# taz.de -- Wo das Glück sitzt: Unerwartet, immer unerwartet | |
> Dient Demonstrieren auch dem eigenen Wohlgefühl? Und falls ja, wäre das | |
> dann schlimm? Das fragt sich unsere Autorin. | |
Bild: Demonstrieren tut manchmal gut | |
Das neue Jahr hat schon ein paar Beulen, man weiß nicht, wie sich das alles | |
entwickelt, innerhalb der nächsten elf Monate und weniger Tage. Heute war | |
ich glücklich, weiß Gott (an den ich nicht glaube), warum. Ich wache auf, | |
bin glücklich und weiß nicht warum. | |
Warum ich sonst nicht glücklich bin, „anders als glücklich“ ([1][Jochen | |
Distelmeyer] / [2][Christoph Schreuf]), weiß ich eher. Oft denke ich aber, | |
Katrin, du bist gesund, die Bude ist warm, warum also bist du jetzt schon | |
wieder gar nicht glücklich? Aber so läuft das nicht, so kann ich mich zum | |
Glücklichsein nicht zwingen. Das Glück sitzt in einem Winkel meines Ichs | |
und kommt plötzlich einfach herausgehüpft. Unerwartet, immer unerwartet. Es | |
lässt sich kaum planen. Während das Unglück sich oft schwer heranwälzt. | |
Nach Silvester hatte ich viel Besuch. Das lag daran, dass ich einlud. In | |
meiner Partnerschaft musste ich das immer abstimmen. Passte es? Und dann | |
passte es vielleicht oder nicht. Jetzt kann ich wild einladen. | |
Der Januar ist ein guter Monat für Besuch. Die Leute gehen nicht auf | |
irgendwelche Wiesen oder in Parks, sie kommen gerne in Stuben. Ich koche | |
und habe so gerne Gesellschaft, besonders abends. Nichts muntert mich so | |
auf, wie die Gesellschaft von lieben Menschen. Es gibt vielleicht gar | |
nichts Schöneres auf der Welt, als die Gesellschaft von lieben Menschen. | |
Das ist jetzt ein großer Sprung, aber letzte Woche kam Alice Weidel zu | |
Besuch, nicht zu mir, aber in unser Rathaus nach Hamburg. Ich hatte | |
eigentlich eine Verabredung, die ich ein bisschen nach hinten schob und | |
[3][war demonstrieren]. Als ich aus dem Hauptbahnhof kam, schossen mir die | |
Tränen in die Augen. So viele Menschen! | |
Und in so einer Situation merke ich dann erst, wie sehr mich die | |
gesellschaftliche Situation belastet. Wie sehr ich versuche, darüber | |
hinwegzuleben. Man kann nicht die ganze Zeit Angst haben, stürzt sich also | |
in den Alltag, verdrängt ein bisschen. Wir können/dürfen doch nicht alle | |
depressiv werden? | |
Ein Freund fragte mich später an diesem Abend, ob denn solche | |
Veranstaltungen nicht in erster Linie dem eigenen Wohlgefühl dienen. Ich | |
gebe zu, ich war getroffen, denn tatsächlich hatte mir die Teilnahme daran, | |
auch wenn ich durchgefroren war und mich über dies und jenes auch geärgert | |
hatte, gutgetan. Ich verteidigte mich gleich. Ob es eine gute Sache | |
schmälerte, ob denn nicht sogar jedes gute Handeln das Wohlbefinden | |
steigerte? Ob deshalb jedes gute Handeln egoistisch wäre? | |
Aber damit hatte ich nur mein „Wohlgefühl“ verteidigt. Bin ich weniger auf | |
den Sachverhalt eingegangen. In erster Linie? Ist eine Demonstration gegen | |
einen Besuch von Alice Weidel nützlich? Für wen? Für mich? Ja. Das wäre | |
geklärt. Für wen noch? Für alle die, die Angst haben vor rechter Politik, | |
sich allein fühlen, für die, die von Abschiebung bedroht sind? | |
Die Nützlichkeit lässt sich nicht messen. Wäre es wirkungsvoller, sich auf | |
Social Media zu verabreden? In den Kommentarspalten zu diskutieren, zu | |
widersprechen, sich hinter Menschen zu stellen? Aber werden Menschen nicht | |
auf der Straße angegriffen? Und hätte nicht Alice Weidel davon sonst gar | |
nichts mitbekommen? Ich hoffe, sie hat es mitbekommen. Ich hoffe, sie hat | |
mit den Zähnen geknirscht. Die Vorstellung nützt mir, da sie mich | |
aufheitert. Die Vorstellung, selbst wirksam zu sein, tut uns gut. Ob wir’s | |
sind? Und sollte uns dieser Zweifel lähmen dürfen? | |
Diese Woche bekomme ich zweimal Besuch. Glücklich war ich auch schon. | |
25 Jan 2025 | |
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## AUTOREN | |
Katrin Seddig | |
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