# taz.de -- Freibadbesuche werden teuer: Das Gegenteil von Dekadenz und Privileg | |
> Im Freibad liegt das Glück. Die Erhöhung der Eintrittspreise ist ein | |
> Verbrechen an denen, die keinen exklusiven Zugang zum Leben im Sommer | |
> haben. | |
Bild: Utopie der klassenlosen Gesellschaft | |
Das Freibad ist der Hotspot für Gossip, Fun und (zumindest kurze) | |
sportliche Betätigung, ein umzäuntes Naherholungsdomizil, eine Welt mit | |
eigenen Regeln (wer sitzt wo, wer liegt woanders) und permanenten | |
Versprechen an das schöne, ausgelassene, faule und deshalb erstrebenswerte | |
Dasein (dort herrscht eine andere Zeitrechnung, Freibadstunden vergehen | |
anders, Erlebnisse werden intensiviert oder extra fad). | |
Das Freibad ist nicht nur [1][ein Abkühlungsangebot], eine kleine Rettung | |
an heißen Tagen, die gelebte Hingabe an die aufregendste Zeit im Jahr, es | |
ist vielmehr eine Notwendigkeit, ja, ein Lebensgefühl. Denn nirgends ist es | |
so schön, als bei Hitze am Wasser – und in Städten ohne Badeflüssen oder in | |
Gegenden ohne (Berg-)Seen, braucht es also Kacheln, Chlor und ordentliche | |
Kioske, damit der Sommer (das Leben!) zwar unendlich, aber nicht | |
unerträglich ist. | |
Doch Moment. Wo sich das Freibad in manchen, seltenen Momenten wie die wahr | |
gewordene Utopie der klassenlosen Gesellschaft anfühlt, der (feuchte) Traum | |
des bedingungslosen Miteinanders, bedarf es wohl eines schmerzverzehrten | |
Blicks auf die realen Zugangsbedingungen. | |
Upsi! Die Freibadkasse ist zu einem Marker gesellschaftlicher Teilhabe | |
geworden. Denn das vermeintlich demokratische Sommervergnügen hob unlängst | |
die Preise an. Im Schnitt wurden die Eintritte [2][nach Angaben des | |
statistischen Bundesamtes] um 5,7 Prozent erhöht, selbst die Sonnenschirme | |
kosten durchschnittlich 2,5 Prozent mehr. Nun, es ist offenkundig, dass | |
nicht nur der Zugang zu Geld (und daher zu allem anderen), sondern auch der | |
Zugang zu Genuss und Freizeitvergnügung in unserer Gesellschaft ungleich | |
verteilt ist – aber die Freibaddrehkreuze dürfen keine Schwelle zum Luxus | |
sein und erst recht kein Symbol für sozialen Ausschluss. | |
Das Freibad muss das Gegenteil von Dekadenz und Privileg sein: nämlich ein | |
offener Ort für alle möglichen Personen, mit sämtlichen unterschiedlichen | |
Erholungsbedürfnissen. Sauberes Wasser, um der Überhitzung zu entgehen, | |
Liegeflächen für ein ausgiebiges Nickerchen, lange Bahnen für die, die | |
tatsächlich schwimmen (gar anständig kraulen) können, Stufen und Tribünen | |
und mehretagige Sitzflächen, um zu sehen und vor allem um gesehen zu werden | |
(ja!), Sanitäranlagen, Kinderspaßbereiche und das kulinarische | |
Versorgungszentrum, der Kiosk. Pommes rot-weiß, Eis am Stiel, es reichen | |
sogar eine einfache Getränkeauswahl und minder bequeme Sitzmöglichkeiten, | |
um die meisten Anwesenden glücklich zu machen (Achtung: mir haben einst | |
Freibadpommes eine Affäre beschert, die jetzt nicht gerade die erfüllendste | |
war, das ist das Gefährliche am einlullenden und entzückenden Freibadvibe). | |
Für manche ist damit nun Schluss, was nicht nur schade, sondern entsetzlich | |
ist. Die grundsätzliche Verteuerung durch die Inflation macht es schon | |
anstrengend genug, gerade durchs Leben zu gehen. Durch die Preisanhebung | |
bei eigentlich so niedrigschwelligen Freizeitaktivitäten bricht der Zugang | |
zu einem Sozialraum weg, der sich an den besten Tagen sogar sinn- und | |
identitätsstiftend anfühlt. | |
Das trifft wohl vor allem diejenigen, die sich nicht unbedingt entscheiden | |
können, ob der Freibadmodus tatsächlich ihr Lebensgefühl ist, sondern ihnen | |
gar nichts übrig bleibt, als ihn als den ihrigen euphorisch anzunehmen und | |
zu proklamieren, wenn sie den Sommer über in Städten ohne (gratis) Flüsse | |
oder Seeanbindung verbringen müssen, schon innerorts keine weiten Strecken | |
zurücklegen und sich überhaupt keine ausschweifenden Urlaube leisten | |
können. | |
Das Freibad ist in seiner immer ähnlichen architektonischen Einfachheit, in | |
seiner sozialen Komplexität und in seinem Versprechen, den Alltag kurz zu | |
unterbrechen und uns davon zu erlösen, (meinem Verständnis nach) | |
tatsächlich der reinste Luxus; allerdings darf das Freibad nie zu einem | |
exklusiven Club werden, sonst verliert es nicht nur eine wichtige | |
Gesellschaftsfunktion, sondern auch den Charme, den die vergleichbaren | |
Privilegierten-Etablissements nie haben werden. | |
20 Jun 2025 | |
## LINKS | |
[1] /Berliner-Freibaeder/!6084121 | |
[2] https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/Zahl-der-Woche/2025/PD… | |
## AUTOREN | |
Jovana Reisinger | |
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