigenen Glückes Schmied. Strukturelle Benachteiligung durch Diskriminierung
und Armut spielen in dieser Ideologie keine Rolle – genauso wenig wie
Arbeitnehmer:innenrechten und Arbeitskampf.
Die aktuellen Entlassungen begründet die Branche mit den Folgen des
Coronabooms. Während der Lockdowns hatten Menschen [5][verstärkt in
Konsolen und Videospiele investiert]. Mit dem Geld wurden in der Branche
neue Stellen geschaffen, die jetzt nicht mehr finanziert werden konnten.
Nach dem „Blockbuster-Jahr“ 2023, in dem viele lang ersehnte Spiele auf den
Markt kamen, flachte der Umsatz ab.
Das alles wäre nicht so schlimm, gäbe es in der Branche Tarifverträge, die
grundlegende Bedingungen für alle Mitarbeitenden eines Betriebs festlegen
und die Angestellten vor Massenentlassungen schützen oder ihnen wenigstens
Abfindungen zusichern würden. „Es gibt meines Wissens nach noch keinen
einzigen Tarifvertrag in der Gaming-Branche“, sagt Gewerkschaftssekretär
Matthias Grzegorczyk, bei Verdi zuständig für die Spielebranche. Vor zwei
Jahren unterstützte er Jan Schneider bei der Gründung des Game Devs
Roundtables.
Level 3 – Early Game
Das erste Netzwerktreffen des Roundtables auf der Onlineplattform Discord
sei gleich auf großes Interesse gestoßen. „Es hat mich echt überrascht, wie
viele Leute da auf einmal saßen“, sagt er.
Seitdem ist der Zusammenschluss laut Grzegorczyk auf viele Dutzend
Mitglieder angewachsen. Aus strategischen Gründen will die Organisation
nicht preisgeben, wie viele sie sind. Mit Verdi ist der Roundtable zwar
vernetzt, um teilzunehmen muss man aber kein Verdi-Mitglied sein.
Die Gruppe tauscht sich aus, unterstützt sich beim Aufbau von Betriebsräten
und dabei, Arbeitslosengeld zu beantragen, wenn mal wieder jemand seinen
Job verloren hat. „Wir wollen vor allem für Leute, die nicht so gut Deutsch
sprechen, ein Angebot schaffen“, sagt Schneider. Davon gibt es in der
Games-Branche viele. Für sie gebe es regelmäßige Onlinetreffen. In einem
Pamphlet vom Sommer 2024, fordert die Organisation außerdem höhere
Gehälter, geregelte Arbeitszeiten, Standards für Arbeitsverträge,
Tarifverträge, mehr Transparenz und Maßnahmen gegen Diskriminierung und
Belästigung.
Level 4 – Fighting Enemies
Zehn Betriebsräte seien im Rahmen des Roundtables gegründet worden, erzählt
Matthias Grzegorczyk stolz – oft gegen großen Widerstand der Arbeitgeber.
Nicolas Krüger, ebenfalls Spieleentwickler, hat den Betriebsrat in seiner
Firma mitorganisiert. „Bei einer Betriebsversammlung hat der
Geschäftsführer eine lange Rede gehalten, in der er erzählt hat, warum er
Betriebsräte schlecht findet und warum er glaubt, dass alle, die den
Betriebsrat organisiert haben, schlechte Menschen sind“, erzählt er. Viele
seiner Kolleg:innen fanden die Rede nicht gut, aber keiner habe was
gesagt. Die Angst sei zu groß gewesen, auch an den Pranger gestellt zu
werden. Oder den Job zu verlieren.
„Es ist hart, bei einer Firma zu arbeiten, in der die Chefs dich beleidigen
und dir beim Vorbeigehen nicht mal in die Augen sehen wollen. Zumal wir
nicht drumherum kommen, miteinander zu arbeiten.“ Die Entwicklung von Games
ist Teamarbeit. „Jeder Arbeitsprozess wird langsamer und anstrengender,
wenn die Kommunikation nicht funktioniert“, sagt Krüger.
Das ist nicht immer so. „Die meisten gehen souverän damit um, wenn die
Angestellten einen Betriebsrat gründen wollen“, sagt Grzegorczyk. „Ein
Drittel geht unsouverän damit um, aber in einem Rahmen, der noch handhabbar
ist.“ Zum Beispiel, indem sie Leute aus dem Betrieb vorschicken, die gegen
den Betriebsrat arbeiten. Ungefähr jeder fünfte Betrieb, sei „echt schäbig,
richtig fies“, so Grzegorczyk. So wie bei Krüger. Der Arbeitskampf werde
dann oft auf eine persönliche Ebene verschoben: „Die Chefetage bezichtigt
die Angestellten des Vertrauensbruchs“, sagt Matthias Grzegorczyk. „Dass
die Angestellten Betriebsräte gründen, weil die Chefs ihr Vertrauen
gebrochen haben, darauf kommen die gar nicht.“
Die Reaktionen der Chefs müssen die Angestellten dann oft auffangen. Seine
Vorgesetzten erinnern Jan Schneider an Kindergartenkinder. „Sie benehmen
sich wie 5-Jährige, die bisher nur allein im Sandkasten gespielt haben. Und
jetzt sind sie empört, dass der Sandkasten für alle da ist“, sagt er. „Es
ist so viel emotionale Arbeit, die man da leisten muss“, sagt er. Besonders
in kleineren Unternehmen reflektierten die Geschäftsführer überhaupt nicht
die Macht, die sie über ihre Angestellten haben.
Level 5 – Finding Allies
Die gewerkschaftliche Vernetzung tut gut, da sind sich Schneider, Herbst
und Krüger einig. „Wir können miteinander ranten und uns aufregen, aber
auch tatsächlich etwas verändern“, sagt Krüger. „Es ist ein völlig neues
Lebensgefühl, wenn man weiß, da ist immer jemand, den ich anrufen kann.“
Valerie Kenntemich von Game:in sieht in der gewerkschaftlichen
Organisierung eine Möglichkeit, auch die Solidarität der Arbeiter:innen
untereinander zu stärken: „Klassenbewusstsein hilft, sich auf andere
Lebensrealitäten einzulassen. Intersektionalität wächst dann von Natur
aus“, sagt sie, wobei Intersektionalität die Überschneidung und
Gleichzeitigkeit verschiedener Diskriminierungsformen meint.
Der Game Devs Roundtable ist Teil einer globalen Bewegung. In Frankreich
und Spanien haben Spieleentwickler:innen seit Ende 2024 mehrmals
gestreikt, gegen Massenentlassungen und eine Einschränkung der Arbeit im
Homeoffice. Seit 2023 bestreiken Synchronsprecher:innen immer wieder
die Videospielbranche wegen des Einsatzes von KI. Im Juni 2025 erzielten
sie eine vorläufige Einigung mit einem Verband von US-Videospielfirmen.
Auch Spieleentwickler:innen in den USA haben sich im Juni nach fast
zwei Jahren mit Microsoft auf bessere Standards für Arbeitsverträge
geeinigt.
Level 6 – Fighting the End Boss
Betriebsräte sind ein erster Schritt. So bekommen Arbeiter:innen eine
Möglichkeit, Einfluss auf Veränderungen in ihrem Unternehmen zu nehmen. Um
die Arbeitsbedingungen grundlegend zu verbessern, bräuchte es aber
Tarifverträge. Diese könnten dazu beitragen, Gender- und andere Pay-Gaps zu
schließen. Und auch für die Arbeitgeber hat es Vorteile. „Das ist wie
Werbung, dann wollen die Leute natürlich viel lieber dort arbeiten“, sagt
Grzegorczyk.
Für jeden Betrieb einen Haustarifvertrag auszuhandeln, ist jedoch
aufwändig. Alternativ könnte Verdi mit einem Arbeitgeberverband einen
Branchentarifvertrag aushandeln, der dann für jeden Mitgliedsbetrieb des
Arbeitgeberverbands gilt. „Dafür müsste sich aber zunächst mal ein Verband
anbieten“, sagt Grzegorczyk.
Der Branchenverband game verbindet in Deutschland über 500 Unternehmen, hat
sich aber bisher noch nicht als Ansprechpartner für die Verhandlung von
Tarifverträgen zu erkennen gegeben. Auf Nachfrage der taz, ob sich der
Verband in der Rolle des Arbeitgeberverbandes sehe, antwortet er nicht,
erklärt aber, dass gewerkschaftliche Forderungen nicht zu den
unterschiedlichen Realitäten der Games-Unternehmen in Deutschland passen
würden. „An guten Arbeitsbedingungen haben die Unternehmen selbst das
größte Interesse“, sagt Felix Falk vom game-Verband und: „Die Unternehmen
wissen, dass sie hier konkurrenzfähig sein müssen.“
Überhaupt sieht der Verband die Arbeitsbedingungen als „insgesamt gut“ an.
In Deutschland gelte aufgrund der starken Arbeitnehmerrechte im
internationalen Vergleich ein besonders hoher Standard“, so Falk. Matthias
Grzegorczyk von Verdi erhofft sich deshalb nicht viel, sagt aber: „Wenn der
game-Verband mich morgen anrufen würde, um Tarifverhandlungen aufzunehmen,
würde ich nicht auflegen“.
Zunächst bleibt es aber wohl bei Haustarifen. Sobald die Gewerkschaft
involviert ist, darf dafür theoretisch auch gestreikt werden. Ob schon ein
Streik in Sicht sei, dazu möchte Grzegorczyk keine Prognose abgeben.
Grundsätzlich gelte aber: „Wir werden erst aktiv, wenn wir stark genug
sind“, wenn also genügend Mitarbeitende im Betrieb gewerkschaftlich
organisiert sind. „Man muss auch erst mal lernen, [6][seine Rechte zu
verteidigen] und öffentlich zu reden. In dem Prozess sind wir gerade.“
Wie die jungen Spieleentwickler:innen sich organisieren, ist [7][auch
für Verdi richtungsweisend]. „Gewerkschaften wirken auf viele
bürokratisch“, sagt Grzegorczyk. Gleichzeitig hätten es Gewerkschaften auch
schon immer geschafft, ihre Protestformen an die jeweiligen Gegebenheiten
anzupassen. „Und dann schaffen wir das auch jetzt“, sagt er. So wird
Discord von Gamer:innen oft genutzt, um miteinander zu zocken. Und nun
eben, um sich zu organisieren.
Am 20. August beginnt die Gamescom in Köln, die größte Spielemesse
weltweit. Auch der Game Devs Roundtable wird dort vertreten sein. Ist das
schon Arbeitskampf? Matthias Grzegorczyk findet: „Man muss nicht streiken,
damit es Arbeitskampf ist. Arbeitskampf kann auch schon sein, Flyer zu
verteilen. Oder eine verlängerte Pause zu machen, in der man sich
gewerkschaftlich vernetzt.“ So gesehen stecken die Entwickler:innen
schon mittendrin.
16 Aug 2025
## LINKS
[1] https://www.game.de/anzahl-der-unternehmen-und-beschaeftigten-in-der-deutsc…
[2] /Arbeit-in-der-Games-Branche/!6081450
[3] https://kotaku.com/inside-rockstar-games-culture-of-crunch-1829936466
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[6] /Ausbeutung-im-Tech-Sektor/!6102646
[7] /Streik-bei-Tiktok-in-Berlin/!6104024
## AUTOREN
Alexandra Hilpert
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