| # taz.de -- Späte Versöhnung: Eintauchen. Langmachen. Hochdrücken. Ausatmen | |
| > Freibad, das bedeutet Chlorwasser, Sonnenbrand und piksende Grashalme, | |
| > dachte unsere Autorin. Dann bekam sie eine Mehrfachkarte geschenkt. | |
| Bild: Leider geil – endlich wieder Freibadsaison | |
| Vergangenen Sommer erbte ich unverhofft eine Mehrfachkarte für [1][die | |
| Berliner Freibäder]. Zwanzig Eintritte für sechs Wochen Restlaufzeit. Nie | |
| wäre ich auf den Gedanken gekommen, mir eine zu kaufen. Geschweige denn so | |
| spät in der Saison. | |
| Freibad, das war für mich: in der prallen Sonne auf einer vertrockneten | |
| Wiese liegen, deren Halme durchs Handtuch piksen. Mit nassen Oberschenkeln | |
| an den Plastikstühlen [2][der Pommesbude] kleben bleiben. Von irgendeinem | |
| Christopher so lange unters Wasser gedrückt werden, bis das Leben an einem | |
| vorüberzieht. Sich beim Gruppenrutschen eine Gehirnerschütterung holen. Zu | |
| viel Chlorwasser in Augen, Nase und Magen. Sonnenbrand, Sonnenbrand, | |
| Sonnenbrand. Einmal habe ich im Nichtschwimmerbecken eine Kackwurst treiben | |
| sehen. | |
| Nun denn, dachte ich. Zwanzig durch sechs, das sind dreikommaperiodedreimal | |
| Freibad in der Woche. Wie alle anderen hatte [3][ich „22 Bahnen“ gelesen], | |
| die Auslage meiner Buchhandlung war voll mit Frauen, die im roten Badeanzug | |
| durchs Wasser pflügen, vom Sprungturm rein ins Leben, vom Beckenrand ins | |
| Glück. Das könnte ich sein, dachte ich. Kaufte mir eine Badekappe, eine | |
| Taucherbrille, eine Nasenklammer und piepste mich mit dem QR-Code durchs | |
| Drehkreuz. Noch 19 Mal. | |
| Den Badeanzug schon drunter, schmiss ich die Tasche auf die Wiese, | |
| pflatsch, pflatsch, mit Adiletten durch die Ekelbrühe des | |
| Durchschreitebeckens, zwei Sekunden unter die kalte Brause, rein ins | |
| Wasser. Abstoßen, langmachen, hochdrücken, einatmen, ausatmen, Armzug, | |
| Beinschlag, langmachen, hochdrücken, einatmen, ausatmen. Und natürlich | |
| fühlte ich mich dabei ein paar Bahnen lang wie die Heldinnen all dieser | |
| Schwimm- und Sprungturmromane, die ihren shit so was von together haben. | |
| Dann ging mir die Puste aus. | |
| ## Schwimmhäute zwischen den Fingern und ein Viktor | |
| In den darauffolgenden Wochen schaute ich mir Youtube-Tutorials [4][für die | |
| richtige Wendetechnik an], übte Köpper und kurz sogar Kraulen, mir wuchsen | |
| Schwimmhäute zwischen den Fingern … nein, Spaß! Aber ich versöhnte mich mit | |
| der Institution Freibad, insbesondere mit dem bei mir um die Ecke, wo stets | |
| eine angenehme Aufbruchstimmung herrschte, wenn ich nach Feierabend noch | |
| für eine Stunde vorbeikam. Und wo ich im Wasser [5][an nichts anderes | |
| dachte als „Bahn 3, Bahn 3, Bahn 3, Bahn 3“], weil ich mir ausnahmsweise | |
| keine Airpods in die Ohren stopfen konnte, um mein Gehirn [6][mit | |
| Laberpodcasts] zu betäuben. | |
| Und dann passierte noch etwas richtig Schönes. Ich lernte einen Mann namens | |
| Viktor kennen, mit eisblauen Augen, der wie ich immer 22 Bahnen schwa… | |
| nein, noch mal Spaß! Viel schöner! Ich stellte mich in die Schlange fürs | |
| Dreimeterbrett, meinen absoluten Endgegner aus der Schulzeit. Was habe ich | |
| mich dort oben festgekrallt und vor Angst gewimmert. Aber weil ich vor den | |
| 35 Halbstarken hinter mir keine Szene machen will, laufe ich nach vorne und | |
| springe, ganz ohne zu zögern. Und dann direkt noch mal. | |
| In diesen Wochen machen die Berliner Freibäder wieder auf. Meine | |
| Mehrfachkarte habe ich schon. | |
| 19 May 2025 | |
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| [4] /Eine-Typologie-der-Schwimmstile/!5941536 | |
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| ## AUTOREN | |
| Leonie Gubela | |
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