Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Generaldebatte im Bundestag: Merz, Spahn und der Schatten der Verga…
> Rechtfertigungen für Maskenkäufe und Hetze von rechts: In der
> Generaldebatte geht es im Bundestag heiß her. Dabei sollte es eigentlich
> um anderes gehen.
Bild: So nah und doch so fern: Ex-Bundeskanzler Olaf Scholz am Mittwoch im Plen…
Berlin taz | Eigentlich ist die Aufgabe der Fraktionsvorsitzenden von
Regierungsparteien bei einer Generaldebatte klar: Sie müssen die Arbeit des
Bundeskanzlers und des Kabinetts in höchsten Tönen preisen und mit Verve
gegen die Angriffe der Opposition verteidigen. Bei Jens Spahn war das an
diesem Mittwoch etwas anders.
Für den Unionsfraktionschef lag der Schwerpunkt seiner Rede nicht in der
obligatorischen Lobhudelei für Bundeskanzler Friedrich Merz. Mehr als ein
Drittel seiner Sprechzeit nutzte Spahn für den Versuch, seine Rolle als
Gesundheitsminister während der Coronapandemie schönzureden.
Diese Zeit begleite ihn „seit fünf Jahren jeden Tag“, startete er seine
Rechtfertigungsbemühungen. Wenn er unterwegs sei, würde er immer wieder auf
seine Zeit als Gesundheitsminister angesprochen. „Viele sagen Danke, mehr,
als man denkt“, meinte Spahn – und erntete dafür höhnisches Gelächter und
Zwischenrufe aus den Oppositionsreihen. Doch er zeigte sich unbeirrt. Seine
Botschaft: „Wir haben dieses Land nach bestem Wissen und Gewissen durch die
größte Krise seiner bundesrepublikanischen Geschichte geführt, und das
sicher und mit klarem Kurs.“
Ein Anflug von Selbstkritik angesichts [1][der zu viel und zu teuer
eingekauften Masken] sowie der zahlreichen Prozesse mit Maskenlieferanten,
die den Bund noch mehrere Milliarden Euro kosten könnten? Fehlanzeige. Und
kein Wort dazu, dass sich etliche Unionsmitglieder dumm und dämlich am
Maskengeschäft verdient haben. Dem von Grünen und Linken geforderten
Untersuchungsausschuss erteilte er eine schroffe Absage. Stattdessen wolle
er „eine Aufarbeitung in einer Enquetekommission, die nach vorne hin lernen
will, die nicht am Ende ein Geschäft macht, das den Falschen hilft“.
## Merz: „Die Stimmung wird stetig besser“
Spahn warf der Opposition vor, sie habe es „medial geschafft, die
Beschaffung in der Not zu Deals und Skandalen zu framen“. Doch ist es
wirklich so einfach? Von einer „Farce“ sprach Linken-Chefin Ines
Schwerdtner. „Es geht darum, dass viele CDU/CSU-Abgeordnete von dieser
Pandemie profitiert haben“, erwiderte sie. „Und wenn Sie nichts zu
verbergen haben, dann stimmen Sie einem Untersuchungsausschuss zu.“ Noch
ist die Maskenaffäre für Spahn nicht ausgestanden. Kanzler Merz dürfte das
nicht freuen.
Neben Spahns Maskendeals sorgten auch andere Themen für Unruhe: die Wahl
der neuen Verfassungsrichterin und die Zustimmung der SPD zur
[2][Einschränkung des Familiennachzugs]. Die Regierung aus Union und SPD
ist am Mittwoch im Bundestag trotzdem um eine positive Erzählung ihrer
Arbeit der vergangenen zwei Monate bemüht. Merz hatte angekündigt, sein
Kabinett werde bis zum Sommer spürbare Verbesserungen im Land erreichen.
Pünktlich zu seiner ersten Rede als Kanzler bei einer Generaldebatte will
er diesen Trend aufgespürt haben. Zum Beweis führt Merz Gefühle an: „Die
Stimmung unter den Unternehmen wird stetig besser“, sagte er.
„Wir haben viel angepackt, wir haben viel erreicht“, rief der Kanzler unter
Applaus von der Unionsfraktion und der SPD. Doch es bleibe viel zu tun. Und
darum soll es in dieser Bundestagssitzung eigentlich gehen: Die
Generaldebatte bildet den Höhepunkt der Haushaltsberatungen im Bundestag,
bei denen die Regierung ihre Vorhaben für das Jahr skizziert. Laut den
Plänen, die Finanzminister Lars Klingbeil am Dienstag vorstellte, plant die
Regierung in diesem Jahr Ausgaben in Höhe von von 503 Milliarden Euro – 6,1
Prozent mehr als im Vorjahr. 81,8 Milliarden Euro sollen im Kernhaushalt
aus Krediten finanziert werden. Dazu kommen mehr als 60 Milliarden Euro aus
schuldenfinanzierten Sondertöpfen.
Für die zwei derzeit mächtigsten Männer in der Union, Merz und Spahn, dient
die Debatte jedoch der Vergangenheitsbewältigung. Während Spahn vom
Schatten seiner Maskendeals verfolgt wird, muss sich Merz im Plenum
mehrfach den Vorwurf des Wortbruchs gefallen lassen. Im März hatte er mit
der alten Bundestagsmehrheit aus Grünen, SPD und seiner eigenen Fraktion
ein beispielloses Schuldenpaket beschlossen, um in Rüstung und
Infrastruktur zu investieren.
## Miersch weist Weidel zurecht
Für die Opposition ist dabei ein gefundenes Fressen, dass sich [3][die
Regierung nicht wie versprochen zu einer Senkung der Stromsteuern
durchringen konnte]. „Keine Koalition hatte so viel Geld zur Verfügung“,
rief die Co-Vorsitzende der Grünen-Fraktion, Katharina Dröge, in Richtung
der Regierungsbank. Sie revanchierte sich damit für die häufigen Vorwürfe
des Chaos, die ihre Partei in der Ampelkoalition einstecken musste. „Sie
stehen hier nach einem heillosen Durcheinander in ihrer Koalition“, sagte
die Grünen-Politikerin. Im Zusammenhang mit der Stromsteuer warf sie Merz
erneut Wortbruch vor.
„Wir Grünen haben jahrelang gefordert, die Schuldenbremse zu reformieren“,
sagt sie. Den Preis dafür hätten alle gezahlt: mit maroden Freibädern,
verspäteten Bahnen und kaputten Schulen. „Jetzt ist das Geld da, und
ausgerechnet jetzt ist Friedrich Merz der Kanzler der Bundesrepublik
Deutschland“, schimpfte sie. Sie warf der Regierung vor, verantwortungslos
mit dem Geld umzugehen und es nicht für Investitionen zu nutzen. Besonders
beim Klimaschutz sehe sie „unfassbare Rückschritte“.
Diese Anschuldigungen wollte Matthias Miersch nicht auf sich sitzen lassen.
Der SPD-Fraktionschef, selbst Umweltpolitiker, sagte mit Adresse an die
„liebe Katharina“: „Was wir investieren, ist gelebter Klimaschutz.“
Deutschland habe sich in den vergangenen Jahren „stranguliert“, räumte er
ein. „Dieses Investitionprgramm kommt allen zugute“, meinte er. Es folgte
eine versteckte, ganz kleine Kritik am Koalitionspartner: „Auch von den
Opposition erwarte ich Respekt für den Wert des Kompromisses“, sagte
Miersch. Ein kleinlautes Eingeständnis, dass die SPD mit der Union in der
Regierung eben nicht mehr erreichen könne.
Dabei hatte Miersch seine Rede durchaus kämpferisch begonnen. Er war es,
der als Erster mit deutlichen Worten AfD-Chefin Alice Weidel zurechtwies,
die vor ihm gesprochen hatte. „Ihre Rede war ein Beispiel dafür, dass Sie
verfassungsfeindlich agieren, und deshalb muss es ein Verbotsverfahren
geben“, rief Miersch in Richtung der extrem rechten Politikerin.
## Reichinnek sieht Haushalt der Hoffnungslosigkeit
Weidel hatte ihre zehnminütige Ansprache am Redepult des Bundestags für
einen rassistischen Rundumschlag genutzt. Dieser gipfelte in der völkischen
Aussage, dass Einbürgerungen „das Staatsvolk“ in Deutschland transformieren
und für „Religionskriege“ im Land sorgen würden.
Es ist traditionell das Recht der stärksten Oppositionsfraktion, die
Generaldebatte in den Haushaltsberatungen des Bundestags zu eröffnen.
Weidel nutzte dieses Privileg, indem sie nur am Rande auf die
Etatverhandlungen zu sprechen kam. Stattdessen schwadronierte sie unter dem
johlenden Applaus ihrer Fraktion über „inkompatible Kulturen“, eine
vermeintliche Islamisierung Deutschlands, „die rasend und aggressiv“
voranschreite, sowie die „hohe Kriminalitätsbelastung bestimmter
Bevölkerungsgruppen“. Von der Mäßigung in ihrem äußeren Auftreten, die s…
die AfD neuerdings auferlegt hatte, war im Parlament am Mittwoch gar nichts
zu hören.
Die Co-Vorsitzende der Linksfraktion, Heidi Reichinnek, versuchte sich im
Anschluss mit einer ökonomischen Kritik der AfD. Sie warf der extremen
Rechte „Heuchelei“ vor. Die AfD mache keine Politik für den Großteil der
arbeitenden Menschen, sondern mache Stimmung gegen einen „armutsfesten
Mindestlohn“ und gegen die Vermögensteuer. „Es geht ihnen nicht um die
Menschen in diesem Land, es geht ihnen um ihren eigenen Vorteil“, sagte
Reichinnek.
Der Regierung warf Reichninnek vor, einen „Haushalt der Hoffnungslosigkeit“
vorgelegt zu haben und sich dafür noch selbst auf die Schulter zu klopfen.
„Sie verteilen von unten nach oben, wir wollen von oben nach unten
verteilen“, sagte sie. In Richtung von SPD-Fraktionschef Miersch fügte sie
hinzu: „Ja, Matthias, Kompromisse sind wichtig, aber die SPD geht in dieser
Koalition unter.“
9 Jul 2025
## LINKS
[1] /Jens-Spahn-und-die-Masken/!6095878
[2] /Familiennachzug-ausgesetzt-/!6096907
[3] /Koalition-erzielt-keine-Einigung/!6097858
## AUTOREN
Pascal Beucker
Marc Tawadrous
Cem-Odos Güler
## TAGS
Kanzler Merz
Bundestag
Generaldebatte
Haushalt
Alice Weidel
Maskenaffäre
Jens Spahn
Bundesverfassungsgericht
Bundestag
Podcast „Bundestalk“
GEAS (Gemeinsames Europäisches Asylsystem)
Schwarz-rote Koalition
## ARTIKEL ZUM THEMA
Wahl der Bundesverfassungsrichter:innen: Spahns miese Tricks
Der Eklat um die Wahl von Frauke Brosius-Gersdorf zur Verfassungsrichterin
zeigt: Die schwarz-rote Regierung steuert auf eine Selbstblockade zu.
Enquetekommission im Bundestag: Lehren ziehen aus der Pandemie
Der Bundestag setzt eine neue Enquetekommission ein. Sie soll aufarbeiten,
was während der Pandemie alles schief gelaufen ist – Maskendeals inklusive.
Regierungskoalition: Was kann Schwarz-Rot?
Der Kanzler demonstriert Entschlossenheit – eine Strategie für Europa,
Nahost, Ukraine ist aber nicht zu erkennen. Zeit für eine Zwischenbilanz.
Deutsche Asylpolitik: Abschieben in die Schattenwirtschaft
Flüchtende erwarten in Griechenland prekäre Jobs und Obdachlosigkeit. Aber
Deutschland will Abschiebungen dorthin ermöglichen.
Generaldebatte im Bundestag: Getrieben von den Rechtsextremen
Ohne die AfD wird es schwer, einen Untersuchungsausschuss einzusetzen. Aber
mit der AfD will es auch niemand.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.