# taz.de -- Ökonom über Steuersystem: „Auch in der Mitte gibt es das Gefüh… | |
> Unser Finanzsystem nützt den Reichen. Von der Unzufriedenheit profitiere | |
> die AfD, sagt Gerhard Schick. Er fordert höhere Steuern für Firmenerben. | |
Bild: Wie viel Steuern zahlt er? Die politische Macht der Oligarchen wächst | |
taz: Herr Schick, Sie haben jahrelang als finanzpolitischer Sprecher der | |
Grünen im Bundestag gearbeitet. Mithilfe der Stimmen Ihrer Partei | |
überwinden Union und SPD nun die Schuldenbremse im Grundgesetz und | |
ermöglichen 1.500 Milliarden Euro neue Staatsschulden in zehn Jahren. | |
Halten Sie das für eine gute Idee? | |
Gerhard Schick: Den Weg für zusätzliche Investitionen freizumachen, ist | |
nötig. Wobei die konservative Seite eine richtige Frage stellt: Wer bezahlt | |
das am Ende eigentlich? Wenn so hohe Kredite aufgenommen werden, steigen | |
künftig die Zinskosten, die aus dem Bundeshaushalt zu finanzieren sind. | |
Unser Steuersystem ist allerdings so strukturiert, dass die Personen mit | |
den größten Vermögen, beispielsweise Milliardärin und BMW-Miteigentümerin | |
Susanne Klatten, einen recht bescheidenen Beitrag leisten. Jetzt während | |
der Koalitionsverhandlungen zwischen Union und SPD wäre die richtige Zeit, | |
die Lastenverteilung zu klären. | |
taz: Was wäre denn eine gute Verteilung? | |
Schick: Vorschläge dafür, wie das reichste eine Prozent der Bevölkerung | |
beim Tragen der Krisenlasten einbezogen wird, liegen auf dem Tisch: | |
[1][Unsere Organisation Finanzwende] fordert, dass die Privilegien bei der | |
Erbschaftsteuer, die gerade die allergrößten Vermögen begünstigen, | |
abgeschafft werden. Auch die Idee des Deutschen Gewerkschaftsbundes einer | |
einmaligen Vermögensabgabe halte ich für richtig. | |
taz: Die zusätzliche Zinsbelastung schätzt der Bundesrechnungshof auf 37 | |
Milliarden Euro im Jahr 2035. Lässt sich ein so großer Betrag mit Steuern | |
auf Kapitalvermögen hereinholen? | |
Schick: Alleine die Beendigung der höchsten Steuersubvention unseres | |
Landes, die Ausnahmen bei der Erbschaftsteuer – erbrächte mindestens 5 | |
Milliarden Euro mehr pro Jahr. So viel geht uns jährlich verloren, weil | |
Superreiche Privilegien genießen. Das beträfe künftig auch Schenkungsfälle | |
wie den von Springer-Chef Mathias Döpfner. Der hat für Aktien des | |
Medienkonzerns im Wert von einer Milliarde Euro, die ihm Friede Springer | |
geschenkt hatte, vermutlich fast keine Steuern gezahlt. | |
taz: Was sollte der Staat noch tun? | |
Schick: Zusätzlich sollte der Staat Steuerdelikte, die Investoren und | |
Banken in großem Maßstab betreiben, konsequent verfolgen. Es ist doch | |
absurd, dass [2][illegale Gewinne von Banken durch CumCum-Geschäfte nicht | |
zurückgefordert werden] und Umsatzsteuerbetrug nicht systematisch bekämpft | |
wird. Auch da geht es jeweils um zweistellige Milliardenbeträge. | |
taz: Solche Veränderungen sind schwer zu realisieren, weil immer eine | |
unternehmensfreundliche Partei – bisher die FDP, jetzt wieder die Union – | |
in der Bundesregierung sitzt. | |
Schick: Die Union hat sich immer als Partei der sozialen Marktwirtschaft | |
verstanden. Wenn jetzt Oligarchen die Axt an Demokratie und Marktwirtschaft | |
legen, dann muss das auch ein Thema für die Union sein. Und ich weiß, dass | |
viele in der CDU das ebenfalls so sehen. Die zu große Kapitalkonzentration | |
ist Gift für den Rechtsstaat und die Marktwirtschaft – wenn ein Milliardär | |
wie Elon Musk zum Oligarchen mutiert, demokratische Verfahren und Gesetze | |
untergräbt, wenn nicht mehr die Leistung über unternehmerischen Erfolg | |
entscheidet, sondern die politische Macht. Auf diese Herausforderungen | |
formulieren die demokratischen Parteien in Deutschland bisher keine | |
relevanten Antworten. | |
taz: Solche Entwicklungen spielen sich in den USA ab. In Deutschland haben | |
wir aktuell keine autokratische Regierung, die von Milliardären gestützt | |
wird. | |
Schick: Die US-Oligarchen mischen mit ihren globalen Unternehmen auch in | |
den europäischen Ökonomien mit. Und sie arbeiten daran, gerade im | |
Finanzsektor Marktanteile zu gewinnen, beispielsweise mit den | |
Bezahlsystemen Apple Pay und Google Pay. Elon Musk will mit seinem Netzwerk | |
X ebenfalls in den Bereich der Finanzdienstleistungen vordringen. Die EU | |
und die Bundesregierung sollten diesen Machtzuwachs der US-Tech-Unternehmen | |
hierzulande verhindern, um unsere Demokratie und Marktwirtschaft zu | |
schützen. | |
taz: Nun ist die hart rechte AfD – trotz exorbitanter Einzelspenden von | |
Unternehmern – keine Oligarchenpartei. Allerdings hat sie bei der | |
Bundestagswahl 20,8 Prozent der Zweitstimmen bekommen. Was sollte und | |
könnte die neue Bundesregierung tun, um zu verhindern, dass diese Partei | |
weiter an Einfluss gewinnt? | |
Schick: Die AfD-Spenden von Milliardären und die Unterstützung durch Musk | |
sollten wir nicht unterschätzen. Die Parteien der Mitte müssen sich aber | |
auch mehr damit beschäftigen, welche wirtschaftlichen Kräfte den Aufstieg | |
der Rechten begünstigen. Zum Beispiel thematisiert die AfD die Inflation – | |
den Kaufkraftverlust, den breite Schichten der Bevölkerung erleiden. Für | |
die steigenden Mieten und niedrigen Löhne in der Pflege sind auch große | |
Kapitalinvestoren wie die US-Firma Blackstone mitverantwortlich. Ihr Chef | |
verdiente vergangenes Jahr über eine Milliarde Dollar, unter anderem mit | |
Investitionen in Immobilien und Pflegeheime in Europa. | |
taz: Wesentliche Ursachen für die Inflation hierzulande waren nicht in | |
erster Linie böse US-Milliardäre, sondern der russische Angriffskrieg und | |
die Energiekrise. Auch deshalb wurden zu wenige Wohnungen gebaut, was | |
wiederum die Mieten in die Höhe treibt. | |
Schick: Es gibt immer mehrere Gründe. Ich plädiere dafür, den Fokus darauf | |
zu richten, wie in den vergangenen Jahrzehnten Umverteilung von unten nach | |
oben stattgefunden hat, und wer davon profitiert. Das diffuse | |
Ungerechtigkeitsgefühl, das viele Leute nicht genau zuordnen können, hat | |
eine reale Basis, die wir in den Zahlen sehen. „Die Kleinen fängt man, die | |
Großen lässt man laufen“ – dieser Satz [3][unserer Geschäftsführerin An… | |
Brorhilker] über Wirtschaftskriminalität löste vor einem Jahr eine große | |
Resonanz aus. Die ehemalige Staatsanwältin für Steuerhinterziehung | |
wechselte damals zu unserer Organisation Finanzwende. Offenbar hat auch die | |
demokratische Mitte in unserem Land das Gefühl, dass es hier nicht mehr | |
gerecht zugeht. | |
taz: Nimmt man den Rechten mit besserer Sozial-, Gerechtigkeits- und | |
Verteilungspolitik wirklich Stimmen ab? Die AfD verfolgt doch selbst ein | |
neoliberales bis rechtslibertäres Wirtschafts- und Sozialprogramm, das hohe | |
Einkommen begünstigen würde. Und ihre Anhängerschaft scheint das zu | |
goutieren. | |
Schick: Viele Bürger:innen sind enttäuscht und haben das Vertrauen in | |
den Staat verloren. Kein Wunder: In den vergangenen 30 Jahren wurde unser | |
Finanzsystem zugunsten der ganz Reichen umgebaut, die Steuersätze für große | |
Vermögen und Einkommen sanken. Die Wut darüber mag paradoxerweise in die | |
libertäre Haltung umschlagen, den Staat, der das zugelassen hat, zerstören | |
zu wollen. Deswegen muss die neue Regierung zeigen, dass der Staat den | |
Bürger:innen dient. Maßnahmen wie Steuerprivilegien für Superreiche | |
abzuschaffen oder Steuerkriminalität konsequent zu verfolgen, haben das | |
Zeug dazu, neues Vertrauen zu schaffen. | |
25 Mar 2025 | |
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Hannes Koch | |
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