| # taz.de -- Rechte Politik: Verliebt ins Ressentiment | |
| > Die ostdeutschen Anhänger der AfD und die österreichischen der FPÖ sind | |
| > keine verirrten Protestwähler. Sie wollen die Gefühlsrohheit. | |
| Bild: Ihr Jubel kennt keine Grenze: Anhänger der FPÖ in Wien 2024 | |
| Der Herr ist dünnhäutig und leicht verletzlich. Er ist voller Misstrauen. | |
| Von anderen nimmt er gerne das Schlechteste an, von sich selbst dagegen | |
| stets das Beste. Er ist prinzipiell unschuldig und ebenso prinzipiell ein | |
| Opfer. Er hat eine gewisse Freude daran, andere zu quälen und zu mobben, | |
| und ist leicht in Rage zu bringen. Menschen mag er nicht wirklich. | |
| Herbert Kickl ist Österreich. Und mit Blick auf die letzten Landtagswahlen | |
| in Ostdeutschland gesagt: Er ist offenbar auch ein Rollenmodell für | |
| Deutschland. | |
| Womöglich verkörpert der Chef der Freiheitlichen Partei die Gegenwart des | |
| Österreichischen besser, als dem durchschnittlichen Österreicher lieb sein | |
| mag. Letzterer belügt sich ja gerne. Dann kommt eben so etwas wie Herbert | |
| Kickl heraus. | |
| ## Krass und brutal | |
| Zugegeben, das ist jetzt etwas krass und brutal gesagt. Aber krass und | |
| brutal ist wohl nicht unangemessen angesichts dessen, was am Wahlsonntag in | |
| Wien passiert ist. Die FPÖ, die sich in den vergangenen Jahren noch einmal | |
| extra radikalisiert hat, ist unter ihrem rechtsextremen Parteichef Herbert | |
| Kickl bei den Nationalratswahlen stärkste Partei geworden. | |
| Das ist, als würde Björn Höcke Bundestagswahlen gewinnen. | |
| Herbert Kickl ist gern gesehener Gast bei allen möglichen | |
| Hassprediger-Versammlungen. Er sieht ein wenig aus wie ein | |
| Volksschullehrer, der Briefmarken sammelt, ein bisschen auch wie eine | |
| skurrile Kreuzung aus Harry Potter und Dobby, dem Hauself. In seinen Augen | |
| ist aber etwas, was einem den Wunsch hegen lässt, mit dem Herrn dienstlich | |
| und zu Kriegszeiten lieber nichts zu tun zu haben. | |
| Als er vor drei Jahrzehnten seine Laufbahn als Kofferträger Jörg Haiders | |
| begann, hat man ihm eine erste Aufgabe in der Bildungsanstalt der | |
| Rechtspartei übertragen. Dort fragte ihn ein Kampfgefährte nach einiger | |
| Zeit, verwirrt vom Charakter des sonderlichen Kollegen: „Wenn du hier | |
| niemanden magst, was machst du dann hier?“ | |
| Gewiss, seine Partei [1][hat 28,8 Prozent erreicht,] was natürlich heißt, | |
| 71,2 Prozent haben ihn nicht gewählt. Aber was, wenn diese relative | |
| Mehrheit von 28,8 Prozent genau das wollte, genau einen solchen – und genau | |
| die Radikalität, genau den Irrwitz, die Niedertracht, genau die | |
| Böswilligkeit und den Extremismus, für den er und seine Truppe stehen? Und | |
| was, wenn die 30 Prozent und mehr AfD-Wähler im Osten Deutschlands genau | |
| das Gleiche wollen? | |
| ## Verirrte Schäfchen | |
| Verbreitet ist die bequeme Annahme, dass die Wählerinnen und Wähler | |
| extremer Rechtsparteien nur verirrte Schäfchen seien, gebeutelt von der | |
| krisenhaften Welt, den Komplexitäten der Moderne, der ökonomischen | |
| Bedrängnis. Der Oberton dieser Annahme ist, dass an sich gutwillige Leute | |
| ziemlich schlimme Finger wählen, aber nicht wirklich vorsätzlich, als wären | |
| sie irgendwie nicht geschäftsfähige Hascherln. Als wären sie | |
| besachwaltert. | |
| Wahrscheinlich sollte man sich mit der Tatsache anfreunden, dass die | |
| Wählerschaft dieser Parteien sich nicht einfach aus Einfältigkeit verwählt, | |
| sondern dass sie genau das wollen. Dass sich in unseren Gesellschaften die | |
| Sozialfigur des begeisterten rechtsextremen Wählers breitmacht. | |
| Wie konnte das geschehen? | |
| ## Kein Ruck sondern Erdrutsch | |
| Diese Sozialcharakter wachsen keineswegs aus dem Nichts. Der Rechtsruck ist | |
| „kein Ruck mehr, sondern eine mittlerweile jahrzehntelange Verschiebung | |
| sämtlicher Grundprinzipien“, formulierte der Dramatiker Thomas Köck in | |
| seiner jüngst erschienenen [2][„Chronik der laufenden Entgleisungen“.] Es | |
| gibt keinen Rechtsruck, „es gibt einen Rechtserdrutsch, gesellschaftlich, | |
| der längst in vollem Gange ist“. | |
| Dessen Boden wird genährt, lange schon, fürsorglich und hingebungsvoll. | |
| Durch jedes Wort der gezielten Bösartigkeit, was man salopp und | |
| leichtfertig die „rechten Provokationen“ nennt. Jede dieser Bösartigkeiten | |
| führte Tropfen für Tropfen mehr an Gefühlsrohheit hinzu. Man gewöhnte sich | |
| an sie. | |
| Noch die Empörung darüber besorgte ihr Geschäft, die Rohheit bleibt im | |
| Gespräch, kommt immer mehr ins Gespräch, die einen kritisierten sie, die | |
| anderen verteidigten sie, dann wirkt sie erst als eine mögliche Meinung, | |
| die man haben kann, dann nach und nach als eine unter den Gängigen. Empört | |
| man sich, spielt man ihnen schon in die Hände und tut, was sie erhoffen, | |
| generiert Aufmerksamkeit. Bekämpft man sie „inhaltlich“, läuft man ihren | |
| „Inhalten“ hinterher. Was immer man tut, die Gefühlsrohheit leckt sich die | |
| Finger. Wenn sich alles um sie dreht, schraubt sie sich immer mehr in | |
| unsere Welt hinein. | |
| Das ist der eigentliche Grund für das, was wie „Hilflosigkeit“ der anderen | |
| Parteien aussieht. | |
| ## Lust an der Bösartigkeit | |
| Der Ausländer? Wird zum Synonym für kriminell. Der Migrant: zum Synonym | |
| für Messerstecher. Schreit der Anführer „millionenfach abschieben“, | |
| klatscht das Publikum begeistert in die Hände. Begeistert von der eigenen | |
| Fiesheit. Lust an der Bösartigkeit. Die Anderen behandeln die Themen als | |
| „berechtigte Sorgen“, und schon wirkt die Bösartigkeit irgendwie als | |
| alltäglich. | |
| „Rechtsradikal ist die neue Mitte. So weit alles normal“, schrieb der | |
| Filmemacher David Schalko zuletzt in der FAZ. Der Beitrag von | |
| „alternativen“ Hetzmedien und dem Aufschaukelungszusammenhang von Social | |
| Media sollte man nicht geringschätzen, ebenso wenig den von Boulevard und | |
| konventionellen Medien, die dann als Plattform der Normalisierung wirken. | |
| In den Studien von Adorno und Co über den [3][„autoritären Charakter“] | |
| wurden Sozialfiguren wie „der Rebell“ oder „der Spinner“ bereits als ei… | |
| Randfigur faschistischer Bewegungen entdeckt, diese war aber damals | |
| gegenüber den anderen Typen des Konformistisch-Autoritären noch peripher. | |
| Heute dominiert der Typus des „konformistischen Rebellen“, der sich in der | |
| Gemeinschaft der Starken aufgehoben fühlt, den Zuspruch seiner Bubble | |
| liebt, sich geknechtet und gegängelt fühlt, alle Regeln ablehnt, sogar | |
| vernünftige. | |
| Der mit der Meute selbsterklärter „Selbstdenker“ blökt und sich als | |
| systemkritisch wähnt. Seine Parole ist nicht: Im Stechschritt voran. | |
| Sondern: „Nicht mit mir!“ | |
| ## Aggression, Kraftmeierei, Destruktivität, Zynismus | |
| Der rechtsextreme Agitator hat nicht nur Wähler, er schafft auch ein | |
| Anhängersubjekt, aufbrausend, selbstgerecht, daueraggressiv und mit Hang | |
| zur Gewaltsprache. „Autoritäre Aggression, Kraftmeierei, Destruktivität, | |
| Zynismus, (verschwörungstheoretische) Projektivität und Aberglaube“, das | |
| sind die Charakterattribute dieses Typus, die die Soziologen Carolin | |
| Amlinger und Oliver Nachtwey in ihrer Studie „[4][Gekränkte Freiheit“] | |
| anführen. | |
| Leo Löwenthal hat in seiner phänomenalen Untersuchung „Falsche Propheten“ | |
| vor beinahe neunzig Jahren die Symbiose des Anführers und Scharfmachers und | |
| seines Auditoriums schon hellsichtig beschrieben. Die schlechten Manieren, | |
| die Gewaltsprache, die obszöne Redeweise, sie gelten als Ausweis der | |
| Unangepasstheit und der Aufrichtigkeit (Kickl sagt gern, man werde den | |
| Gegnern „einen Schlag aufs Hosentürl“ versetzen). | |
| Der Agitator muss sein Publikum im Bewusstsein stärken, hilfloses Objekt | |
| „einer permanenten Verschwörung“ zu sein. Löwenthal: „Die Anhäufung von | |
| erfundenen Schrecken auf wirkliche“ gehört ebenso zu seinem | |
| Standardrepertoire wie „die Taktik des ‚Alles-in-einen-Topf-Werfens‘“. … | |
| aktiviert „die primitivsten … Reaktionen seiner Anhängerschaft“, er „w… | |
| in dieser Malaise, er genießt sie“, und das Publikum, das in seine Fänge | |
| gerät, verfällt zunehmend in eine „paranoide Beziehung zur Außenwelt“. | |
| Retrospektiv geradezu spektakulär ist Löwenthals Vermutung, dass diese Form | |
| der Agitation „eine standardisierte und simplifizierte Version der | |
| ursprünglichen Nazi- und faschistischen Propagandaslogans darstellt“ und | |
| das Thema des „einfachen“ Amerikaners, „einfachen“ Franzosen vs. | |
| böswillige Eliten in jedes „Land verpflanzt werden“ könne. | |
| ## Ethno-Nationalismus | |
| Tatsächlich hat sich eine Art „globaler Stil“ des Ethno-Nationalismus | |
| herausgebildet. | |
| In jüngerer Zeit hat die französische Philosophin und Psychoanalytikern | |
| Cynthia Fleury von Milieus voller Bitternis geschrieben. Sie spricht von | |
| einer „querulatorischen Paranoia“, einer „Vergiftung“, einer | |
| „Selbstvergiftung“ der Subjekte, die an realen, echten sozialen Problemen | |
| andockt, aber ins Maßlose eskaliert. Das „in das Ressentiment verliebte | |
| Subjekt“ erleidet einen „Verlust der Urteilsfähigkeit“. Fleury: „Eine | |
| Person, die diese Störung hat, gibt ihre Fehler nie zu, ist aggressiv und | |
| provoziert andere, hat unbeherrschte Wutausbrüche, ist pathologisch | |
| unaufrichtig, überempfindlich.“ | |
| Die extremistische Agitation schafft sich ihr Subjekt, montiert die Leute | |
| um, produziert ein Resonanzmilieu, das dann alle Überschreitungen als | |
| Befreiungen erlebt. Indem sie sich allerlei Grausamkeiten für Andere | |
| (Kritiker, Andersdenkende, Flüchtlinge, Faule, Systemlinge usw.) ausmalen, | |
| erleben sie einen gemeinsamen Lustmoment. Am Ende werden es wieder einmal | |
| ganz normale Leute gewesen sein. | |
| Der harte Kern dieser Wählerschaft wünscht sich genau das, was er bekommt. | |
| 5 Oct 2024 | |
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| ## AUTOREN | |
| Robert Misik | |
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