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# taz.de -- Neue SPD-Vorsitzende Bärbel Bas: Die Hoffnung kommt aus Duisburg
> Bärbel Bas soll SPD-Chefin werden. Freundlich, nahbar, authentisch –
> viele freuen sich auf sie. Kann sie Lars Klingbeil und die CDU in Schach
> halten?
Bild: Die neue Arbeitsministerin Bärbel Bas am Tag der Jobcenter am 17. Juni i…
Christiane Benner wartet schon. Die Erste Vorsitzende der IG-Metall
eröffnet am vorigen Dienstag den Sozialstaatskongress ihrer Gewerkschaft in
Berlin. Und da kommt schon der Stargast herangerollt: Bärbel Bas steigt,
nein, nicht von ihrer Harley, sondern aus der schwarzen Dienstlimousine:
blond, athletisch, hüninnenhaft. Die beiden Frauen umarmen sich auf
Augenhöhe. „Schön, dich zu sehen“, sagt Bas. – „Wie läuft’s?“, f…
Benner. – „Läuft“, antwortet Bas.
Bärbel Bas ist seit sechs Wochen Ministerin und leitet mit dem Arbeits- und
Sozialministerium ein Haus, das wie kein anderes den Wesenskern der
Sozialdemokraten verkörpert: gute Arbeit, soziale Gerechtigkeit. Geht alles
nach Plan, wird sie Ende Juni auf dem Parteitag zur Vorsitzenden der SPD
gewählt und steigt damit nicht nur zur mächtigsten Frau in der
Sozialdemokratie, sondern in ganz Deutschland auf. Das weibliche
Gegengewicht zur Machtmaschine Lars Klingbeil, der im Doppel mit Bas für
den Parteivorsitz antritt.
Und sie wird die einzige Frau im Koalitionsausschuss sein, jenem
informellen Gremium unter Leitung des Kanzlers, das wichtige exekutive
Entscheidungen zwischen den Koalitionspartnern vorbereitet. Läuft also.
Die Erwartungen an Bas sind jetzt schon gewaltig. Die Arbeitertochter aus
dem Ruhrpott soll den Sozialstaat, die letzte Bastion der SPD, [1][gegen
die Spahns und Linnemanns in der CDU verteidigen.]
## „Wer, wenn nicht sie“
„Als Arbeits- und Sozialministerin wird sie unsere Punkte nach vorn tragen.
Das Tariftreuegesetz, den Mindestlohn, die nötigen Sozialstaatsreformen –
all das wird eine sozialdemokratische Handschrift tragen“, ist Dagmar
Schmidt überzeugt. Die Fachfrau für Arbeit und Soziales ist wie Bas
Parteilinke und vertritt deren Themen im Parlament. Gleichzeitig soll Bas
die SPD wieder hochpäppeln. Für die einstige Volkspartei stimmten im
Februar [2][nur noch 16,4 Prozent der Wählenden.] Gerade Arbeiter:innen,
die einstige Kernklientel, zog es in Scharen zur AfD.
Fragt man in der SPD vom Rhein bis an die Spree, ob Bas der doppelten
Mammutaufgabe gewachsen sei, heißt es einhellig: „Wer, wenn nicht sie?“ Sie
sei authentisch, nahbar, pragmatisch, auch unter Stress freundlich –
einfach „super“.
Und ihre Schwächen? Tja, da falle einem gerade gar nichts ein, versichern
sämtliche Gesprächspartner:innen. Angesichts der Schwäche der SPD wird
Bas zur Heilsbringerin. Zu einer, an die man glaubt.
Wenige Stunden zuvor war Bas an diesem Dienstag beim Tag der Jobcenter,
einer Mischung aus Infobörse, Meinungsaustausch und Empowerment für
Mitarbeiter aus ganz Deutschland. Die Moderatorin bleibt auf der Bühne mit
ihren Stöckelschuhen hängen. Bas sagt: „Ich weiß, warum ich immer flache
Schuhe anhabe.“
Sie wollte ja technische Zeichnerin werden. Jetzt ist sie Ministerin. Was
da schiefgelaufen sei, fragt die Moderatorin. Bas antwortet mit tiefer
Stimme: „Ich habe immer gemacht, was auf mich zugekommen ist.“ Das ist,
knapp zusammengefasst, die Karriere von Bärbel Bas. Vater Busfahrer, Mutter
Hausfrau. Nach dem Hauptschulabschluss besuchte sie zunächst eine
Berufsfachschule. „In dieser Zeit habe ich das Schweißen gelernt und konnte
perfekt einen U-Stahl feilen“, schreibt Bas über sich selbst. Nach 80
Absagen machte sie eine Ausbildung zur Bürogehilfin, wurde
Sachbearbeiterin, dann Krankenkassenbetriebswirtin, später studierte sie
auf dem zweiten Bildungsweg und leitete dann den Personalservice bei einer
Betriebskrankenkasse. Von weit unten nach oben, ohne Universität und
Doktortitel. Das ist längst keine typisch sozialdemokratische
Bilderbuchkarriere mehr. Es ist in der SPD-Welt voller Juristen und
Politikwissenschaftler die Ausnahme.
Mit ihrem Auftreten und ihrer Biografie könne Bas wichtige Wähler:innen
für die SPD zurückgewinnen, hofft [3][der Generalsekretär der SPD, Tim
Klüssendorf,] der auf dem Parteitag ebenfalls offiziell ins Amt gewählt
wird.
Zur Wahrheit gehört aber auch: Bas war mangels Alternativen die einzige
Frau, die infrage kam und ein [4][Gegengewicht zum machttaktisch
versierten Klingbeil] an der Parteispitze sein konnte.
Ministerpräsident:innen wie Anke Rehlinger und Manuela Schwesig
winkten ab, andere Interessentinnen wurden erst gar nicht gefragt.
Klüssendorf formuliert es diplomatischer: „Wenn es jemanden gibt, der mit
Lars Klingbeil auf Augenhöhe zusammenarbeiten kann, dann ist es Bärbel Bas.
Sie vertritt Nordrhein-Westfalen und die parlamentarische Linke und hat
eine breite Basis, die hinter ihr steht. Damit hat sie die gleiche
Hausmacht wie Lars.“ Klingbeil gehört zum konservativen Flügel der SPD, dem
Seeheimer Kreis, kommt aus Niedersachsen und ist bestens vernetzt in der
Partei. „Wenn man in Duisburg groß wird, kann man sich durchsetzen“, hofft
Frederick Cordes, Generalsekretär der nordrhein-westfälischen SPD, der Bas
seit 15 Jahren kennt.
Ganz so sicher ist das jedoch nicht. Klingbeil ist Vizekanzler und hat alle
Personalentscheidungen eingefädelt. Bas, so ein erfahrener Sozialdemokrat,
habe das Amt letztlich ihm zu verdanken. Wie harmonisch beide
zusammenarbeiten, wird entscheidend für die Popularitätskurve der SPD.
Weiter abwärts oder wieder ein Stückchen bergauf?
Bas’ politische Kurve zeigte bisher nur nach oben. 2009 wurde sie zum
ersten Mal in den Bundestag gewählt, als Direktkandidatin der SPD im
Wahlkreis Duisburg I. Seitdem gewann sie den Wahlkreis viermal in Folge.
2021 nahm ihre Karriere in Berlin richtig Fahrt auf. Lars Klingbeil wollte
Rolf Mützenich nicht als Bundestagspräsidenten. Und eine Frau wäre auf dem
Posten doch eine gute Idee. So bekam sie das formal zweitmächtigste Amt im
Staat. Kann sie das?, fragten auch manche in der SPD. Bas konnte, führte
das Amt sachlich und robust. Sie war da, machte, was auf sie zukam, und das
gut.
Vier Jahre später lief es ähnlich. Mit Arbeitsminister Hubertus Heil war
ein Niedersachse zu viel im Kabinett. Doch wer sonst konnte das Amt
ausfüllen? Bärbel Bas. So wurde die Frau aus NRW seine Nachfolgerin. Cordes
sagt: „Sie ist keine Strippenzieherin, keine, die sich in Position bringt.“
Anders gesagt: Bas organisiert sich nicht wie Klingbeil die Macht. Sondern
ist verlässlich zur Stelle, wenn irgendwo Not am Mann ist. So scheint es.
Sie kann aber auch anders. Auf dem Weg in den Bundestag knallte es bei der
SPD in Duisburg. Bas versuchte schon 2005, Petra Weis, damals
Bundestagsabgeordnete für den Duisburger Süden, zu verdrängen, und
scheiterte knapp. 2009 kam es wieder zur Kampfabstimmung, Bas boxte ihre
Konkurrentin aus dem Feld. Sie kann also durchaus Ellbogen ausfahren – und
wartet nicht nur, was so vorbeisegelt.
Die Ellbogen wird sie in der nächsten Zeit brauchen. Als Ministerin muss
sie das [5][Bürgergeld], einst Stolz, dann Schmach der SPD, reformieren.
Der Parteilinke Klüssendorf hofft, „dass nicht der gesamte Charakter der
Reform umgedreht wird“. Bas hat angekündigt, dass sie Menschen, die Termine
schwänzen, härter sanktionieren will. Außerdem will sie den „mafiösen
Strukturen“ im Bürgergeld den Kampf ansagen.
Gemeint sind nach Auskunft ihres Ministeriums Netzwerke, die Menschen aus
Rumänien und Bulgarien nach Deutschland holen, sie in geringfügigen,
zuweilen nur fingierten Beschäftigungsverhältnissen anmelden und ihre
aufstockenden Sozialleistungen einsacken. Für den Vorsitzenden der SPD in
NRW, Achim Post, spricht Bas das aus, was viele im Ruhrgebiet denken. Auch
den Segen der Koalitionspartner CDU und CSU hätte sie sicher.
Anders sieht es bei der Erhöhung des Mindestlohns, der Ausweitung der
Arbeitszeit oder der Zukunft der Rente aus. Hier liegen Union und SPD zum
Teil meilenweit auseinander. Die SPD hat 15 Euro Mindestlohn im Wahlkampf
versprochen, im Koalitionsvertrag einigte man sich darauf, dass die
Kommission aus Arbeitgebern und Arbeitnehmern entscheidet. Was aber, wenn
die Ende Juni zu einem weit niedrigeren Ergebnis kommt? „Dann muss das
politisch entschieden werden“, findet Post. Die Union sieht das aber
anders. Und Bas? „Ich bin schon sehr daran interessiert, mit den
Sozialpartnern gemeinsame Lösungen zu finden“, meint sie bei der IG Metall.
Das klingt eher nicht nach Ellbogen.
Gemeinsame Lösungen werden auch bei der Rente schwer zu finden sein. Die
SPD will die gesetzliche Rente stärken, die CDU die kapitalgedeckte
Altersvorsorge. Bas hat vorgeschlagen, dass auch Beamte in die Rentenkasse
einzahlen sollen. Die Kritik folgte sofort, Union und der Deutsche
Beamtenbund wetterten gegen die „Zwangs-Einheitsversicherung“.
Ein strategischer Schachzug war Bas’ Vorstoß eher nicht. Vor den
Jobcentermitarbeitern sagt sie, dass sie nach der diplomatischen Zeit als
Bundestagspräsidentin mal „ausprobieren wollte, konfrontativ zu sein“. Man
wird sehen, ob die Art, spontanen Eingebungen zu folgen, sich im Job der
Arbeitsministerin auszahlt. Später, bei den Metallern, legt Bas nach.
Ihr Ziel sei eine Erwerbstätigenversicherung, in die alle einzahlen:
Beamte, Selbstständige, Abgeordnete. „Das ist ein Gerechtigkeitsthema.“ Sie
muss das zunächst nicht selbst entscheiden, sondern will eine Kommission
einberufen, die Vorschläge erarbeiten soll. Noch mal Glück gehabt also –
Konfrontation ja, aber mit Ausweichstelle. Dennoch ist sich Bas sicher: „Es
wird noch großen Streit gerade in meinem Feld geben.“
Bei der IG-Metall stärkt man ihr den Rücken. Ein Gewerkschaftsfunktionär
aus Duisburg drückt Bas seine Karte in die Hand: „Wenn es mal Stress mit
Merz gibt, dann melde dich. Bei uns hast du Rechtsschutzversicherung.“
Eine Rückversicherung als SPD-Vorsitzende hat Bärbel Bas allerdings nicht.
Nicht das geballte Wohlwollen der Genoss:innen, sondern die
Wahlergebnisse werden der Maßstab, an dem man sie misst.
26 Jun 2025
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## AUTOREN
Anna Lehmann
Stefan Reinecke
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