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# taz.de -- Jens Spahn: Da bringt sich einer in Stellung
> Jens Spahn gilt als Strippenzieher und Antreiber. Der
> Ex-Gesundheitsminister möchte in der nächsten Bundesregierung mitmischen.
> Viele sehen den CDUler als echte Gefahr.
Bild: Jens Spahn, Publikumsliebling auf dem Deutschlandtag der Jungen Union End…
An einem Samstagvormittag Ende Oktober steht Jens Spahn in Halle an der
Saale auf einer Bühne. Die Junge Union hat zum „Deutschlandtag“ geladen.
Spahn gehört beim alljährlichen Treffen des CDU-Nachwuchses quasi zum
Inventar. Die traditionell konservative JU mag den rhetorisch versierten
Redner, der gerne mal provoziert. Bei diesem Deutschlandtag aber ist Spahn
nur ein Sidekick. Stargast ist [1][Friedrich Merz], der später am
Nachmittag auftritt – und so begrüßt wird, als ob er bereits Kanzler wäre.
Und weil an diesem Tag auch noch der Vorsitzende der JU neu gewählt wird,
spricht viel dafür, dass Spahn in den Medien kaum auftauchen wird.
Aber dann sagt er: „Es ist eine Schande, dass – zum ersten Mal seit Hermann
Göring möglicherweise – wir im Deutschen Bundestag wieder tagen,
diskutieren und da sitzt jemand und präsidiert, der gegen Israel und gegen
Juden hetzt, das ist inakzeptabel.“ Dann [2][fordert er den Rücktritt von
Aydan Özoğuz, der Bundestagsvizepräsidentin der SPD].
Özoğuz hatte einen Beitrag der „Jewish Voice for Peace“ zur israelischen
Bombardierung von Gaza auf Instagram geteilt, ihn nach heftiger Kritik
gelöscht und ihr Bedauern ausgedrückt. Auf den Presseplätzen horcht man
auf. Özoğuz und Göring, der in Nürnberg als Nazi-Kriegsverbrecher
verurteilt wurde, in einem Atemzug? Die Nachrichtenagenturen schicken eine
Meldung raus, bald gibt es aus der SPD erste empörte Reaktionen. In vielen
Berichten vom Deutschlandtag taucht Spahn jetzt auf.
Jens Spahn, 44, sitzt seit 22 Jahren im Bundestag, war parlamentarischer
Staatssekretär im Finanzministerium und Bundesgesundheitsminister. Die
Pandemie hat aus dem konservativen Münsterländer mit Negativ-Image
kurzzeitig den beliebtesten Politiker Deutschlands gemacht. Seit der
Niederlage der Union bei der letzten Bundestagswahl hat er keinen besonders
hervorgehobenen Posten mehr. Aber seit Monaten kommt man an Spahn nicht
vorbei.
Das liegt nicht nur daran, dass er als einer von zwölf Fraktionsvizes für
Wirtschaft, Energie und Klima zuständig und damit ein Gegenspieler zum
grünen Minister Robert Habeck ist. Es gibt darüber hinaus auch kaum ein
Thema, zu dem der Mann nicht auf Sendung ist.
Mal will er Geflüchtete aus Syrien mit einer Prämie von 1.000 Euro und
einem One-Way-Ticket zur Rückkehr bewegen. Dass das Assad-Regime gerade
erst gestürzt, die Lage im Land völlig unklar ist? Spielt keine Rolle. Ein
anderes Mal reist er zum Parteitag der US-Republikaner in Milwaukee und
betont die inhaltlichen Gemeinsamkeiten mit Donald Trump. Dass er damit die
CDU-Außenpolitiker vor den Kopf stößt? Nimmt er in Kauf. Hauptsache
Aufmerksamkeit.
## Da bringt sich einer in Stellung
Für Spahn geht es um die Frage, ob er Teil der neuen Bundesregierung wird.
Und damit einer der Player bleibt für die Zeit danach. Wenn Friedrich Merz,
der heute 69 ist, aus Altersgründen seine Spitzenposition in der CDU
abgeben muss. Dann soll Hendrik Wüst, der smarte Ministerpräsident aus NRW,
der so geräuschlos mit den Grünen regiert, nicht der einzige Kandidat für
die Nachfolge sein. Es geht also um die Frage, ob Spahn ein Mann mit
Kanzlerperspektive bleibt oder ob sein politischer Abstieg bereits begonnen
hat. Daher bringt er sich in Stellung. Wenn die Union die Wahl gewinnt,
soll Merz an ihm nicht vorbeikommen.
Bei Angela Merkel, die ihn 2018 zum Gesundheitsminister machte, hat das
schon mal geklappt, allerdings unter anderen Vorzeichen. Spahn hat Merkel
so lange von rechts attackiert, bis sie ihn mit dem Posten einzuhegen
versuchte. Gegen Merz hat Spahn einmal allein und einmal im Tandem mit
Armin Laschet um den CDU-Vorsitz kandidiert. Aber seit die
Machtverhältnisse in der Partei fürs Erste geklärt sind, hat er sich hinter
Merz gestellt.
Kurz vor Weihnachten sitzt Jens Spahn in seinem Bundestagsbüro im sechsten
Stock des Jakob-Kaiser-Hauses in einem schwarzen Ledersessel, das Jackett
hat er abgelegt, vor ihm steht ein Glas Wasser. Dass er immer nach seinem
Ehrgeiz gefragt wird, ärgert ihn. Dabei hat er diesen früh unter Beweis
gestellt. Mit 22 nahm Spahn einem altgedienten Parteifreund den Wahlkreis
im Münsterland ab und hat diesen seitdem stets wieder gewonnen.
Mit 34 machte er gegen den Willen der Parteispitze dem damaligen
Gesundheitsminister Hermann Gröhe in einer Kampfabstimmung seinen Platz im
CDU-Präsidium abspenstig. „Dieses Ehrgeiz-Ding verfolgt mich seit Jahren“,
sagt Spahn und fügt an, dass man selbst ein Seepferdchen ohne Ehrgeiz nicht
schaffen könne. Ehrgeiz, soll das wohl heißen, sei etwas ganz
Selbstverständliches. „Ich will einen Unterschied machen, etwas verändern�…
sagt er. Und Ämter seien eben eine Chance dazu.
Wie stark Spahn die Koordinaten der Republik verschieben will, zeigt sich
besonders beim Thema Migration. „Wir müssen die Migrationspolitik
grundlegend verändern. Sonst fliegt uns irgendwann die gesellschaftliche
Akzeptanz um die Ohren. Auf dem Marktplatz jeder mittelgroßen Stadt kann
man ja sehen, dass es nicht funktioniert“, sagt Spahn in seinem Büro. Das
Thema beackert er nun schon seit fast zehn Jahren, obwohl er offiziell nie
dafür zuständig war.
Als Angela Merkel 2015 die Grenzen nicht schloss, sprach Spahn von
„Staatsversagen“. Er forderte die Ausweisung von Hasspredigern, ein
Islamgesetz und ein Burkaverbot, obwohl es in Deutschland kaum
Burkaträgerinnen gab. Auf dem CDU-Parteitag von 2016 kämpfte er einen
Beschluss gegen die doppelte Staatsbürgerschaft durch, den Merkel
verhindern wollte. Mal nannte er die Genfer Flüchtlingskonvention nicht
mehr zeitgemäß, mal fand er „physische Gewalt“ gegen Migrant*innen an
den EU-Außengrenzen legitim.
## Die Drift nach rechts
„Wir schlagen vor, konzeptionell anders zu denken“, sagt Spahn. Da sitzt
einer, der nicht innerhalb des rechtlich Zulässigen denkt. Gesetzliche
Grundlagen lassen sich schließlich verändern, wenn man die politischen
Mehrheiten dafür schafft. „Eine Debatte, die ich beginne, will ich auch zu
einem Ergebnis führen“, sagt er. „Manchmal dauert es ein paar Jahre, bis
das Ergebnis da ist, weil dicke Bretter zu bohren sind.“
Innerhalb seiner Partei hat sich beim Thema Migration bereits vieles in
seine Richtung verschoben. „Dass die [3][Debatten, die Thorsten Frei und
ich angestoßen haben], mittlerweile Partei-Programmatik sind, ist ein
Erfolg“, sagt Spahn und guckt dabei durchaus zufrieden. Thorsten Frei, der
Parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion, hatte im Sommer 2023
eine Diskussion über das individuelle Recht auf Asyl angestoßen.
Im [4][Wahlprogramm der Union] steht nun, dass man Flüchtlinge an der
deutschen Grenze zurückweisen will. Subsidiären Schutz will die Union
abschaffen. Und die Asylverfahren in Länder außerhalb der EU verlagern, wo
die Geflüchteten auch nach der Anerkennung bleiben sollen. Das Asylrecht,
so wie es im Grundgesetz und in internationalen Vereinbarungen geregelt
ist, wäre perdu.
Thomas Biebricher, Politikprofessor aus Frankfurt, ist ein Kenner des
europäischen Konservatismus, auch die CDU beobachtet er schon lange. Anfang
2023 ist sein Buch „Mitte/rechts“ über die internationale Krise des
Konservatismus und dessen Abdriften nach rechts erschienen. „Jens Spahn
gehört zu den gefährlichsten Personen im CDU-Orbit“, sagt Biebricher am
Telefon. Spahn sei rhetorisch begabt, bereit, sich populistisch zu äußern,
habe eine gewisse Skrupellosigkeit – und diesen großen Ehrgeiz. „Von Jens
Spahn kann man sich vorstellen, dass er bereit wäre, die Christdemokratie
in etwas zu transformieren, was nicht mehr Christdemokratie ist.“
Hört man sich in der CDU um, klingt manches davon an, meist allerdings nur
leise und nach der Zusage, ganz sicher nicht zitiert zu werden. Spahn wird
einerseits geschätzt für seinen Fleiß und seine Ausdauer, manche bewundern
seine gute Vernetzung und die Bereitschaft, auch unbequeme Dinge
anzusprechen. Wenn er komme, sei der Saal eben voll. Spahn, das sagen auch
Gegner*innen, sei ein politisches Ausnahmetalent.
Aber es gibt eben auch Zweifel an seiner Loyalität. Unbehagen mit seinem
starken Ehrgeiz. Damit, dass er sich gerne vor andere schiebt, die dann
hinter ihm aufräumen müssen. Damit, dass er sich mit fragwürdigen Personen
wie dem Trump-Vertrauten und ehemaligen US-Botschafter Richard Grenell
umgibt, dass er 2017 begeistert zur Wahlparty von Sebastian Kurz nach Wien
reiste und 2021 bei Bier und Pizza ausgerechnet im Büro des damaligen
Bild-Chefredakteurs Julian Reichelt das Kanzlerkandidaten-Triell verfolgte.
## Der dritte Mann aus NRW
Ohnehin schleppt Spahn einigen Ballast mit sich rum. Die [5][teuren
Maskenkäufe vom Beginn der Pandemie etwa], deretwegen dem Bund nun 2,3
Milliarden Euro Nachzahlungen drohen. Den Kauf seiner Villa in Berlin für
mehrere Millionen Euro gemeinsam mit seinem Ehemann, dessen Finanzierung
Fragen aufwarf. Beides bezeichnet er inzwischen selbst als Fehler, aus
heutiger Perspektive.
Die Grünen nennt Spahn öffentlich wahlweise „ideologisch“, „verblendet�…
oder „ahnungslos“. Auch erweckt er gerne den Eindruck, Wirtschaftsminister
Habeck sei unfähig und an der aktuellen Misere alleine schuld. Von Habecks
Klimapolitik will er vieles rückabwickeln, die drei letzten Atomkraftwerke
am liebsten wieder ans Netz nehmen. Mit manchen Grünen aber versteht Spahn
sich persönlich gut.
Vor zehn Jahren hat er [6][gemeinsam mit Omid Nouripour die
Pizza-Connection wiederbelebt], in der sich einst beim Italiener in Bonn
Schwarze und Grüne zum Kennenlernen trafen. „Ich bin weiter dabei“, sagt
Spahn in seinem Büro. „Es ergibt ja Sinn, zu verstehen, warum der andere
die Dinge anders sieht.“ Sein Ziel sei jedenfalls nicht, mit den Grünen zu
regieren.
Regieren will Spahn auf jeden Fall. Zum Problem könnten dabei allerdings
zwei Parteifreunde werden. Gewinnt die Union die Wahl, dürfte Merz als
Kanzler, [7][Generalsekretär Carsten Linnemann] als Minister gesetzt sein.
Spahn wäre der dritte Mann aus NRW – und damit möglicherweise einer zu
viel. Kein Wunder also, wie sehr er sich in Stellung bringt.
4 Jan 2025
## LINKS
[1] /Friedrich-Merz/!t5546388
[2] /Bundestags-Vize-Aydan-Oezouz/!6041304
[3] /Asylrecht-des-Einzelnen-infrage-gestellt/!5948426
[4] /Wahlprogramm-der-Union/!6056358
[5] /Aufarbeitung-der-Coronazeit/!6026123
[6] /!427810/
[7] /Carsten-Linnemann/!t5617169
## AUTOREN
Sabine am Orde
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Jens Spahn
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