| # taz.de -- Rechte Sprache in Österreich: Die Eroberung der Mitte von rechts | |
| > Historiker Thomas Köck protokolliert in seiner „Chronik der laufenden | |
| > Entgleisungen“, wie sich die rechtspopulistische Sprache ausbreitet. | |
| Bild: Am Sonntag finden in Österreich Nationalratswahlen statt. Die rechtsextr… | |
| Wer wissen möchte, was in Europa möglich ist, sollte Österreich sehr genau | |
| im Blick behalten“, schreibt [1][der österreichische Dramatiker Thomas | |
| Köck] auf den ersten Seiten seiner „Chronik der laufenden Entgleisungen“. | |
| Sie handelt von Tabubrüchen österreichischer Rechtspopulisten, die immer | |
| wieder als „Einzelfall“ verharmlost das Spektrum zulässiger Aussagen ins | |
| gerade eben noch Unerträgliche verschieben. Individuelle wie kollektive | |
| Regelverletzungen waren als Akte von Selbstermächtigung einst Sache der | |
| Linken, die Rechte hat sie längst gekapert. | |
| Für Köck ist Österreich Modell und Zuspitzung des Rechtspopulismus | |
| zugleich. Seine gegenwärtige Spielart wurde hier mehr oder weniger | |
| erfunden. Mit Jörg Haider scheint in den frühen 1990er Jahren ein neuer | |
| Politikertypus auf, der nicht mehr nur NS-Ideologie aufkocht, sondern sich | |
| bewusst mit den technokratischen und ästhetischen Insignien der Moderne | |
| schmückt. Versuche, den Charismatiker im Slim-Fit-Anzug lediglich als | |
| Ewiggestrigen zu entlarven, perlten – vorzugsweise in westdeutschen | |
| Talkshows – an seinem Gordon-Gekko-Lächeln ab. | |
| Datiert über ein ganzes Jahr beschreibt Köck, wie die Rechten die | |
| öffentliche Sprache verändern, wie sie gesellschaftliche Widersprüche | |
| zulasten von Minderheiten in Scheinkonflikte ummünzen, die sich nicht | |
| lösen, aber umso leichter anheizen lassen. „An der Sprache wird sich alles | |
| entzünden. Hat sich schon alles entzündet. Die steht ja schon in Brand.“ | |
| Sie formen vor, wie in Europa inzwischen nicht nur Rechte über Geflüchtete, | |
| Migrant:innen oder Empfänger:innen sozialer Transferleistungen | |
| sprechen. Die Eroberung des vorpolitischen Raums durch die Rechtspopulisten | |
| organisiert Wahrnehmung und Sprachmuster. Sie üben damit Macht aus, bevor | |
| sie selbst an der Macht sind. Was einmal „Mitte“ war, eilt rechten | |
| Narrativen hinterher. | |
| ## Am Ende Regierungskrise | |
| An der Regierung hält es sie indessen nicht lange, zumindest nicht in der | |
| österreichischen Variante. [2][Die Beteiligung der FPÖ endete regelmäßig in | |
| Regierungskrisen], scheiterte an Korruption, Unfähigkeit oder daran, dass | |
| es an den Fleischtöpfen nichts mehr zu holen gab. Die Liste der | |
| rechtskräftig verurteilen ehemaligen Mandatsträger ist beeindruckend. | |
| Herber Kickl, Wahlsieger der Parlamentswahl von Sonntag, heizt die | |
| Bewirtschaftung des Ressentiments noch einmal an. Ursprünglich war er als | |
| Spindoktor in der Partei nur zweite Reihe. Wurde Haider regelrecht zum | |
| Ich-Ideal seiner Getreuen, verkörpert Kickl, der gänzlich uncharismatische | |
| Studienabbrecher vom Land, den unterdrückten Hass der Zu-kurz-Gekommenen. | |
| Köck spricht von ihm nur als „herbertkomplex“, um der Falle einer | |
| Zuspitzung auf die Person zu entgehen. | |
| Statt mit einem möglicherweise brillanten Essay den Gegenstand auf den | |
| Punkt und von der eigenen Person wegzubringen, verwendet Köck in seinem | |
| Buch die eigene Subjektivität als Instrument wie als Analysekriterium. | |
| Er knüpft damit an die Tagebuch-Literatur des 20. Jahrhunderts an, die die | |
| Autonomie des Subjekts in der Reflexion des Schreibens zu verwirklichen | |
| sucht. Köck betreibt Gesellschaftskritik als minutiöse Sprachanalyse und | |
| orientiert sich damit an einer Tradition in der österreichischen Literatur, | |
| die bis zu Karl Kraus zurückreicht. | |
| ## In den Tiefen Österreichs | |
| Seine Beobachtungen sind geeignet, die verbindende Erzählung von Vielfalt | |
| und Chancengleichheit zu erschüttern, mit der der liberale Common Sense dem | |
| populistischen Ressentiment entgegenzutreten versucht. Erkundungen in den | |
| Tiefen Österreichs und seiner eigenen Biografie führen zur unvollständigen | |
| Emanzipation der österreichischen Landbevölkerung, aus der er selbst | |
| stammt, zu [3][beobachten ist auch das Verschwinden des traditionellen | |
| Arbeiter:innenmilieus.] | |
| Bis in die körperliche Wahrnehmung hinein spürt Köck Klassenschranken dort | |
| auf, wo sie am beharrlichsten geleugnet werden: in den Ruinen der | |
| bürgerlichen Kultur, an Universitäten oder auch an seinem Arbeitsplatz | |
| Theater, das er als Agentur zur Reproduktion von Mittelschichtsidentität | |
| beschreibt. | |
| Es bleibt der Widerspruch von gesellschaftspolitischer Liberalität und | |
| neoliberaler Ökonomie, die zur Durchsetzung von Verwertungsinteressen | |
| zunehmend autoritäre Verhältnisse befördert. Ungleichheit ist, so Köck, ihr | |
| Produkt wie ihre Voraussetzung. Zu viele wissen, dass mit Chancengleichheit | |
| ihr Erfolg nicht gemeint ist. | |
| Es bleibt die Wahl zwischen konkurrierenden Konzepten in der | |
| Bewirtschaftung von Ungleichheit. Die liberale Variante mag die angenehmere | |
| sein, wird aber bei fortdauernder Ungleichheit kaum die erhofften | |
| gesellschaftlichen Bindungskräfte entfalten, die ihr autoritäres Gegenbild | |
| vergessen lassen. | |
| 30 Sep 2024 | |
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| ## AUTOREN | |
| Uwe Mattheiß | |
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