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# taz.de -- Ökonom Rudolf Hickel über neue Regierung: „Bei Merz ist es pure…
> Vor 50 Jahren hat die Memorandum-Gruppe erstmals die Bundesregierung
> kritisiert. Nun lobt ein Mitgründer den kommenden Kanzler. Wenigstens zum
> Teil.
Bild: Nicht nur hier muss investiert werden: eingestürzte Carolabrücke in Dre…
taz: Zum 1. Mai legt die „Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik“ ihr
inzwischen 50. Memorandum vor. Und es scheint, als habe sich ausgerechnet
der künftige konservative Kanzler Friedrich Merz mit seiner Lockerung der
[1][Schuldenbremse] und einem hunderte Milliarden schweren
Investitionsprogramm endlich mal nach den Empfehlungen der linken
Memo-Gruppe gerichtet. Oder, Herr Hickel?
[2][Rudolf Hickel]: Nicht ganz. Die Gruppe, insbesondere um den Ökonomen
und Linken-Politiker Axel Troost und mich, war von Anfang an schärfster
Kritiker der [3][Schuldenbremse]. Von dem, was wir bei deren Einführung
2007 prognostiziert haben, ist ja vor allem ein entscheidender Punkt
eingetreten: der massive Rückgang öffentlicher Investitionen. Aber die
Merz-Agenda bedeutet trotzdem keinen Sieg der Memo-Gruppe. Nicht die
Einsicht in unsere Argumentation hat die Union zur Vernunft gebracht,
sondern die reale Gewalt der Krise hat sie zu etwas gezwungen, was wir
theoretisch längst begründet hatten. Bei Merz ist es vor allem purer
Opportunismus. Er steht halt vor den Katastrophen im Infrastrukturbereich.
taz: Damals haben die Schuldenbremsenbefürworter gesagt, man dürfe die
Kosten der Investitionen nicht den künftigen Generationen aufbürden …
Hickel: Wir haben das Generationenargument auch genutzt, aber genau
andersherum. Schulden sind die einzige Möglichkeit, mit dem ich die
Nachkommen daran beteiligen kann, die Investitionen von heute auch zu
bezahlen. Das Instrument dafür heißt intergenerative Finanzierung. Ob das
gerecht und ob das zumutbar ist für künftige Generationen, konzentriert
sich doch auf die Frage, was mit den Schulden angeschafft wird.
Konsumausgaben dürfen damit nicht finanziert werden. Wenn das Geld für den
Umbau der Wirtschaft in Richtung Ökologie genutzt wird, rentiert es sich
jedoch meistens.
taz: Auch für [4][Rüstung wird die Schuldenbremse aufgeweicht]. Ist das
eine Investition in die Zukunft?
Hickel: Nein. Mit kreditfinanzierten Waffen bekommt die künftige Generation
nichts dafür, dass sie später an den Zinsen beteiligt wird.
taz: Aber was nützen den Jungen die besten Umweltprojekte, wenn
zwischendurch Krieg geführt wird? Wie soll die Politik den Bedrohungen
beispielsweise durch Russland begegnen?
Hickel: Das muss über den Regelhaushalt finanziert werden – aber nicht
zulasten des Sozialstaats.
taz: Genau wie die Memo-Gruppe in den 70er Jahren stehen wir offenbar vor
einer Phase des Neoliberalismus. US-Präsident Donald Trump installiert Elon
Musk, um Behörden zu zerschlagen, um Bürokratieabbau und Schrumpfung des
Sozialstaats will sich zumindest auch die Union in der neuen
Bundesregierung kümmern. Gibt es Parallelen zu damals?
Hickel: Es gibt diese Parallelen. Aber es war nicht ganz so, als wir 1975
angefangen haben. Es gab einen ganz klaren Gründungsanlass. Ich kann mich
sehr gut erinnern, als Jörg Huffschmid, Herbert Schui und ich damals in
Südfrankreich zusammensaßen. Deutschland war in der Rezession, die
Arbeitslosigkeit stieg. Und da fing SPD-Kanzler Helmut Schmidt mit der
Austeritätspolitik an, also mit dem Sparen. Der Neoliberalismus keimte
auf. Dagegen haben wir uns gewendet. Das zweite Motiv war, dass wir das
Monopol des Sachverständigenrats, also der Wirtschaftsweisen, als Berater
der Regierung brechen wollten – zusammen mit ihrem damaligen Plädoyer, dass
die Marktwirtschaft alle Probleme löst.
taz: Das war verbreitet?
Hickel: Die Medien waren voll davon. Wir haben in den 1980ern mal
Investitionen in Höhe von 120 Milliarden Mark gefordert. Da hat die
Süddeutsche Zeitung geschrieben: „Jetzt sind sie völlig durchgedreht.“ Das
hat sich alles stark verändert. Die beratende Wirtschaftswissenschaft hat
an Bedeutung verloren – und wir auch. Im Grunde genommen leiden wir heute
unter dem Bedeutungsverlust unserer „Gegner“, der neoliberalen Ökonomie.
taz: Dafür soll die neue Wirtschaftsministerin [5][Katherina Reiche] in die
Fußstapfen von Ludwig Erhard treten, der den Posten von 1949 bis 1963
innehatte – klingt nach altem Ordoliberalismus und Marktwirtschaft pur.
Hickel: Stimmt. Aber Frau Reiche wird viele Kompromisse machen und ganz
unliberal in die Wirtschaftsabläufe eingreifen müssen. Leider ist ja das
ganze bislang bekannte Kabinett auch mit Kulturstaatsminister Weimer
Ausdruck des konservativen Backlashs. Selbst Sahra Wagenknecht hält
plötzlich Loblieder auf Erhard. Wenn die Befürworter von BSW oder Union den
Erhard in seiner ganzen Verschwommenheit auch machen würden, wäre es gar
nicht so schlimm. Dann hätte der Sozialstaat weiter eine Chance. Wenn man
mit Erhard meint, dass die Märkte alles selber regulieren, liegt man
nämlich falsch. Der Erhard war viel pragmatischer, seine Marktwirtschaft
hatte soziale und ökonomische Säulen.
taz: Deutschland geht möglicherweise in sein drittes Rezessionsjahr. Wie
soll die Bundesregierung die Exportnation im neuen globalen Handelskonflikt
aufstellen?
Hickel: Also der Anfang, Milliarden für Klima und Infrastruktur, war aus
unserer Sicht ganz positiv. Aber: Eins hat Merz noch nicht auf dem Plan.
Transformation braucht die öffentliche Hand. Der scheidende
Wirtschaftsminister Robert Habeck hatte begriffen, dass die großen
Herausforderungen wie die ökologische Wende durch Wasserstoff oder grünen
Stahl nur durch eine Partnerschaft zwischen Staat und Wirtschaft zu
bewältigen sind.
taz: Also der Staat soll dafür zahlen.
Hickel: Ja, wir müssen helfen. Der Umbaubedarf ist riesig. Ich bin immer
noch im Aufsichtsrat der Salzgitter AG Flachstahl. Dort wird gerade die
erste Anlage für grünen Stahl errichtet, ein Riesending für den Konzern.
Dort entsteht eine völlig neue technologische Produktionslinie. Und die
geht nur mit staatlichen Subventionen. Habeck hat das verstanden. Und im
Grunde das gemacht, was Joe Biden mit seinem grünen Investitionsprogramm
IRA in den USA getan hat. Es ist völliger Quatsch, dass der einstige
FDP-Chef Christian Lindner das Staatskapitalismus genannt hat. Die neue
Regierung steckt im Grunde im gleichen Dilemma wie die alte. Es gibt zwar
jetzt das Geld, aber es fehlt die Strategie. Die alte Partnerschaft
zwischen Unternehmen und Regierung wie unter Habeck droht unter Frau Reiche
zusammenzubrechen. Immerhin kennt sie die Welt der Konzerne. Ich hoffe,
dass sie die erforderliche ökologisch-soziale Transformation nicht mit
Marktfundamentalismus ausbremst. Beispiel Elektroautos: Da geht es ja gar
nicht ohne staatliche Beihilfen.
taz: Die sollen auch laut Koalitionsvertrag kommen …
Hickel: Zum Glück. Frau Reiche kommt ja aus der Energiewirtschaft.
Irgendwann sagt sie bestimmt, wenn die Energiepreise nicht sinken, dann
machen wir eben Atomstrom. Das wäre ein richtiger Rückschritt.
30 Apr 2025
## LINKS
[1] /Koalitionsverhandlung-vor-Einigung/!6081238
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[4] /Wirtschaftlichkeit-von-Aufruestung/!6075375
[5] /Kabinettsliste-der-Union/!6082069
## AUTOREN
Kai Schöneberg
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Ökonomie
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