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# taz.de -- Wunschkabinett der Union: Das bisschen Lobbyismus
> Das Regierungspersonal von CDU und CSU steht. Gleich mehrere Spitzenleute
> kommen aus Unternehmen. Haben sie Interessenskonflikte?
Bild: Der Bundeskanzler in spe gratuliert der designierten Wirtschafts- und Ene…
Berlin taz | Das fängt ja gut an: Kurz nachdem die Union ihre
Kabinettsmitglieder benannt hatte, provozierte der designierte
Agrarminister Alois Rainer Umweltschützer:innen mit einem Interview in
der Bild. Darin [1][schloss der CSU-Politiker höhere Steuern auf Fleisch
klar aus]. „Im Koalitionsvertrag wurde vereinbart, dass keine
Steuererhöhungen durchgeführt werden. Daran werde ich mich als zukünftiger
Minister halten“, zitierte das rechte Blatt den Metzgermeister aus
Niederbayern. Rainer sprach sich zudem dafür aus, dass Kindergärten und
Schulen nicht ausschließlich vegetarische Kost, sondern auch Fleisch
auftischen.
Diese Positionierung ist in zweierlei Hinsicht bemerkenswert und womöglich
typisch [2][für die neuen Unionsminister:innen]. Erstens, weil sie
klar dem widerspricht, was Umweltschützer:innen und viele
Wissenschaftler:innen für nötig halten. Und zweitens, weil sie zeigt,
dass das Kabinett des künftigen Kanzlers Friedrich Merz (CDU) ein Problem
mit Interessenkonflikten haben wird.
Zu Punkt eins: Die Erzeugung von Fleisch belastet das Klima viel stärker
als die pflanzlicher Lebensmittel, und es fallen dabei große Güllemengen
an, die das Grundwasser und die Artenvielfalt gefährden. Außerdem leiden
die Tiere – und die Menschen. Denn der Verzehr von zu viel Fleisch steht im
Zusammenhang, etwa mit Krebs und Kreislauferkrankungen. Würden solche
Nahrungsmittel durch eine leichte Erhöhung der Mehrwertsteuer etwas teurer,
sänke der Konsum. Diskutiert wird etwa, die Steuer von bisher 7 Prozent auf
9 Prozent zu erhöhen. Mit den zusätzlichen Einnahmen könnte der Staat zum
Beispiel Landwirt:innen helfen, ihre Ställe so umzubauen, dass die Tiere
mehr Platz hätten.
„Nur weil sein Parteichef Markus Söder viel Döner isst, muss Döner nicht
zur Allgemeinernährung werden“, kommentierte der Präsident des Deutschen
Tierschutzbunds, Thomas Schröder, die Äußerungen von Alois Rainer. Die
Zukunftskommission Landwirtschaft, an der sowohl der Deutsche Bauernverband
als auch Umwelt- und Tierschützer beteiligt waren, habe einstimmig
beschlossen, dass der Konsum tierischer Lebensmittel sinken müsse.
## Fleischverkauf als Lebensunterhalt
Womit wir bei den Interessenkonflikten wären. Denn Alois Rainer führt nach
eigenen Angaben „seit mehr als drei Jahrzehnten einen Gasthof mit
Metzgerei“ im Bayerischen Wald. Er verdient sein Geld also nicht nur als
Politiker, sondern auch damit, Fleisch zu verkaufen. Wenn er sich jetzt
gegen höhere Steuern auf seine Produkte und für mehr Fleisch in
Kindergärten und Schulen ausspricht, dann profitiert davon die Branche, an
der er selbst beteiligt ist.
Dass die Union solche Interessenkonflikte erlaubt, könnte überraschen.
Hatte sie zu Zeiten der Ampelkoalition doch noch so vehement kritisiert,
dass einige vormalige Mitarbeiter:innen von Umweltorganisationen oder
Denkfabriken in von den Grünen geführten Ministerien beschäftigt waren.
Wohlgemerkt waren das Staatssekretär:innen, nicht, wie jetzt unter der
Union, Minister:innen.
Nicht nur der designierte Landwirtschaftsminister lässt aufmerken. Das
Regierungspersonal der Union hat eine klare Wirtschaftsflügel-Schlagseite,
sagt Christina Deckwirth von der Organisation Lobbycontrol. Friedrich Merz
war bis 2020 Lobbyist der mächtigen Investmentgesellschaft Blackrock. Levin
Holle, der Finanzvorstand des maroden Staatskonzerns Deutsche Bahn, soll
Merz’ Chef-Wirtschaftsberater im Kanzleramt werden. Der nächste
Kulturstaatssekretär Wolfram Weimer ist nicht nur sehr konservativ, sondern
auch Medienunternehmer. Auch das neue Digital- und das
Wirtschaftsministerium sollen mit Manager:innen besetzt werden, die
direkt aus einem Unternehmen in ein Regierungsamt wechseln.
Christina Deckwirth warnt vor Interessenkonflikten.
Regierungsentscheidungen dürften nicht einseitig zugunsten der Wirtschaft
fallen, betont sie. Auch die Belange etwa der Verbraucher:innen oder der
Umwelt müssten zählen. „Die künftige Regierung muss beweisen, dass sie
ausgewogen entscheiden kann und Wirtschaftsvertretern keinen privilegierten
Zugang gewährt“, fordert sie. Möglich wäre das zum Beispiel, indem die
Regierungsmitglieder freiwillig ihre Kontakte zu Lobbyist:innen
veröffentlichten.
## Reiches Rückkehr wird von vielen gefeiert
Zu denjenigen, die direkt aus der Chefetage eines Unternehmens in die
Regierung wechseln könnten, zählt die gebürtige Brandenburgerin Katherina
Reiche. Die designierte Wirtschafts- und Energieministerin ist wie
Friedrich Merz eine Rückkehrerin. Bevor sie 2015 zum Verband kommunaler
Unternehmen (VKU) wechselte, war sie Staatssekretärin zuerst im Umwelt- und
dann im Verkehrsministerium. Als sie die Regierung verließ, hagelte es
harsche Kritik – weil sie ohne Pause einen Lobbyposten übernahm. 2020
wechselt sie in die Energiebranche und wurde Chefin der größten Tochter des
Energiekonzerns Eon, des Unternehmens Westenergie.
Reiches Rückkehr in die Politik wird von vielen gefeiert. Die
Energieverbände, ob eher fossil oder erneuerbar ausgerichtet, überschütten
sie mit Vorschusslorbeeren und loben ihre Expertise. Der Bundesverband der
Deutschen Industrie ebenfalls. Lobbycontrol sieht dagegen gerade ihren
Hintergrund kritisch. „Die Frage ist, ob Reiche die nötige Distanz
mitbringt“, sagt Deckwirth. Denn sie soll für einen Bereich politisch
verantwortlich sein, indem sie bis jetzt als Managerin Geschäftsinteressen
verfolgt hat. Die Eon-Tochter Westenergie ist unter anderem für den Ausbau
der Stromnetze verantwortlich, und der ist wichtig für den Ausbau der
erneuerbaren Energien.
Katherina Reiches Expertise in dieser Frage wird von politischen
Freund:innen und Gegner:innen geschätzt. Westenergie ist aber auch
Betreiber eines 37.000 Kilometer langen Gasnetzes und dürfte kein Interesse
daran haben, so schnell wie möglich diesen fossilen Geschäftszweig
aufzugeben. Das könnte bei der im Koalitionsvertrag vorgesehenen
„Abschaffung“ des Heizungsgesetzes der Ampel eine Rolle spielen.
Auch in der Frage, ob die neue Bundesregierung am Ziel des Ausbaus der
Erneuerbaren festhält oder es aufweicht, sind die Interessen der
Beteiligten wichtig. Reiches früherer Verband VKU fordert, die Ausbauziele
„anzupassen“. Gemeint ist damit eine Verlangsamung. Klimapolitik fällt
künftig nicht mehr in den Bereich des Wirtschaftsministeriums, sondern in
den des Umweltministeriums. Wen die SPD dorthin entsendet, stand zu
Redaktionsschluss noch nicht fest.
Das Bundesumweltministerium bekommt Medienberichten zufolge außerdem die
Verantwortung für Klimadiplomatie vom Auswärtigen Amt. Unter der grünen
Außenministerin Annalena Baerbock hatte das Haus die Federführung bei den
internationalen Klimaverhandlungen übernommen. Dafür hatte Baerbock die
damalige Geschäftsführerin von Greenpeace International, Jennifer Morgan,
als Staatssekretärin ins Auswärtige Amt geholt.
## Bürokratieabbau für Unternehmensinteressen
Jemanden „von außen“ wolle er [3][für das Digitalministerium], das hatte
Friedrich Merz bereits vorher angekündigt. Und mit seiner
Blackrock-Vergangenheit war klar: Er holt niemanden aus einer NGO oder
sucht nach klugen Wissenschaftler:innen. Die Frage war daher, welche
Unternehmen sich künftig über einen direkten Draht in die
Ministeriumsspitze freuen dürfen. Im Lebenslauf stehen hat Karsten
Wildberger, der designierte Digitalminister, unter anderem die folgenden
Stationen: MediaMarktSaturn, T-Mobile, Vodafone, Boston Consulting Group
und, genau wie seine voraussichtliche Kabinettskollegin Katherina Reiche,
Eon.
Ein Thema, das sich dabei durch viele von Wildbergers Stationen zieht, ist
digitale Transformation, also Unternehmen, die die Digitalisierung bislang
nicht gerade engagiert verfolgt haben, so umzubauen, dass drin ist, was
Kund:innen und Investor:innen von einem Konzern erwarten in den 2020er
Jahren.
Diese Art des Change-Managements, wie es in der Branchensprache heißt, also
des Vorantreibens und Begleitens von Veränderungen, ist es wohl, die Merz
für Wildberger vorgesehen hat: auch mal gegen etablierte Strukturen
denken und keine Angst davor haben, wenn Menschen mit Politikerfahrung die
Stirn runzeln oder den Kopf schütteln. Denn um ein neues Ministerium
aufzubauen, wird Wildberger anderen Ressorts Kompetenzen abnehmen müssen.
Und selbst wenn der neue Innenminister Dobrindt vielleicht nicht
unglücklich darüber ist, die Verwaltungsdigitalisierung los zu sein, die
nicht gerade ein Gewinnerthema ist – weniger Zuständigkeiten bedeuten auch
weniger Budget und Personal und damit weniger Macht.
Karsten Wildberger ist nicht nur Unternehmer, sondern als Vizepräsident des
Handelsverbands HDE auch Lobbyist. „Es ist fraglich, wie unabhängig
Wildberger über Fragen der Digitalisierung und Staatsmodernisierung
entscheiden kann“, sagt Christina Deckwirth. Zum Tragen komme das etwa beim
Thema Bürokratieabbau. Denn neben der Digitalisierung bekommt das neue
Ministerium auch den Bereich Staatsmodernisierung. Gerade Bürokratieabbau
werde von Lobbyist:innen immer wieder als Argument verwendet, um den
Interessen von Unternehmen gegenüber gesellschaftlichen Anliegen Vorrang zu
geben.
Mit problematischen Verstrickungen bereits Schlagzeilen gemacht hat einer
von Karsten Wildbergers möglichen zukünftigen Staatssekretären: Philipp
Amthor. Er stand vor Jahren im Zentrum eines Lobbyismusskandals um die
dubiose Firma Augustus Intelligence. Amthor ist wohl nachtragend: Nachdem
der Skandal durch eine Anfrage nach dem Informationsfreiheitsgesetz (IFG)
öffentlich geworden war, [4][setzte sich Philipp Amthor nun in den
Koalitionsverhandlungen dafür ein, das IFG abzuschaffen]. Das Argument?
Bürokratieabbau.
3 May 2025
## LINKS
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[3] /Media-Markt-Chef-wird-Digitalminister/!6082072
[4] /Wenn-dieses-Gesetz-abgeschafft-wird-ist-mit-mehr-Korruption-zu-rechnen/!60…
## AUTOREN
Svenja Bergt
Anja Krüger
Jost Maurin
Jonas Waack
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