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# taz.de -- Tarifstreit im öffentlichen Dienst: Zusammen im Kampf
> In der Hauptstadt wird wie in ganz Deutschland gerade gestreikt. „Berlin
> steht zusammen“, verspricht ein über die Gewerkschaft hinausreichendes
> Bündnis.
Bild: Die Menschen stehen zusammen: „Berlin steht hinter den Streikenden“, …
Berlin taz | Als Carlos Seefeld in seiner orangen Arbeitsjacke die Bühne
betritt, begrüßt ihn die Menge mit lautem Jubel. „Geile Scheiße!“, ruft
Seefeld ins Mikro. Es ist ein kalter Montagmorgen Anfang Februar, und die
knapp 3.000 Menschen, zu denen Seefeld spricht, sind keine
Konzertbesucher:innen, sondern Beschäftigte bei den Berliner
Verkehrsbetrieben (BVG), die an diesem Tag vor der Konzernzentrale ihres
Arbeitgebers eine Streikkundgebung abhalten. Busse und Bahnen stehen für 24
Stunden still, was für den üblichen Unmut bei Politik und Fahrgastverbänden
sorgt.
„Wo ist denn die Wertschätzung außerhalb des Streiks?“, fragt Seefeld und
erntet dafür noch mehr Applaus. Seefeld selbst arbeitet bei der Berliner
Stadtreinigung (BSR), einem anderen, ebenfalls landeseigenen Unternehmen.
Mit Kolleg:innen ist er an dem Tag auf der Streikkundgebung, um den
Arbeitskampf der Bus- und U-Bahn-Fahrer:innen zu unterstützen.
Etwas weniger auffällig läuft auch eine Gruppe Studierender durch die
Menge. Die verteilen Flyer für die kommende Streikdemo und reden, wo es
sich ergibt, über Kürzungspläne und Politik. Auf dem Rücken ihrer
Warnwesten ist „Berlin steht zusammen“ zu lesen. Es ist der Name [1][eines
neuen Bündnisses] aus Gewerkschafter:innen und Aktivist:innen.
Gemeinsam versuchen sie, die Arbeitskämpfe in den verschiedenen Betrieben
zu verbinden und den Beschäftigten bewusst zu machen, wie politisch ihr
Streik ist.
Auch Seefeld ist Teil des Bündnisses, es ist nicht die erste und wird auch
nicht die letzte Kundgebung sein, die er in den kommenden Wochen besucht.
Seit 15 Jahren arbeitet er in der Hauptverwaltung der BSR. Als er im
vergangenen Jahr von der Idee gehört hat, betriebsübergreifende Solidarität
bei „Berlin steht zusammen“ zu organisieren, war er sofort begeistert. „W…
müssen das Bewusstsein schaffen, dass wir keine autarken Unternehmen sind
in der Stadt“, sagt er.
## Bundesweit streiken die Beschäftigten
Denn nicht nur Angestellte des Berliner Nahverkehrs befinden sich gerade im
Arbeitskampf. Bundesweit streiken Beschäftigte des öffentlichen Dienstes:
An Krankenhäusern, Flughäfen, in Verwaltungen und eben in den
Stadtreinigungen. Rund 2,6 Millionen Beschäftigte werden in Deutschland
nach dem Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TvÖD) bezahlt, den die
Dienstleistungsgewerkschaft Verdi derzeit mit dem kommunalen
Arbeitsgeberverband verhandelt. In einer eigenständigen Tarifrunde
feilschen auch die Berliner Verkehrsbetriebe über Lohnerhöhungen für ihre
14.000 Beschäftigten.
Tarifrunden, die parallel laufen, sind nichts Ungewöhnliches.
Außergewöhnlich ist in diesem Jahr die Härte, mit der die
Auseinandersetzungen geführt werden. Der Reallohnverlust der
Inflationsjahre ist noch nicht ausgeglichen, da klagen Länder und Kommunen
schon wieder über knappe Kassen.
Für „Berlin steht zusammen“ geht es in den Tarifrunden um mehr als nur ein
paar Prozentpunkte mehr Gehalt, um den Reallohnverlust auszuhalten. Die
Streiks sind eine politische Bewegung gegen die Kürzungspolitik. „Es kann
nicht sein, dass die öffentliche Daseinsvorsorge die Rechnung zahlen muss“,
sagt Seefeld einige Wochen nach dem Auftritt bei den Verkehrsbetrieben der
taz.
Aufgrund seiner Arbeit in der Hauptverwaltung der BSR hat Carlos Seefeld
einen guten Überblick darüber, wie sich das Unternehmen entwickelt. „Der
demografische Wandel trifft uns genauso hart wie alle anderen“, Nachwuchs
ist in Zeiten des Arbeitskräftemangels nicht einfach zu finden. In den
nächsten Jahren, wenn die geburtenstarke Boomer-Generation in Rente geht,
kündigt sich eine ausgewachsene Personalkrise an. „Bisher sehe ich noch
nicht, wie wir dem entgegenwirken.“ sagt Seefeld.
Egal ob Nahverkehrsbetriebe, Krankenhäuser oder Verwaltungen, schon jetzt
herrscht in vielen Unternehmen des öffentlichen Dienstes eklatante
Personalnot. Bis 2030 scheidet ein Drittel aller Beschäftigten aus, das
Beratungsinstitut McKinsey prognostiziert bis dahin einen Mangel an 840.000
Vollzeitstellen. Ein Loch, das die Funktionsfähigkeit der öffentlichen
Daseinsvorsorge gefährdet. Nachwuchs, wenn er denn überhaupt vorhanden ist,
ließe sich nur rekrutieren, wenn es eine angemessene Bezahlung und gute
Arbeitsbedingungen gibt. „Wir müssen als Arbeitgeber attraktiv werden und
die Arbeit der Kolleginnen und Kollegen wertschätzen“, sagt Seefeld.
Doch bis dahin ist es ein weiter Weg. In den beiden ersten
TvÖD-Verhandlungsterminen wurde von Arbeitgeberverbandsseite noch nicht
einmal ein Angebot auf den Tisch gelegt, viele Beschäftigte stellen sich
auf Urabstimmungen und unbefristete Streiks ein. Dabei sorgen schon die
Warnstreiks im öffentlichen Nahverkehr oder bei der Müllabfuhr bei manchen
Berliner:innen für Verärgerung.
## Im Arbeitskampf nicht allein
Umso wichtiger ist den Beschäftigten, dass sie im Arbeitskampf nicht
alleine sind. Auf einem Bündnistreffen in einer zum Tagungsraum
umfunktionierten Galerie am Kottbusser Tor diskutieren Mitglieder der
Kampagne, wie das am besten zu bewerkstelligen sei. „Wir könnten warmes
Essen auf der Streikdemo verteilen“, schlagen zwei Studierende mit
gefärbten Haaren vor. An anderer Stelle diskutiert eine Arbeitsgruppe, wie
sich eine Spendenkampagne für Fahrer:innen, Köch:innen und
Reinigungskräfte des Charité-Krankenhauses organisieren ließe. Deren
Streikgeld sei oft zu gering für den langen Arbeitskampf, der sich anbahnt.
„Die Vorstellung, dass die Betriebe zusammenstehen und hinter ihnen die
Stadtgesellschaft, ist eine starke“, sagt Celina Bittger, Aktivistin bei
„Berlin steht zusammen“. Für die Beschäftigten sie das extrem motivierend.
Die Studentin war bei Fridays for Future aktiv, es habe sie aber
frustriert, dass die Politik die Demos trotz ihrer Größe weitestgehend
ignoriert habe. Vergangenes Jahr hat sich die 26-Jährige dann bei der
Vorgänger-Kampagne [2][„Wir fahren zusammen“] engagiert. Die Kooperation
von Verdi und Fridays for Future begleitete im vergangenen Jahr die
Tarifrunde im öffentlichen Nahverkehr und forderte eine Umsetzung der
Verkehrswende und Milliardeninvestitionen in den öffentlichen Nahverkehr.
Auch wenn die Forderungen nicht umgesetzt wurden, fühlte es sich sinnvoll
an, aus der eigenen Blase herauszukommen, erzählt Bittger. Auch sieht sie
die Streikunterstützung als erfolgversprechender an als Großdemos.
„Arbeitskämpfe sind der größte Hebel, den wir haben, um Veränderungen
durchzusetzen, ohne auf Appelle und guten Willen der Politik zu warten“,
sagt die Aktivistin.
Neben Essen und Spendenkampagnen zeigt der studentische Teil des Bündnisses
vor allem Präsenz auf der Straße. „Mittlerweile ist es angekommen, dass wir
bei fast jedem Streik Streikposten stehen“, sagt Bittger. Dort
unterstützten sie die Beschäftigten mit Bannern, Redebeiträgen oder hören
einfach in Gesprächen zu.
Wenn teils linksradikale junge Studierende mit eher konservativen älteren
Arbeiter:innen diskutieren, gebe es auch Reibungspunkte, berichtet
Bittger. „Manchmal beschweren sich Beschäftigte, dass Geld für Geflüchtete
da ist, aber nicht für sie.“ Aber in den meisten Fällen gelingt es den
Aktivist:innen, Gemeinsamkeiten herauszuarbeiten, zum Beispiel, dass die
Reichen zu viel Geld hätten und Umverteilung die Lösung sei. Die Einführung
einer Vermögensteuer ist eine der Hauptforderungen der Kampagne.
Für BSR-Mitarbeiter Seefeld sind die Auswirkungen der Kampagnenarbeit
bereits spürbar. „Man merkt das an der Abwesenheit bissiger Kommentare.
Früher gab es nur Beschwerden, wenn wir gestreikt haben.“
Die Berliner Initiative könnte Schule machen. In Leipzig und Dresden gibt
es bereits ähnliche Bündnisse, und auch politisch scheinen die Forderungen
der Beschäftigen nicht mehr undenkbar, nachdem die zukünftige schwarz-rote
Koalition angekündigt hat, die Schuldenbremse zu reformieren und Hunderte
Milliarden in Aufrüstung und Infrastruktur zu investieren. „Geld ist immer
da“, sagt Carlos Seefeld, „die Bundesregierung hat ein Verteilungsproblem,
kein Geldproblem“.
14 Mar 2025
## LINKS
[1] https://www.berlinstehtzusammen.de/
[2] /Klimastreik-von-Fridays-und-Verdi/!5995664
## AUTOREN
Jonas Wahmkow
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