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# taz.de -- Wohnungsbau in Deutschland: Tempo, Tempo, Tempo
> Die Bundesregierung beschließt den „Wohnungsbau-Turbo“ – schneller und
> einfacher soll gebaut werden. Doch entstehen so auch bezahlbare
> Wohnungen?
Bild: Lars Dormeyer, Lars Klingbeil, Verena Hubertz und der Berliner Bausenator…
Berlin taz | Noch sind nur erste Betonwände hinter Gerüsten zu sehen, über
denen riesige Baukräne schweben. Hier in Berlin-Mitte, wo vorher mal ein
Parkplatz mit einigen Bäumen stand, möchte die landeseigene
Wohnungsbaugesellschaft WBM neu bauen – zwischen einer vielbefahrenen
Straße und einem bestehenden Häuserriegel.
Nachverdichtung nennt sich das. Unter anderem sollen 102 neue Wohnungen
entstehen, 40 davon mit Anfangsmieten von 6,90 Euro pro Quadratmeter. Das
ist kein kleines Versprechen in einer Stadt wie Berlin. In den 14 größten
Städten [1][sind die Angebotsmieten seit 2015 trotz Mietpreisbremse um 50
Prozent gestiegen] – das hat die linke [2][Bundestagsabgeordnete Caren Lay]
von der Bundesregierung kürzlich erfragt.
Aber an diesem Mittwoch im Juni geht es nicht um steigende Mieten, sondern
ums schnelle Bauen, damit möchte die Bundesregierung die Wohnungsnot
bekämpfen. Und dafür müssen in Berlin-Mitte erst mal die
Bauarbeiter*innen mit ihren Bauhelmen zur Seite weichen. Die [3][neue
Bauministerin Verena Hubertz (SPD)] tritt energisch ans Mikrofon und
verkündet gut gelaunt: „Wir kommen gerade aus dem Bundeskabinett und zünden
heute den Bauturbo.“
Jetzt, mit dem neuen Gesetzentwurf zur Beschleunigung des Wohnungsbaus, den
das Kabinett beschlossen hat, soll alles besser werden. Städte und
Gemeinden sollen die Möglichkeit haben, Genehmigungsverfahren zu straffen,
indem sie von Bebauungsplänen abweichen können – sie können sogar ganz
darauf verzichten. Die neue Regelung ist bis Ende 2030 befristet. Ein
Bebauungsplan könne in einer durchschnittlichen Großstadt 5 Jahre dauern,
erklärt Hubertz, „Wir werden aus den 5 Jahren 2 Monate machen.“
## Zahlen nennt Hubertz nicht – offenbar aus Erfahrung
Ein paar Voraussetzungen für das schnelle Bauen gibt es aber schon: Eine
Abweichung soll mit den Interessen der Allgemeinheit vereinbar sein und es
soll neuer Wohnraum entstehen, durch Neubau oder Erweiterungen. Das Ganze
gelte auch für Kitas, Schulen oder Theater, betont Hubertz. Und der
Gesetzentwurf enthält weitere Regelungen: Das Aufstocken und Umbauen soll
leichter werden. Auch der Umwandlungsschutz soll um fünf Jahre verlängert
werden – damit soll in angespannten Wohnungsmärkten die Umwandlung von
Miet- in Eigentumswohnungen verhindert werden. Das soll Mieter*innen
besser vor Verdrängung schützen. Im Herbst sollen die Regelungen in Kraft
treten.
Auf eine konkrete Zahl, wie viele Wohnungen gebaut werden sollen,
verzichtet die neue Bauministerin – offenbar aus schmerzlicher Erfahrung.
Die Vorgängerregierung hatte noch 400.000 neue Wohnungen pro Jahr
versprochen und war kläglich daran gescheitert. Was auch an hohen Zinsen,
Lieferengpässen und hohen Energie- und Materialpreisen lag. Laut
Statistischem Bundesamt wurden 2024 nur rund 251.900 neue Wohnungen fertig,
2023 waren es etwa 294.400. Der [4][tatsächliche Bedarf] wird viel höher
eingeschätzt.
Es mache keinen Sinn, eine Zahl „für vier Jahre in Stein zu meißeln“, sagt
Hubertz auf Nachfrage. Aber man könne sie aber daran messen, wie sich
Bauzeiten entwickeln oder Baukosten, die sie halbieren will. Es brauche
jetzt „Tempo, Tempo, Tempo“. Man müsse bauen und vereinfachen,
Ländergesetze harmonisieren. „Copy, paste, einfach machen.“ Die Menschen
würden es nicht verstehen, wenn sich der Brandschutz an der
Postleitzahlgrenze ändere. Am liebsten wäre Hubertz [5][serielles Bauen mit
Holz.]
Bundesfinanzminister Lars Klingbeil (SPD) kündigt an, in der kommenden
Woche dem Kabinett den Haushaltsentwurf für dieses Jahr und die Einrichtung
des Sondervermögens von 500 Milliarden Euro vorzulegen. Damit würden
„Spielräume“ geschaffen, „dass in unserem Land mehr gebaut wird“. Die
Menschen müssten spüren, „dass sich etwas verändert“.
## Die Opposition ist weniger begeistert
Auch der baupolitische Sprecher der Unionsfraktion, Jan-Marco Luczak, der
nicht vor Ort war, begrüßte die Baunovelle. „Das Problem steigender Mieten
lasse sich nicht durch „mehr Regulierung, sondern nur durch mehr
Wohnungsbau“ lösen.
Doch in der Opposition hält sich die Begeisterung in Grenzen. „Wir bekommen
leider keinen Bauturbo, sondern einen Teuerturbo“, sagt der baupolitische
Sprecher der grünen Bundestagsfraktion, Kassem Taher Saleh. Man müsste
sicherstellen, „dass keine Luxusapartments oder Villen auf der grünen Wiese
gebaut werden“. Doch entsprechende Vorgaben fehlten. „Stattdessen werden
Vorschriften aufgeweicht, die Bodenspekulation anheizen, Umweltstandards
aushebeln und Beteiligungsprozesse zurückdrängen“.
Ähnlich sieht das Katalin Gennburg, Sprecherin für Bauen der Linkenfraktion
im Bundestag. „Neubau ohne Plan“ könnte die Wohnungsnot verschärfen,
fürchtet sie. Die Bundesregierung lege „die Axt an das Planungsrecht,
obwohl bundesweit 900.000 genehmigte Wohnungen gebaut werden könnten und
zunehmender Leerstand die Kommunen vor erhebliche Probleme“ stelle.
Auch der Verein Architects for future bezweifelt, dass mit dem Bauturbo
„nachhaltige und sozial tragfähige Lösungen für die Herausforderungen
unserer Zeit erreicht werden können“. Es bräuchte gesetzgeberische
Schritte, um klimagerechtes Bauen zu fördern, etwa durch Bauen im Bestand
sowie eine Stärkung einer gemeinwohlorientierten Bodenpolitik.
Der Deutsche Mieterbund begrüßt zwar die Novelle, ist aber nicht ganz
zufrieden. Der Bauturbo garantiere nicht, „dass bezahlbare Mietwohnungen
entstehen, sondern im Gegenteil“, erklärte die Bundesdirektorin des
Deutschen Mieterbundes (DMB), Melanie Weber-Moritz. Der Entwurf trage „in
seiner jetzigen Fassung dazu bei, Schutzinstrumente für Mieterinnen und
Mieter in angespannten Wohnungsmärkten in Milieuschutzgebieten
auszuhebeln“.
Skeptisch sind auch Anwohner*innen in Berlin, die neben der Baustelle
wohnen. „Für mich ist das alles eine große Belastung“, sagt eine Rentneri…
die hier seit 27 Jahren wohnt. Sie habe nichts gegen neue Wohnungen. Aber
sie leide sehr unter dem Baulärm und kriege keine Mietminderung. Vor dem
Baubeginn habe es noch eine Erhöhung gegeben. Sonst liege hier auch viel
mehr Baumüll herum, klagt sie, nur heute sehe alles „wie geleckt aus“.
18 Jun 2025
## LINKS
[1] https://www.tagesschau.de/wirtschaft/verbraucher/mieten-grossstaedte-mietpr…
[2] /Linkenpolitikerin-Caren-Lay-im-Wahlkampf/!6063225
[3] /Sozialdemokratinnen-im-Kabinett/!6086251
[4] /Neue-Prognose-zu-Wohnraumbedarf/!6073483
[5] /Serielles-Bauen-feiert-Comeback/!5855327
## AUTOREN
Jasmin Kalarickal
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Schwerpunkt Gentrifizierung in Berlin
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