# taz.de -- Studie zu Bürgergeldempfängern: Leben in ständiger Unsicherheit | |
> Die Bundesregierung plant strengere Sanktionen für Bürgergeldempfänger. | |
> Eine neue Studie zeigt: Viele der Betroffenen können schon heute nicht in | |
> Würde leben. | |
Bild: Thomas Wasilewski, Helena Steinhaus und DIW-Präsident Marcel Fratzscher … | |
Berlin taz | Auf Essen verzichten, damit die Kinder satt werden – das ist | |
eine Realität, mit der über die Hälfte der Bürgergeldempfänger leben muss. | |
Das ergab eine Studie des Vereins Sanktionsfrei. | |
Gemeinsam mit dem Umfrageinstitut Verian befragte er dafür 1.014 | |
Bürgergeldbezieher im Alter von 18 bis 67 Jahren zu ihren | |
Lebensverhältnissen. Fast drei Viertel der Befragten erklärten, der | |
Regelsatz von [1][563 Euro im Monat] reiche nicht, um in Würde zu leben. | |
Nur etwas mehr als die Hälfte sagte, dass in ihrem Haushalt alle genug zu | |
essen hätten. Ein Drittel verzichtet auf Nahrung, um andere | |
Grundbedürfnisse zu erfüllen. | |
Bei der Vorstellung der Studie am Montagvormittag spricht auch Thomas | |
Wasilewski. Er und seine Familie leben vom Bürgergeld: „Unser Leben findet | |
in ständiger Unsicherheit statt. Es reicht kaum für die nötigsten | |
Nahrungsmittel und auch der Schulalltag ist dadurch für unsere Kinder | |
besonders schwer“, sagt er. Wie 77 Prozent der Teilnehmenden der Studie | |
empfindet er seine finanzielle Lage als psychisch belastend. „Diese Stimme | |
im Kopf ist immer präsent: Wie soll es morgen weitergehen? Das zerfrisst | |
die Seele“, sagt er. „Es ist unerträglich zu erleben, wie meine Söhne | |
leiden, weil ihnen das Allernötigste fehlt.“ | |
Während in der öffentlichen Debatte immer wieder die Arbeitsbereitschaft | |
von Bürgergeldempfängern in Zweifel gezogen wird, gaben 74 Prozent der | |
Befragten in der Studie an, ihren Lebensunterhalt selbst bestreiten zu | |
wollen. Doch nur etwa ein Viertel äußerte sich zuversichtlich, eine Stelle | |
zu finden, die ihnen das ermöglicht. Für 59 Prozent stellen körperliche | |
Einschränkungen und für 57 Prozent psychische Erkrankungen dabei | |
Hindernisse dar. Das Jobcenter sei nur bedingt hilfreich. | |
## Angst vor Obdachlosigkeit | |
[2][Im Koalitionsvertrag haben Union und SPD vereinbart, das Bürgergeld | |
abzuschaffen und eine neue Grundsicherung für Arbeitssuchende einzuführen]. | |
Ziel sei es zwar auch, „Vermittlungshürden“ abzubauen und die „besondere | |
Situation“ psychisch Erkrankter zu berücksichtigen. Gleichzeitig sollen | |
Sanktionen schneller, einfacher und unbürokratischer durchgesetzt werden – | |
bis hin zum vollständigen Leistungsentzug für Menschen, die arbeiten können | |
und „wiederholt zumutbare Arbeit verweigern“. | |
[3][Helena Steinhaus, Vorstand von Sanktionsfrei], kritisiert die Pläne: | |
„Über die Hälfte der Eltern müssen regelmäßig auf Essen verzichten, damit | |
ihre Kinder satt werden. Da läuft etwas grundlegend falsch.“ 72 Prozent der | |
Teilnehmenden gab an, Angst vor Leistungskürzungen zu haben. Die am | |
häufigsten geäußerte Befürchtung der Befragten, was das bedeuten könnte: | |
Obdachlosigkeit. | |
„Das Bürgergeld kürzen oder abschaffen zu wollen, ist ein gefährlicher | |
Irrweg“, warnt Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für | |
Wirtschaftsforschung, der die Studie am Montag mit vorstellte. Kürzungen | |
würden die soziale Teilhabe noch weiter reduzieren und es Betroffenen noch | |
schwieriger machen, wieder einen Job zu finden. Das sei nicht nur für sie, | |
sondern auch für Unternehmen, Gesellschaft und Sozialstaat kontraproduktiv, | |
sagt er. | |
Tatsächlich fühlen sich laut der Studie schon jetzt nur 12 Prozent der | |
Bürgergeldempfänger in der Studie der Gesellschaft zugehörig. 42 Prozent | |
äußerten, sich für den Bezug von Bürgergeld zu schämen. Und 80 Prozent | |
gaben an, es mache ihnen Angst, wie manche Politiker über Menschen mit | |
Bürgergeld sprechen. „Sanktionsfrei“ fordert einen monatlichen Regelsatz | |
von 813 Euro, die Abschaffung von Sanktionen und den Fokus auf | |
Weiterbildung statt auf Arbeitsvermittlung zu richten. | |
23 Jun 2025 | |
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## AUTOREN | |
Alice von Lenthe | |
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