| # taz.de -- Berichterstattung über Coronapandemie: „Medien haben die Regieru… | |
| > Der Kommunikationswissenschaftler Marcus Maurer hat die Berichterstattung | |
| > großer Medienhäuser in der Pandemie untersucht. Die ausgewerteten Daten | |
| > sind überraschend. | |
| Bild: Nicht alle haben sich in Politik und Berichterstattung wiedergefunden: De… | |
| taz: Herr Maurer, der Bundestag hat kürzlich eine [1][Kommission zur | |
| Aufarbeitung der Coronapolitik] eingesetzt. Ist es wirklich nötig, über all | |
| das nochmal zu sprechen? | |
| Marcus Maurer: Ich denke schon. Nicht, um nachträglich Dinge | |
| zurechtzurücken oder damit sich irgendwer bei irgendwem entschuldigt. Es | |
| ist wichtig, das aufzuarbeiten, um besser gewappnet zu sein, wenn so etwas | |
| noch mal passiert. Wie man das macht, ob man dafür eine Enquetekommission | |
| braucht, ist eine andere Frage. | |
| taz: Manche fordern eine Aufarbeitung, weil sie sich in der öffentlichen | |
| Debatte und in den Medien damals nicht wiedergefunden haben. | |
| Maurer: Wenn wir über Medien sprechen, gilt das Gleiche wie für die | |
| Kommission: Wir sollten uns fragen, was falsch gelaufen ist, um es in der | |
| Zukunft besser zu machen. | |
| taz: Sie haben untersucht, [2][wie große Medien] in den Jahren 2020 und | |
| 2021 über Corona berichteten. Was haben Sie festgestellt? | |
| Maurer: Wir haben die Berichterstattung etablierter Online-medien wie | |
| spiegel.de, sueddeutsche.de welt.de oder bild.de und Fernsehnachrichten von | |
| ARD, ZDF und RTL ausgewertet. Dabei haben wir herausgefunden, dass die | |
| untersuchten Medien tatsächlich einseitig berichtet haben, sie waren sehr | |
| im „Team Vorsicht“. Manche mehr, manche weniger, aber alle haben deutlich | |
| vor der Pandemie gewarnt und für harte Maßnahmen plädiert. Das kann man gut | |
| oder schlecht finden. Normalerweise wollen wir eine vielfältige | |
| Berichterstattung, aber in der Pandemie standen wir vor großen Problemen, | |
| die gelöst werden mussten, da kann man das auch anders beurteilen. | |
| taz: Die Medien waren der Regierung gegenüber zu unkritisch, lautete ein | |
| Vorwurf. Stimmt das? | |
| Maurer: Das sehen wir so nicht in unseren Daten, im Gegenteil. Nach einer | |
| Anfangsphase, in der die Berichterstattung relativ positiv war, wurde die | |
| Regierung schnell stark kritisiert. Je länger die Pandemie gedauert hat, | |
| desto schärfer wurde die Kritik. Die von uns untersuchten Medien haben der | |
| Regierung vorgehalten, sich zu spät zu harten Maßnahmen durchgerungen zu | |
| haben. | |
| taz: Der Regierungskurs wurde als zu lasch kritisiert? | |
| Maurer: Ja. Den Medien generell wurde in der Pandemie ja vorgeworfen, dass | |
| sie der Regierung nur hinterhergelaufen seien. Unsere Auswertung hat jedoch | |
| ergeben, dass sie die Regierung vor sich hergetrieben und zu noch härteren | |
| Maßnahmen gedrängt haben. Sie haben einseitig berichtet, aber nicht | |
| unkritisch. | |
| taz: Was ist bei dieser Einseitigkeit zu kurz gekommen? | |
| Maurer: Die Auswahl der Experten war beschränkt, es gab einen starken Fokus | |
| auf Virologen. Das hat erst mal Sinn gemacht, denn es ging ja um ein Virus. | |
| Für die Beurteilung von Maßnahmen hätten dann aber andere Experten zu Wort | |
| kommen können. Was passiert mit einer Gesellschaft im Lockdown? Was mit | |
| Kindern, die nicht mehr in die Schule können? Was mit Selbstständigen, | |
| deren Restaurant pleite geht? Was mit alten Menschen, die alleine in | |
| Pflegeheimen sitzen? Das haben wir damals manchmal aus den Augen verloren. | |
| taz: Es gab entsprechende Berichte. | |
| Maurer: Aber verhältnismäßig wenig. Das ist auch verständlich: Man sieht | |
| dieses Problem vor sich, das dringend gelöst werden muss. Und man sieht | |
| nicht, dass die Maßnahmen, die die Infektionen eindämmen sollen, für manche | |
| Menschen auch große Probleme verursachen. Die gesundheitlichen und die | |
| psychosozialen und wirtschaftlichen Folgen wurden wenig gegeneinander | |
| abgewogen. Das zu tun, hätte am Ende ja nicht heißen müssen, dass man sich | |
| gegen Maßnahmen entscheidet. Aber die Menschen so aus den Augen zu | |
| verlieren, das war nicht unbedingt schön. | |
| taz: Es gab auch damals Kritiker*innen der Maßnahmen, etwa aus der | |
| Querdenkenbewegung. Die kamen wenn, dann nur negativ in der | |
| Berichterstattung vor, hat Ihre Studie ergeben. Richtig? | |
| Maurer: Das kann man so sagen. Allerdings muss man unterscheiden. Wenn | |
| jemand sagt, das Virus sei ungefährlich, harmlos wie eine Grippe, dann ist | |
| das eine falsche Tatsachenbehauptung, die muss man als Medium nicht | |
| transportieren. Das Problem war meines Erachtens, dass zu wenig über | |
| diejenigen berichtet wurde, die gesagt haben: Wir können diese oder jene | |
| Maßnahme machen, doch sie wird auch negative Folgen haben, und jetzt müssen | |
| wir das abwägen. Das wäre wertvoll gewesen. Es fehlte auch eine Einordnung | |
| der Informationen. | |
| taz: Was meinen Sie? | |
| Maurer: Die Zahlen von Infizierten und von Toten wurden ständig | |
| kommuniziert, aber der Vergleich etwa mit anderen Todesursachen kam nur | |
| ganz selten vor. Wie viele Menschen sterben an der Grippe an einem Tag? | |
| Oder wie viele an einem Herzinfarkt? Und wie viele im Vergleich an Corona? | |
| So hätten sicher mehr Menschen verstanden, wie schlimm diese Pandemie | |
| wirklich ist. | |
| taz: Wie hat sich die Berichterstattung über Corona auf das Vertrauen der | |
| Menschen in die Medien ausgewirkt? | |
| Maurer: Es gab zu Beginn der Pandemie einen Anstieg des Vertrauens in die | |
| Medien und auch der Mediennutzung. Die Menschen hatten ein | |
| Informationsbedürfnis, und zum Glück nutzen sie dafür im Wesentlichen immer | |
| noch klassische Nachrichtenmedien. Im Laufe der Pandemie ging das Vertrauen | |
| dann zurück. Über die Gründe kann ich nur spekulieren. Wahrscheinlich sind | |
| das Leute, die ihren Standpunkt in der Berichterstattung zu wenig | |
| wiedergefunden haben. | |
| taz: Manche Journalist*innen fühlten sich damals sicherlich auch | |
| mitverantwortlich für den Fortgang der Pandemie. Es gab die Sorge, dass | |
| Berichte über negative Folgen der Maßnahmen deren gesellschaftliche | |
| Akzeptanz gefährden könnten. | |
| Maurer: Was ist die Aufgabe von Journalismus in solchen Momenten? Das ist | |
| die Frage. Ich kann gut nachvollziehen, dass Journalisten ihren Teil dazu | |
| beitragen wollten, dass diese Pandemie möglichst schnell beendet wird. Aber | |
| wahrscheinlich hätte man das auch erreicht, wenn man ein paar | |
| Gegenargumente mehr beschrieben hätte. Menschen kriegen die Probleme ja | |
| trotzdem mit und fragen sich: Warum schreibt keiner darüber? Das kann dann | |
| kontraproduktiv sein. 10 bis 15 Prozent vertrauen den Medien inzwischen | |
| überhaupt nicht mehr. Vor der Pandemie lag dieser Anteil noch bei rund fünf | |
| Prozent. Das ist eine deutliche Veränderung, die man im Blick behalten | |
| muss. | |
| taz: Ist die mediale Einseitigkeit während Corona auch auf den | |
| [3][Rally-’round-the-flag-Effekt] zurückzuführen, also, dass | |
| Journalist*innen sich in Krisen wie alle anderen stärker um die eigene | |
| Staatsführung scharen und Vielfalt weniger Raum hat? | |
| Maurer: Das ist so. Die [4][Regierung kommt in Krisenzeiten] medial sehr | |
| viel stärker vor als die Opposition. Wir haben uns neben Corona auch die | |
| Berichterstattung in der Flüchtlingskrise 2015 und zu Beginn des | |
| Ukrainekriegs angeschaut, auch da sehen wir dieses Muster. Das muss gar | |
| kein gezieltes Anliegen sein. Medien sind in solchen Momenten auf | |
| Informationen der Regierung angewiesen, da passiert das automatisch. Bei | |
| jeder dieser Krisen haben wir zudem festgestellt, dass die | |
| Berichterstattung über die Regierung am Anfang der Krise positiver ist als | |
| normalerweise. In allen drei Krisen ließ das aber schnell nach. | |
| taz: Gibt es dabei nicht große Unterschiede zwischen den Medien? | |
| Maurer: Die taz schreibt normalerweise ganz anders über Themen als die FAZ, | |
| etwa über das Bürgergeld. In einer Krise berichten aber alle zunächst | |
| relativ gleich. Auch für Journalisten ist die Situation ja neu, es gibt | |
| eine große Unsicherheit, man verlässt sich erst mal auf die Vorschläge der | |
| Regierung, Journalisten orientieren sich auch aneinander. Bei Corona wurden | |
| die Unterschiede mit der Zeit wieder größer, etwa in der Beurteilung der | |
| Maßnahmen. Im Ukrainekrieg haben sich die Positionen eher angeglichen, da | |
| waren nach einigen Monaten fast alle für die Lieferung schwerer Waffen. | |
| taz: Die nächste Krise kommt bestimmt. Was würden Sie Journalist*innen | |
| empfehlen – mehr Vielfalt wagen? | |
| Maurer: Nicht bei allen Krisen geht es gleich [5][um Leib und Leben wie bei | |
| Corona]. Wenn das nicht der Fall ist, muss man auch nicht gleich Angst | |
| haben, Leben zu gefährden, wenn man mal jemanden zu Wort kommen lässt, der | |
| etwas anderes vertritt als die gängige Mehrheitsposition. Eine Vielfalt von | |
| Themen und Positionen ist ja eigentlich ein Gebot für die | |
| Medienberichterstattung, gerade für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk. In | |
| existenziellen Krisen mag das etwas anders sein. Aber auch da wäre eine | |
| gewisse Vielfalt wichtig und richtig. | |
| 23 Sep 2025 | |
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| ## AUTOREN | |
| Antje Lang-Lendorff | |
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